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MILITÄR/892: Großbritannien heizt den Krieg in der Ukraine an (SB)


Großbritannien heizt den Krieg in der Ukraine an

London will eine Führungsrolle beim neuen Kalten Krieg gegen Moskau


Großbritannien schickt 75 Militärausbilder in die Ukraine. Dies gab Premierminister David Cameron bei einer Unterhausdebatte am 24. Februar in London bekannt. Die Entsendung eines Kontingents erfahrener Offiziere der königlichen Armee in das bürgerkriegsgeplagte Land wollte Regierungschef Cameron als Signal an Rußlands Präsidenten Wladimir Putin verstanden wissen, daß Großbritannien nicht mehr gewillt sei, "die Zerstückelung einer Demokratie, eines Mitgliedslandes der Vereinten Nationen, eines souveränen Staates auf dem europäischen Kontinent" hinzunehmen. Hinter der hochtrabenden Rhetorik Camerons steckt das Streben der militärischen und politischen Elite auf der Insel, in der Ukrainekrise eine entscheidende Rolle zu spielen, um nachher bei der Aufteilung der Beute mitbestimmen zu können. Darüber hinaus finden im Vereinigten Königreich in wenigen Wochen, voraussichtlich am 7. Mai, Unterhauswahlen statt, aus denen Tory-Chef Cameron seine Konservativen wieder als stärkste Fraktion führen will. Da kommen markige Sprüche und eine Pose der Entschlossenheit in der aktuell brenzligsten außenpolitischen Frage, wenn nicht beim einfachen Bürger, so doch zumindest beim längst auf Russophobie geschalteten Kommentariat Großbritanniens gut an.

Seit Wochen hagelt es in der britischen Presse Kritik an die Adresse Putins wegen seiner vermeintlichen Expansionsgelüste und an Cameron wegen seines angeblichen Versäumnisses, den neuen russischen Zaren in die Schranken zu weisen. In einer hysterischen, am 2. Februar erschienenen Ausgabe seiner Kolumne bei der linksliberalen Tageszeitung Guardian, deren Überschrift "Putin must be stopped. And sometimes only guns can stop guns" nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ, verlangte der auf beiden Seiten des Atlantiks bestens vernetzte Historiker Timothy Garton Ash, der neben Joschka Fischer, Javier Solana, Martti Ahtisaari und Mabel von Oranje im Vorstand des Brüsseler European Council on Foreign Relations (ECFR) sitzt, ein entschlosseneres, aggressiveres Vorgehen der NATO in der Ukrainekrise.

Als vor wenigen Wochen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande in tagelanger, mühsamer Pendeldiplomatie die Vereinbarung Minsk II aushandelten und einen Waffenstillstand in der Ostukraine erreichten, fiel die Reaktion der britischen Medien und Politik skeptisch bis unzufrieden aus. Die britischen Meinungsmacher erzeugten den Eindruck, ihr Land sei übergangen worden. In Artikeln und Kommentaren taten sie schwer beleidigt, weil Berlin und Paris an London vorbei mit Moskau und Washington über Krieg und Frieden in Europa entschieden hatten.

In einem Interview mit der allmorgentlichen Nachrichtensendung Today von BBC Radio 4 am 5. Februar beschwerte sich General Sir Richard Shirreff, bis letztes Jahr Stellvertrender NATO-Oberbefehlshaber, über das angebliche Fehlen der Stimme der UN-Vetomacht Großbritannien bei den Ukraine-Beratungen. Dies schien Shirreff mehr zu stören, als die Tatsache, daß die NATO und Rußland, wie er selbst sagte, inzwischen am Rande eines "totalen Krieges" stehen. Durch Passivität hätte Cameron Großbritannien zu einem "Nebenspieler" gemacht, so Shirreff. Der Vorwurf wurde vom Schatten-Außenminister Douglas Alexander von der oppositionellen Labour-Partei aufgegriffen und als Wahlkampfwaffe gegen die Konservativen eingesetzt. In den Tagen darauf wurde von den diplomatischen und militärischen Korrespondenten aller wichtigen Zeitungen händeringend die Frage erörtert, ob Großbritannien zu einer "Irrelevanz" im großen Weltgeschehen geworden sei. Am 15. Februar wollte Nick Cohen in der Sonntagszeitung Observer von Cameron wissen, wie Großbritanniens Strategie aussehe, "den Kreml einzudämmen und abzuschrecken" - ganz als stünde so etwas ernsthaft in der Macht Londons. Dabei warf Cohen Putin vor, die Krim "annektiert", die Ukraine "in Bosnien verwandelt" und "die Einheit der NATO durch die Aktivierung von Stellvertreterkräften in den baltischen Staaten auf die Probe gestellt" zu haben.

Um ein erstes Zeichen der Stärke zu setzen, gab das Verteidigungsministerium in London am 19. Februar bekannt, am Tag davor habe man in der südwestenglischen Grafschaft Cornwall mehrere Kampfjets aufsteigen lassen, um zwei russische Langstreckenbomber, die sich im internationalen Luftraum des östlichen Atlantiks befanden, "aus dem Gebiet britischer Interessen" zu "eskortieren". Zu keinem Zeitpunkt seien die russischen Bomber, die mit Atombomben ausgerüstet werden können, "in den britischen Luftraum eingedrungen", hieß es weiter in der Stellungnahme des Ministry of Defence (MoD). Zwei Tage zuvor hatte Verteidigungsminister Michael Fallon Rußland bezichtigt, durch verstärkte Manöver seiner Land-, Luft- und Seestreitkräfte "Druck" auf die baltischen Staaten und Großbritannien auszuüben. "Die NATO muß auf jede Art der Aggression seitens Rußlands vorbereitet sein. Die NATO bereitet sich vor", so Fallon. Moskaus Botschafter in London, Alexander Jakovenko, hat den Flug der russischen Bomber als Routinesache bezeichnet und den Vorfall als aufgebauscht abgetan.

Das Verhalten der Briten, die sich innerhalb der EU als eifrigste Verfechter des putinfeindlichen Kurses der US-Neokonservativen hervorzutun versuchen, läßt kein gutes Ende der Ukraine-Krise erwarten. Das gleiche gilt für die Nachricht der Financial Times vom 24. Februar, wonach der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in den letzten Tagen bei einem Besuch auf einer Rüstungsmesse in den Vereinigten Arabischen Emiraten die Lieferung größerer Mengen schwerer Waffen vereinbart habe. Man kann davon ausgehen, daß Abu Dhabi hier als Strohmann Washingtons fungiert und daß es sich größtenteils um Militärgerät aus den USA handeln wird. Vor diesem Hintergrund ist die Befürchtung von Aleksander Zakharchenko, dem Premierminister der Volksrepublik Donezk, daß die ukrainischen Streitkräfte den aktuellen Waffenstillstand für eine Umgruppierung benutzen und daß der Krieg Ende März, Anfang April mit voller Härte wieder ausbrechen wird, mehr als berechtigt.

26. Februar 2015


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