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NAHOST/955: Israel, USA und EU wollen Goldstone-Bericht aushebeln (SB)


Führungsmächte reklamieren uneingeschränkte Deutungshoheit für sich


"Die fehlende Gerechtigkeit untergräbt jede Hoffnung auf einen erfolgreichen Friedensprozeß und verstärkt das Umfeld, in dem Gewalt gedeiht". Die Täter auf beiden Seiten dürften nicht straffrei ausgehen. Mit diesen Worten hat der südafrikanische Richter Richard Goldstone, Chef der nach ihm benannten Untersuchungskommission der Vereinten Nationen, deren Bericht über den Krieg im Gazastreifen dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf vorgelegt. Darin kommt die Goldstone-Kommission zu dem Schluß, daß sowohl die israelischen Streitkräfte als auch die Hamas schwerwiegende Verstöße gegen das internationale Recht begangen hätten, die als Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschheit einzustufen seien.

Die Kommission fordert beide Seiten auf, innerhalb von sechs Monaten eine strafrechtliche Untersuchung gegen die Täter und Befehlsgeber einzuleiten. Sollten Israel und die Hamas dieser Aufforderung nicht nachkommen, müsse UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon den Bericht an den UNO-Sicherheitsrat weiterleiten, der dann gehalten sei, den Internationalen Strafgerichtshof einzuschalten. [1]

Wie immer in Fällen internationaler Kritik an Israel steht eine einflußreiche Koalition Gewehr bei Fuß, um diesbezügliche Beschlüsse, Resolutionen oder strafrechtliche Ermittlungen bei den Vereinten Nationen oder überstaatlichen Gerichten zu verhindern. Die israelische Regierung hatte bereits den Auftrag der Vereinten Nationen an die Goldstein-Kommission pauschal als einseitig zurückgewiesen, was ihre grundlegende Strategie unterstrich, die eigene Handlungsweise als prinzipiell über jede Kritik erhaben auszuweisen. Sie führte eine eigene Untersuchung durch, die wie nicht anders zu erwarten die Streitkräfte von jeder Kritik freisprach. Israel lehnte in der Folge jegliche Kooperation mit der Goldstone-Kommission ab und wies deren Bericht insgesamt zurück. Der israelische UNO-Botschafter Aharon Lehsno Yaar sprach von einem "schändlichen Bericht", der von der Politik und nicht von den Menschenrechten geleitet sei. Der Report sei Teil einer politischen Kampagne und greife nicht nur Israel, sondern jeden Staat an, der mit "terroristischen Bedrohungen" konfrontiert sei.

Die intensive Kampagne der israelischen Regierung mit dem Ziel, die Weiterleitung des Goldstone-Berichts an den Sicherheitsrat zu verhindern, hat Resonanz bei der US-Regierung gefunden, die bereits ihre Unterstützung zugesagt und den Bericht als fehlerhaft bezeichnet hat. Der Botschafter der USA im UNO-Menschenrechtsrat, Michael Posner, kritisierte ein seiner Meinung nach unverhältnismäßiges Vorgehen. Moralisch sei zwischen dem demokratischen Staat Israel und der Hamas, die mit ihren Aktionen den Süden Israels terrorisiere, kein Vergleich möglich. Israel sei selbst in der Lage, mit Hilfe seiner demokratischen Institutionen sorgfältige Untersuchungen durchzuführen, was man auch von der palästinensischen Seite verlangen müsse. [2]

Die USA gehören erstmals seit Gründung des UNO-Menschenrechtsrats vor drei Jahren zu dessen 47 Mitgliedstaaten. Dies nutzen sie nun, um die von Goldstone angeregte Empfehlung zu blockieren, die Anschuldigungen vor den Sicherheitsrat oder später sogar vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. "Die Rolle des Menschenrechtsrats würde sich dramatisch verändern", warnte Posner und erteilte damit auch einer entsprechenden geplanten Resolution eine Absage. Ähnlich argumentiert auch die Europäische Union. [3] Gremien der UNO sind nach dem Willen der USA und ihrer Verbündeten Werkzeuge zur Durchsetzung ihrer Interessen. Sollten sie wie nun der Menschenrechtsrat im Falle Israels Kritik vorbringen, müssen sie zahnlos gemacht werden.

Auf die Frage, ob er der Empfehlung der Goldstone-Kommission gegebenenfalls folgen wird, hat UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon bislang eine Antwort vermieden. Er wartet offensichtlich die Beratungen im Menschenrechtsrat in der Hoffnung ab, daß dieser das Vorhaben ausbremst. Die Reaktion Israels und der USA stimme ihn nicht zuversichtlich, was die Umsetzung seiner Empfehlungen betreffe, zeigte sich Goldstone verständlicherweise skeptisch.

Während der israelischen Offensive "Gegossenes Blei" von Ende Dezember bis Mitte Januar waren im Gazastreifen mehr als 1400 Palästinenser getötet und etwa 5000 weitere verletzt worden. Die bereits Mitte September veröffentlichten Untersuchungsergebnisse der Goldstone-Kommission sind unter den zahlreichen Berichten, die inzwischen zum Gazakrieg vorgelegt wurden, mit fast 600 Seiten die bei weitem umfangreichsten. Sie bestätigen die Darstellungen israelischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen wie B`Tselem, Amnesty International, Human Rights Watch und Medico International ebenso wie Zeugenaussagen beteiligter israelischer Soldaten, die im April von der Zeitung "Ha'aretz" veröffentlicht wurden. Israelische Menschenrechtler haben den Bericht einhellig begrüßt und die Regierung wie auch die Justizbehörden dazu aufgerufen, der Aufforderung der Kommission nachzukommen.

Der UNO-Menschenrechtsrat hatte die Goldstone-Kommission beauftragt, "sämtliche Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverstöße zu untersuchen, die im Kontext der militärischen Operationen in Gaza zwischen dem 27. Dezember 2008 und 18. Januar 2009 begangen wurden, vor, während und nach diesem Zeitraum". Diese Formulierung zielte darauf ab, beide Konfliktparteien unter die Lupe zu nehmen und einen "ausgewogenen" Bericht zu erstellen, was der Kommission im beabsichtigten Sinn gelang.

Wie es im Untersuchungsbericht heißt, habe die Hamas ihre Raketen und Granaten mit der Absicht abgeschossen, Zivilisten zu töten und zu verletzen sowie zivile Einrichtungen zu zerstören. Dies seien schwere Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Da die israelische Regierung jede Zusammenarbeit verweigerte und damit auch Untersuchungen an Einschlagzielen von Hamas-Raketen verhinderte, mußte die Kommission aufwendige Umwege gehen. Daß die Kritik an der Hamas im Bericht einen geringeren Raum einnimmt, liegt jedoch vor allem daran, daß die ihr pauschal angelasteten militanten Aktionen aus dem Gazastreifen weit weniger Opfer forderten und Zerstörungen anrichteten, als die Massaker und Verwüstungen der israelischen Streitkräfte. Die Arbeit der Goldstein-Kommission und deren Ergebnisse dennoch als einseitig und fehlerhaft zu verwerfen, wie dies die Regierungen Israels, der USA und wohl auch die EU tun, entbehrt jeder sachlichen Grundlage und ist zugleich unverhohlener Ausdruck eines Machtverhältnisses, das nicht nur militärische und administrative Zugriffsgewalt, sondern auch uneingeschränkte Deutungshoheit für sich reklamiert.

Anmerkungen:

[1] Strafe für Kriegsverbrechen in Gaza (30.09.09)

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4740779,00.html

[2] Keine Gerechtigkeit für Opfer des Gaza-Kriegs. Menschenrechtsexperte bekräftigt Vorwürfe gegenüber Israel (30.09.09)
http://www.nzz.ch/nachrichten/panorama/keine_gerechtigkeit_fuer_opfer_des_gaza- kriegs_1.3718792.html

[3] Goldstone-Bericht. Uno-Ermittler droht Israel und Hamas mit Anklage vor Strafgerichtshof (30.09.09)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,652166,00.html

30. September 2009