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NAHOST/1004: Niederländischer Rabbi in Israel festgesetzt (SB)


Niederländischer Rabbi in Israel festgesetzt

Rabbi Josef Antebi darf nicht aus Israel ausreisen


Das Schicksal der knapp 700 Teilnehmer der Freiheitsflottille, die mit sechs Schiffen und 10.000 Tonnen Hilfsgütern die Abriegelung des Gazastreifens durchbrechen wollten und die in den frühen Morgenstunden des 31. Mai von der israelischen Marine auf hoher See verschleppt wurden, ist unklar. Mindestens neun Passagiere des größten Schiffs, der türkischen Fähre Mavi Marmara, sollen bei der Erstürmungsaktion eines israelischen Spezialkommandos erschossen worden sein. Mehrere Dutzend Verletzte werden derzeit in israelischen Krankenhäusern behandelt. Die sechs Boote wurde in den israelischen Hafen Ashdod umdirigiert. 45 Personen, darunter die deutschen Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger, sind bereits in ihre Heimatländer abgeschoben worden, die restlichen 634, die sich weigerten, sich gegenüber den israelischen Behörden zu identifizieren, sitzen entweder immer noch in Ashdod fest oder sind in einem Gefängnis in der Negevwüste gelandet, wo sie auf einen Prozeß warten müssen.

Doch nicht nur das spektakuläre Ereignis im östlichem Mittelmeer zeigt, wie der israelische Staat mit den Überbringern unliebsamer Botschaften umgeht. Auch der Fall des Rabbi Josef Antebi zeugt von einer gegenüber Kritikern an den Tag gelegten Unerbittlichkeit, die Zweifel am Anspruch Israels, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, aufkommen läßt. Antebi gehört der ultraorthodoxen Gruppe Neturei Karta ("Wächter der Stadt") an, die 1938 im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina als Antwort auf den dort aufkommenden Zionismus gegründet wurde und deren Mitglieder nach dem eigenen Verständnis der heiligen jüdischen Schriften die Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 für eine Häresie halten. Demnach sollte dieser Akt erst nach der Rückkehr des Messias am jüngsten Tag vollzogen werden. Die Mitglieder der Neturei Karta, die sich selbst als die Bewahrer des echten "orthodoxen" Judentums betrachten, erkennen den israelischen Staat deshalb nicht an. Der bisherige Chef der Neturei Karta, Rabbi Moshe Hirsch, der am 2. Mai mit 86 Jahren in Jerusalem gestorben ist, hatte sich in den achtziger Jahren mit Jassir Arafat, dem damaligen Vorsitzenden der Palestinian Liberation Organisation (PLO), angefreundet. Nach dem Abschluß der Osloer Verträge und der Rückkehr der PLO-Führung aus dem tunesischen Exil in die besetzten Gebiete Mitte der neunziger Jahre hatte Hirsch Arafat bis zu seinem Tod im Jahr 2004 in jüdischen Angelegenheiten beraten.

Angesichts dieser Außenseiterposition werden die Mitglieder der Neturei Karta von den meisten ihrer Glaubensgenossen, für die die Existenz eines jüdischen Staats im Nahen Osten enorm wichtig ist, und sei es nur symbolisch, schlecht angesehen. Dies trifft nicht nur in Kanada und den USA, wo es die größten Gemeinden der ultraorthodoxen Juden gibt, sondern insbesondere natürlich in Israel zu. Rabbi Josef Antebi, dessen Familie schon immer im Nahen Osten angesiedelt war, vertritt den Standpunkt, kein Bürger Israels zu sein, obwohl er in Jerusalem geboren wurde. Ihm zufolge wurde er in Al-Quds, Hauptstadt des besetzten Palästinas, geboren. Von dort ist Rabbi Josef Ende der neunziger Jahre in die Niederlande ausgewandert. Als Grund gibt er fortwährende Schickanierung an, die schließlich zum Scheitern seiner Ehe und zur Trennung von seiner Frau und seinem Sohn geführt hatte. 2000 wurde Antebi nach eigenen Angaben an seinem neuen Heimatort Amsterdam von Radikalzionisten entführt und schwer gefoltert. Seitdem sitzt er im Rollstuhl.

Mitte April reiste Antebi nach Israel ein, um seinem 89jährigen Vater einen Besuch abzustatten. Während des Aufenthalts im Heiligen Land nahm er an einer antizionistischen Demonstration im Ostjerusalemer Stadtteil Silwan teil, wo rund 55.000 arabisch-palästinensische Bewohner von radikalen jüdischen Siedlern massiv bedrängt werden. Weil Silwan unterhalb des Tempelbergs samt Al-Aksa-Moschee liegt, suchen dort staatstreue israelische Archäologen Reste der Hauptstadt der biblischen Könige David und Salomon. Es finden ausgiebige unterirdische Ausgrabungen statt, die das Fundament der Häuser zahlreicher arabischer Familien unterminieren. Parallel dazu planen die israelischen Behörden in Zusammenarbeit mit internationalen jüdischen Organisationen in Silwan die Errichtung eines touristischen Themenparks mit archäologischem Flair namens "Davids Stadt". Während 88 illegal gebaute Häuser der Palästinenser abgerissen werden sollen, werden immer mehr Wohnungen für die jüdischen Siedler gebaut, für die auch noch ein Einkaufszentrum geplant sein soll. Ziel der laufenden Bauaktivitäten in Silwan wie die in Gilo, Pisgat Zeev, Scheich Jarrah und Ramat Schlomo ist es, immer mehr Juden in Ostjerusalem anzusiedeln, um den Anspruch der Palästinenser auf eine eigene Hauptstadt dort zu torpedieren und die ganze Heilige Stadt dem israelischen Staatsgebiet endgültig anzuschließen.

Am 27. April, wenige Tage nach der Teilnahme an der pro-palästinensischen Demonstration in Silwan, fuhr Rabbi Josef zum Flughafen von Tel Aviv, um von dort nach Amsterdam zurückzufliegen. Wie sein Freund Reuven Cabelman am 28. Mai auf seinem Blog "Der Israelit" berichtete, wurde Antebi am Flughafen von der israelischen Polizei festgenommen und mehrere Stunden verhört. Im Rahmen dieser Tortur soll der körperlich schwer behinderte Mann, der zur Stabilisierung seiner physischen Lage diverse Medikamente einnehmen muß, kollabiert sein. Als er sich dann später im Krankenhaus wiederfand, wurde ihm eröffnet, daß er Israel nicht verlassen dürfe; die Rückflugkarte habe man entwertet.

Am 17. Mai soll Rabbi Josef zusammen mit 16 anderen ultraorthodoxen Juden von der israelischen Polizei aus einem Bus geholt, festgenommen und erneut mehrere Stunden lang vernommen worden sein. Angeblich wurde er nur unter der Bedingung freigelassen, daß er ein Dokument unterzeichnet, in dem er verspricht, an keinen weiteren Demonstrationen teilzunehmen. Reuven Cabelman ist natürlich über die Behandlung seines Freunds entsetzt und hat an Amnesty International und Human Rights Watch appelliert, damit sich diese für Rabbi Josef einsetzen und helfen, daß er aus der "zionistischen Staatsgefangenschaft" entlassen und ihm erlaubt wird, in die Niederlande zurückzukehren.

1. Juni 2010

* Sehen Sie hierzu das letztjährige Interview des Schattenblicks mit Rabbi Josef Antebi und Reuven Cabelman unter Schatttenblick.de -> Infopool -> Politik -> Bericht:

BERICHT/023: Deutschland und Israel - Protestkundgebung in Berlin, Teil 2 (SB)