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NAHOST/1050: Mubarak-Regime will Ägyptens Revolution aussitzen (SB)


Mubarak-Regime will Ägyptens Revolution aussitzen

Konfrontation am Nil - Wer sitzt am längeren Hebel?


In Ägypten geht das Tauziehen zwischen dem Regime Hosni Mubaraks und der Demokratie-Bewegung bereits in die dritte Woche. Wenngleich alle Beobachter und selbst US-Präsident Barack Obama zu der Einsicht gelangt sind, daß sich durch die Massenerhebung in Ägypten - wie auch, nicht zu vergessen, durch den Sturz des Regimes Ben Alis in Tunesien und die regierungsfeindlichen Demonstrationen im Jemen und in Jordanien - die politische Landkarte am Nil sowie in der gesamten arabischen Welt grundlegend verändert habe, gestaltet sich in Kairo der Wandel schwierig. Die anhaltenden Proteste in den ägyptischen Städten und die vergeblichen Versuche des Regimes, sie mit Polizeigewalt einzudämmen, haben gezeigt, daß Mubarak und Konsorten kaum noch über Rückhalt in der eigenen Bevölkerung verfügen. Nur die Armee hält sie an der Macht, doch zu einer Lösung à la Tiananmen-Platz sind auch deren Angehörige bislang nicht bereit gewesen. Folglich versucht Mubarak die Proteste in der Hoffnung auszusitzen, sie würden auf Dauer an Kraft verlieren.

Ägyptens Präsident hat bisher nicht erkennen lassen, daß er bereit wäre, die Kernforderung der Demonstranten zu erfüllen und zurückzutreten. Im Gegenteil hat er bekräftigt, seine reguläre sechste Amtszeit bis zu ihrem Ende in September absolvieren zu wollen, auch wenn er zugleich erklärt hat, danach würden weder er noch sein Sohn Gamal, der lange Zeit als potentieller Nachfolger gehandelt wurde, für die Präsidentschaft kandidieren. Das Kleben Mubaraks an seinem Sessel hat einen einfachen Grund. Von seiner Person hängt eine kleine Führungsschicht aus Großgrundbesitzern, Generälen und Industrie-Oligarchen ab, die Ägypten 30 Jahre lang ausgesaugt und heruntergewirtschaftet hat, die Salwa Ismail in einem am 7. Februar im Londoner Guardian erschienenen Artikel auf nur 1000 Familien schätzte und die ihre Besitztümer und Privilegien so gut, wie es geht, in die sich abzeichnende "freie, demokratische Grundordung" am Nil hinüberretten will.

Alles, was das Regime seit Ausbruch der Proteste am 25. Januar unternommen hat, dient diesem übergeordneten Zweck. Das gilt genauso für die Entlassung der bisherigen Regierung und der Führung der Nationaldemokratischen Partei (NPD) wie für die Ernennung des langjährigen Geheimdienstchefs Omar Suleiman zum Vizepräsidenten mit weitreichenden Kompetenzen, für dessen Aufnahme erster Gespräche mit Vertretern der Opposition am 6. Februar einschließlich der bislang verbotenen Moslembruderschaft sowie für diverse Versprechungen von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen. Mit Zugeständnissen wie der Einberufung einer Kommission, welche die Angriffe von Regierungsanhängern auf die Demokratiebefürworter untersuchen soll, und der Ankündigung einer 15prozentigen Gehaltserhöhung für alle Staatsbediensteten versucht das Mubarak-Regime den Druck der Straße zu mindern und die Opposition zu spalten.

Bislang ist ihr dies nicht gelungen. Der Tahrir-Platz im Herzen Kairos bleibt weiterhin rund um die Uhr besetzt. Von dort wollen die Demonstranten erst abziehen, wenn Mubarak abdankt. Bis diese Zäsur vollzogen ist, muß jede(r) einzelne von ihnen befürchten, von Polizei oder Geheimdienst aufgegriffen, gefoltert und getötet zu werden. Sowohl die Moslem-Bruderschaft, als auch Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradeis Nationale Front für Veränderung, als auch die Bewegung 6. April haben die bisherigen Anregungen Suleimans zur Beilegung der politischen Krise als ungenügend abgetan. Sie und die anderen Oppositionsgruppen verlangen nach wie vor den Rückzug Mubaraks aus der aktiven Politik, die Einsetzung einer neutralen Interimsregierung anstelle der derzeitigen Militärriege unter der Leitung von Premierminister Ahmed Schafik, der wie Mubarak einst Luftwaffenchef war, die Auflösung des von der NDP dominierten Parlaments, die Aufhebung der Notstandsgesetze, die seit dem Attentat auf Präsident Anwal Al Sadat im Oktober 1981 in Kraft sind und auf denen der Polizeistaat am Nil basiert, die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Einberufung einer Expertengruppe aus unabhängigen Juristen, welche eine neue Verfassung ausarbeiten, auf deren Grundlage - nach Annahme im Zuge einer Volksbefragung - frei und faire Wahlen erfolgen sollen.

In seinem Widerstand gegen allzu schnelle oder umfassende Veränderungen der politischen Verhältnisse wird das Regime in Ägypten von der Administration Barack Obamas in Washington unterstützt. Auf der Sicherheitskonferenz in München trat US-Außenministerin Hillary Clinton am 5. Februar für einen "geordneten Übergang" von der Diktatur zur Demokratie ein, damit "extremistische Kräfte" ihn nicht "entführen", während der ehemalige US-Botschafter in Kairo, Frank Wisner II., der wenige Tage zuvor im Auftrag Obamas seinen Geschäftsfreund Mubarak besucht und mit ihm Geheimgespräche geführt hatte, in einer Live-Schaltung aus New York der versammelten internationalen Polit- und Militärelite der NATO einbleute, die "fortgesetzte Führung" des langjährigen ägyptischen Präsidenten sei für den Demokratisierungsprozeß am Nil "entscheidend".

Doch es sieht nicht so aus, als würden die Menschen in Ägypten beim aktuellen Kampf um soziale und politische Veränderung die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen derjenigen Länder, die Mubarak jahrzehntelang finanziell sowie rüstungstechnologisch unterstützt haben, besonders interessieren. In der ägyptischen Öffentlichkeit hat am Abend des 7. Februar der Fernsehauftritt des wenige Stunden zuvor freigelassenen Wael Ghonim für Aufregung gesorgt. Ghonim, ein 30jähriger Manager des Unternehmens Google, galt seit seiner Verhaftung am 28. Januar als verschwunden. Nach eigenen Angaben wurde er seitdem von der Sicherheitspolizei mit verbundenen Augen in einem Kerker irgendwo in Kairo festgehalten. Im ägyptischen Privatfernsehen gab Ghonim zu, derjenige zu sein, der die Facebook-Seite "We are All Khaled Said" eingerichtet hat. Diese Seite, genannt nach einem 26jährigen Mann, der am 6. Juni 2010 von der Polizei in Alexandria zu Tode geprügelt worden war, hat inzwischen mehr als 473.000 Freunde und soll eine nicht unwichtige Rolle bei der Entstehung jener Protestbewegung gespielt haben, die kurz davor ist, das Mubarak-Regime zu Fall zu bringen. Das bewegende Interview mit dem traumatisierten Ghonim endete damit, daß eine populäre, vor kurzem zurückgetretene Moderatorin des staatlichen ägyptischen Fernsehens ihre früheren Vorgesetzten als "Lügner und Propagandisten" beschimpfte und die Kinder Ägyptens dazu aufrief, sich in den nächsten Tagen mit ihren Eltern auf den Tahrir-Platz zu begeben.

8. Februar 2011