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NAHOST/1060: Gaddhafi unter Druck - Flugverbotszone über Libyen (SB)


Gaddhafi unter Druck - Flugverbotszone über Libyen

Tripolis verkündet Feuerpause - Kämpfe gehen dennoch weiter


Am Abend des 17. März hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York mit zehn Stimmen zu null bei fünf Enthaltungen den Weg für die Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen freigemacht. Begründet wurde die Resolution mit der Sorge um das Wohl der libyschen Zivilbevölkerung, die angeblich durch die Truppen der bisherigen Regierung um Muammar Gaddhafi bedroht ist. Zu diesem Zweck sieht die Resolution 1973 nicht nur die Verhängung einer Flugverbotszone vor, sondern erlaubt ausdrücklich auch den an der Durchsetzung derselben beteiligten Streitkräften die Ergreifung "aller erforderlichen Maßnahmen", um das Leben von Zivilisten zu schützen und eine humanitäre Krise zu verhindern.

Unmittelbar nach der Verabschiedung der Resolution liefen die letzten Vorbereitungen der NATO für den Einsatz im libyschen Luftraum an. Seit Wochen zieht zu diesem Zweck die nordatlantische Allianz vor der Küste Libyens Kriegsschiffe zusammen. Nun werden Kampfjets und Tankflugzeuge in die Nähe Nordafrikas verlegt. Eine führende Rolle sollten bei der Militärintervention die USA, deren sechste Flotte im Mittelmeer patrouilliert, Italien, von dessen Stützpunkt Sigonella auf Sizilien die ganze Operation aus koordiniert werden soll, Frankreich, Großbritannien und Spanien spielen. Doch ob es tatsächlich dazu kommt, muß sich zeigen. Aus Libyen kommen widersprüchliche Signale.

In den letzten Tagen hatten die libyschen Regierungstruppen bedeutende Erfolge erzielt und die Rebellen aus fast allen Städten bis auf Misrata im Westen und ihre Hochburg Benghazi im Osten, unweit der Grenze zu Ägypten, vertrieben. Gaddhafis ältester Sohn Saif Al Islam, der lange als eventueller Nachfolger als Machthaber gehandelt worden war, verkündete am 16. März, der Regierung in Tripolis sei der Sieg nicht mehr zu nehmen; innerhalb der nächsten 48 Stunden würden die staatlichen Streitkräfte Misrata und Benghazi einnehmen und den Aufstand endgültig niederschlagen. Die Ankündigung Saif Al Islams scheint vor allem in Washington seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Die Regierung Barack Obamas, die im Vergleich zu der David Camerons in Großbritannien und Nicolas Sarkozys in Frankreich bislang in der Libyen-Frage zurückhaltend agiert hatte und deswegen von demokratischen Interventionisten wie John Kerry und republikanischen Neokonservativen wie John McCain heftig kritisiert worden war, setzte sich aus Angst, für den Untergang der libyschen "Demokratiebewegung" verantwortlich gemacht zu werden, plötzlich recht energisch für die Verabschiedung der Resolution ein und sorgte dafür, daß sich China und Rußland enthielten und sie mit ihren Vetostimmen nicht blockierten.

Zur raschen Verabschiedung der Resolution trug auch der "Revolutionsführer" Gaddhafi mit einer Radioansprache am selben Abend bei, in der er den Aufständischen in Misrata und Benghazi "keine Gnade" versprach und für den Fall einer westlichen Militärintervention in seinem Land Vergeltungsschläge gegen den Flug- und Schiffsverkehr im Mittelmeer ankündigte. Gaddhafi verurteilte den seines Erachtens einseitigen Resolutionsentwurf und richtete folgende Worte an seine Kritiker im Ausland: "Wenn sie austicken, werden wir auch austicken. ... Sie machen unser Leben zur Hölle, also werden wir ihr Leben zur Hölle machen."

Am Tag davor hatte Said Al Islam Gaddhafi mit der Drohung, Tripolis werde im Ernstfall die Details veröffentlichen, wie es die erfolgreiche Bewerbung Nicolas Sarkozys 2007 um die französische Präsident finanziell unterstützt habe, für einigen Wirbel gesorgt. Die Gaddhafis fühlen sich von Frankreich, das auf Betreiben Sarkozys als erster Staat den Nationalen Übergangsrat der Rebellen als legitime Vertretung Libyens anerkannt hat, besonders betrogen. Hinzu kommt, daß der Entwurf der Resolution 1973 aus der Feder französischer, britischer und libanesischer Diplomaten - letztere im Auftrag der derzeit lediglich geschäftsführenden, den USA und Saudi-Arabien nahestehenden Minderheitsregierung Saad Hariris in Beirut - stammt. Sollte Gaddhafis Libyen tatsächlich Sarkozys Wahl zum Präsidenten finanziert haben, müßte der derzeitige Hausherr des Elyséepalasts eventuell seinen Hut nehmen. Schließlich sind ausländische Spenden an politische Kandidaten oder Parteien in Frankreich illegal.

Zunächst sah es aber nicht so aus, als würden die Libyer ihre Drohungen an das Ausland wahrmachen. Während Gaddhafis ausländische Gegner ihre Streitkräfte in Angriffsnähe brachten, verkündete am Vormittag des 18. März der libysche Außenminister Mussa Kussa eine vollständige Feuerpause seitens der Regierungstruppen und erklärte, damit wolle Libyen der Forderung der UN-Resolution zur Beendigung der Kampfhandlungen nachkommen. Ob das Einlenken Tripolis' ernst gemeint gewesen ist, oder Gaddhafi lediglich Verwirrung stiften wollte, um Zeit für den angeblich kurz bevorstehenden Endsieg über die Rebellen herauszuschinden, läßt sich nicht beantworten.

Fest steht, daß auch am Nachmittag die Kämpfe um Misrata weitergegangen sind. Dies muß nicht überraschen. Schließlich ist eine Beendigung von Kampfhandlungen bei unübersichtlicher Lage immer schwierig. Gegenüber der westlichen Presse behaupteten die Aufständischen in Misrata am späten Nachmittag, die Stadt liege nach wie vor unter schwerem Artilleriebeschuß, der zahlreichen Zivilisten das Leben kosten würde. Unabhängig davon, ob dies zutrifft und Gaddhafis Soldaten tatsächlich so rücksichtslos vorgehen, wie ihnen unterstellt wird, oder nicht, kann man davon ausgehen, daß die Rebellen zu diesem Zeitpunkt wenig Interesse an einem Waffenstillstand hätten, der sie um das erhoffte Eingreifen des Westens brächte und Gaddhafis Militärapparat den jetzigen Konflikt überstehen ließe. Die bisherigen Überlegungen, die von diversen Militärexperten in den letzten Tagen und Wochen öffentlich diskutiert wurden, sahen nicht nur den Abschuß jedes libyschen Kampfflugzeugs, das vom Boden abhebt, und die Ausschaltung der Luftabwehr, um die Flugverbotszone durchzusetzen, sondern auch Bomben- und Raketenangriffe auf Artillerie, Panzer, Waffendepots, Radaranlagen und Kommandozentralen am Boden, um die Fähigkeit Gaddhafis, "Völkermord" zu begehen, zunichte zu machen.

Hinzu kommt, daß es für die wichtigsten Vertreter im Westen in diesem Streit nicht mehr nur um eine Beendigung des Bürgerkrieges in Libyen geht, sondern darum, daß Gaddhafi selbst weg muß. Das haben Barack Obama und seine Chefdiplomatin Hillary Clinton in den letzten Tagen wiederholt klargestellt. Nach der Verabschiedung von UN-Resolution 1973 hat der konservative britische Außenminister William Hague offen zugegeben, daß das Ziel "Regimewechsel" in Tripolis sei. Nach Meinung aller Beobachter werden die Rebellen auch nach der Einrichtung einer Flugverbotszone dieses Vorhaben nicht allein bewältigen können. Man geht deshalb davon aus, daß ausländische Spezialstreitkräfte, die heimlich in Libyen agieren, in Aktion werden treten müssen. Unbestätigten Berichten zufolge unterstützen abkommandierte Elitesoldaten aus Ägypten und einigen NATO-Staaten seit einiger Zeit die Rebellen in Benghazi. Vielleicht waren diejenigen es gewesen, die kurz nach der Verkündung einer Feuerpause durch Mussa Kussa für eine Reihe von Explosionen in der von der Gaddhafi-Regierung kontrollierten, seit Tagen vollkommen ruhigen Hauptstadt Tripolis sorgten.

18. März 2011