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NAHOST/1085: Jemens Präsident Saleh verläßt die politische Bühne (SB)


Jemens Präsident Saleh verläßt die politische Bühne

Langjähriger Machthaber des Jemens liegt in saudischem Krankenhaus


Nach 33 Jahren als Staatsoberhaupt erst des religiös-konservativen Nordjemens, ab 1990, nach der Vereinigung mit dem einst sozialistischen Süden, der vereinigten Republik Jemen hat Ali Abdullah Saleh am 4. Juni formell die Macht an seinen bisherigen Vizepräsidenten Abdu Rabu Mansour Hadi abgegeben. Die Machtübergabe erfolgte jedoch nicht ganz freiwillig. Am späten Abend jenes Tages wurde der 69jährige Saleh, der am 3. Juni bei einem schweren Raketenangriff auf den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Sanaa nur knapp mit dem Leben davongekommen war, in Begleitung seiner Frau und anderer Familienangehöriger zur medizinischen Notbehandlung in die saudischen Hauptstadt Riad ausgeflogen. Ob er jemals in den Jemen zurückkehrt, ist fraglich, denn seine Verletzungen scheinen kritischer zu sein, als zunächst von jemenitischen Regierungsvertretern angegeben. Jüngsten Presseberichten zufolge erlitt Saleh bei dem Raketenangriff schwere Verbrennungen im Gesicht und am Hals sowie in der Brust eine Splitterwunde, die zum Lungenkollaps geführt haben soll.

Parallel zu den Volkaufständen in mehreren Staaten der arabischen Welt tobt seit Monaten im Jemen ein erbitterter Machtkampf, dessen nur vorläufiger Höhepunkt der beinahe tödliche Raketenanschlag auf den langjährigen Autokraten Saleh darstellt. Als Hauptkontrahenten gelten die Familie Salehs und die von Scheich Sadik Ahmar, dem Chef des mächtigen Hashid-Klans. Als Saleh 1978 die Macht in der Arabischen Republik Jemen übernahm, tat er dies mit der Unterstützung von Sadik Ahmars Vater, Scheich Abdullah, und Ali Mohsen Ahmar, der mit der gleichnamigen Familie nicht verwandt ist, jedoch als Kommandeur der 1. Panzerdivision, als mächtigster Militär des Landes gilt. Als im vergangenen März Salehs Scharfschützen 52 Menschen bei einer Demonstration in Sanaa umbrachten, hat sich Mohsen, dem schon länger Ambitionen auf das höchste Amt im Jemen nachgesagt werden, auf die Seite der Opposition geschlagen. Seitdem stehen die ihm loyalen Streitkräfte in der Nähe der Universität von Sanaa und gewähren den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz Schutz vor Übergriffen. Sadik Ahmar spielt eine führende Rolle bei der neuen Partei Islah (Reform), während sein Bruder Hamid, der reichste Unternehmer des Landes ist.

In den vergangenen Monaten hat sich Saleh dreimal hintereinander im letzten Moment geweigert, eine unter Vermittlung des Golf-Kooperationsrates (Gulf Cooperation Council - GCC) ausgehandelte Kompromißlösung zur Beilegung der politischen Krise im Jemen zu akzeptieren. Zum Schluß sah der Kompromiß den Rücktritt Salehs, der dafür Immunität vor jedweder strafrechtlichen Verfolgung wegen Korruption oder Machtmißbrauchs erhalten sollte, die Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit, Präsidentenwahlen innerhalb von 30 Tagen und Parlamentswahlen innerhalb von drei Monaten vor. Statt auf das Angebot einzugehen, hat Saleh den Konflikt mit der Ahmar-Familie gesucht, die er hinter - zurecht oder zu Unrecht, ist unklar - der Demokratiebewegung im Jemen vermutet. Es kam in den letzten beiden Wochen in Sanaa und anderen Landesteilen zu blutigen Kämpfen zwischen Teilen der Streitkräfte und Kriegern des Hashid-Klans, während sich Saleh als der einzige zu verkaufen suchte, der das Land vor dem "Chaos" bewahren könnte. Vor diesem Hintergrund hat der Raketenangriff auf den Präsidentenpalast eventuell in letzter Sekunde verhindert, daß der Jemen endgültig vom Bürgerkrieg erfaßt wurde. Derzeit herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, um dessen Einhaltung sich alle Streitparteien bemühen.

Bis heute ist unklar, wer die Rakete abgefeuert hat. Salehs innenpolitische Gegner haben eine Verantwortung für den Angriff bestritten. In einem am 6. Juni erschienenen Bericht der World Socialist Website wurde dahin gehend spekuliert, die Streitkräfte Saudi-Arabiens oder der USA könnten hinter dem beinahe geglückten Enthauptungsschlag stecken. Mit der mehrfachen Durchkreuzung der internationalen Bemühungen um eine Beilegung des Konfliktes im Jemen war Saleh sowohl seiner regionalen Schutzmacht Saudi-Arabien, der Führungsnation im GCC, als auch der Regierung Barack Obamas lästig geworden. In Riad und Washington dürfte man die Uneinsichtigkeit Salehs in die realpolitischen Notwendigkeiten als Undankbarkeit empfunden haben, haben doch die Saudis ihm 1994 zum Sieg im Bürgerkrieg gegen die Rebellen des Südens verholfen und ihn in den letzten beiden Jahren bei Kämpfen gegen schiitische Houthi-Aufständische im Norden unterstützt, während die USA die Regierung in Sanaa finanziell über Wasser gehalten und die jemenitischen Streitkräfte mit modernstem Kriegsgerät ausgerüstet hatten.

In den letzten Jahren hat die CIA häufiger per Drohne Raketenangriffe auf mutmaßliche Al-Kaida-Ziele im Jemen durchgeführt. Wer die Rakete auf Salehs Präsidentenpalast abfeuerte, dürfte jedenfalls entweder unheimliches Glück gehabt oder über erstaunlich gute Kenntnisse von den Bewegungen dort verfügt haben. Denn wie die New York Times am 7. Juni berichtete, ist die Rakete in die Moschee auf dem weitläufigen Gelände eingeschlagen, gerade als sich Saleh dort mit rund einem Dutzend seiner wichtigsten politischen Verbündeten aufhielt. Sie alle werden derzeit im Zentralkrankenhaus der saudischen Armee nahe Riad behandelt. Zu den Verletzten gehören neben Saleh selbst der Gouverneur von Sanaa, Nouman Duweid, der Premierminister Ali Muhammed Ajawar, der Sprecher des Parlaments, der Vorzitzende des Shura-Rats sowie zwei Stellvertretende Premierminister, von denen der eine, Sadik Amin Abu Ras, durch die Wucht der Explosion des Raketensprengkopfs ein Bein verlor. In einer Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen im Jemen hat die US-Außenministerin Hillary Clinton eine "sofortige" Umsetzung des GCC-Übergangsplans für den Jemen gefordert, was von der Formulierung her ein ganz klares diplomatisches Signal ist, daß sich Washington eine Rückkehr Salehs nach Sanaa nicht mehr wünscht.

7. Juni 2011