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NAHOST/1154: Syrien - Läßt sich ein Regionalkrieg vermeiden? (SB)


Syrien - Läßt sich ein Regionalkrieg vermeiden?

Kofi Annans Idee einer Syrien-Kontaktgruppe wäre der letzte Ausweg



In Syrien nimmt das Blutvergießen zu. Nach einem erneuten Massaker am 6. Juni in dem Dorf Al Qubair in der Provinz Hama, das 78 Menschen das Leben kostete, drängen die USA und ihre Verbündeten auf eine Verurteilung Syriens durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Vetomächte Rußland und China, die die Version der Regierung in Damaskus teilen, wonach nicht staatliche Ordnungskräfte, sondern "terroristische" Regierungsgegner für das jüngste Massaker sowie dasjenige etwa zehn Tage zuvor im Dorf Hula verantwortlich waren, lassen jedoch ein energisches Vorgehen des UN-Sicherheitsrats in der Syrien-Frage nicht zu. Eine weitere Eskalation der Krise scheint daher unvermeidlich. Am 8. Juni kam es allein in Damaskus zu schweren Kämpfen in vier Stadtteilen.

Trotz des offensichtlichen Scheiterns seines Sechs-Punkte-Friedensplans bemüht sich Kofi Annan, der Sonderbotschafter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, weiterhin um eine Beendigung der Konfliktes in Syrien, der längst das Stadium eines Bürgerkrieges erreicht hat, um ein größeres Regionalinferno zu vermeiden. Der ehemalige UN-Generalsekretär hat in den vergangenen Tagen diplomatischen Kreisen den Vorschlag der Einrichtung einer Syrien-Kontaktgruppe, in der Regierung und Opposition Syriens sowie Vertreter der Nachbarländer und von Großmächten wie den USA, Rußland, China und Frankreich vertreten wären, unterbreitet. Die Idee stellt vermutlich die letzte Chance einer diplomatischen Lösung dar.

Doch die Wahrscheinlichkeit, daß sich Washington auf diesen Vorschlag einläßt, ist gering. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters "reagierte" US-Präsident Barack Obamas Außenministerin Hillary Clinton, die seit Monaten bei jedem Auftritt auf einen "Regimewechsel" in Damaskus insistiert, "kühl" auf den Vorstoß Annans. Es ist zudem davon auszugehen, daß Saudi-Arabien und Katar, welche die Rebellen in Syrien militärisch und finanziell unterstützen, nicht von ihren gegen Baschar Al Assad gerichteten umstürzlerischen Aktivitäten ablassen werden. Derzeit schicken sich Riad und Doha an, eine Aussetzung der Ausstrahlung des staatlichen syrischen Rundfunks durch die beiden wichtigsten arabischen Satellitenbetreiber Arabsat und Nilesat zu erwirken. Sollte ihnen das gelingen, wird es in der arabischsprachigen Berichterstattung über die Lage in Syrien keine Alternative zu den beiden Privatsendern Al Jazeera und Al Arabiya geben, welche unverhohlen die salafistischen, sunnitisch-extremistischen Gegner des alewitischen Assad-Klans zu makellosen Freiheitshelden verklären.

Zu Annans Idee einer Kontaktgruppe gehört die Beteiligung des Irans, des wichtigsten Verbündeten Syriens. Der Ex-Generalsekretär hat am 7. Juni bei den Vereinten Nationen in New York ein Hinzuziehen Teherans zu den Beratungen als unerläßlich bezeichnet. Die negative Reaktion Clintons und ihrer westlichen Kollegen auf die Anregung - der britische Außenminister William Hague nannte sie "undurchführbar" - läßt vermuten, daß sie für keine Lösung der Krise in Syrien zu haben sind, bei der die Interessen des Irans berücksichtigt werden könnten. Schließlich zielt die Destabilisierung Syriens auf eine Schwächung des Einflusses des Irans in der Region und eine Umzingelung der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Islamischen Republik bis hin zu einem "Regimewechsel" auch dort ab. Aus genau demselben Grund haben die Vertreter der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands bei den jüngsten Verhandlungen am 23. Mai in Bagdad über eine Beilegung des "Atomstreits" mit dem Iran den Vertretern Teherans keinen angemessenen Gegenvorschlag auf deren Angebot der Einstellung der Anreicherung von Uran auf 20 Prozent Reinheitsgrad gemacht.

Mit ihrer Alles-oder-Nichts-Haltung in der Syrien-Frage betreiben die Amerikaner und Saudis ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Das haben auch klügere Köpfe längst erkannt. Bei einem Auftritt beim Nachrichtensender MSNBC am 7. Juni kritisierte Zbigniew Brzezinski die Dauerbezichtigungen Washingtons, Rußland müsse Syrien fallenlassen und sich dem Kurs der USA im UN-Sicherheitsrat beugen, als kurzsichtig und dumm. Der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Jimmy Carters, der neben Henry Kissinger als zweiter Grandseigneur der US-Außenpolitik gilt, warnte vor den Folgen, sollte Clinton und Obamas UN-Botschafterin Susan Rice weiterhin die Lage in Syrien anheizen: "Handeln wir einfach auf der Basis von Emotionen und irgendwelchen vagen Drohungen, wonach die Russen gezwungen werden müssen, sich wie artige Jungs zu verhalten, dann werden wir einen regionalen Flächenbrand verursachen, bei dem sich die Streitpunkte innerhalb Syriens mit einem Konflikt zwischen den Saudis und den Schiiten vermischen werden, der Irak destabilisiert und der Iran hineingezogen wird. Wir werden es mit einem großen internationalen Problem zu tun bekommen, dessen politische und wirtschaftliche Folgen sehr schwer sein werden." Leider steht zu befürchten, daß, metaphorisch gesprochen, der Zug längst abgefahren ist, und daß die Ermahnungen Brzezinskis vergeblich sind.

9. Juni 2012