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NAHOST/1193: Libanon nach Anschlag am Rande des Bürgerkrieges (SB)


Libanon nach Anschlag am Rande des Bürgerkrieges

Hariri-Fraktion schlachtet den Mord an General Al Hassan aus



Der Anschlag, der General Wissam Al Hassan, den Abwehrchef des libanesischen Geheimdienstes, am 19. Oktober tötete, erinnert fatal an das Attentat auf den früheren Premierminister des Libanons, Rafik Hariri am 14. Februar 2005. In beiden Fällen zündeten die Täter in der Beiruter Innenstadt massive Bomben, die nicht nur die eigentliche Zielperson, sondern auch unschuldige Zivilisten in den Tod rissen und zahlreiche Straßenpassanten schwer verletzt zurückließen. Bei dem Anschlag auf Hariri kamen neben dem Premier, noch sieben seiner Leibwächter und 12 Zivilisten ums Leben. 220 Menschen wurden schwer verletzt. Beim tödlichen Attentat auf Al Hassan starben weitere sieben Menschen. Die Zahl der Verletzten wurde offiziell mit 68 angegeben.

Das verhängnisvollste und gleichsam beunruhigendste an beiden Vorfällen ist jedoch die Ähnlichkeit ihrer gnadenlosen Instrumentalisierung. Kaum hatte sich vor sieben Jahren der Rauch infolge der Bombenexplosion auf der Beiruter Corniche verflüchtigt, da lasteten bereits die USA und die pro-westlichen Kräfte im Libanon Syriens Präsidenten Bashar Al Assad die Ermordung Hariris an. Im Libanon kam es zu einer Art "Aufstand der Anständigen", den man in Anlehnung an die "demokratische" Regimewechselstrategie Washingtons in Osteuropa und Zentralasien die "Zedern-Revolution" nannte. Infolgedessen sah sich Syrien zum Abzug seiner Streitkräfte, die einst einmarschiert waren, um den libanesischen Bürgerkrieg zu beenden, gezwungen. Als sich später die Verdachtsmomente, die US-Präsident George W. Bush und Hariris Sohn Saad so vollmundig gegen Damaskus ins Feld geführt hatten, als überhaupt nicht stichhaltig erwiesen, schwenkten die Assad-Gegner ohne jede Scham um und bezichtigten statt dessen die schiitische Hisb-Allah-Miliz.

Genau wie vor sieben Jahren machen der sunnitische Saudi-Arabien-Handlanger Saad Hariri und seine politischen Verbündeten von der März-14-Allianz, ohne einen konkreten Beweis dafür zu haben, Syrien für den Tod von General Al Hassan verantwortlich. Da sie sich derzeit in der Opposition befinden, lasten sie zudem der eigenen Regierung, welche die März-8-Allianz bildet, eine Mitschuld an. Auf der großen Trauerfeier am 21. Oktober in Beirut heizte der ehemalige libanesische Premierminister Fouad Siniora, ein Freund des Hariri-Clans, die versammelte Menschenmenge dermaßen gegen die Regierung auf, daß es anschließend zu stundenlangen, schweren Straßenschlachten mit Armee und Polizei kam. Presseberichten zufolge skandierten Teile der Demonstranten anti-schiitische Parolen und beschimpften Hisb-Allah-Chef Hassan Nasrallah als "Ungläubigen", den man am besten einen Kopf kürzer machen sollte. Seitdem kommt es in der Hauptstadt und anderen Landesteilen immer wieder zu Schießereien.

Mit dem gescheiterten Sturm auf den Sitz des libanesischen Premierministers wurde versucht, den derzeitigen Amtsinhaber Nadschib Mikati zum Rücktritt zu bewegen. Mikati, wie einst Rafik Hariri ein schwerreicher Geschäftsmann, führt seit Frühjahr 2011 eine Regierung an, die von der Hisb Allah, der christlichen Freien Patriotischen Bewegung um General Michael Aoun, den Progressiven Sozialisten und der Amal-Bewegung getragen wird. Die März-14-Allianz, die aus Hariris sunnitischer Zukunftsbewegung, der christlich-faschistischen Falange-Bewegung und Samir Geageas Libanesischen Kräften besteht, hat sich mit dem Machtverlust im vergangenen Jahr nicht abgefunden und leistet seitdem fundamentale, kontraproduktive Oppositionsarbeit im libanesischen Parlament.

Die Lesart, mit der Ermordung General Al Hassans wäre der Bürgerkrieg in Syrien in den Libanon hinübergeschwappt, stellt eine verkürzte und völlig falsche Sicht der Dinge dar. Seit Jahren werden die gewaltbereiten sunnitischen Salafisten des Libanons mit Hilfe Hariris und Saudi-Arabiens aufgerüstet. Ein Großteil des Nachschubs für die Aufständischen in Syrien läuft über die nordlibanesische Hafenstadt Tripolis, die als Hochburg al-kaida-naher Kräfte gilt. Wenn nun die März-14-Allianz von der Mikati-Regierung verlangt, sie dürfe sich nicht länger in Bezug auf den Syrien-Konflikt neutral verhalten, sondern müsse sich auf die Seite der Assad-Gegner stellen, dann fordert sie dies nur deshalb, weil es sie stört, daß die reguläre Armee und die Polizei des Libanons den Waffenschmuggel über Tripolis und dem Bekaa-Tal ins östliche Nachbarland zu unterbinden versuchen. Gerade in den letzten Wochen gab es glaubhafte Meldungen, wonach Salafisten und Hisb-Allah-Mitglieder aus dem Libanon auf der anderen Seite der Grenze gegeneinander kämpften. Die einen wollen offenbar die Nachschubroute für die "Freie Syrische Armee" offenhalten, die anderen sie schließen. Folglich war es nur eine Frage der Zeit bis sich der Stellvertreterkrieg in Syrien zwischen dem Assad-"Regime", Rußland, dem Iran und Hisb Allah auf der einen und den USA, der Türkei, Frankreich, Großbritannien, Katar, Saudi-Arabien und Hariris Al-Kaida-Kumpanen auf der anderen Seite auch den Libanon erfaßte.

Die syrische Regierung und die Hisb Allah haben den Anschlag auf General Al Hassan verurteilt und jede eigene Verwicklung in die Bluttat bestritten. Das muß aber nicht unbedingt etwas heißen. Am 10. August hatte Al Hassan den ehemaligen libanesischen Informationsminister und heutigen Parlamentsabgeordneten Michael Samaha wegen des Verdachts, Sprengstoff für Anschläge von Syrien in den Libanon geschmuggelt zu haben, festgenommen. Bei seiner Vernehmung soll Samaha, der als Vertrauter Assads gilt, ein weitreichendes Geständnis abgelegt und behauptet haben, den Plastiksprengstoff von General Ali Mamluk, dem Chef des syrischen Geheimdienstes, persönlich erhalten zu haben. Als ein potentielles Ziel der geplanten Anschläge gilt Walid Jumblatt. Doch das ergibt keinen Sinn. Der Chef der Progressiven Sozialisten hatte im vergangenen Jahr durch seinen Wechsel von der März-14- zur März-8-Allianz die syrienfreundlichen Kräfte um Hisb Allah im Libanon an die Macht gebracht. Seitdem wird alles unternommen, um Jumblatt zur Rückkehr zur Hariri-Fraktion zu veranlassen. Gehört vielleicht der Anschlag auf General Al Hassan zu dieser Strategie?

Es gibt noch andere mögliche Gründe für die Beseitigung des 47jährigen Sunniten. Damals nach dem Mord an Rafik Hariri gehörte Al Hassan zum Kreis der Verdächtigen. Wie es der Zufall so will, war der damalige Sicherheitschef Hariris am Tag des Attentats nicht zur Arbeit erschienen - angeblich aus Krankheitsgründen. Ansonsten hätte er neben Hariri in dessen Limousine gesessen und wäre ebenfalls durch die gigantische Explosion getötet worden. In den Jahren danach hatte Al Hassan in seiner neuen Funktion als Geheimdienstoffizier eine Reihe von israelischen Bombenkomplotten im Libanon aufgedeckt. Wer Al Hassan umbringen ließ, wollte den Libanon destabilisieren und die Verhältnisse dort zu seinen Gunsten verändern. Fragt man sich, wer daran am meisten Interesse haben könnte, da fällt einem weniger Bashar Al Assad und die Hisb Allah als vielmehr Saad Hariri, die Saudis und eventuell Israel ein.

23. Oktober 2012