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NAHOST/1204: Stammen neue Raketen der Palästinenser aus dem Iran? (SB)


Stammen neue Raketen der Palästinenser aus dem Iran?

Eskalation des Gazakrieges im vollem Gang - Bodenoffensive droht



Der Krieg in Gaza geht inzwischen in den vierten Tag. Israels Luftwaffe hat bereits Hunderte Angriffe geflogen, hauptsächlich gegen militärische Stellungen und Waffendepots der Hamas und anderer palästinensischer Milizen. Im Gegenzug haben palästinensische Milizionäre Hunderte Raketen in Richtung Israel abgefeuert. Vorläufige Bilanz des Konflikts: drei tote israelische Zivilisten und 38 tote Palästinenser, von denen einige bewaffnete Kämpfer gewesen sein sollen. Auf palästinensischer Seite gab es bisher 345 Verletzte, auf israelischer 13, darunter 10 Soldaten. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak hat am Abend des 16. November 75.000 Reservisten einberufen. Die Vorbereitungen für eine Bodenoffensive der israelischen Landstreitkräfte laufen auf Hochtouren.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu will mit der Militäroperation Verteidigungssäule die für Israel vom Gazastreifen ausgehende Raketengefahr beseitigen. Dies hätte er leichter haben können, wenn er sich auf jenen Waffenstillstand eingelassen hätte, den die Ägypter vor wenigen Tagen vermittelt zu haben meinten. Statt dessen entschied sich Netanjahu für den tödlichen Raketenangriff auf den Chefunterhändler und Militärchef der Hamas-Bewegung Ahmad Jabari und eine militärische Auseinandersetzung, die ihm eigentlich den Sieg bei den israelischen Parlamentswahlen am 22. Januar bringen soll, jedoch zu einer strategischen Niederlage für Israel führen kann.

Am zweiten Tag des Konfliktes haben der Islamische Jihad erstmals Tel Aviv und am dritten Tag die Hamas Jerusalem mit Raketen beschossen. Mit diesen Aktionen haben die Palästinenser einen wichtigen psychologischen Sieg errungen. Es fragt sich, wie weit Netanjahu und Barak werden gehen müssen bzw. können, um am Ende der derzeitigen Feindseligkeiten als Sieger dazustehen. Schätzungen zufolge verfügten die Hamas und andere Gruppen im Gazastrreifen vor Ausbruch der Kämpfe zusammen über mehr als 11.000 Raketen. Es ist unwahrscheinlich, daß Israel diese allein mit seiner Luftwaffe vernichten kann. Doch der Einmarsch von Bodentruppen birgt auch große Gefahren. Die palästinensischen Kämpfer sollen sich seit dem letzten israelischen Überfall auf den Gazastreifen, Operation Gegossenes Blei zur Jahreswende 2008/2009, mit großen Mengen an Anti-Panzer- und Boden-Luft-Raketen eingedeckt haben.

Ein nicht geringer Teil dieser schweren Waffen soll aus Beständen der libyschen Armee stammen, die militanten Islamisten nach dem Putsch militanter Islamisten gegen Muammar Gaddhafis im letzten Jahr in die Hände fielen. Der ebenfalls im vergangenen Jahr erfolgte Sturz des "Regimes" des ägyptischen Diktators Hosni Mubarak soll den Schmuggel der gestohlenen Waffen von Libyen in den Gazastreifen erheblich erleichtert haben. Die Bezeichnung jener Rakete, mit der der Islamische Jihad Tel Aviv inzwischen zweimal beschossen hat - Fajr-5 - läßt auf eine ganz andere Herkunft schließen. Fajr ist ein persisches Wort und bedeutet Morgenröte. Die Iraner entwickeln die Kurzstreckenraketen der Fajr-Serie seit den neunziger Jahren. Die sechseinhalb Meter lange und 915 Kilogramm schwere Fajr-5-Rakete kann einen 175 Kilogramm schweren Sprengkopf maximal 75 Kilometer weit tragen. Beim Libanonkrieg 2006 soll die schiitische Hisb-Allah-Miliz mehrere Fajr-5-Raketen unter der eigenen Bezeichnung Khaibar-1 auf Ziele weit südlich der Grenze zu Israel abgefeuert haben.

Nach Angaben des privaten US-Nachrichtendienstes Stratfor hat die israelische Luftwaffe am 23. Oktober die Waffenfabrik Jarmuk in der sudanesischen Hauptstadt Khartum deshalb angegriffen und zerstört, weil dort mit Billigung der Regierung in Teheran Fajr-5-Raketen und andere schwere Waffen aus iranischer Produktion vor dem Weiterschmuggel in den Gazastreifen montiert wurden. Ob dies stimmt ist eine andere Frage, denn seit sich die Hamas vom syrischen Präsidenten Baschar Al Assad abgewandt und demonstrativ auf die Seite der zumeist sunnitischen Rebellen in Syrien gestellt hat, gelten die Beziehungen zwischen den Palästinensern im Gazastreifen und dem Iran, der großen schiitischen Schutzmacht, als gestört. Nichtsdestotrotz ist die regionale Tragweite des Konflikts um den Gazastreifen unübersehbar. Hierfür spricht auch die Tatsache, daß die Hamas-Regierung nach dem demonstrativen Solidaritätsbesuch des ägyptischen Premierministers Hescham Kandil am 16. November in Gaza-Stadt, am darauffolgenden Tag auch den tunesischen Außenminister Rafik Abdessalam empfangen hat.

17. November 2012