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NAHOST/1292: Das Chaos in Libyen nimmt kein Ende (SB)


Das Chaos in Libyen nimmt kein Ende

Die Post-Muammar-Gaddhafi-Ära gestaltet sich mehr als schwierig



Zweieinhalb Jahre nach dem Sturz und der Ermordung Muammar Gaddhafis sieht die Lage in Libyen desaströs aus. Die 250.000 Mann starken Milizen, die 2011 mit Unterstützung der NATO-Luftwaffe für einen "Regimewechsel" in Tripolis sorgten, wollen sich dem Staat nicht unterordnen, bekämpfen sich gegenseitig und haben die wichtigsten Ölraffinerien des Landes lahmgelegt. Islamische Fundamentalisten drängen auf die Einführung der Scharia, während gleichzeitig separatistische Tendenzen im Osten und im Süden den libyschen Staat auseinanderzureißen drohen. Die Arbeitslosigkeit beträgt derzeit rund 30 Prozent, während wegen der anhaltenden Gewalt mehr als eine Million Menschen zu Binnenflüchtlingen geworden sind. Ein Indiz für die instabilen Verhältnisse in Libyen ist die Tatsache, daß Präsident Barack Obama sie im Februar als "außergewöhnliche Bedrohung" für die nationale Sicherheit der USA identifiziert hat.

Der während seines mehrjährigen Exils zum CIA-Vertrauensmann avancierte Generalmajor Khalifa Haftar versuchte am 17. Februar, dem dritten Jahrestag des Ausbruchs des Aufstands gegen Gaddhafi, gegen die Übergangsregierung von Premierminister Ali Zeidan zu putschen. In einer drei Tage zuvor veröffentlichten Videobotschaft erklärte Haftar die Zeidan-Regierung für abgesetzt und kündigte eine Machtübernahme durch das Militär an, welches das Chaos in Libyen beenden, für geordnete politische Verhältnisse und eine Wiederbelebung der Wirtschaft sorgen wolle. Offenbar schwebte Haftar eine Entwicklung wie in Ägypten vor, wo das Militär am 3. Juli 2013 unter dem Vorwand, "den Pfad der Revolution zu korrigieren", den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi abgesetzt und die regierende Muslim-Bruderschaft verboten hat.

Nahöstlichen Presseberichten zufolge standen quasi dieselben ausländischen Kräfte, die im vergangenem Jahr Generalstabschef Abd Al Fattah As Sisi zur Macht in Kairo verhalfen, hinter dem Putschversuch Haftars. Als Anstifter der mißlungenen Machtergreifung in Tripolis werden Prinz Bandar Bin Sultan, der ehemalige saudische Botschafter in Washington und derzeitige Geheimdienstchef und Nationale Sicherheitsberater in Riad, und Kronprinz Muhammed Bin Zayid Al Nahyan, der in Abu Dhabi Stellvertretender Oberbefehlshaber der Streitkräfte und unmittelbarer Thronnachfolger seines älteren Bruders und Emirs Scheich Chalifa Bin Zayid Al Nahyan ist, genannt. Außerdem soll sich Mohammed Dahlan, der ehemalige Sicherheitschef der Palästinensischen Autonomie-Behörde (PA), dem seit längerem gute Kontakte zur CIA nachgesagt werden, an dem Komplott beteiligt haben.

Wie die iranische Nachrichtenagentur Fasrs News Agency unter Berufung auf Informationen der Onlinezeitung Asrar Arabiya und deren Quellen bei der Regierung in Tripolis berichtete, erhielt Haftar vom Prinzenpaar Bandar und Muhammed größere Mengen Bargeld, um Offiziere und Soldaten der libyschen Streitkräfte zur Putschteilnahme zu bewegen. Trotz der üppigen Mittelverteilung hat sich am geplanten Termin für die Machtergreifung nichts bewegt. Es rollten keine Panzer durch die libysche Hauptstadt und es verließen auch keine Truppeneinheiten ihre Garnison, um wichtige Staatsgebäude zu besetzen. Das klägliche Scheitern des Vorhabens deutet auf eine Vertrauenskrise innerhalb des libyschen Militärapparats hin, dessen Mitglieder sich ohnehin seit Monaten einer blutigen Attentatsserie ausgesetzt sehen. Die Tatsache, daß Haftar sich nach seiner Kampfansage gegen die Regierung weiterhin auf freiem Fuß befindet und in Benghazi eine Presseerklärung in eigener Sache abgeben konnte, zeigt einmal mehr die maroden Zustände staatlicher Institutionen im Land.

Am 24. Februar wurden an einem Strand bei Benghazi die Leichen von sieben Christen aus Ägypten gefunden, die einen Tag zuvor von unbekannten Tätern entführt worden waren. Möglicherweise waren die Hingerichteten in den Putschversuch verwickelt oder ihre Mörder haben dies vermutet. Zu dem Attentat hat sich bisher keine Gruppe bekannt, auch nicht die in Benghazi tätige, al-kaida-nahe Ansar Al Scharia, die für den Anschlag im September 2012 auf das amerikanische Konsulat und den gewaltsamen Tod des US-Botschafters Christopher Stephens und drei seiner Mitarbeiter verantwortlich gemacht wird. Am 2. März stürmten bewaffnete Demonstranten das Parlamentsgebäude in Tripolis und forderten die Auflösung der Übergangslegislative General National Council (GNC) sowie schnellstmögliche Wahlen. Bei dem Tohuwabohu erlitten mehrere GNC-Mitglieder Schußverletzungen, als sie per Auto vor der aufgebrachten Menge fliehen wollten; ein Wachmann wurde getötet. Angesichts des wachsenden Haushaltsdefizits, verursacht durch fehlende Staatseinnahmen aus dem Ölexport, ist nicht ersichtlich, wie die Regierung in Tripolis für eine Verbesserung der Lage sorgen könnte.

4. März 2014