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NAHOST/1367: IS-Selbstmordattentäter töten 49 Menschen in Libyen (SB)


IS-Selbstmordattentäter töten 49 Menschen in Libyen

Eilen Libyens Islamisten zur Fahne des Kalifats Islamischer Staat?


In Libyen wird der Bürgerkrieg immer blutiger. Am 20. Februar haben sich in der ostlibyschen Stadt Quba mehrere Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, 49 Menschen mit in den Tod gerissen und Dutzende schwer verletzt. Kurz nach dem Anschlag bekannten sich dazu durch eine Botschaft im Internet die libyschen Anhänger des im Juni 2014 im irakischen Mossul ausgerufenen Kalifats Islamischer Staat (IS). Demnach erfolgte der erste Selbstmordanschlag in Libyen als Vergeltung für die Angriffe der ägyptischen Luftwaffe auf die Stadt Derna, die am 16. Februar 50 IS-Kämpfer und mehrere Zivilisten das Leben gekostet hatten. Die Militärintervention Kairos fand ihrerseits als Reaktion auf die Veröffentlichung einer schockierenden Videosequenz auf Youtube am 15. Februar statt, auf der zu sehen ist, wie 21 ägyptische Kopten, die sich in Libyen als Gastarbeiter aufhielten und die im Dezember und Januar in der vom IS kontrollierten Stadt Sirte entführt worden waren, von schwarz gekleideten und vermummten Dschihadisten am Strand geköpft werden.

Hauptakteure des Bürgerkrieges in Libyen waren bislang die nach dem Sturz Muammar Gaddhafis 2011 eingerichtete provisorische Volksversammlung, der Allgemeine Volkskongreß - General National Kongreß (GNC) - in Tripolis und das im Juni 2014 gewählte Parlament, das unter der Leitung von Premierminister Abdullah Al Thani aus der östlichen Stadt Tobruk operiert. Die Regierung in Tripoli, die von islamistischen Milizen unterstützt wird und deren Legitimität im vergangenen November vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde, nennt sich Libya Dawn. Die Gegenregierung in Tobruk, die vom Ausland anerkannt wird und sich auf weite Teile der ehemaligen libyschen Streitkräfte sowie die Privatarmee des CIA-Verbindungsmanns General Khalifah Hifter stützt, firmiert unter dem Namen Operation Würde. Die beiden Koalitionen liefern sich seit vergangenen Sommer in verschiedenen Teilen Libyens, insbesondere rund um die ostlibysche Hafenmetropole Benghazi, heftige Kämpfe, während Vermittler der Vereinten Nationen bislang vergeblich einen Waffenstillstand und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit herbeizuführen versuchen.

Das allgemeine Chaos und die fehlende staatliche Ordnung in Libyen haben IS-Anhänger in den vergangenen Monaten genutzt, um sich der beiden Küstenstädte Sirte und Derna zu bemächtigen. Am 16. Februar hat Libya Dawn das 166. Bataillon aus der Stadt Misurata nach Sirte entsandt, um dort die IS-Kräfte zu vertreiben. Die Kämpfe halten noch an. Wie die italienische Nachrichtenagentur AGI berichtete, sind am 18. Februar Soldaten der ägyptischen Eliteeinheit Task Force 999 in Derna eingedrungen, haben Dutzende IS-Kämpfer getötet, 55 weitere gefangengenommen und den Militärstützpunkt Abu Karim al Wahadi, der zwei Tage zuvor von Kairos Luftwaffe beschädigt worden war, restlos zerstört. Die Selbstmordanschläge von Quba waren eine eindeutige Botschaft des IS, daß sich die Ägypter und alle ihre anderen Gegner auf eine lange und harte Auseinandersetzung gefaßt machen dürfen.

Das Auftauchen des IS hat die Lage in Libyen verkompliziert und die Bemühungen um eine Beendigung des Bürgerkrieges erschwert. Ein zu energisches Eingreifen Kairos in das Geschehen in Libyen könnte die Herrschaft der neuen Militärdiktatur in Ägypten gefährden, indem es die Menschen dort in die Arme noch radikalerer Kräfte als der Moslembruderschaft um den 2013 gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi treibt. Nicht umsonst hat die Regierung von Katar, das der Moslembruderschaft nahesteht, die Entscheidung von Ägyptens Präsident, General a. D. Abdel Fatal Al Sisi, ohne Absprache mit Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten Luftangriffe auf IS-Stellungen in Libyen anzuordnen, kritisiert. Unbestätigten Berichten zufolge erhalten die Streitkräfte von Operation Dignity, die von General Hifter befehligt werden, militärische und logistische Unterstützung aus Ägypten. Diese Tatsache könnte wiederum von einem nicht geringen Teil der islamistischen Milizionäre, die derzeit für Libya Dawn im Einsatz sind, so ausgelegt werden, daß diese zu gemäßigt ist. Die Kämpfer könnten deswegen zum IS überlaufen. Mit einer Eskalation des Bürgerkrieges in Libyen ist auf jeden Fall zu rechnen. Darum hat Roms Verteidigungsministerin Roberta Pinotti vor wenigen Tagen 5000 italienische Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt, die im Falle einer internationalen Befriedungsmission in Libyen dort einmarschieren sollen.

21. Februar 2015


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