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NAHOST/1436: Bagdad protestiert gegen türkische Truppen in Mossul (SB)


Bagdad protestiert gegen türkische Truppen in Mossul

Die türkischen Neo-Osmanen treiben die Teilung des Iraks voran


Die Verlegung mehrerer hundert Soldaten und mehrerer Dutzend Panzer und Panzerfahrzeuge der türkischen Armee auf den Stützpunkt Baschika in der nordirakischen Provinz Ninawa am 4. Dezember hat in Bagdad heftige Reaktionen ausgelöst. Die irakische Regierung hat sich beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen formell gegen die Verletzung der irakischen Souveränität durch das Nachbarland beschwert und eine unverzügliche Beendigung der ausländischen Truppenpräsenz gefordert. Doch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am 11. Dezember die Forderung aus Bagdad zurückgewiesen und einen Abzug der Bodentruppen "ausgeschlossen". In der provozierenden Aktion vermuten viele Iraker den Griff der türkischen Neo-Osmanen, angeführt von Erdogan und Premierminister Ahmed Davutoglu, auf die riesigen Ölfelder um Mossul, das nur 30 Kilometer südwestlich von Baschika liegt.

Nach der kategorischen Weigerung Erdogans, der Forderung der irakischen Zentralregierung nach Truppenabzug Folge zu leisten, kam es am 12. Dezember in Herzen von Bagdad zu einer anti-türkischen Massendemonstration, an der sowohl Ex-Premierminister Nuri Al Maliki als auch Zehntausende Mitglieder schiitischer Milizen teilnahmen. Sie skandierten unter anderem "Mit unseren Seelen, mit unserem Blut werden wir dich schützen, Irak." In einem Bericht der Zeitung Middle East Eye wurde Abu Talib Al Saiedi, Kommandeur der Hisbollah-Irak-Miliz, mit den Worten zitiert: "Das ist unsere letzte friedliche Botschaft an Erdogan. Sollten seine Truppen den Irak nicht verlassen, werden die Hände unserer Kämpfer sie erreichen. Wir von der Hisbollah-Irak-Miliz erklären, daß, wenn ihr (Türken) nicht auf diese Kundgebung hört, ihr unsere Gewehre und unsere Bomben zu hören bekommen werdet."

Die Äußerungen des irakischen Hisbollah-Kommandeurs sind ernst zu nehmen. Schließlich hat Ali Sistani, der höchste Geistliche des Iraks, zum Freitagsgebet am 11. Dezember eine recht drastische Erklärung herausgegeben, in der er, ohne die Türkei namentlich zu nennen, die Entsendung fremder Truppen in den Irak "unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung" scharf verurteilte. Des weiteren stellte Sistani fest, die Zentralregierung in Bagdad trage die "Verantwortung für den Schutz der irakischen Souveränität" und dürfe "ihre Verletzung nicht tolerieren, egal wie diese begründet" sei.

Bei den Schiiten im Irak haben die Worte des 85jährigen Großajatollahs großes Gewicht. Nach dem Fall Mossuls an die sunnitische "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 haben sich nach einem entsprechenden Aufruf Sistanis Hunderttausende schiitische Iraker zu den Waffen gemeldet. Seitdem leisten die damals gegründeten Volksmobilisierungskräfte, auf arabisch Haschid Schaabi genannt, der irakischen Armee wichtige Unterstützung bei ihren Kämpfen gegen den IS, unter anderem bei den Schlachten um Tikrit und Baidschi. Zusammen wollen Armee und Volksmobilisierungskräfte demnächst Ramadi, die Hauptstadt der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Anbar, vom IS befreien. Die bevorstehende Rückeroberung Ramadis gilt als Generalprobe für eine Offensive gegen den IS in der Millionenstadt Mossul.

Durch ihre Truppenverlegung nach Baschika treibt die Türkei die Spaltung des Iraks voran. Seit Jahren arbeitet Ankara mit der Kurdischen Autonomieregierung (Kurdish Regional Government - KRG) des Nordiraks eng zusammen. In deren Ölstreit mit Bagdad hat sich die Türkei auf die Seite von KRG-Präsident Massud Barsani geschlagen. Aus den Ölfeldern um Kirkuk im kurdischen Nordirak wird über die Türkei illegal Öl auf den Weltmarkt gebracht. Auf demselben Weg kommt auch das Öl aus den von dem IS kontrollierten Teilen Nordwestiraks und Ostsyriens in den Handel. Über die Truppenstationierung in Baschika soll sich die türkische Regierung lediglich mit Barsani verständigt haben. In den türkischen Medien gibt es deshalb Spekulationen, Ankara beabsichtige mit Hilfe Erbils - sowie mit Duldung der USA - die Kontrolle über die Provinz Ninawa und die Ölfelder um Mossul zu erlangen.

In einem bemerkenswerten Gastbeitrag, der am 24. November bei der New York Times erschienen ist, hat John Bolton den Standpunkt der nach wie vor einflußreichen US-Neokonservativen erläutert. Offen forderte der notorische Kriegsfalke, der unter George W. Bush UN-Botschafter der USA war, die Gründung eines ölproduzierenden Zwergstaats namens "Sunnistan" dort, wo derzeit der IS das Sagen hat, als "Bollwerk" gegen ein vom "Regime" Baschar Al Assad kontrolliertes Rest-Syrien und ein "mit dem Iran verbündetes Bagdad" (gemeint ist die schiitische Südhälfte des Iraks). Nach den Vorstellungen Boltons wäre das neue "Sunnistan" genauso wie ein vom Barsani-Klan kontrolliertes "unabhängiges" Kurdistan ein Satellitenstaat der Türkei und damit auch der USA. Mit der Aussicht auf eine Loslösung von der schiitisch-dominierten Zentralregierung in Bagdad könnte man die Sunniten des Iraks dazu bewegen, sich vom IS abzuwenden und mit der NATO zusammenzuarbeiten, so Bolton, der in diesem Zusammenhang die Art und Weise, wie die US-Streitkräfte 2007 den sunnitischen Aufstand im Irak bezwangen - nämlich durch Bestechung - lobend hervorhob.

Im Grunde genommen läuft der Vorschlag Boltons auf nichts anderes hinaus als die Anerkennung der territorialen Eroberungen des IS unter der Prämisse, die Gotteskrieger nennen das Gebilde nicht mehr "Kalifat" und geben sich "gemäßigt", das heißt nicht mehr anti-westlich. Bedenkt man die Tatsache, daß der IS, was den Ölhandel sowie die Versorgung mit ausländischen Kämpfern, Waffen und Munition betrifft, schon länger die Rückendeckung Ankaras genießt, dürfte es für den türkischen Geheimdienst MIT nicht allzu schwer sein, die "gemäßigten" Dschihadisten dazu zu bewegen, sich von ihren "extremistischen", in die neue NATO-Nahost-Hegemonie nicht einsichtigen Kameraden zu trennen, damit letztere verfolgt und ausradiert werden können. Trifft diese Einschätzung zu, dann wird es keine Rückeroberung Mossuls durch die irakischen Streitkräfte geben, sondern über der Haupstadt Ninawas wird demnächst lediglich die Fahne des des IS eingeholt und die des irakischen "Sunnistans" gehißt. Bei einer solchen historischen Entwicklung käme den türkischen Truppen in Baschika vermutlich die Rolle des Taufpaten zu.

14. Dezember 2015


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