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NAHOST/1440: NATO-Großmächte bereiten Intervention in Libyen vor (SB)


NATO-Großmächte bereiten Intervention in Libyen vor

Westliche Brandstifter können ihr mörderisches Treiben nicht lassen


Sehr zum Mißfallen der NATO-Großmächte hat sich am 26. Januar das international anerkannte libysche Parlament, der 2014 gewählte und im selben Jahr von Tripolis in das östliche Tobruk geflohene Abgeordnetenrat (House of Representatives - HoR), geweigert, die neue Einheitsregierung, deren Bildung sechs Tage zuvor in der tunesischen Hauptstadt Tunis verkündet worden war, anzuerkennen. An der Abstimmung nahmen 104 von 176 Volksvertretern teil; 89 von ihnen votierten gegen die Anerkennung der neuen Einheitsregierung, 15 dafür. Man kann davon ausgehen, daß die Ablehnung in dem zweiten, rivalisierenden Parlament, dem nach dem Sturz Muammar Gaddhafis 2011 gebildeten und von Islamisten dominierten Allgemeinen Nationalkongreß (General National Congress - GNC) noch eindeutiger ausgefallen wäre. Derzeit sitzen die 32 Mitglieder des Kabinetts des designierten Premierministers, des Geschäftsmanns Fadschez Al-Sarradsch, in einem Hotel in Tunis, weil Kämpfer der Libyschen Dämmerung, des militärischen Arms des GNC, ihnen an der Grenze die Einreise nach Libyen verweigern.

Mit erpresserischen Mitteln, nämlich der Androhung diplomatischer und finanzieller Sanktionen, hatten die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien bei einem Treffen am 17. Dezember in Marokko unter Schirmherrschaft des UN-Sondergesandten Martin Kobler Delegationen des HoR und des GNC zur Annahme eines westlichen Fahrplans zur Beilegung der politischen Krise in Libyen gezwungen. Die Anerkennung der neuen Einheitsregierung ist vorerst gescheitert, weil die Abgeordneten im HoR die Anzahl der Minister mit 32 für zu hoch und zudem im geplanten Kabinett die Konkurrenz vom GNC zu stark vertreten sahen. Demnächst sollen dem HoR die Namen einer verkleinerten, zehnköpfigen Einheitsregierung zur Abstimmung vorgelegt werden.

Ein weiterer Knackpunkt für die Mitglieder des HoR war ein Passus im Fahrplan, welcher den neuen Premierminister mit der Macht ausgestattet hätte, die personelle Besetzung der libyschen Militärführung zu bestimmen. Das Parlament in Tobruk hängt an General Khalifa Hifter, einem CIA-Kontaktmann, um den sich Teile der früheren libyschen Armee geschart haben und der es sich zum Ziel gesetzt hat, Libyen vom Übel des "islamistischen Terrorismus" zu befreien. Seit 2014 liefern sich die libysche Dämmerung und Hifters Armee, die von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird, heftige Kämpfe. Seit über einem Jahr ringen Hifters Männer mit der Gruppe Ansar Al Scharia um die Kontrolle über die Hafenstadt Benghazi.

Unterdessen laufen die Vorbereitungen der NATO für eine Militärintervention in Libyen - mit oder ohne Zustimmung der Parlamente in Tripolis und Tobruk - auf Hochtouren. Begründet wird dies mit der zunehmenden Präsenz der "Terrormiliz" Islamischer Staat, deren Anhänger in Sirte und Umgebung das Kalifat ausgerufen haben. Wie die New York Times am 23. Januar unter Verweis auf Quellen im Geheimdienst- und Militärapparat der USA berichtete, führen die westlichen Großmächte über Libyen seit einiger Zeit Aufklärungsflüge durch, während kleinere Einheiten ihrer Spezialstreitkräfte in dem nordafrikanischen Land unterwegs sind, um potentielle Verbündete zu gewinnen und feindliche Ziele auszukundschaften. Die NYT zitierte in diesem Zusammenhang General Joseph Dunford, den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs der USA, demzufolge eine "entscheidende militärische Aktion" gegen den IS in Libyen in den kommenden Wochen bevorstehe. Man warte lediglich auf grünes Licht von Präsident Barack Obama, so Dunford.

Die Formulierung des US-Generalstabschefs, die drohende Intervention des Westens in Libyen würde "entscheidend" ausfallen, zeugt von einer ungeheuren Hybris und der kategorischen Weigerung, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Das Pentagon und die NATO verkaufen die Öffentlichkeit in den USA und Europa für dumm, wenn sie ihr weismachen wollen, mit einer einmaligen großangelegten Demonstration westlicher Waffenüberlegenheit in Libyen das Problem IS dort beseitigen zu können. In Afghanistan dauert der Krieg des Westens gegen die Taliban bereits mehr als 14 Jahre; inzwischen heißt es, eine NATO-Präsenz am Hindukusch sei auf Jahrzehnte hinaus erforderlich. Der Irak und Syrien versinken im Chaos, das ihnen die westlichen Zivilisationskrieger eingebrockt haben. Von daher ist die unter Libyern grassierende Furcht, wie sie in dem am 27. Januar in der Onlinezeitung Middle East Eye unter der Überschrift "Libyans fear military intervention could set country ablaze" erschienenen Artikel von Francesca Mannocchi zum Ausdruck kam, die Einmischung der NATO könnte das Land vollends in den Abgrund stürzen, was auch verheerende Auswirkungen auf die Nachbarstaaten Tunesien und Algerien hätte, mehr als berechtigt.

30. Januar 2016


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