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NAHOST/1468: USA greifen formell in den Krieg in Libyen ein (SB)


USA greifen formell in den Krieg in Libyen ein

Anti-IS-Offensive der NATO in Libyen nimmt sichtbare Formen an


Am 1. August haben die USA mit Kampfjets erstmals formell in den Krieg in Libyen eingegriffen. Nach Angaben des Pentagons hat die US-Luftwaffe einen Panzer, mit dem angeblich auf Zivilisten geschossen worden war, und zwei Fahrzeuge der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in der Stadt Sirte mit Bomben und Raketen zerstört. Die Aktion erfolgte laut Pentagonsprecher Peter Cook auf Bitten der Regierung der nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) in Tripolis. Am selben Abend hat Fayiz Al Sarradsch, Premierminister der GNA, in einer Fernsehansprache die Angaben Cooks bestätigt. Mit diesem Schritt tritt der Krieg in Libyen in eine neue und vermutlich noch blutigere Phase ein.

In den letzten zwölf Monaten hat das US-Militär auf eigene Veranlassung eine Reihe gezielter Angriffe gegen IS-Ziele in Libyen durchgeführt. Im vergangenen November haben US-Kampfjets den damaligen Chef des IS in Libyen, den irakischen Kommandeur Wissam Nadschm Abd Zaid Al Zubaidi, auch Abu Nadil genannt, beim Angriff nahe der Stadt Derna getötet. Am 19. Februar kam es in der Küstenstadt Sabratha zu einem weiteren Enthauptungsschlag gegen den IS-Kommandeur Noureddine Chouchane, der für zwei spektakuläre Anschläge 2015 auf Touristen im benachbarten Tunesien - auf das Bardo-Museum in Tunis sowie auf ein Strandhotel bei Soussa - verantwortlich gewesen sein soll. Bei dem schweren Luftangriff auf ein Ausbildungslager des IS kamen rund 50 Menschen ums Leben. Getötet wurden offenbar vor allem IS-Rekruten aus Tunesien. Doch es starben auch zwei Geiseln des IS aus Serbien.

Bereits im Januar hatte General Joseph Dunforth, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, gegenüber Journalisten in Paris erklärt, das Afrika-Kommando (AFRICOM) des US-Verteidigungsministeriums arbeite mit den entsprechenden Stellen bei den NATO-Verbündeten Frankreich, Großbritannien und Italien an einem umfassenden Plan zur Bekämpfung des IS in Libyen, den man, sobald er fertiggestellt sei, Präsident Barack Obama zur Absegnung vorlegen wolle. In diesem Zusammenhang sprach Dunforth von der Notwendigkeit eines "politischen Prozesses" in Libyen, der "entscheidende militärische Maßnahmen" seitens der NATO-Mächte ermöglichen soll.

Mit der Entsendung der von UN-Sondervermittler Martin Kobler aus Deutschland anerkannten Regierung der GNA im März per Schiff von Tunis nach Tripolis hat der von Washington gewünschte politische Prozeß seinen Lauf genommen. Unter der Leitung des Geschäftmanns Al Sarradsch konnte sich die GNA zumindest in Tripolis etablieren und die Kontrolle über die Ministerien sowie die Zentralbank übernehmen. Der zuletzt seit dem Sturz Muammar Gaddhafis 2011 in Tripolis herrschende, von Islamisten dominierte Allgemeine Volkskongreß (General National Congress - GNC) hat die Konfrontation mit der GNA vermieden und verhält sich bislang abwartend. Hingegen weigert sich das 2014 vom Volk gewählte, im östlichen Tobruk sitzende Repräsentantenhaus (House of Representatives - HoR), das sich auf die "libysche Nationalarmee" unter der Leitung des CIA-Vertrauensmanns, Ex-General Khalifah Hifter, stützt, die GNA anzuerkennen.

Anlaß für den offiziellen Einstieg der USA in den Krieg in Libyen war eine Patt-Situation bei Sirte. Ende Mai hatten GNA-treue Kräfte, vor allem Milizionäre aus der Stadt Misurata, eine Großoffensive zur Vertreibung des IS gestartet, die nach anfänglichen Erfolgen zuletzt ins Stocken geraten war. Die Misurater hatten die Vororte von Sirte nach wenigen Tagen erobern können, doch gelang es ihnen nicht, die IS-Verteidiger aus dem Stadtzentrum zu vertreiben. In Sirte soll der IS über rund 1000 Kämpfer verfügen, die offenbar bis zum bitteren Ende aushalten wollen. In ganz Libyen soll der IS rund 5000 Kämpfer aufbieten können, von denen nicht wenige aus Ägypten, Algerien, Mali, Marokko, Mauritanien und Tunesien stammen. Dies geht aus einem Bericht hervor, den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vor kurzem dem Sicherheitsrat vorgelegt hat. Bislang sind bei den Kämpfen um die IS-Hochburg Sirte rund 300 Pro-GNA-Milizionäre gefallen und mehr als 1500 verletzt worden. Zahlen über Verluste auf seiten des IS sowie unter der Zivilbevölkerung liegen nicht vor. Bekannt ist lediglich, daß rund 90.000 Menschen - Zweidrittel der Einwohner der Stadt - aus Angst um ihr Leben geflohen sind.

Laut Pentagonsprecher Cook werden die Angriffe der US-Luftwaffe gegen den IS fortgesetzt, solange die GNA in Tripolis dies wünscht. Das Ende der neuen Operation ist also offen. Cook hat das militärische Eingreifen der USA in den Konflikt in Libyen unter Verweis auf die Kriegsermächtigung, mit der der Kongreß in den Tagen nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 US-Präsident George W. Bush ausgestattet hatte, begründet. Die "Authorization for Use of Military Force Against Terrorists" (AUMF) sah die Anwendung militärischer Gewalt gegen "alle" vor, die 9/11 "geplant, autorisiert, durchgeführt oder dabei geholfen" haben. Damals existierte der IS nicht. Zudem stehen sich IS-Chef Abu Bakr Al Baghdadi und Aiman Al Zawahiri, der Nachfolger Osama Bin Ladens als Anführer von Al Kaida, feindlich gegenüber. Bedenkt man zudem die Tatsache, daß die GNA lediglich von UN-Sonderemissär Kobler aus der Taufe gehoben wurde und nur über begrenzten Rückhalt in der libyschen Bevölkerung verfügt, ist die völkerrechtliche Legitimation der US-Militärintervention ausgesprochen dünn.

Seit Monaten berichten die Medien über die Anwesenheit von Spezialstreitkräften aus Frankreich, Großbritannien, den USA, Jordanien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Libyen. Als Mitte Juli durch den Abschuß eines Hubschraubers und den Tod mehrerer französischer Elitesoldaten bekannt wurde, daß die NATO-Mächte Verbindungsoffiziere nicht nur in Misurata, sondern auch in Tripolis haben, wo sie die Hifter-Truppe im Kampf gegen die Ansar Al Scharia unterstützen, kam es in mehreren libyschen Städten zu spontanen Demonstrationen gegen die ausländische Einmischung. Die GNA hat sogar eine Protestnote an Paris gerichtet. Man darf gespannt sein, wie die Nachricht von den US-Luftangriffen in Sirte bei der libyschen Bevölkerung ankommt. Der offensichtliche Versuch Washingtons, der GNA und den mit ihr verbündeten Kräften größere militärische Schlagkraft und damit mehr politische Autorität zu verleihen, kann nach hinten losgehen.

2. August 2016


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