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NAHOST/1501: Syriens Armee erstürmt Rebellenhochburg Ostaleppo (SB)


Syriens Armee erstürmt Rebellenhochburg Ostaleppo

Aufständische in der Defensive - "Regimewechsel" gescheitert


Im Syrienkrieg steht die Syrische Arabische Armee (SAA) vor einem wichtigen strategischen Erfolg. Die Streitkräfte um das säkulare "Regime" Baschar Al Assads sind in den letzten drei Tagen in den Osten der einstigen Wirtschaftsmetropole Aleppo eingedrungen, den Aufständische seit 2012 besetzt halten. Die vollständige Einnahme der Rebellenhochburg, die bevorzustehen scheint, wäre ein schwerer Schlag für die militanten Gegner Assads, die von den USA, Saudi-Arabien, der Türkei, Großbritannien, Katar, Jordanien und Frankreich militärisch, finanziell und propagandistisch unterstützt werden und in deren Reihen sich Zehntausende ausländischen Dschihadisten befinden. Fällt Ostaleppo, dann steht praktisch die gesamte Westhälfte Syriens entlang der Grenze zum Libanon sowie am Mittelmeer einschließlich der größten Bevölkerungszentren von Damaskus im Süden bis Latakia im Norden unter staatlicher Kontrolle. Der Versuch ausländischer Mächte, in Syrien einen "Regimewechsel" zu erzwingen - die eigentliche Hauptursache des seit mehr als fünf Jahren andauernden Kriegs - wäre endgültig gescheitert, auch wenn weiterhin auf im dünnbesiedelten Osten des Lands die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) ihr Unwesen treibt.

Am 28. November berichtete die Onlinezeitung Middle East Eye unter Berufung auf die in London ansässige, vom britischen Außenministerium finanzierte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, in den zurückliegenden zwei Tagen hätte die SAA mit Unterstützung der russischen Luftwaffe die Bezirke Sakhur, Haidarija and Scheich Khodr erobert, während Einheiten der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) das Viertel Scheich Fares nach schweren Kämpfen den Rebellen abgenommen hätten (formell gelten die YPG und die SAA nicht als Verbündete, doch da beide in den salafistischen Kampftruppen wie IS, Al-Nusra-Front, Ahrar Al Scham den Hauptfeind sehen, existiert zwischen ihnen ein Modus vivendi bzw. eine Art Nichtangriffspakt). Im MEE-Artikel wurde Rami Abdel Rahman, der Leiter besagter Beobachtungsstelle, mit den Worten zitiert: "Die Rebellen haben die Kontrolle über sämtliche Viertel im Nordosten Aleppos verloren. Es handelt sich hier um ihre schwerste Niederlage, seit sie 2012 die Hälfte der Stadt besetzt haben."

In einem Artikel der in Damaskus erscheinenden, regierungsnahen Zeitung Al-Watan hieß es ebenfalls am 28. November, die vor zwei Wochen begonnene Offensive zur Rückeroberung von Ostaleppo komme gut voran. In der nächsten Phase wolle man "das restliche" - sprich noch in den Händen der Islamisten befindliche - "Stadtgebiet in Sicherheitsbezirke aufteilen, die leicht kontrolliert und dann nacheinander eingenommen werden können"; der Vormarsch würde "die Bewaffneten zwingen, sich entweder zu ergeben ... oder die nationale Versöhnung nach den Bedingungen des Staates Syrien zu akzeptieren". Gerade in den letzten Tagen haben sich Rebellen in zwei der letzten in aufständischer Hand befindlichen Außenbezirke von Damaskus - in Al-Tal und dem palästinensischen Flüchtlingslager Khan al Schih - ergeben, ihre schweren Waffen ausgehändigt und dafür freies Geleit in die Provinz Idlib, die sich zum Großteil in den Händen der Al-Nusra-Front befindet, erhalten. Infolge solcher Deals hat in den letzten Monaten die Anzahl der Rebellen in Idlib erheblich zugenommen. Mit einer baldigen Unterwerfung der Aufständischen dort ist also nicht zu rechnen.

Durch die Einnahme des nördlichen Teils von Ostaleppo ist es zahlreichen Zivilisten gelungen, die von Rebellen kontrollierten Viertel zu verlassen. Bis zuletzt wurde die Anzahl der Zivilisten, die gegen ihren Willen in Ostaleppo gehalten wurden, auf zwischen 275.000 und 300.000 geschätzt. Wegen der Heftigkeit der Kämpfe dürften die Verluste unter der Zivilbevölkerung hoch sein. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 28. November meldete, gelang im Schatten der Rückeroberung der Bezirke Hanano und Dschabal Badro am 26. November "mehreren tausend" Zivilisten die Flucht in den von der Regierung verwalteten Westaleppo.

Vor dem Hintergrund der schweren humanitären Krise in Ostaleppo hat am 27. November eine überparteiliche Allianz aus 120 Abgeordneten des britischen Unterhauses an Premierministerin Theresa May appelliert, an die Königliche Luftwaffe Ihrer Majestät Elizabeth II. den Befehl zum Abwurf von Lebensmittel und Medikamenten über Ostaleppo zu erteilen. Bei dem Aufruf handelt es sich um ein gefährliches Stück Propaganda, denn die Durchführung eines solchen Einsatzes birgt die Gefahr, daß britische und russische Kampfjets aneinander geraten; aus einem Vorfall in der Luft über Aleppo könnte schnell ein Krieg zwischen Rußland und der NATO resultieren. Ungeachtet dessen scheint Hauptanliegen der Unterzeichner des Appells zu sein, die eigene moralische Überlegenheit in die Welt hinauszuposaunen - etwas, worin die britische Herrschaftselite seit jeher einsame Weltspitze ist

In dem Aufruf wird das Leid der Zivilbevölkerung zurecht mit drastischen Worten beschrieben, die rebellennahe Zivilschutzgruppe White Helmets - bekanntlich eine von London finanzierte Propagandatruppe - als "heroisch" bezeichnet, und gleichzeitig werden die Machthaber in Moskau und Damaskus zu wahren Teufeln erklärt. Wörtlich heißt es in der Erklärung: "Das Assad- und Putin-Regime schickt sich an, alle, die infolge ihrer wahllose Bombenangriffe nicht bereits getötet worden sind, 'auszulöschen'". Aus dem britischen Blickwinkel sind eliminatorische Absichten offenbar das Wesensmerkmal des Untermenschen - in diesem Fall des russischen und des syrischen -, während Kollateralschäden den westlichen Zivilisationsträgern vorbehalten bleiben.

29. November 2016


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