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NAHOST/1608: Jemen - zivile Ziele ... (SB)


Jemen - zivile Ziele ...


Verzweifelt versucht der UN-Sonderbeauftragte für den Jemen, der britische Diplomat Martin Griffiths, seit Wochen, die Kriegsparteien für Friedensverhandlungen zu gewinnen, die voraussichtlich am 6. September - Tagungsort bislang unbekannt - beginnen sollen. Aktuell stehen die Chancen auf eine Beilegung des seit März 2015 tobenden Kriegs schlecht. Die schiitischen Huthi-Rebellen - auch Ansar-Allah-Bewegung genannt -, die den Nordwesten des Landes samt der Hauptstadt Sanaa nach wie vor fest im Griff haben, sind ihren öffentlichen Erklärungen zufolge verhandlungsbereit. Doch auf der gegnerischen Seite, vor allem bei Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die seit mehr als drei Jahren vergeblich dem von den Huthis gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi wieder zur Macht verhelfen wollen, scheinen Kriegslust und Siegeswillen ungeachtet mangelnden militärischen Erfolgs am Boden sowie aller obligatorischen Bekenntnisse zum Ziel einer Beendigung des Blutvergießens weiterhin die Haupttriebkräfte zu sein.

Am 25. Juli war es zu einem aufsehenerregenden Raketenangriff der Huthis nahe der Küste des Jemens am Roten Meer gekommen. Die Huthis behaupteten, sie hätten zwei gegnerische Kriegsschiffe beschossen. Doch am darauffolgenden Tag hieß es aus Riad, es seien zwei große saudische Öltanker angegriffen worden, so daß wegen der Gefahr für Mensch und Umwelt vorerst keine Handelsschiffe des Königreichs mehr die gerade 20 Kilometer, etwas über zehn Seemeilen, breite Meerenge Bab al Mandab, die das Horn von Afrika von der Arabischen Halbinsel trennt sowie das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet, durchlaufen dürfen. Eine solche Entscheidung hätte schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft. Bab Al Mandab passieren Schiffe mit einer Gesamtmenge von 4,8 Millionen Tonnen Rohöl täglich in Richtung Europa. Eine Umfahrung Afrikas führte zu einem Zeitverlust von 15 Tagen und, sollte Bab Al Mandab länger nicht befahrbar bleiben, zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe.

So gesehen war es ein großes Entgegenkommen an das Ölexportland Saudi-Arabien, als am 31. Juli Mohammed Ali Al Huthi, der Vorsitzende des Obersten Revolutionsrats der Ansar Allah, eine zweiwöchige Suspendierung von Angriffen zur See verkündete. Seit Mitte Juni versuchen Bodentruppen der von den Saudis und den Emiratern angeführten Militärkoalition die Hafenstadt Hudeida, den einzigen verbliebenen Zugang der Huthis zur Außenwelt, über den der Import der für Millionen von Menschen notwendigen Lebensmittel und Medikamente mehr schlecht als recht läuft, einzunehmen. Rund die Hälfte der 600.000 Einwohner Hudeidas ist inzwischen vor den schweren Kämpfen geflüchtet. Bislang haben die Angreifer keinen nennenswerten Erfolg beim Versuch, die Verteidigungslinie der Huthis zu überwinden, vorweisen können.

Der Frust angesichts dieser militärischen Blamage erklärt vielleicht, warum am 2. August saudische und emiratische Kampfjets den Fischmarkt von Hudeida sowie ein Krankenhaus der Stadt angegriffen haben. Bei dem Angriff, der sich in eine lange Folge schwerster Kriegsverbrechen der Koalitionäre im Jemen einreiht, kamen 55 Menschen ums Leben. Rund 100 wurden schwer verletzt, viele von ihnen verstümmelt. Mit diesem Akt haben Riad und Abu Dhabi erneut demonstriert, wie gleichgültig ihnen das Schicksal der Menschen im Jemen ist, und zugleich den Friedensbemühungen von UN-Unterhändler Griffiths und dem Entgegenkommen der Huthis eine Abfuhr erteilt. Und es sollte noch schlimmer kommen.

Am 9. August griffen saudische und emiratische Kampfjets einen Marktplatz in der Stadt Dayhan in dem von den Huthis kontrollierten Nordwesten des Jemen an und jagten dabei einen Bus voller Schulkinder, die gerade auf dem Heimweg von einem Ausflug waren, in die Luft. Bei der Greueltat, die weltweites Entsetzen ausgelöst hat, starben 47 Menschen, darunter 29 Schulkinder. Weitere 77 Menschen gingen schwer verletzt aus dem Inferno hervor. Nicht wenige von ihnen dürften ihren Verletzungen in den kommenden Wochen und Monaten erliegen. Von einem Kriegsverbrechen wollte man in Riad dennoch nichts wissen. Bei dem Angriff habe es sich um eine "legitime militärische Aktion" gehandelt, so das saudische Oberkommando.

Auch im US-Verteidigungsministerium wiegelte man ab. Ungeachtet der Tatsache, daß die Luftwaffe der Saudis und der Emirater beim Krieg im Jemen auf amerikanische und britische Unterstützung in den Bereichen Rüstung, Wartung, Luftbetankung und Nachrichtenwesen angewiesen ist, behauptete Armeemajor Josh Jacques, Sprecher des für den Nahen Osten zuständigen Zentralkommandos (CENTCOM), man werde vermutlich niemals erfahren, ob die in Dayhan verwendete Munition aus den USA stamme. Bereits zu diesem Zeitpunkt kursierten im Internet die Bilder jemenitischer Journalisten, auf denen Raketenreste vom Angriff auf Marktplatz und Schulbus zu sehen waren, welche die verwendete Waffe eindeutig als eine MK-82-Bombe aus dem Hause General Dynamics identifizierten. Seit drei Jahren verdient dieses Unternehmen zusammen mit anderen US-Rüstungsgiganten wie Boeing, Lockheed Martin und Raytheon am Krieg im Jemen, der Schätzungen zufolge Riad und Abu Dhabi 200 Millionen Dollar am Tag kostet, ein Vermögen.

Doch es sind nicht die einträglichen Rüstungsgeschäfte, die dafür sorgen, daß das "sinnlose" Morden im Jemen kein Ende findet. Begründet wird die ausländische Militärintervention mit iranischen Umtrieben zugunsten der Ansar Allah, für die bis heute kein einziger glaubhafter Beweis vorgelegt worden ist. Es wurden von den Koalitionären bislang weder iranische Waffen erbeutet noch irgendwelche iranische Militärberater oder Freiwillige der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz lebendig als Gefangene oder tot als Leiche präsentiert. Folglich gewinnt die Vermutung, gemeinsam hätten es die Saudis, die Emirater und ihre gemeinsame Schutzmacht USA auf unerschlossene Ölreserven des Jemens abgesehen, an Glaubwürdigkeit.

Diese These erläuterten der Politikwissenschaftler Phil Butler am 12. April 2016 bei Global Research sowie Jack Dressler von Veterans for Peace am 10. August 2018 bei Counterpunch. Butler und Dressler beziehen sich beide auf entsprechende Studien der U. S. Geological Survey von 2002 sowie auf ursprünglich geheime, vor einiger Zeit von Wikileaks veröffentlichte Depeschen des US-Außenministeriums aus dem Jahr 2009, als Hillary Clinton dort die Führung hatte. Daraus geht hervor, daß die Verantwortlichen in Washington, Riad und Abu Dhani vom Vorhandensein gigantischer, bisher erst in Ansätzen erschlossener Öl- und Gasreserven sowohl im Jemen, dem Armenhaus Arabiens, selbst als auch unmittelbar vor dessen Küste überzeugt waren - und vermutlich immer noch sind -, was natürlich den Schluß nahelegt, daß sie ihre dortige Politik von dieser Erkenntnis leiten lassen.

16. August 2018


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