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NAHOST/1613: Libyen - von Kriegen getrieben ... (SB)


Libyen - von Kriegen getrieben ...


Allmählich gerät der Plan der Vereinten Nationen, der offiziell von Frankreich, Italien und den USA unterstützt wird, im Dezember in Libyen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchzuführen, zur Fata Morgana. Denn über das neue Wahlgesetz und die neue Verfassung, auf deren Grundlage abgestimmt werden soll, haben sich die beiden Machtzentren im Land - die seit 2016 im westlichen Tripolis residierende Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch und das seit 2014 im östlichen Tobruk sitzende Repräsentantenhaus (House of Representatives - HoR) - nicht einigen können. Neue Kämpfe in der Hauptstadt Tripolis verstärken zudem die schon länger bestehenden Zweifel an der Autorität und Durchsetzungsfähigkeit der GNA.

Im Vergleich zum HoR hatte Al Sarradsch keine eigene militärische Macht, als er und seine Mitarbeiter vor zwei Jahren per Schiff aus Tunesien kamen und sich in einem Marinestützpunkt am Rande von Tripolis niederließen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Lediglich mit Geld hat sich der neue, international anerkannte Regierungschef die Loyalität mehrerer Milizen erkauft. Während im Osten die sogenannte Libysche Nationalarmee (LNA) im Auftrag des HoR sowie unter dem Kommando von General Khalifa Hifter, einem früheren Vertrauten Muammar Gaddhafis, der vor Jahrzehnten zum CIA-Verbindungsmann geworden ist, weitgehend für Ordnung sorgt, haben im Westen, in Städten wie Tripolis und Misurata, örtliche Milizen weiterhin das Sagen. In Ermangelung anderer Alternativen wurden nach dem Sturz Gaddhafis 2011 solche lokalen Gruppierungen mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beauftragt.

Unter dem Fehlen eines Gewaltmonopols leiden die Libyer bis heute. Fast jede Miliz kann sich als Ordnungskraft aufspielen und Schutzgeld erpressen, sei es am Straßenrand bei der Fahrzeugkontrolle, beim "freundlichen" Besuch eines Geschäfts oder durch die Besetzung irgendwelcher Behörden oder Ölanlagen. Untereinander ringen die verschiedenen Banden um Macht und Einfluß, wobei auch religiöse Motive und ethnische Rivalitäten eine Rolle spielen. 2016 haben nach wochenlangen blutigen Gefechten Milizionäre aus Misurata die "Terroristen" vom Islamischen Staat (IS) aus der Stadt Sirte vertrieben. 2017 hat Hifters LNA nach einer monatelangen Belagerung Benghazi von der Ansar Al Scharia "befreit". Seitdem haben sich die Radikalislamisten weitgehend ins Landesinnere zurückgezogen, wo sie im lukrativen Menschenschmuggel tätig sind.

Am 23. August meldete sich der IS mit einem Überfall auf einen Kontrollpunkt westlich von Tripolis zurück. Bei dem Anschlag wurden sieben GNA-treue Milizionäre getötet und sieben weitere verletzt. Die Aktion erfolgte nur einen Tag, nachdem in einer Audiobotschaft IS-Chef Abu Bakr al Baghdadi die Anhänger des von ihm 2014 im irakischen Mossul proklamierten Kalifats zum verstärkten Einsatz aufgefordert hatte. Am 26. August brachen in den südlichen Bezirken von Tripolis schwere Kämpfe aus und zwar zwischen Milizen, die nominell dem Befehl von Premierminister Al Sarradsch und der GNA unterstehen. Mit Unterbrechungen hielten die Kämpfe mehrere Tage an. Mindestens 27 Menschen wurden getötet und mehr als 100 verletzt.

Auslöser des Wiederaufflammens der Gewalt in der libyschen Hauptstadt scheint die Rückkehr des Milizenführers Salah Badi nach zweijährigem Exil in der Türkei gewesen zu sein. Bereits 2014 hatten Badis Männer maßgeblichen Anteil an den Kämpfen, die den internationalen Flughafen von Tripolis derart verwüsteten, daß der Betrieb bis heute nicht wiederaufgenommen worden ist. Badi versteht sich als wahrer Erbe der "Revolution" von 2011. Nach eigenen Angaben ist er nach Libyen zurückgekommen, um Tripolis und das ganze Land von der "Korruption" zu befreien. Badi gehört zu den Islamisten, die unmittelbar nach dem Sturz Gaddhafis in Tripolis die Herrschaft innehatten, sie jedoch später aufgrund ihrer Streitigkeiten an Al Sarradsch abgaben.

Diese Kräfte, die der Moslembruderschaft nahestehen und einst unter der Bezeichnung "Libysche Dämmerung" firmierten, werden von der Türkei und Katar unterstützt. Deshalb stehen sie den Bemühungen von Al Sarradsch um eine Versöhnung mit Hifter und dem HoR, die von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten finanzielle und militärische Hilfe erhalten, skeptisch bis ablehnend gegenüber. Bei vielen Libyern dürfte der Aufruf Badis zum großen Feldzug gegen die "Korruption" auf fruchtbaren Boden fallen. Besonders im Westen Libyens haben die Menschen in diesem Sommer mit Temperaturen bis zu 46 Grad unter ständigen Stromausfällen schwer gelitten. Noch heute ist die Stromversorgung mangelhaft - eine Folge von Mißwirtschaft und dem nicht endenden Ressourcenstreit. Mit der Rückkehr von Badi dürfte sich der innenpolitische Machtkampf in Libyen wieder auf die Straße verlagern. Fragen der parlamentarischen Demokratie sind vorerst irrelevant.

1. September 2018


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