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NAHOST/1658: Iran - dunkle Wolken über Nahost ... (SB)


Iran - dunkle Wolken über Nahost...


Wie befürchtet, weil drei Tage zuvor vom Wall Street Journal unter Verweis auf Regierungsquellen in Washington angekündigt, hat US-Präsident Donald Trump am 8. April die Revolutionsgarde des Irans offiziell zur "terroristischen Organisation" erklärt. Was ähnlich der "Anerkennung" der illegal besetzten syrischen Golanhöhen als Teil Israels wie ein weiteres Wahlgeschenk Trumps an den amtierenden israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu anmutet, um diesem zum Sieg bei der Knessetwahl am heutigen 9. April zu verhelfen, birgt enorme Sprengkraft. Im Vergleich zu Syrien, dessen Streitkräfte mit einem Aufstand dschihadistischer Gruppen vollauf beschäftigt sind, ist der Iran militärisch durchaus in der Lage, auf den hingeworfenen Fehdehandschuh der USA mit kinetischen Mitteln zu reagieren. Leider ist die Eskalation der sich seit dem Amtsantritt Trumps 2017 zuspitzenden Konfrontation zwischen Washington und Teheran in den offenen Krieg das, was die zionistischen Neokonservativen der US-Regierung, allen voran der Nationale Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo, offenbar wollen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten versuchen Netanjahu und die Neocons nun schon der Welt weiszumachen, das "Mullah-Regime" in Teheran sei der "Hauptsponsor" des "internationalen Terrorismus". Im berüchtigten Positionspapier "A Clean Break", mit dem 1996 eine Gruppe unter der Leitung des ehemaligen US-Vizepentagonchefs Richard Perle für Netanjahu die erwünschten Ziele der israelisch-amerikanischen Allianz skizzierte, stand der Iran ganz oben auf der Liste jener Länder, in denen der "Regimewechsel" herbeigeführt werden müsse. Nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001, die das sunnitische Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens durchgeführt haben soll, gingen die israelischen und amerikanischen Verfechter der These vom "Frieden durch Stärke" ans Werk. Nach dem Blitzsieg gegen die Taliban Ende 2001 fabrizierten diese Kräfte unter dem Stichwort "Massenvernichtungswaffen" einen Kriegsgrund, um im März 2003 einzumarschieren und Saddam Hussein zu stürzen.

Im ersten Rausch des angloamerikanischen Blitzsiegs, als im Mai jenes Jahres George W. Bush vom Deck eines Flugzeugträgers "Mission Accomplished" brüllte, gaben die Neokonservativen in den US-Medien die Parole aus, die Einnahme Bagdads sei ein "Spaziergang" gewesen, "echte Männer" wollten "nach Teheran". Zur anvisierten Verwendung des Iraks als Brückenkopf für eine Invasion gen Westen nach Syrien oder nach Osten in den Iran kam es aber nicht, weil sich die US-Streitkräfte im Zweistromland schnell mit einem erbitterten Aufstand sunnitischer und schiitischer Gruppen konfrontiert sahen, der sie schließlich 2011 wieder zum Abzug zwang. Hinzu kommt, daß 2007 die US-Geheimdienste nach dem Irak-Fiasko die Bemühungen von George W. Bush und Dick Cheney, mit Hilfe Netanjahus dem Iran den geheimen Atombombenbau anzudichten, durchkreuzt haben.

2006 erlitt Israel einen herben Schock, als seine Streitkräfte trotz unangefochtener Luftüberlegenheit beim Libanonkrieg in jenem Sommer gegen die schiitische Hisb-Allah-Miliz nur ein Unentschieden herausholen konnten. Für Israels Verlust des Nimbus der militärischen Unbesiegbarkeit sollte später Syrien bezahlen, das als Transitland und Verbündeter im "Bogen des Widerstands" zwischen dem Iran und den von der Hisb Allah kontrollierten Teilen des Libanons fungiert. 2007 heckten US-Vizepräsident Cheney und der damalige Geheimdienstchef Saudi-Arabiens, Prinz Bandar bin Sultan, einen Plan aus, mittels sunnitischer Extremisten aus aller Herren Länder das "Regime" Bashar Al Assads in Damaskus zu stürzen. Im selben Jahr wurde die rund 4000 Mann starke Al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarde auf die US-Terrorliste gesetzt. Das Ergebnis ist der syrische Bürgerkrieg, der 2011 ausbrach, Hundertausende Menschen tötete, Millionen zu Flüchtlingen machte und heute noch anhält.

2014 drohten die Glaubenskrieger den Konflikt in Syrien zu gewinnen. Unter anderem mittels amerikanischer TOW-Antipanzerraketen, welche sie von den Saudis in größerer Stückzahl erhalten hatten, waren die militanten Assad-Gegner auf dem Vormarsch und trieben die Syrische Arabische Armee (SAA) vor sich her. Die Wende leitete Qassem Soleimani ein. Der legendäre Chef der Al-Quds-Einheit bei der iranischen Revolutionsgarde flog persönlich nach Moskau und überredete den russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Intervention in den Syrienkrieg. Während Rußland die nötige Luftwaffe zur Verfügung stellte, organisierte Soleimani ein Heer aus iranischen Revolutionsgardisten, Hisb-Allah-Milizionären aus dem Libanon sowie schiitischen Freiwilligen aus dem Irak und Afghanistan, die zusammen mit der SAA die Offensive der verschiedenen "Terrorgruppen" wie die Al-Nusra-Front, Ahrar Al Sham oder den "Islamischen Staat" (IS) stoppten und in sein Gegenteil verkehrten. Im selben Jahr war Soleimani im Irak als Militärberater zugegen, als dort mittels einer Massenerhebung aller wehrfähigen Männer die drohende Einnahme Bagdads durch die IS-Kalifatsanhänger verhindert wurde.

Angesichts der Notwendigkeit, den Irak zu stabilisieren und Syrien nicht völlig im Chaos versinken zu lassen, wie es 2011 nach dem von der NATO unterstützten Sturz Muammar Gaddhafis passiert war, haben die USA 2015 unter der Leitung von Präsident Barack Obama gegen den ausdrücklichen Willen von Netanjahu und dessen Freunden im Washingtoner Kongreß sowie den verschiedenen konservativen Denkfabriken am Potomac, zusammen mit China, Rußland und den EU-3 - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - das Atomabkommen mit den Iran unterzeichnet. Der Grundlagenvertrag sah den Verzicht des Irans auf sämtliche Aspekte des zivilen Kernenergiekreislaufs, die eventuell für eine militärische Nutzung zu gebrauchen sein könnten, sowie umfassende und regelmäßige Kontrollen durch Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) vor. Im Gegenzug sollten alle Handelssanktionen gegen den Iran aufgehoben und die Islamische Republik wieder in die "internationale Gemeinschaft" aufgenommen werden.

Die Hoffnungen auf eine dauerhafte Détente zwischen Washington und Teheran erlitten im November 2016 mit der Wahl von Trump, dessen größter Einzelspender im monatelangen Ringen gegen Hillary Clinton Netanjahus Freund, der schwerreiche Las-Vegas-Casino-Magnat Sheldon Adelson, gewesen ist, Schiffbruch. Im Wahlkampf hatte der New Yorker Baulöwe, der in Sachen internationale Politik seine Informationen hauptsächlich vom Fernsehnachrichtensender Fox News des reaktionären australo-amerikanischen Medienmoguls Rupert Murdoch bekommt, den Atomvertrag mit dem Iran als "schlimmsten Deal aller Zeiten" in Grund und Boden verdammt. Ohne den geringsten Beweis zu präsentieren, machte Trump als Präsident im Oktober 2017 den Iran für die Anschläge 1998 auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam verantwortlich. Bis dahin gingen alle Geheimdienstexperten davon aus, daß dahinter Bin Ladens Al Kaida steckte. Bei der Gelegenheit warf er Teheran zudem vor, durch die Unterstützung der Taliban in Afghanistan und verschiedener schiitischer Milizen im Irak für den Tod von "Hunderten von amerikanischen Militärangehörigen" verantwortlich zu sein.

Im Mai 2018 kündigte Trump zum Entsetzen der anderen sechs Unterzeichnerstaaten das Atomabkommen mit dem Iran einseitig auf und reaktivierte die früheren Finanz- und Wirtschaftssanktionen der USA gegen die Islamischen Republik. Dabei setzten sich Trump, Bolton und Pompeo erklärtermaßen das Ziel, den Ölexport des Irans, auf dessen Einnahmen die Menschen dort in hohem Maße angewiesen sind, "auf Null" zu drosseln. Infolge des Kurswechsels stellten die meisten europäischen Unternehmen ihre geschäftlichen Tätigkeiten im Iran ein. Aufgrund des massiven Drucks stoppten viele Abnehmerstaaten wie Südkorea und Indien den Import iranischen öls. Beide Entwicklungen haben die iranische Wirtschaft in eine schwere Krise gestürzt, welche die Führung in Teheran bislang gerade noch meistert. Bislang bekennen sich Präsident Hassan Rohani und das geistliche Oberhaupt, Großajatollah Ali Khamenei, zum Atomabkommen. Die Frage ist nur, wie lange sich diese Position halten läßt.

Durch die jüngste Erklärung Trumps ist Irans 125.000 Mann starke Revolutionsgarde die erste staatliche Institution weltweit, welche die USA auf ihre Liste der "terroristischen Organisationen" gesetzt haben. Gegen die Initiative sollen sich die zuständigen Experten bei der CIA und im Pentagon ausgesprochen haben. Sie warnten offenbar, daß die provozierende Einstufung den Iran zu Gegenmaßnahmen veranlassen könnte, die das Leben amerikanischer Soldaten und Geheimdienstler im Nahen Osten und Zentralasien gefährden. Und in der Tat, wenige Stunden nach der Rede Trumps und den dazugehörigen Erläuterungen Pompeos hat der Iran seinerseits CENTCOM, das für alle US-Militäreinheiten im Nahen Osten zuständige Kommando mit Regionalsitz in Katar, zu einer "Terrororganisation" vergleichbar dem IS erklärt. Wie der Nahost- und Geheimdienstexperte Oberst a. D. Pat Lang bereits am 7. April auf seinem Blog Sic Temper Tyrannis gewarnt hat, erklärt die Umdefinition der iranischen Revolutionsgardisten zu "Terroristen" diese für vogelfrei. In Verbindung mit der Antiterrorkriegsermächtigung des Kongresses vom September 2001 können die US-Streitkräfte nicht nur jedes Mitglied der iranischen Revolutionsgarden völlig legal töten, sondern sind geradezu angehalten, dies zu tun.

Bekanntlich geraten seit Jahren regelmäßig US-Kriegsschiffe und Schnellboote der iranischen Revolutionsgarde im Persischen Golf, insbesondere an der extrem engen Straße von Hormus, aneinander. Bislang konnte ein schwerer Zwischenfall durch das besonnene Handeln der Kommandeure auf beiden Seiten vor Ort vermieden werden. Künftig wird es schwierig bis unmöglich, in solchen Situationen eine Eskalation bis hin zum Schußwechsel zu vermeiden. Es gibt triftige Gründe anzunehmen, daß gerade dies der Zweck von Trumps "Terror"-Bezeichnung für die iranische Revolutionsgarde gewesen ist.

9. April 2019


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