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SOZIALES/2089: Lohnverzicht bei Arcandor - Klassenkampf von oben (SB)


Beispiel Arcandor

Fortgeschrittene "Verhartzung" der Gesellschaft

Nach der Bundestagswahl ist mit vermehrten Massenentlassungen, Reallohnverlusten und erpreßten Lohnverzichten zu rechnen


Die Beschäftigten der Gesellschaft Arcandor, zu der die Kaufhauskette Karstadt gehört, sollen auf bis zu 20 Prozent ihres Gehalts, Zuschläge für Feiertage, Früh- und Nachtschichten sowie auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten. Das sagte Cornelia Haß, Sprecherin des Verdi-Bundesvorstands, laut der Zeitung "NRZ - DerWesten". Demgegenüber behauptete Thomas Schulz, Sprecher des Insolvenzverwalters Klaus Hubert Görg, daß das nicht stimme, man stehe noch in Verhandlungen mit den Betriebsräten, aber mache das nicht öffentlich. Damit widerspricht Schulz der Verdi-Sprecherin - aber er widerlegt sie nicht.

Bereits im vergangenen Jahr wurde mit den Karstadt-Mitarbeitern ein Lohnverzicht vereinbart. In der Insolvenz werden sie - wie es sich gehört - nach Tarif bezahlt, was für sie eine Lohnsteigerung bedeutet. Doch die Unternehmerseite, für die der Insolvenzverwalter steht, will das einmal gewonnene Terrain nicht wieder hergeben. Offenbar sollen die Angestellten weitere Abstriche von dem bereits reduzierten Lohn hinnehmen.

Die Karstadt-Angestellten könnten Karstadt sanieren. Das ist auf perfide Weise konsequent. Sind sie es doch, die den Mehrwert produzieren, so daß überhaupt ein so großer Konzern entstehen konnte. Lohnarbeit ist die Basis eines jeden Unternehmers. Manager-Abfindungen in Höhe von 15 Millionen Euro, wie sie jetzt der scheidende Arcandor-Vorstandschef Thomas Eick für seinen nur sechsmonatigen Einstand einstreichen darf, kämen gar nicht erst zustande, wenn die Summe nicht zuvor vom Verdienst der Angestellten abgezogen worden wäre. Der Lohn macht nur einen Teil des eigentlichen Verdienstes der Leistungserbringer aus.

Insofern müßte der Begriff "Lohnverzicht" als ein Pleonasmus ähnlich dem klassischen "weißen Schimmel" bezeichnet werden. "Lohn" bedeutet per se Verzicht, nämlich um den nicht unerheblichen Teil, der zur Kapitalakkumulation beigetragen hat. Diesen Teil bekommen die Angestellten nie zu Gesicht. Was sie hingegen zu Gesicht bekommen, sind die Luxusautos und Villen ihrer Manager sowie die Abfindungssummen und Boni, die diesen vom Insolvenzverwalter zugesagt werden. Die geleistete Arbeit der Angestellten ist offensichtlich erheblich mehr wert als das, was sie hinterher ausgezahlt bekommen.

Dennoch, der entscheidende Widerspruch besteht nicht zwischen Lohnverzicht auf der einen und Millionenabfindung auf der anderen Seite, sondern darin, daß das System von sämtlichen Beteiligten akzeptiert wurde, solange es gut lief. Würde Karstadt jahrelang schwarze Zahlen schreiben und der Lohn der Angestellten Jahr für Jahr um ein paar Prozente steigen, wären selbst diejenigen, die jetzt entlassen werden oder weniger verdienen sollen und sich über die hohen Managergehälter aufregen, zufrieden. Es hat in der Vergangenheit keine breite Solidaritätsbewegung beispielsweise mit den "Billigarbeitern" in Asien, die für Karstadt die Markenkleidung zusammengenäht haben, gegeben; in den Karstadt-Filialen wurde auch kein Aufstand vom Zaun gebrochen, weil die Basis der Wertschöpfungskette, die Minenarbeit in den ressourcenreichen afrikanischen Staaten, schlecht bezahlt wird und hochgradig gesundheitsschädlich ist.

So wie der Reichtum der Kapitaleigner auf der Abschöpfung des Mehrwerts der Arbeiter und Angestellten hierzulande beruht, gründet sich der relative Wohlstand in den Ländern des Nordens auf der Armut der Menschen des Südens. Diese Diskrepanz wird, und das bekommen jetzt die Arcandor-Mitarbeiter zu spüren, zunehmend zu ihren Lasten aufgehoben. Am 1. September wird das Insolvenzverfahren bei der einstigen Karstadt-Quelle AG eröffnet.

Dem am Beispiel Arcandor vorexerzierten Abwicklungsmodell zur Sicherung der Kapitaleigner gegenüber den Beschäftigten ist eine große Zukunft beschieden: Im kommenden Jahr wird die Automobilbranche und Zulieferindustrie in die Knie gehen. Die Regierung dürfte reichlich Krokodilstränen vergießen, aber zugleich keinen Zweifel aufkommen lassen, daß sie, die Wählerinnen und Wähler, nun ausbaden müssen, was sie angerichtet haben, als sie diese Regierung wählten. Reallohnverluste vor allem aufgrund von unbezahlter Mehrarbeit der Beschäftigten wird den Einkommenabstand zwischen Hartz-IV-Zwangsarbeit und regulärer Lohnarbeit zusammenschmelzen lassen.

31. August 2009