Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

USA/1217: Kalifornien spart - Binnenflüchtlinge suchen Schutz in Zelten (SB)


Achtgrößte Volkswirtschaft der Welt beschließt Nothaushalt

Kaliforniens Gouverneur Schwarzenegger setzt bei Sozialleistungen fetten Rotstift an


Nach monatelangem Hickhack haben sich Kaliforniens republikanischer Gouverneur Arnold Schwarzenegger und die oppositionellen Demokraten auf einen Nothaushalt geeinigt, um Schulden in Höhe von 26,3 Milliarden Dollar abzutragen. Die kalifornischen Millionäre können jedoch beruhigt sein, sie brauchen nicht befürchten, um ihre Beute gebracht zu werden. An Steuererhöhungen ist nicht gedacht. Aber den Armen, die ohnehin wenig haben, denen soll genommen werden - und zwar reichlich.

Kalifornien hat bereits ein massives Verarmungsproblem, die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 11,5 Prozent und damit zwei Prozent über dem US-Durchschnitt. In Städten wie San Francisco, Los Angeles, Fresno und Sacramento haben sich die Obdachlosen in Zeltstädte geflüchtet. Die wurden teilweise behördlicherseits wieder abgebaut, teils an weniger exponierten Stellen von neuem errichtet, teils haben sich die Obdachlosen scheinbar in Luft aufgelöst. Insgesamt nimmt jedoch die Zahl der wirtschaftlichen Binnenflüchtlinge in Kalifornien wie auch anderen US-Bundesstaaten weiter zu.

Das am Montag von Schwarzenegger verabschiedete Sparprogramm dürfte diese Entwicklung noch beschleunigen. Um 15,6 Milliarden Dollar soll der Staatshaushalt gekürzt werden. Das betrifft auch die "Sozialleistungen" - eine Umschreibung für die bescheidenen Almosen, die der Bundesstaat von dem wieder zurückgibt, was er vorher den Empfängern der Sozialleistungen abgenommen hat.

Die Sozialleistungen werden um eine halbe Milliarde Dollar zusammengestrichen. Da fällt kurzerhand der staatliche Krankenschutz für mehrere zehntausend Kinder und Rentner weg, was absehbar zur Folge hat, daß diese statistisch gesehen länger krank sein und früher sterben werden. Einem Rentner, der nicht mehr oder nur noch eingeschränkt krankenversichert ist, ist ein kürzeres Leben beschieden als dem vollversorgten und rundum gepflegten Altersgenossen, der sich eine private Krankenversicherung leisten kann. In letzter Konsequenz hat sich der Staat für eine Form der Sterbehilfe für die Armen entschieden. Das klingt zunächst übertrieben, dürfte aber vor Ort an Einzelbeispielen, bei denen Rentner aufgrund der Sparmaßnahmen künftig nicht mehr krankenversichert sind, nachweisbar sein.

Darüber hinaus werden Universitäten ihre Gebühren erhöhen, was sich ebenfalls gegen die ärmeren Bevölkerungsschichten richtet, und sie sollen weniger Studenten annehmen. Zu den weiteren Maßnahmen gehört die Freigabe der Ölförderung vor der kalifornischen Küste, eine Reduzierung des Gehalts von 230.000 Staatsbediensteten, Stellenabbau im öffentlichen Dienst, die vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen, die spätere Bezahlung von Rechnungen, eine vorgezogene Steuererhebung und einiges mehr. Aber keine Steuererhöhungen. Das haben die Kalifornier in einem Referendum entschieden.

Obdachlosensiedlungen hat es in den USA schon immer gegeben, doch seit einigen Jahren, insbesondere seitdem die Hypothekenblase geplatzt ist, nimmt die Zahl der Menschen, die kein festes Dach über dem Kopf haben, kräftig zu. Besonders in Kalifornien. Vergleichbar ist dies mit der Hungerentwicklung, die schon in der Ära Bill Clintons einsetzte und unter George W. Bush dramatisch zunahm. Die Zahl der Menschen, die auf staatliche oder private Lebensmittelhilfe (Suppenküchen, Tafeln, etc.) angewiesen sind, wächst, und die Zahl der Anspruchsberechtigten auf Lebensmittelmarken beträgt rekordmäßige 30 Millionen. Auch werden die Schlangen an den Suppenküchen und Essensausgaben von Organisationen wie Second's Harvest lang und länger.

Keine Frage, das Leben in den US-Zeltstädten ist um einiges komfortabler als beispielsweise das Leben in den Zelten sudanesischer Flüchtlingslager. Von einer unmittelbaren Existenzbedrohung kann in den USA, so weit die allgemeine Berichterstattung ein Urteil erlaubt, noch nicht gesprochen werden. Allerdings zeigen sich gewisse Parallelen. In beiden Fällen gibt es als Pendant zu den "tent cities" eine Clique von Personen, die von der Krise nicht oder nur unbedeutend betroffen sind. Auf beiden Seiten leben Warlords, man könnte eingedenk des Sozialkampfs auch von Kriegsgewinnlern sprechen, die von der Not der Masse unberührt bleiben. Und wenn Gouverneur Schwarzenegger mit einem seiner martialisch anmutenden Humvees durch die Gegend donnert - egal, ob er ihn mit ökologisch vermeintlich unbedenklichem, alten Speiseöl betankt hat oder mit Superbenzin -, dann erinnert das Bild an die Anführer in Konfliktgebieten wie Somalia und Sudan, die ebenfalls mit allradangetriebenen Geländefahrzeugen unterwegs sind und nicht die Not der Flüchtlinge in den dortigen Zeltstädten leiden.

In diesem Monat hat die Stadt Fresno das letzte von mehreren Zeltlagern aufgelöst und die Bewohner anderweitig untergebracht. Wie lange wird die Stadt noch "tent city free" sein, wenn die neuerlichen Sparmaßnahmen greifen? In Los Angeles, wo schätzungsweise 40.000 Obdachlose leben, wurden diese gezielt aus der Innenstadt vertrieben. Laut einer Studie der Universität von Los Angeles aus dem Jahre 2007 gibt die Stadt jährlich sechs Millionen Dollar aus, um 50 Streifenbeamte eigens für das innerstädtische Viertel Skid Row, in dem über 5.000 Obdachlose leben, einzustellen. Für die Obdachlosen hingegen würden nur 5,7 Millionen Dollar aufgewendet.

Andere Städte versuchen, die Existenz von Obdachlosen zu vertuschen, indem sie Zeltstädte auflösen, das Lagern auf dem Bürgersteig, "Herumlungern" und Betteln verbieten. In Sacramento wurde im März dieses Jahres eine größere Zeltstadt aufgelöst. Die Obdachlosen zerstreuten sich und siedelten woanders. Schwarzenegger hat vorübergehend die staatliche Einrichtung Cal-Expo zur Unterbringung von 125 Personen freigegeben, nun soll Platz für 50 weitere Betten geschaffen werden, aber das genügt nicht im mindesten. Viele Obdachlose Sacramentos wissen immer noch nicht wohin und haben deshalb vor einigen Wochen mit einer Demonstration auf ihre Lage aufmerksam gemacht.

Mit Blick auf die Haushaltspleite Kaliforniens und der wachsenden Obdachlosigkeit behaupten zu wollen, daß der Neoliberalismus in diesem Bundesstaat gescheitert ist, wäre eine Täuschung. Der Neoliberalismus hat folgerichtig genau das Ergebnis gebracht, das von Anfang an sein Programm war.

22. Juli 2009