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USA/1190: Washington läßt sich in Afghanistan von Moskau helfen (SB)


Washington läßt sich in Afghanistan von Moskau helfen

Petraeus gibt Vereinbarungen über neue Nachschubwege bekannt


Nach der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten und der Ernennung Hillary Clintons zur künftigen Außenministerin gab es Befürchtungen, daß nach dem Wiedereinzug der Demokraten ins Weiße Haus diese das Hauptgewicht der Außenpolitik Washingtons auf die Erweiterung der NATO in das Gebiet der früheren Sowjetunion legen würden, nachdem der Republikaner George W. Bush und seine neokonservative Klique durch ihren "Antiterrorkrieg" und die blutige Besetzung des Iraks die ganze islamische Welt gegen die USA aufgebracht hatten. Diese Befürchtungen dürfen sich vorerst gelegt haben. Während Obama bei seiner Antrittsrede am 20. Januar auf dem Stufen des Kapitols allen Ländern der Welt die Freundschaft Amerikas angeboten und "Bescheidenheit und Mäßigung" zu Leitprinzipien seiner Außen- und Sicherheitspolitik erklärt hat, hat an demselben Tag der für den Nahen Osten und Zentralasien zuständige CENTCOM-Oberbefehlshaber General David Petraeus die Einrichtung neuer Transportwege zur Belieferung der Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan - unter anderem über Rußland - bekanntgeben.

Die Bedeutung dieser Erklärung und ihres Zeitpunkts am Tag des Endes der Ära Bush und des Beginns der Obamas kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, signalisiert sie doch die Bereitschaft der neuen US-Regierung zu einem modus vivendi mit dem Kreml. Man darf gespannt sein, ob diese jüngste Entwicklung die Wende in der Beziehung der beiden Großmächte, die in letzter Zeit durch die geplante Stationierung von Komponenten des US-Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien, durch den Georgien-Krieg vom letzten August und Washingtons Wunsch der Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO schwer belastet wurde, einleitet.

In einem Kommentar, den George Friedman, Herausgeber des angesehenen privaten Nachrichtendienstes Stratfor auf dessen Website am 20. Januar unter der Überschrift "Obama enters the Great Game" - will heißen, dieser steige beim "Großen Spiel" um die Kontrolle Zentralasiens und damit um die eurasische Landmasse ein - veröffentlichte, wurde die Frage des Nachschubs für die NATO-Streitkräfte in Afghanistan und des Preises, den Washington für die Nutzung des russischen Territoriums eventuell entrichten müßte, zum dringlichsten Problem zu Beginn der Amtszeit des neuen US-Präsidenten erklärt. Die Frage stellt sich deshalb, weil die bisherigen Nachschubwege über Pakistan in den letzten Monaten aufgrund der häufigen Angriffe der Verbündeten der afghanischen Taliban immer unzuverlässiger geworden und zwischenzeitlich sogar unterbrochen worden sind.

Bei einer Pressekonferenz in Islamabad nach einem Treffen mit der pakistanischen Militärführung gab Petraeus bekannt, daß das Pentagon eine Reihe von Vereinbarungen über den Transport von Nachschub für die NATO-Streitkräfte in Afghanistan "mit den Ländern Zentralasiens" - Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan - "wie auch mit Rußland" getroffen hat. In einem entsprechenden Artikel, der am 21. Januar in der New York Times unter der Überschrift "U.S. Secures New Supply Routes to Afghanistan" erschienen ist, wies Richard A. Oppel jun. zudem darauf hin, daß Rußland "die Hauptquelle" sei, was die Deckung des Treibstoffbedarfs der NATO-Streitkräfte in Afghanistan betreffe, und daß "der Kreml bereits den Transport nicht-militärischer Güter nach Afghanistan über russisches Territorium" erlaube.

Wie man weiß, hat Obama den seit mehr als sieben Jahre andauernden Krieg in Afghanistan - neben Maßnahmen zur Rettung der US-Wirtschaft - zur obersten Priorität erklärt. Angeblich will er dorthin mehrere zehntausend US-Soldaten entsenden und aller Wahrscheinlichkeit nach einen ähnlichen Einsatz seitens der NATO-Verbündeten verlangen. Auch wenn niemand sagen kann, was diese Truppenaufstockung im Kampf gegen die Taliban bringen wird, eines ist sicher: damit dürften sich die logistischen Probleme der westlichen Truppen am Hindukusch erheblich verschärfen. Angesichts der schwierigen Nachschubprobleme über Pakistan ist die NATO daher auf die Hilfe Rußlands mehr oder weniger angewiesen. Ob Washington auch bereit ist, Moskau deshalb in den Fragen des US-Raketenabwehrsystems und der NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine entgegenzukommen und die von Rußland beanspruchte Einflußsphäre im Kaukasus und in Zentralasien anzuerkennen, muß sich noch zeigen.

21. Januar 2009