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USA/1196: Obama-Regierung läßt Bagram-Gefangene im Stich (SB)


Obama-Regierung läßt Bagram-Gefangene im Stich

Obamas Abkehr von Bushs Unilateralismus verliert an Glaubwürdigkeit


Am zweiten Tag als amerikanischer Präsident hat am 22. Januar Barack Obama mit großem Tamtam die Schließung sowohl des umstrittenen Gefangenenlagers auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay als auch der geheimen "black sites" der CIA im Ausland und darüber hinaus die strikte Einhaltung der Richtlinien des Armeehandbuchs, das Folter verbietet, bei der Vernehmung von mutmaßlichen "Terroristen" angeordnet. Die demonstrative Abkehr vom "Antiterrorkrieg" des Republikaners George W. Bushs - schließlich hatte der Demokrat Obama im Wahlkampf "Wandel", an den man glauben könne, versprochen - entpuppt sich seitdem als Etikettenschwindel.

Wie Greg Miller am 1. Februar in der Los Angeles Times enthüllte, sieht die Anordnung Obamas lediglich vor, daß gefangengenommene "feindliche Kombattanten" nur noch "kurzfristig" in irgendwelchen geheimen Verliesen der CIA untergebracht werden können, bevor man sie ausländischen Regierungen wie der Hosni Mubaraks in Ägypten oder König Abdullahs in Jordanien zwecks verschärfter Vernehmung übergibt. So gesehen hat die neue US-Regierung an der umstrittenen Praxis der "extraordinary renditions", der "außergewöhnlichen Überstellungen", deren Ursprünge in den neunziger Jahren liegen, nicht wesentliche, sondern lediglich kosmetische Änderungen vorgenommen. Die Abkehr Obamas von Folter scheint auch nicht absolut zu sein, wollte doch Leon Panetta bei der Anhörung des Kongresses zu seiner Eignung für den Posten des CIA-Direktors nicht ausschließen, daß man auf solche Maßnahmen zurückgreifen könnte, gelte es einen unmittelbar bevorstehenden, größeren Anschlag zu verhindern.

Für Entsetzen unter den liberalen Anhängern Obamas sorgte die Position, welche am 9. Februar das Justizministerium bei einer gerichtlichen Anhörung im Rahmen einer Klage mehrerer Guantánamo-Häftlinge gegen das Dienstleistungsunternehmen Jeppesen Dataplan, eine Tochterfirma von Boeing, welche die Flugzeuge und Piloten für CIA-Folterflüge zur Verfügung gestellt hat - bzw. bis heute möglicherweise noch stellt - vertrat. Wie einst unter Michael Mukasey haben die Untergebenen des neuen Justizministers Eric Holder beim Ninth Circuit Court of Appeals in San Francisco beantragt, daß die Klage aus Gründen der "nationalen Sicherheit" als nicht zulässig zurückgewiesen wird. Die Angabe, daß der Regierungswechsel in Washington keinerlei Veränderung der Position Washingtons zur Folge gehabt habe, hat bei den zuständigen Richtern Stirnrunzeln ausgelöst und die New York Times zu einem furiosen Leitartikel veranlaßt, in dem am 10. Februar Amerikas "Paper of Record" die von der Obama-Regierung an den Tag gelegte "Kontinuität der falschen Sorte" aufs Schärfste verurteilte.

Eine weitere herbe Enttäuschung haben am 20. Februar Amerikas Bürger- und Menschenrechtsaktivisten erlebt, als die Obama-Regierung ihre Position hinsichtlich der Klage vierer Insassen des berüchtigten US-Gefangenenlagers auf dem Gelände des nördlich der afghanischen Hauptstadt Kabul liegenden US-Luftwaffenstützpunktes Bagram kundtat. Im Juni 2004 hatte der Oberste Gerichtshof in Washington geurteilt, daß Gefangene in Guantánamo unter Berufung auf die Habeaskorpusakte Anspruch auf eine Überprüfung ihres jeweiligen Falls durch ordentliche Gerichte in den USA hätten. Danach haben Anwälte in den USA im Namen vierer Bagram-Gefangener eine gerichtliche Überprüfung der Gründe für deren Inhaftierung beantragt. In Bagram befinden sich derzeit rund 670 Gefangene, die meisten von ihnen Afghanen, aber auch rund 30 Männer aus anderen Ländern.

Bei den vier Männern, in deren Namen vor dem Bundesgericht in Washington geklagt wird und deren Anwälten im Unterschied zu denen der Guantánamo-Häftlinge keinen direkten Kontakt zu ihren Mandanten gewährt worden ist, handelt es sich nach Angaben von Andy Worthington, dem Autor des Buchs "The Guantánamo Files: The Stories of the 774 Detainees in America's Illegal Prison", um den afghanischen Geschäftsmann Haji Wasir, der 2002 in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi gefangengenommen wurde, den Tunesier Redha Al Nadschar, der im Mai 2002 aus seinem Haus in Karatschi, wo er mit Frau und Kind wohnte, verschleppt wurde, den jemenitischen Edelsteinhändler Amin Al Bakri, der im Dezember 2002 in der thailändischen Hauptstadt Bangkok entführt wurde, und den Jemeniten Fadi Al Makalah, der 2004 in Afghanistan ins Netz der Sicherheitskräfte ging.

Die Bush-Regierung hatte sich bis zuletzt gegen den Antrag auf Überprüfung der Inhaftierungsgründe gewehrt. Sie argumentierte, daß die Anerkennung der Rechte der Guantánamo-Häftlinge nach der Habeaskorpusakte darauf zurückzuführen sei, daß sich letztere wegen des Pachtvertrages zwischen Kuba und den USA de facto auf amerikanischem Staatsterritorium befänden, was für die Gefangenen von Bagram nicht gelte. Dagegen vertreten die Anwälte von Wasir, Al Nadschar, Al Bakri und Al Makalah den Standpunkt, daß sich die Männer in der Obhut der US-Streitkräfte befänden und eben deshalb das Recht hätten, sich an die Gerichte Amerikas zu wenden.

Nach der Wahl Obamas, der sich im Wahlkampf für die Einhaltung der US-Verfassung stark gemacht und gegen die weitgefaßte Auslegung präsidialer Machtbefugnisse während der acht Jahre George W. Bushs im Weißen Haus ausgesprochen hatte, hofften Menschenrechtsaktivisten, daß die neue Regierung Erbarmen mit den gefangenen "feindlichen Kombattanten" im Irak und in Afghanistan haben würde. Dem ist aber nicht so. In einer schriftlichen Einreichung, die am 20. Februar an den zuständigen Richter John D. Bates ging, schloß sich die Obama-Administration dem Standpunkt der Bush-Regierung an: Solche Leute können weder ihre Freilassung noch die öffentliche Herausgabe der Gründe für ihre Inhaftierung gerichtlich beantragen. "Nach gründlicher Überlegung bleibt die Regierung bei ihrer bereits formulierten Position", so die Wortwahl der aus lediglich zwei Sätzen bestehenden Einreichung von Michael F. Hertz, dem Stellvertretenden Justizminister. Was dies bedeutet, hat Richter Bates bei einer früheren Anhörung im Fall der vier Bagram-Häftlinge klargestellt, als er die Sorge zum Ausdruck brachte, die US-Regierung habe für gefangene, mutmaßliche "Terroristen" in Bagram "ein 'schwarzes Loch' in einer rechtsfreien Zone" geschaffen. Für das Fortbestehen dieser alptraumartigen Realität haben sich Obama und Holder wie einst Bush, John Ashcroft, Alberto Gonzales und Michael Mukasey entschieden.

23. Februar 2009