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USA/1202: Anti-Iran-Kampagne der Israel-Lobby wird zum Politikum (SB)


Anti-Iran-Kampagne der Israel-Lobby wird zum Politikum

Obama-Regierung setzt sich gegen die Umtriebe Tel Avivs zur Wehr


Zwischen den USA und ihrem langjährigen Verbündeten Israel nehmen die Spannungen zu. Die neue liberale Administration des Demokraten Barack Obama in Washington will den von George W. Bush vernachlässigten Friedensprozeß im Nahen Osten wieder in Gang bringen, während die neue rechtschauvinistische Regierung Benjamin Netanjahus in Tel Aviv nichts davon wissen will. Oberste Priorität hat für Netanjahu, Außenminister Avigdor Lieberman und Verteidigungsminister Ehud Barak dagegen die vermeintliche vom Kernenergieprogramm des Irans ausgehende, "existientielle" Bedrohung des jüdischen Staates. Während sich die Obama-Regierung mit Blick auf die katastrophale humanitäre und militärische Lage im Irak und in Afghanistan und die zunehmende Destabilisierung Pakistans zaghaft um eine Aussöhnung mit Teheran bemüht, lassen die Israelis keine Gelegenheit aus, das "Mullah-Regime" als Hauptquelle des Bösen in der Welt zu dämonisieren, Mahmud Ahmadinedschad zum zweiten Adolf Hitler hochzustilisieren und offen wie auch indirekt über die Presse mit einem großangelegten Angriff auf die iranischen Atomanlagen zu drohen.

Bei den israelischen Hardlinern ist eine gewisse Ungeduld und Unzufriedenheit darüber, daß die Transformation der strategischen Landschaft im Nahen Osten zu ihren Gunsten, die sie sich vom Einmarsch der USA in den Irak versprochen hatten, noch nicht vollzogen wurde. Wie man weiß, haben 2002 und 2003 die neokonservativen Kriegstreiber um Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Douglas Feith im Pentagon sowie um Vizepräsident Dick Cheney und dessen Stabschef im Weißen Haus, Irv Lewis Libby, bei der Manipulation der US-Geheimdiensterkenntnisse hinsichtlich der von Saddam Hussein ausgehenden Bedrohung - Massenvernichtungswaffen, Al-Kaida-Verbindungen usw. - tatkräftige Unterstützung von ihren israelischen Gesinnungsgenossen erhalten.

Wäre es nach dem Fall Bagdads im April 2003 in den folgenden Monaten nicht zum heftigen Aufstand der Iraker gegen die angloamerikanischen Besatzungstruppen gekommen, wäre die Roll-Back-Kampagne der Bush-Regierung gegen "Schurkenstaaten" im Nahen Osten eventuell weitergegangen und der Versuch, mit militärischen Mitteln einen Regimewechsel in Teheran durchzuführen, tatsächlich unternommen worden. Nicht umsonst hat im Frühsommer 2003 das Weiße Haus einen konkreten, wie zugleich vertraulich-inoffiziellen Vorschlag der iranischen Führung zur Beilegung aller bilateralen Probleme, der unter Vermittlung des Schweizer Botschafters in Teheran, Tim Guldimann, erfolgte und sogar die Anerkennung Israels durch die Islamische Republik vorsah, kurzerhand abgewiesen.

Auch wenn es in den folgenden Jahren nicht zu dem befürchteten Krieg zwischen den USA und dem Iran gekommen ist, so stimmte Bush doch mit den israelischen Regierungschefs Ariel Scharon und Ehud Olmert stets überein, daß die Iraner unter dem Vorwand der zivilen Kernenergienutzung heimlich an der Atombombe bauten und ursächlich für den "Terrorismus" der Hamas in Palästina, der Hisb Allah im Libanon, des Widerstands im Irak und der Taliban in Afghanistan verantwortlich wären. Auf den Republikaner aus Texas war stets Verlaß, daß er in regelmäßigen Abständen die Iraner mit dem US-Atomwaffenarsenal drohen würde.

Doch seit dem 20. Januar hat Obama weder den Begriff "Global War on Terror" in den Mund genommen, noch in Richtung Teheran gedroht, daß "alle [militärischen] Optionen auf dem Tisch" lägen. Statt dessen hat es seitens des Hoffnungsträgers Amerikas Respektbekundungen gegenüber der islamischen Welt und der jahrtausendealten, persischen Kultur gegeben. Gleichzeitig werden die militärischen Sachverständigen der Obama-Regierung bis hinauf zu Verteidigungsminister Robert Gates nicht müde, die Israelis öffentlich von einem Überraschungsangriff auf die Nuklearanlagen des Irans abzuraten. Wie die neue Nahost-Politik Washingtons bei der Netanjahu-Regierung ankommt, läßt sich an folgender Überschrift ablesen, die eine am 18. April veröffentlichte Analyse des privaten Nachrichtendienstes Debka-File, dem enge Verbindungen zum Mossad und der israelischen Generalität nachgesagt werden, schmückte: "Obama charm offensive for radical rulers abandons Israel to Iranian threat", zu deutsch "Charmoffensive Obamas gegenüber radikalen Herrschern läßt Israel mit der iranischen Bedrohung allein".

Erst vor dem Hintergrund dieser Spannungen in den amerikanisch-israelischen Beziehungen kann man die jüngste, aufsehenerregende Entwicklung in der Spionageaffäre um die beiden Israel-Lobbyisten Steve Rose und Keith Weissman verstehen. Im August 2004 nahm die Affäre ihren Lauf, als erstmals bekannt wurde, daß das FBI gegen Rose und Weissman, damals führende Mitarbeiter der mächtigen Lobby-Organisation American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), und den Pentagon-Mitarbeiter Larry Franklin wegen Spionage ermittelt. Im August 2005 wurde gegen alle drei Männer Anklage erhoben. 2006 wurde Franklin, der als Iran-Referent in der Nahost-Abteilung des Pentagons arbeitete und selbst eine gewisse Rolle beim Aufbauschen der irakischen Bedrohung gespielt hatte, wegen Spionage "für eine ausländische Macht" - gemeint war natürlich Israel - zu zwölf Jahren und sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (Man vermutet, daß über den Reserveoffizier der US-Luftwaffe AIPAC und die israelische Botschaft die Iran-Politik Washington zum schweren Nachteil Teherans beeinflüssen wollten).

Der Prozeß gegen Franklins beide Kontaktmänner Rose und Weissman hat dagegen wegen verfahrenstechnischer Streitereien noch nicht stattgefunden, wiewohl sein Auftakt für den 2. Juni geplant ist. Die beiden pro-israelischen US-Bürger beteuern ihre Unschuld und behaupten, mit der Beschaffung strenggeheimer Dokumente des Pentagons und deren Weiterleitung an Angehörige der israelischen Botschaft hätten sie lediglich die Art von Informationsaustausch betrieben, der ohnehin die ganze Zeit zwischen Washington und Tel Aviv stattfinde. Deshalb wollen ihre Anwälte frühere Mitglieder der Bush-Regierung wie die ehemalige Außenministerin Condoleezza Rice, den ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater Stephen Hadley, den ehemaligen Pentagon-Vizechef Wolfowitz und den früheren Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Feith, in den Zeugenstand laden.

Über die jüngste Entwicklung in dieser unappetitlichen Affäre, nämlich die Verwicklung der demokratischen Kongreßabgeordneten Jane Harman, berichtete als erster Jeff Stein unter Berufung auf eigene Quellen im US-Sicherheitsapparat am 19. April auf der Website der Politzeitschrift Congressional Quarterly. Laut Stein wurde Ende 2005 ein kompromittierendes Telefongespräch Harmans mit einem "mutmaßlichen israelischen Agenten" von einem US-Geheimdienst mitgeschnitten. Im Verlauf des Gesprächs bittet der "israelische Agent" Harman, die damals die ranghöchste Demokratin im Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhauses war, darum, ihre Kontakte beim Justizministerium auszuspielen, damit die Staatsanwaltschaft Rosen und Weissman, die zu diesem Zeitpunkt wegen der illegalen Weitergabe von Geheimdienstinformationen der USA an Dritte bereits unter Anklage standen, verschont. Im Gegenzug wurde versprochen, daß sich Haim Saban, der pro-israelische Großspender und Finanzier des liberalen Brookings Institute, bei Nancy Pelosi, Führerin der Demokraten im Repräsentantenhaus, dafür stark machen würde, daß Harman nach den nächsten Zwischenwahlen zum Kongreß im November 2006, welche die demokratische Partei voraussichtlich gewinnen würde - und in der Tat gewinnen sollte - den Vorsitz des Geheimdienstausschusses im amerikanischen Unterhaus bekommt (Pelosi sollte sich später jedoch dazu nicht überreden lassen). Auf dem Tonbandmitschnitt soll Harman zu hören sein, wie sie verspricht, in Sachen Rosen und Weissman bei ihren Kontakten nicht im Justizministerium, sondern direkt "im Weißen Haus" vorzusprechen.

Bereits 2006 wurden erste Einzelheiten des Einsatzes Harmans für die beiden ehemaligen AIPAC-Mitarbeiter bekannt. Damals hieß es, die Ermittlungen gegen die Politikerin wegen Justizbehinderung oder sonstiger Verfehlungen in diesem Zusammenhang seien "aus Mangel an Beweisen" fallengelassen worden. Jeff Stein bietet jetzt eine weit interessantere Version der Ereignisse an. Demnach hat Justizminister Alberto Gonzales persönlich die Einstellung der FBI-Ermittlungen verfügt, und zwar aus politischen Gründen. Zu jenem Zeitpunkt Ende November, Anfang Dezember 2005 stand die Bekanntgabe der von Bush 2001 angeordneten, illegalen Telefonüberwachungsoperation der NSA durch die New York Times bevor. Im Weißen Haus fürchtete man sich vor dem politischen Schaden und wollte auf die Hilfe der konservativen Demokratin nicht verzichten.

Tatsächlich hatte Harman bereits im Herbst 2004 geholfen, die Verantwortlichen bei der New York Times dazu zu bringen, die Veröffentlichung der hochbrisanten Enthüllung über den großen NSA-Lauschangriff bis auf weiteres zu verschieben. Hätte die einflußreichste Zeitung der Welt anders entschieden, hätte Bush wegen der zu erwartenden Empörung über die Verletzung der Privatsphäre von Millionen von US-Bürgern vermutlich die Präsidentenwahl 2004 an John Kerry verloren. Als der berühmte Artikel James Risens und Eric Lichtblaus "Bush lets U.S. Spy on Caller Without Courts" dennoch am 15. Dezember 2005 erschien und das zu erwartende politische Erdbeben auslöste, hat Harman mehr als jeder andere Demokrat und die meisten Republikaner die Bush-Regierung in Schutz genommen und in den folgenden drei Jahren für ein entsprechendes Gesetz plädiert, das die illegale Maßnahme nachträglich legitimieren sollte. Am 22. April hat die New York Times unter Verweis auf eigene Quellen die Angaben Steins auf ganzer Linie bestätigt und hinzugefügt, daß Harman, als sie 2004 um eine Aufschiebung der geplanten Veröffentlichung des Rechercheergebnisses von Risen und Lichtblau bat, dies im Namen des damaligen NSA-Chefs General Michael Hayden tat.

Derzeit spielt sich Harman - welche Ironie - als Opfer derselben von ihr eifrig verteidigten Abhöraktion auf. Als US-Bürgerin wäre ein Belauschen ihrer Telefongespräche nicht zulässig, behauptet sie in einem Beschwerdebrief an Obamas Justizminister Eric Holder. Säßen die Lauscher bei der NSA in Fort Meade, Maryland, würde dies vielleicht zutreffen. Doch es gibt Hinweise, daß Harman vom FBI abgehört wurde, als sie nicht mit einem anderen, pro-israelischen US-Bürger, sondern mit einem Israeli in Israel telefonierte. Justin Raimondo von Antiwar.com vermutet, daß Harmans Gesprächspartner kein geringerer war als Naor Gilon, der frühere Leiter der Politikabteilung bei der israelischen Botschaft in Washington. Kurz nach Bekanntgabe der Ermittlungen gegen Rosen und Weissman im August 2004 hatte sich Gilon nach Israel abgesetzt. Für diesen drastischen Schritt hatte er allen Grund. Das FBI soll im Besitz von Video- und Tonbändern von konspirativen Treffen zwischen Franklin und Gilon sein, welche deren beider AIPAC-Freunde arrangiert hatten.

Es wäre vielleicht spekulativ, jedoch bestimmt nicht völlig abwegig, die jüngste Enthüllung hinsichtlich des Ausmaßes der Verwicklung Harmans in die AIPAC-Affäre mit den derzeitigen Spannungen zwischen Washington und Tel Aviv in der Iran-Frage in Verbindung zu bringen. Wie die Jewish Telegraphic Agency (JTA) am 17. April berichtete, hat Israels neuer Außenminister Lieberman Gilon den Posten als seinen Stabschef angeboten. Bereits Anfang April hatte Netanjahu Professor Uzi Arad zum Nationalen Sicherheitsberater in der neuen israelischen Regierung ernannt. Arad, ein früheres ranghohes Mitglied des Mossads, gilt als jener zweite in der Anklageschrift nicht namentlich genannte Vertreter Israels, mit dem Rosen und Weissman Franklin zusammengebracht haben, weshalb er seit mehr als drei Jahren kein Einreisevisum für die USA bekommt. Rosen selbst führte noch im März die Hetzkampagne in den Medien an, die den angeblichen Israel-Kritiker und früheren US-Botschafter in Saudi-Arabien, Charles Freeman, zum Verzicht auf die Nominierung zum Vorsitzenden des National Intelligence Council (NIC) bewog. So gesehen könnte man die Berichte Jeff Steins, der New York Times und anderer über Harman, Gonzales, Gilon und das AIPAC-Duo als Retourkutsche israelskeptischer Elemente bei den US-Geheimdiensten bewerten.

23. April 2009