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USA/1227: Obama-Regierung kündigt 9/11-Prozeß in New York an (SB)


Obama-Regierung kündigt 9/11-Prozeß in New York an

Verfahren um KSM und Co. wird zum gigantischen Medienspektakel


Mit der am 13. November bekanntgegebenen Entscheidung von US-Justizminister Eric Holder, die mutmaßlichen Hintermänner der Anschläge von 11. September 2001 vom US-Militärstützpunkt Guantánamo Bay nach New York zu verlegen, um sie dort vor einem zivilen, statt wie bisher auf Kuba vor einem Militärgericht zur Verantwortung zu ziehen, hat sich die Regierung Barack Obamas demonstrativ vom Kurs der Vorgängeradministration George W. Bushs in Sachen "Antiterrorkrieg" distanziert. Die in Reaktion auf die Entscheidung Holders nicht nur in den USA sondern auch international ausgebrochene, intensive Diskussion um den 9/11-Prozeß, der nur wenige Straßenzüge vom Gelände der früheren Zwillingstürme des World Trade Centers entfernt stattfinden wird, läßt erkennen, daß ein gigantisches Medienspektakel auf uns zu kommt. Ob dabei neue Erkenntnisse zu den Hintergründen des größten Massenmordes auf amerikanischem Boden anfallen werden, steht dagegen nicht fest.

Im Bundesbezirksgericht vom südlichen New York hat man seit Anfang der neunziger Jahren nicht wenige Erfahrungen bei der Durchführung großer "Terrorprozesse" gesammelt. Dort hat die Staatsanwaltschaft nach umfangreichen und schwierigen Strafrechtsprozessen Schuldsprüche gegen den aus dem pakistanischen Belutschistan stammenden Ramzi Jousef wegen des Lastwagenbombenanschlags auf das World Trade Center im Jahre 1993, gegen die Gruppe um den blinden ägyptischen Scheich und ehemaligen CIA-Kontaktmann Omar Abdel Rahman wegen weiterer geplanter Bombenanschläge auf andere Wahrzeichen der Hudson-Metropole und gegen mehrere Teilnehmer der Lastwagenanschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im August 1998 erreichen können. Doch im Vergleich dazu dürfte das von Obama für dieses Verfahren herausgegebene Ziel, nämlich die Gewährleistung eines fairen Prozesses, um einiges schwieriger sein. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Angesichts der schockierenden und weltbewegenden Ereignisse vor acht Jahren an der Südspitze Manhattans dürfte es für Staatsanwaltschaft und Verteidigung eine fast unmögliche Aufgabe sein, am Ort des Geschehens New York zwölf Geschworene zu finden, die ohne Unvoreingenommenheit über die Schuld oder Unschuld von Khalid Sheikh Mohammed, Ramzi Binalschibh, Mustafa Ahmed Al Hawsawi, Walid Muhammed Salih Mubarak Bin Attash und Ali Abdul Aziz Ali urteilen können. Hinzu kommt, daß die Staatsanwaltschaft vermutlich alles tun wird, um diejenigen Bürger New Yorks, die eine entweder passive oder aktive Verwicklung der Bush-Regierung in Anschläge vermuten - laut einer Umfrage des angesehenen Demoskopieunternehmens Zogby vom September 2004 waren es 49,3 Prozent -, bei der Geschworenenauswahl auszusortieren.

Ein wichtiger Grund für die Voreingenommenheit der meisten potentiellen Geschworenen dürfte das berühmte Geständnis von Khalid Sheikh Mohammed sein, mit dem sich der Onkel von Ramzi Yousef 2007 gegenüber dem Militärtribunal in Guantánamo Bay damit brüstete, nicht nur die Flugzeuganschläge "von A bis Z" geplant und organisiert, sondern auch 2002 eigenhändig dem Wall-Street-Journal-Reporter Daniel Pearl vor laufender Videokamera die Kehle aufgeschlitzt und ihn umgebracht zu haben. Bereits jetzt zeichnet sich ein rechtlicher Streit darüber ab, ob das Geständnis von KSM beim Prozeß in New York als Beweismittel zugelassen wird. Dagegen spricht, daß der mutmaßliche 9/11-Chefplaner von seiner Festnahme im pakistanischen Karatschi im Frühjahr 2003 bis zu seiner Überstellung in September 2006 nach Guantánamo in irgendwelchen Geheimgefängnissen der CIA im Ausland - die berüchtigten, von Obama gleich nach dem Amtsantritt geschlossenen "black sites" - schwer gefoltert wurde. Er wurde insgesamt 183mal der Wasserfolter - im modernen Jargon spricht man von "waterboarding" - unterzogen. Daher stellt sich die Frage nach der Zuverlässigkeit der Angaben von KSM.

Würde man auf der anderen Seite das von der Bush-Regierung im März 2007 mit großem Tamtam freigegebene, 26seitige KSM-Geständnis als Beweismittel zulassen, könnte es zu einer noch eingehenderen Auseinandersetzung mit diesem dubiosen Dokument kommen. Tatsächlich übernahm KSM nicht nur die Verantwortung für die Planung der Flugzeuganschläge, sondern auch für dreißig weitere geplante oder durchgeführte Großanschläge des Al-Kaida-"Netzwerkes", weshalb im Nachrichtenmagazin Time schon damals der Ex-CIA-Mann und Nahost-Experte Robert Baer das Geständnis als eine Ansammlung von "Übertreibungen und Erfindungen" bezeichnete. Tatsächlich gibt es Anlaß zu der Vermutung, daß KSM so schwer gefoltert wurde, daß er eventuell die Vorwürfe seiner Peiniger verinnerlicht hat, was nicht gerade zu seiner Glaubwürdigkeit beitrüge.

Zuletzt sollte das Militärtribunal in Guantánamo über die geistige Zurechnungsfähigkeit von Ramzi Binalschibh und Mustafa Ahmed Al Hawsawi befinden. Das eigenartige, teilweise autistische Verhalten des früheren Mitbewohners Mohammed Attas in der Harburger Marienstraße und seines Mitgefangenen Al Hawsawi auf Kuba erweckt den Eindruck, daß beide Männer schwere psychologische Schäden aus ihrer Zeit in den geheimen CIA-Foltergefängnissen davongetragen haben. Unter solchen Umständen von Gerechtigkeit zu reden, wie Obama es nach der Erklärung von Justizminister Holder in Bezug auf den erwarteten Ausgang des 9/11- Prozesses getan hat, mutet mehr als seltsam an.

16. November 2009