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USA/1280: Geheimdienstchef James Clapper eckt mit Klartext an (SB)


Geheimdienstchef James Clapper eckt mit Klartext an

Bedrohungen müssen nicht echt, sondern der Ideologie angepaßt sein


In den USA hat man es bei der Leitung der Geheimdienste nicht einfach. Der für die Koordinierung der Arbeit aller 16 US-Geheimdienste verantwortliche Director of National Intelligence (DNI) - von 1947 bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 war der CIA-Chef in seiner damaligen Zusatzfunktion als Director of Central Intelligence (DCI) zuständig - soll die von den ihm unterstehenden Experten gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassen und sie der politischen Führung des Landes vorlegen, damit sie den optimalen politischen Kurs einschlagen kann. Doch gerade an dieser Stelle kommt es häufig zu Problemen, weil der Präsident im Weißen Haus und seine Minister sowie die Volksvertreter im Kongreß ideologische Vorurteile pflegen, an denen sie sich festklammern und denen sie die Welt anzupassen versuchen - statt umgekehrt. Die bekanntesten Beispiele dieses Phänomens sind erstens das angebliche Versagen der CIA, das Ende des Warschauer Paktes und Sowjetunion zu prognostizieren, was sich nur deshalb zutrug, weil die republikanische Regierung Ronald Reagans von einer übermächtigen kommunistischen Bedrohung überzeugt war und nichts Gegenteiliges hören wollte, und zweitens die inzwischen diskreditierte Begründung für den angloamerikanischen Einmarsch 2003 in den Irak, die sich die CIA und ihre Schwesterdienste wegen des enormen Drucks seitens der ebenfalls republikanischen Administration von George W. Bush gegen besseren Wissens aus den Fingern - Stichwort Massenvernichtungswaffen - saugen mußten.

Dieser Tage steht Barack Obamas DNI, James Clapper, heftig in der Kritik, weil er Einschätzungen öffentlich von sich gegeben hat, die im Widerspruch zu der propagandistischen Linie stehen, welche die politische Führung Amerikas den US-Bürgern zu verkaufen versucht. Bei einem Auftritt am 10. März vor dem verteidigungspolitischen Ausschuß des Senats erregt Clapper mit der Feststellung, daß sich im Bürgerkrieg in Libyen die regulären Streitkräfte wegen ihrer logistischen und technischen Überlegenheit gegen die Gegner Muammar Gaddhafis durchsetzen würden, für helle Aufregung. Seit Tagen verlangen einflußreiche Senatoren wie der Republikaner John McCain, der Demokrat John Kerry und der Parteilose Joseph Lieberman von der Obama-Regierung die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen durch das US-Militär. Folglich waren sie überhaupt nicht glücklich darüber, als Clapper die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis setzte, daß Gaddhafis Soldaten nach der Armee Ägyptens über die zweitstärkste Luftabwehr in der Region verfügen und daß Libyen bei einer Fortsetzung oder Verschärfung des dortigen Bürgerkrieges auseinanderbrechen könnte.

Am selben Tag hat Clapper bei einer Befragung durch den Geheimdienstausschuß des Senats die oppositionellen Republikaner und regierenden Demokraten gleichermaßen gegen sich aufgebracht. Auf die Frage des Demokraten Joe Manchin nach den größten "tödlichen Bedrohungen" der nationalen Sicherheit der USA, nannte Clapper unumwunden die Russische Föderation und die Volksrepublik China. Die Antwort löste Kopfschütteln und Widerspruch aus. Der Vorsitzende des Ausschusses, der Demokrat Carl Levin, äußerte sich "verwundert" über die Feststellung Clappers und erklärte, ihm selbst wäre als Antwort auf Manchins Frage die Namen Iran und Nordkorea als erstes eingefallen. Dies überrascht wenig. Schließlich bauscht die außenpolitische Elite in Washington seit Jahren die Nordkoreaner und Iraner zur existentiellen Bedrohung für die USA auf, ungeachtet der Tatsache, daß ersteren zwar primitive Atombomben aber keine Interkontinentalraketen zur Verfügung stehen und letztere weder im Besitz des einen noch des anderen sind. Die fiktiven Bedrohungen aus Teheran und Pjöngjang dienen jedoch als Argument, warum Washington wahre Unsummen für ein Raketenabwehrsystem vom zweifelhaften Wert ausgibt und es im pazifischen und europäischen Raum unbedingt installieren will.

Clappers Einschätzung der tatsächlich existierenden "Todesbedrohungen" für die USA folgte der klassischen und bewährten Leitlinie, wonach man Gefahren nach den militärischen Fähigkeiten gegnerischer Staaten und nicht nach deren diplomatischen Absichtserklärungen beurteilt. Zwar pflegen die USA zu China und Rußland freundschaftliche Beziehungen, doch weil es keine offiziellen Verbündeten sind, könnte sich die Situation vom einem Moment zu anderen ändern. Fakt ist, daß Peking und Moskau über sehr große Armeen und umfangreiche Atomwaffenarsenale verfügen. Sie stellen also eine weitaus größere wirkliche Bedrohung für die USA als die Entwicklungsländer Iran und Nordkorea dar. Das hat Clapper vergeblich versucht, den Herren Senatoren zu erklären, doch zeigten sie sich für seine Ausführungen taub. Am selben Abend hat Lindsay Graham, einer der einflußreichsten Republikaner im Senat, im Interview mit dem Nachrichtensender Fox News von Präsident Obama die Entlassung des angeblich überforderten Clapper verlangt.

12. März 2011