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USA/1334: Die ACLU reicht Klage gegen NSA-Inlandsspionage ein (SB)


Die ACLU reicht Klage gegen NSA-Inlandsspionage ein

Sicherheitsfanatiker eröffnen Hexenjagd auf Snowden und Greenwald



Seit die New York Times im Dezember 2005 die Existenz eines von George W. Bush angeblich in Reaktion auf die 9/11-Flugzeuganschläge genehmigten elektronischen Überwachungsprogramms der National Security Agency (NSA) namens Stellar Wind enthüllte, versuchen Amerikas Bürgerrechtsorganisationen mehr darüber zu erfahren. Hilfe haben sie hierbei von den beiden Whistleblowern Mark Klein und William Binney erfahren. Klein, ein langjähriger Mitarbeiter von AT&T, hat 2006 bekanntgemacht, daß es in einer Fernmeldestation des Telekomriesen in San Francisco eine Schaltstelle gibt, mittels derer die NSA weite Teile des zivilen Nachrichtenverkehrs an der US-Pazifikküste anzapft und abspeichert. Binney, einst ein führender Analytiker und Cryptologe bei der NSA, der zwischenzeitlich verdächtigt wurde, Quelle besagter Enthüllung der New York Times gewesen zu sein, hat 2012 publik gemacht, daß der elektronische Nachrichtendienst der USA mit Sitz in Fort Meade, Maryland, praktisch an alle Formen der Telekommunikation weltweit herankommt und sie speichert.

Beim Versuch, auf juristischem Weg die dunklen Aktivitäten der NSA zu durchleuchten, sind die American Civil Liberties Union (ACLU), das Center for Constitutional Rights (CCR), die Electronic Frontier Foundation (EFF), die Anwälte von "Terrorverdächtigen" in Guantánamo Bay sowie systemkritische Journalisten wie James Bamford und Chris Hedges am Widerstand der von konservativen Richtern dominierten Gerichte sowie am mangelnden Aufklärungswillen der Mehrheit der demokratischen und republikanischen Kongreßabgeordneten und Senatoren in Washington gescheitert. Im Sommer 2008 hat der Kongreß - mit der Stimme des damaligen Senators und Präsidentschaftskandidaten Barack Obama - durch die Verabschiedung des Foreign Intelligence Surveillance Amendment Act (FAA) den illegalen NSA-Lauschangriff nachträglich legitimiert und somit Bush jun. und die daran beteiligten Telekomunternehmen vor rechtlichen Folgen bewahrt. Im Februar dieses Jahres hat der Oberste Gerichtshof mit fünf zu vier Stimmen eine Klage der ACLU und anderer gegen das FAA als unzulässig abgewiesen, weil die Beschwerdeführer aufgrund der extremen Geheimhaltung des Staates nicht endgültig nachweisen konnten, von den Überwachungsmaßnahmen betroffen gewesen zu sein.

Am 11. Juni hat die ACLU quasi in derselben Angelegenheit beim Bezirksgericht für das südliche New York eine neue Klage eingereicht, von der sie sich nun mehr Erfolg verspricht. Anlaß für den Schritt waren die spektakulären Enthüllungen von Edward Snowden. Über den Londoner Guardian hatte der ehemalige CIA- und NSA-Mitarbeiter am 5. Juni eine streng geheime Anweisung an das US-Telekomunternehmen Verizon, über einen Zeitraum von drei Monaten die Verbindungsdaten aller seiner Millionen Kunden der NSA zur Verfügung zu stellen, der Öffentlichkeit präsentiert. Laut Snowden, der sich aus gutem Grund in Hongkong versteckt hält, bekommen alle neun großen US-Telekommunikationsfirmen vierteljährlich solche Briefe zugestellt. Die ACLU ist Kunde von Verizon, also dürfte es den Gerichten diesmal unmöglich sein, ihr ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Frage nach der Rechtmäßigkeit der umstrittenen, weil eventuell illegalen Zusammenarbeit zwischen Telekomindustrie und Geheimdiensten abzusprechen.

Snowdens Gang an die Presse - am 6. Juni machte die Washington Post dank seiner Informationen auch die Existenz des NSA-Programms PRISM, mittels dessen die Online-Aktivitäten aller Kunden der wichtigsten US-Internetfirmen wie Google, Yahoo, Facebook und Skype ebenfalls abgespeichert werden, bekannt - hat die Regierung Barack Obama und den Kongreß in große Erklärungsnot gebracht. Obamas demokratische Parteikollegin Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, behauptet, die US-Legislative werde seit Jahren über das NSA-Überwachungsprogramm, das zum Schutz Amerikas vor "terroristischen" Anschlägen erforderlich sei, informiert. Ihr zufolge sei die Affäre um PRISM et cetera unangebracht. Widerspruch bekommt die schwerreiche Kalifornierin, die ihre politische Karriere nicht zuletzt den großzügigen Spenden der Rüstungsindustrie verdankt, von anderen Mitgliedern des Kongresses, die sich von ihr und der NSA hinters Licht geführt fühlen.

Im Kreuzfeuer der Kritik steht derzeit vor allem der oberste Geheimdienstchef James Clapper. Auf die direkte Frage des Senators Ron Wyden aus Oregon, der zusammen mit dem Parteikollegen Mark Udall in den letzten Jahren vor dem schleichenden Ausbau des Polizeistaates warnt, ob "irgendwelche Daten von Millionen US-Bürgern" von der NSA gesammelt werden, hatte Obamas Director of National Intelligence (DNI) bei einer Anhörung im März mit einem kategorischen "Nein, Sir" geantwortet. Dank der Snowden-Enthüllungen sieht sich Clapper dem Vorwurf ausgesetzt, gegenüber dem Kongreß unter Eid gelogen und ihn damit seiner verfassungsmäßigen Kontrollfunktion beraubt zu haben. Clapper, der als Hauptinitiator des Outsourcing von geheimdienstlicher Arbeit an Privatunterhmen wie seinem - und übrigens Snowdens - früheren Arbeitgeber Booz Allen Hamilton gilt, hat zu seiner Verteidigung in die Trickkiste der Sophisterei gegriffen. Ihm zufolge spricht man bei den 17 US-Geheimdiensten nur von "Sammeln", wenn bestimmte personen- oder vorfallbezogene Daten unter den abgegrasten und in speziellen Server-Parks abgespeicherten Billionen von Datensätzen im Rahmen einer bestimmten Frage oder Ermittlung tatsächlich ausgewertet werden.

In einem Interview mit dem US-Fernsehsender NBC am 9. Juni versuchte Clapper sogar, Wyden für sein eigenes Fehlverhalten verantwortlich zu machen. Er habe sich in dem Moment gefühlt, als hätte der Senator ihm eine provozierende Frage wie "Wann haben Sie aufgehört, ihre Frau zu schlagen" gestellt, und deshalb Wyden die "am wenigsten nicht-wahrheitgetreue" Antwort gegeben, erklärte Clapper. Unterstützung in seiner unverhohlen antidemokratischen Haltung erhält der DNI sowohl von der Obama-Regierung als auch von führenden Kongreßmitgliedern. Gegenüber dem Guardian gab Caitlin Hayden, Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, zu Protokoll: "Der Präsident hat volles Vertrauen in Direktor Clapper und seiner Führung der nachrichtendienstlichen Gemeinde". Im Gespräch mit dem US-Fernsehsender ABC stellte Senatorin Feinstein, die als Ausschußvorsitzende die Oberaufsicht über alle 17 US-Geheimdienste innehat, unmißverständlich fest: "Es gibt keine Person, die in ihrer Art offener oder ehrlicher ist als Jim Clapper".

Unterdessen läuft die Hexenjagd auf diejenigen, die durch die unliebsamen Veröffentlichungen die geheimdienstliche Klüngelei zwischen Weißem Haus, Kongreß und Pentagon, dem die NSA untersteht, offengelegt haben, auf Hochtouren. Gegen Snowden, den Feinstein bereits öffentlich zum Vaterlandsverräter abgestempelt hat, hat Clapper Anzeige wegen der Weitergabe hochgeheimer Regierungsdokumente erstattet und das FBI um entsprechende Ermittlungen gebeten. Der Ex-CIA-Agent und Publizist Robert Baer hat die Verschwörungstheorie in die Welt gesetzt, die Flucht Snowdens nach Hongkong sei eventuell ein Hinweis darauf, daß er zu den kommunistischen Volkschinesen übergelaufen sei.

Bei einem Auftritt beim US-Nachrichtensender CNN am 11. Juni hat Peter King, republikanischer Kongreßabgeordneter aus New York, auch strafrechtliche Konsequenzen gegen Glenn Greenwald gefordert. Der Anwalt und Verfassungsrechtler hatte die ihm von Snowden in Hongkong übergebenen Dokumente im Londoner Guardian, wo er seit einiger Zeit einen Blog über Sicherheitspolitik betreibt, veröffentlicht und kommentiert. Greenwald stammt ursprünglich aus New York, hält sich derzeit jedoch in Brasilien auf. Wahrscheinlich muß er sich auf Repressalien gefaßt machen, wie sie Julian Assange infolge des Publikwerdens der von Bradley Manning an Wikileaks weitergeleiteten diplomatischen Depeschen des Washingtoner State Departments zu erleiden hat. Aus Angst, an die Justizbehörden in den USA ausgeliefert und dort für lange Jahre ins Gefängnis gesteckt zu werden, versteckt sich Assange bekanntlich seit fast einem Jahr in der ecuadorianischen Botschaft in London.

13. Juni 2013