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USA/1336: Edward Snowden hält Washingtons Politelite zum Narren (SB)


Edward Snowden hält Washingtons Politelite zum Narren

NSA-Whistleblower von Hongkong nach Moskau geflüchtet



Sehr zur Verärgerung der Regierung Barack Obamas, die wenige Tage zuvor in Hongkong offiziell die Auslieferung Edward Snowdens an die USA beantragt hatte, ist der ehemalige CIA- und NSA-Mitarbeiter am 23. Juni in eine Aeroflot-Maschine gestiegen und von der ehemaligen britischen Kronkolonie nach Moskau geflogen. Am 24. Juni sollte er angeblich von dort weiter nach Kuba reisen, weswegen zahlreiche Journalisten aus aller Welt denselben Flug nach Havanna buchten. Doch von Snowden war weit und breit nichts zu sehen - weder auf dem für ihn reservierten Sitz noch im Cockpit. Offenbar befand er sich gar nicht in der Maschine. Inzwischen hat Snowden, der sich nun seit fast einer Woche in einem Hotel im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo aufhält, politisches Asyl in Ecuador beantragt. In Washington fühlt sich die Politelite zum Narren gehalten und poltert deshalb in alle Richtungen - gegen Snowden, gegen China und vor allem gegen Rußlands Präsident Wladimir Putin.

In einer Pressekonferenz am 24. Juni erklärte Obamas Pressesprecher Jay Carney, Washington glaube den Hongkonger Behörden, mit denen US-Justizminister Eric Holder drei Tage zuvor in der Snowden-Angelegenheit persönlich telefoniert hatte, nicht, wenn sie nun behaupteten, der Auslieferungsantrag hätte einen "Formfehler" enthalten, weshalb man den flüchtigen Ex-Geheimdienstler nicht habe festsetzen können. Carney machte auch Peking für das Entkommen des meistgesuchten mutmaßlichen "Verbrechers" Amerikas mitverantwortlich, als er sagte, "Die Theorie, wonach China nichts unternehmen konnte, kaufen wir nicht ab." In einer Stellungnahme ließ das Weiße Haus verlautbaren, Pekings "bewußte Entscheidung", Snowden "trotz eines gültigen Haftbefehls" laufen zu lassen, werde "negative Auswirkungen auf das Verhältnis USA-China" haben.

Doch nach den Enthüllungen Snowdens, speziell in Bezug auf die Ausspionierung des chinesischen Internet- und Mobilfunkverkehrs, ist Peking nicht bereit, die Vorhaltungen Washington widerspruchlos hinzunehmen. In einem am 25. Juni erschienenen Leitartikel der Renmin Ribao (Volkszeitung), dem Sprachrohr der kommunistischen Partei, hieß es, China "akzeptiert solcherlei Mißmut und Opposition nicht"; Snowdens "Furchtlosigkeit" hätte die "frömmlerischen" USA "demaskiert". Im Leitartikel der englischsprachigen Global Times, einem Ableger der Renmin Riabo, kritisierte man die Obama-Regierung dafür, gegen "einen jungen Idealisten, der die finsteren Skandale der US-Regierung aufgedeckt hat", eine Hexenjagd zu veranstalten. "Statt sich" - wegen der NSA-Spionage beim Ausland und den eigenen Bürgern - "zu entschuldigen, läßt Washington seine Muskeln spielen, indem es versucht, die ganze Sitation zu kontrollieren." Auch das Verteidigungsministerium in Peking warf der Obama-Regierung, die seit langem die Volksrepublik wegen angeblicher Hackerangriffe anprangert, in einer Stellungnahme am 27. Juni "Heuchelei" und "doppelte Standards" bezüglich des korrekten Umgangs im Internet vor.

Jedenfalls haben die spektakulären Nachrichten, Snowden sei nach Moskau aufgebrochen, und die Aussage von Putins Pressesprecher Dmitri Peskow, Rußland werde gegebenfalls einen Asylantrag des 30jährigen Staatenlosen überprüfen, in den USA die alten Kalter-Krieg-Reflexe ausgelöst. Bei einem Auftritt in der CNN-Sendung "State of the Union" gab sich der einflußreiche und langjährige Senator aus New York, Chuck Schumer, "erzürnt" über die jüngste Entwicklung und warf, natürlich ohne jegliche Beweise vorzulegen, Putin persönlich vor, "Snowdens Flucht unterstützt" zu haben. "Verbündete sollten sich gegenseitig aufrichtig behandeln. Doch Putin scheint fast darauf erpicht zu sein, stets den USA eins auszuwischen, sei es in Syrien, dem Iran oder jetzt mit Snowden. So sollten sich Verbündete nicht gegenseitig behandeln, und ich denke, daß dies schwerwiegende Konsequenzen für die USA-Rußland-Beziehungen haben wird."

Putin wiederum zeigt sich unbeeindruckt von den Anfeindungen im Kongreß und den Forderungen der Regierung Obama nach Aushändigung Snowdens. Weil sich der ehemalige Geheimdienstler formell im internationalen Niemandsland befindet, behauptet der Kreml-Chef, die russischen Behörden können nichts zu seiner Ergreifung unternehmen. Am 27. Juni vertrat der Vorsitzende des Menschenrechtsrats des russischen Präsidentenamts, Mikhail Fedotow, gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax den Standpunkt, Snowden sei in erster Linie ein politisch Verfolgter, Moskau werde einen Asylantrag, sollte er ihn stellen, wohlwollend prüfen. Möglicherweise kommt es noch dazu. Die Ecuadorianer gehen inzwischen zu Snowden auf Distanz, angeblich aus Sorge, Wikileaks-Chef Julian Assange, der sich selbst seit einem Jahr in Quitos Botschaft in London aus Angst vor der Auslieferung an die USA versteckt, würde das Geschehen zu sehr bestimmen. Schließlich hatte Wikileaks Snowdens Flucht aus Hongkong organisiert und finanziert.

29. Juni 2013