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USA/1359: Obama will vom Kongreß Kriegsermächtigung gegen den IS (SB)


Obama will vom Kongreß Kriegsermächtigung gegen den IS

Ruft Washington demnächst einen zweiten "globalen" Krieg aus?


Nach wochenlangen zähen Verhandlungen hinter den Kulissen haben sich das Weiße Haus und führende Kongreßvertreter offenbar auf den Wortlaut eines Gesetzes geeinigt, das den Präsidenten ermächtigt, gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS), die weite Teile Syriens und des Iraks unter seiner Kontrolle hat und deren Anführer Abu Bakr Al Baghdadi dort im vergangenen Juni das Kalifat ausgerufen hat, Krieg zu führen. Über die Einigung zwischen Barack Obama, den Anführern der republikanischen Opposition sowie seiner eigenen demokratischen Partei im Kongreß berichtete als erstes Presseorgan die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg am 10. Februar. Am darauffolgenden Tag hat der Präsident den Gesetzestext dem Repräsentantenhaus und dem Senat schriftlich zukommen lassen.

Seit September 2014 führen die USA eine multinationale Anti-IS-Koalition an. US-Kampfjets fliegen unablässig Luftangriffe auf Ziele der salafistischen "Terrormiliz" im Irak und Syrien. Das Pentagon hat bereits 2600 Militärs in den Irak entsandt, wo sie die irakischen Streitkräfte ausbilden, vom Boden aus die Luftangriffe koordinieren oder als Militärberater bzw. Spezialstreitkräfte an den Kampfhandlungen teilnehmen. Obama argumentiert, daß die bisherigen Militäroperationen gegen den IS durch die Ermächtigung für den Krieg gegen Al Kaida, die "Authorization for Use of Military Force" (AUMF), die der Kongreß drei Tage nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 mit überwältigender Mehrheit verabschiedet hat, gedeckt sind.

Die Anwendung der AUMF im Falle des IS ist umstritten. Das ursprüngliche Gesetz galt allen, die in das 9/11-Komplott verwickelt waren, die daran Beteiligten unterstützten oder mit ihnen verbündet sind. Ob dies auf den IS zutrifft, daran scheiden sich die Geister. Zwar ging der IS aus Al Kaida im Irak, die ab 2004 unter der Führung von Musab Al Zarkawi gegen die britischen und amerikanischen Besatzungstruppen im Zweistromland kämpfte, hervor. Doch im letzten Frühjahr ist es zum formellen Bruch zwischen dem IS, der damals noch Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) hieß, und Al Kaida gekommen. Dem lagen persönliche Rivalitäten sowie Meinungsunterschiede zwischen Al Baghdadi und Osama Bin Ladens Nachfolger als Al-Kaida- Chef, Aiman Al Zawahiri, bezüglich der militärischen Strategie sowie der Auslegung des Korans in Fragen der Anwendung von Gewalt sowie der Behandlung von Zivilisten und Kriegsgefangenen zugrunde.

Obama vertritt den Standpunkt, daß die AUMF von 2001 auf den IS anwendbar ist und er als Oberbefehlshaber der Streitkräfte deshalb nicht zwangsläufig eine neue Kriegsermächtigung braucht. Dennoch will er den Feldzug gegen den IS auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen, die breite Unterstützung des Kongresses genießen soll. Und da beginnen die Probleme. Die oppositionellen Republikaner, die in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit haben, wollen ein Gesetz verabschieden, das zeitlich unbegrenzt ist und Obama sowie dessen Nachfolger(n) größtmöglichen Handlungsspielraum gewährt. Obamas demokratische Parteifreunde dagegen wollen dem Einsatz sowohl zeitlich - von drei Jahren ist die Rede - als auch von der Art her - keine Dauerstationierung von Bodentruppen im Ausland - enge Grenzen setzen.

Die beiden Varianten schließen sich eigentlich wechselseitig aus. Ließe sich Obama auf die Vorstellung republikanischer Kriegsfalken wie John McCain und Lindsey Graham - Senatoren aus Arizona und South Carolina - ein, bekäme er ein weitgefaßtes Gesetz von beiden Häusern des Kongresses verabschiedet. Doch vermutlich würde eine Mehrheit der Demokraten gegen den Entwurf stimmen, was für Obama peinlich wäre. Nähme er zuviel Rücksicht auf die Bedenken der eigenen Parteikollegen, könnte das enggefaßte Gesetz am Widerstand der Republikaner scheitern. Also versucht Obama, mit dem ausgearbeiteten Text gleichzeitig beide Seiten zu befriedigen. Bei einem Auftritt am 11. Februar im Weißen Haus versprach der Präsident, es ginge ihm nicht darum, die USA in einen "weiteren, langen Bodenkrieg im Nahen Osten" zu verwickeln, denn so etwas wäre nicht gut. Gleichzeitig wolle er "andauernde, offensive Bodenkampfoperationen" nicht ausschließen. Darunter versteht Obama nach eigenen Angaben Einsätze der US-Spezialstreitkräfte gegen IS-Führungspersonen, geheimdienstliche Tätigkeit im Feindesgebiet, Bodenunterstützung für Luftangriffe sowie die beratende Unterstützung der Bodenstreitkräfte verbündeter Staaten. Alle drei Jahre soll der Kongreß über die neue AUMF abstimmen.

Daß dem Rechtsgelehrten Obama mit seiner Gratwanderung zwischen Republikanern und Demokraten die Quadratur des Kreises zu gelingen scheint, hat auch die New York Times erkannt. Gegen Ende eines Artikels der Ausgabe der einflußreichsten Zeitung der Welt vom 12. Februar mit der Überschrift "Obama's Dual View of War Power Seeks Limits and Leeway" ("Obamas doppelte Sicht der Kriegsermächtigung strebt zugleich Grenzen und Spielraum an") findet man zu Obamas Ausführungen folgenden Satz: "Politiker und Anwälte erklärten, die Formulierung 'andauernde offensive Bodenkampfoperationen' sei genauso vage wie das erklärte Angriffsziel - der Islamische Staat und 'ihm nahestehende Personen oder Kräfte' - und erlaube daher viele Einsatzmöglichkeiten."

Bei Militarismuskritikern in den USA schrillen bereits die Alarmglocken. Adam Schiff, liberaler Kongreßabgeordneter der Demokraten aus Kalifornien, und der libertäre Ex-Kongreßabgeordnete Ron Paul aus Texas, der zugleich Vater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Senator Rand Paul aus Kentucky und Ikone der Tea-Party-Bewegung ist, werfen Obama nun vor, mit schwammigen, dehnbaren Begriffen die Ermächtigung für einen Krieg einholen zu wollen, der keinerlei Grenzen, was Gegner, Ort oder Zeit betrifft, kennt. Bruce Ackerman, Professor für Jura und Politikwissenschaft an der Yale Universität und Autor des Buchs "The Decline and Fall of the American Republic", hat in einem ebenfalls am 12. Februar in der New York Times erschienenen Gastkommentar dringend davor gewarnt, daß die Formulierung "nahestehende Personen oder Kräfte" Eingang in die neue Kriegsermächtigung findet. Sollte dies geschehen, würde Obama am Ende seiner Amtszeit als Präsident im Januar 2017 seinem Nachfolger zwei endlose Kriege - neben dem bereits mehr als 13 Jahren gegen Al Kaida laufenden den neuen gegen den IS - überlassen, so Ackerman.

16. Februar 2015


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