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USA/1360: Obamas Annäherung an den Iran bringt Netanjahu in Rage (SB)


Obamas Annäherung an den Iran bringt Netanjahu in Rage

Israels Premierminister will Lösung im Atomstreit unbedingt verhindern


Allen Ermahnungen seitens gemäßigter Vertreter der jüdischen Gemeinde in den USA zum Trotz hält Benjamin Netanjahu an seinem Konfrontationskurs gegenüber der Regierung von Präsident Barack Obama fest. Den Vorschlag, auf seine bevorstehende Rede vor beiden Häusern des Kongresses am 3. März zu verzichten, hat Israels Premierminister kategorisch abgelehnt. Auch den Vorwurf, mit einem kämpferischen Auftritt in Washington zwei Wochen vor den Knessetwahlen am 17. März wolle er vor allem die Bürger Israels zu seinen eigenen Gunsten beeinflussen, um sich eine weitere Amtszeit als Regierungschef zu sichern, läßt er nicht gelten. Er sei verpflichtet, der Einladung John Boehners, des Anführers der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, zu folgen, um die amerikanische Öffentlichkeit und die Welt vor einer sich anbahnenden diplomatischen Lösung des Atomstreits zwischen den USA und dem Iran zu warnen, weil diese die Existenz Israels bedrohe, so die Begründung Netanjahus.

Seit Obama den israelischen Premierminister am 12. Januar telefonisch darüber in Kenntnis setzte, daß Washington zur Beilegung des jahrelangen Atomstreits mit Teheran den Weiterbetrieb von fast 10.000 iranischen Zentrifugen zur Anreicherung von Uran akzeptieren werde, spielt sich Netanjahu als Verbalrambo auf. Mittels seiner besonderen Beziehungen zur republikanischen Führung in den USA hat er am 20. Januar die Einladung zum Auftritt vor dem Kongreß erwirkt. Seit Bekanntwerden der geplanten Rede verschlechtern sich die amerikanisch-israelischen Beziehungen mit jedem Tag. Viele Medienkommentatoren sowie laut Umfragen eine Mehrheit der US-Wähler steht den jüngsten Eskapaden Netanjahus kritisch gegenüber. Sie sehen darin eine unzulässige Einmischung eines ausländischen Staatsmannes in den laufenden Streit zwischen Demokraten und Republikanern um die richtige Iran-Politik und verdächtigen ihn, das Parlament der USA zu eigenen Wahlkampfzwecken mißbrauchen zu wollen.

Angeblich ist man im Weißen Haus und im State Department derart verärgert über die Versuche der konservativen israelischen Regierung, den sich anbahnenden Atomdeal zwischen Washington und Teheran zu torpedieren, daß man Tel Aviv nicht mehr alle Einzelheiten der laufenden Verhandlungen mitteilt. Anlaß zu der Entscheidung in Washington, den Israelis künftig nur noch eingeschränkte Informationen darüber zukommen zu lassen, soll die Erkenntnis gewesen sein, die Netanjahu-Regierung hätte in den vergangenen Monaten Details der Verhandlungen in verfälschter Form der Presse zugespielt, um die amerikanisch-iranische Annäherung zu sabotieren. Dies berichtete der Journalist David Ignatius, dessen Kontakte zur politischen Elite in der US-Hauptstadt legendär sind, am 12. Februar in seiner wöchentlichen Kolumne bei der Washington Post.

Ungeachtet des Dementis von Alastair Baskey, dem Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in Weißen Haus, scheint die Nachricht von erheblichen Störungen im Kommunikationskanal zwischen Washington und Tel Aviv der Wahrheit zu entsprechen. Nachdem der israelische Fernsehsender Channel 2 die Angaben von Ignatius bestätigt hatte, wußte am 18. Februar die New York Times unter Verweis auf nicht namentlich genannte europäische Diplomaten, die an den Verhandlungen der P5+1 - der fünf ständigen UN-Vetomächte China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, die USA plus Deutschland - mit dem Iran teilnehmen, Brisantes zu berichten. Unter der Überschrift "Chill Bedevils U.S. and Israel in Iran Talks" war zu lesen, daß Wendy Sherman, dritthöchste Vertreterin des US-Außenministeriums und Obamas Chefunterhändlerin im Atomstreit, die Europäer davor warnte, "den Israelis zuviel zu berichten, weil die Details benutzt werden könnten, um einen Deal zu unterminieren". Darüber hinaus sei Außenminister John Kerry, der rund alle zwei Wochen mit seinem iranischen Amtskollegen Javad Scharif zusammentrifft, "wegen israelischer Lecks außer sich", so NYT-Reporter David Sanger.

Am 22. Februar kamen Kerry und Scharif in Genf erneut zusammen. An der Unterredung nahmen erstmals Obamas Energieminister Ernest Moniz, in dessen Zuständigkeitsbereich die US-Atomwaffenlabore Lawrence Livermore und Sandia liegen, und Ali Akbar Salehi, der Chef der iranischen Atomenergiebehörde, teil. Die Anwesenheit dieser beiden Herren deutet auf den Willen hin, die komplizierten technischen Aspekte eines Abkommens zur Zufriedenheit beider Seiten zu regeln. Unbestätigten Berichten zufolge sind die USA bereit, die Anreicherung von Uran im Iran zu akzeptieren, solange dies mit den alten bereits installierten, aber leistungsschwachen und nicht den hochmodernen, noch nicht in Betrieb genommenen Zentrifugen erfolgt und solange das angereicherte Uran nicht in der Islamischen Republik bleibt, sondern zwecks Verarbeitung zu Brennstäben für zivile Kraftwerke nach Rußland exportiert wird.

Eine solche Regelung würde seitens der USA und der restlichen P5+1 die Anerkennung des Rechts des Irans als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags auf den technologischen Zugang zum kompletten Kreislauf der Kernenergie bedeuten. Gleichzeitig wären Bedingungen vereinbart worden, denen zufolge der Iran nach einem eventuellen Austritt aus dem Nicht-Verbreitungsvertrag mindestens neun bis zehn Monate benötigte, um sich genug hochangereichertes Uran zum Bau eines Atomsprengkopfes anzulegen. Auf diese Weise soll den USA genügend Zeit gewährleistet werden, um entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen bzw. in die Wege zu leiten. Für Netanjahu ist jedoch eine solche Lösung mit Augenmaß völlig inakzeptabel, weil der Iran dadurch zum De-Facto-Atomstaat wird. Doch selbst bei einem "Ausbruch" Teherans aus dem Atomwaffensperrvertrag würde der Iran für Israel mit seinen geschätzten 200 bis 300 Nuklearwaffen und die USA mit ihren rund 1.500 keine ernsthafte Bedrohung darstellen. Umgekehrt würde der Besitz der einen oder anderen Atombombe die Sicherheit des Irans um kein Jota verbessern, sondern sie im Gegenteil massiv gefährden. Darum wird Netanjahu mit seiner ständigen Beschwörung der iranischen Atombedrohung immer weniger ernst genommen und fast nur noch belächelt.

23. Februar 2015


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