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USA/1361: Urteil zu Netanjahus Kongreßrede fällt negativ aus (SB)


Urteil zu Netanjahus Kongreßrede fällt negativ aus

Israels Premierminister macht sich in den USA zunehmend unbeliebt


Mit seinem jüngsten Auftritt vor dem Kongreß in Washington am 3. März ist Benjamin Netanjahu nach Winston Churchill erst der zweite ausländische Politiker, dem die Ehre zuteil wurde, dreimal vor beiden Häusern des amerikanischen Parlaments - Repräsentantenhaus und Senat - zu sprechen. Doch der Vergleich mit dem größten britischen Staatsmann des 20. Jahrhunderts fällt für den israelischen Premierminister wenig schmeichelhaft aus. Churchill hat Großbritannien immerhin in zwei Weltkriegen zum Sieg geführt und mehr als vierzig Jahre lang das Weltgeschehen entscheidend mitgeprägt. Netanjahu dagegen hat durch den Raub palästinensischen Bodens, Militäroffensiven gegen den Gazastreifen und sein permanentes Nein zu einem Frieden mit den arabischen Nachbarstaaten den Staat Israel in Mißkredit gebracht. Ihm haben die Israelis es zu verdanken, daß das Ansehen ihres Landes in den USA so niedrig ist wie noch niemals zuvor.

Die Rede Netanjahus war aus zwei Gründen hochumstritten. Zum einen, weil die Einladung dazu vom Anführer der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, John Boehner, ohne Absprache mit dem Weißen Haus erfolgt war und zum anderen, weil der Anführer der Likud-Partei den Auftritt benutzen wollte, um die derzeit angestrebte Verhandlungslösung im Atomstreit der USA mit dem Iran zu verdammen. In den amerikanischen Medien sowie seitens der Demokraten war Netanjahu bereits im Vorfeld vorgeworfen worden, sich auf unzulässige Weise in die Außenpolitik der USA einzumischen. In der israelischen Öffentlichkeit herrschte währenddessen die Ansicht vor, der Premierminister versuche mit der Kongreßrede und der offenen Kritik an US-Präsident Barack Obama im Wahlkampf Punkte zu sammeln (am 17. März findet die Knesset-Wahl statt).

Seit langem bauscht Netanjahu die angeblich vom Iran für Israel ausgehende Bedrohung auf. Bereits 1993 warnte der junge Knesset-Abgeordnete in einem Gastartikel für die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth davor, das "Mullah-Regime" in Teheran würde bereits 1999 in den Besitz der Atombombe gelangen. Rund eine Woche bevor Netanjahu seine jüngste Reise in die USA antrat, war bekanntgeworden, daß seine Alarmrufe vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 2012 bezüglich der drohenden Entstehung einer Atommacht Iran völlig an den Haaren herbeigezogen waren und sich schon damals nicht mit den Erkenntnissen des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad decken ließen. Diese Peinlichkeit hat den ehemaligen Elitesoldaten jedoch nicht daran gehindert, erneut auf dem Kapitol zu erscheinen und das iranische Schreckgespenst in den grellsten Farben auszumalen.

Ungeachtet der Tatsache, daß der sich abzeichnende Vertrag zwischen Teheran und der P5+1-Gruppe - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, die USA plus Deutschland - strenge Kontrollen aller iranischen Nuklearanlagen und eine Begrenzung der Urananreicherungskapazität der Islamischen Republik vorsieht, setzte Netanjahu den Deal mit einem tödlichen Schlag gegen die weltweite Nicht-Verbreitung von Atomwaffen gleich. Er stellte den Iran auf die gleiche Stufe wie die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) und behauptete, die Iraner seien in den vergangenen Jahren zur herrschenden Kraft in Beirut, Damaskus, Bagdad und Sanaa geworden. So, als handelte es sich beim Iran um ein Ungeheuer à la Godzilla, erzählte Netanjahu, der Iran "fresse" die Nachbarstaaten auf. "Irans Marsch der Eroberung, der Unterwerfung und des Terrors" müsse gestoppt werden, erklärte Netanjahu und drohte, Israel - dessen Streitkräfte über mehr als 200 Atomsprengköpfe verfügen - würde dies auch allein erledigen, wenn die USA nicht mitmachten. Israel sei gegebenenfalls bereit, "allein" zu handeln, so Netanjahu.

In den USA sind die Reaktionen auf die Rede größtenteils negativ ausgefallen. Im Kongreß haben die Republikaner und ein Teil der Demokraten die Worte des israelischen Gastes 25mal mit stehenden Ovationen gewürdigt. Doch Vizepräsident Joe Biden, der auch Präsident des Senats ist, ein Viertel der demokratischen Kongreßabgeordneten und acht Senatoren aus Obamas Partei sind der Rede demonstrativ ferngeblieben -ein Novum in der Geschichte solcher Anlässe. In einem Leitartikel der tonangebenden New York Times hieß es, Netanjahus Beschreibung der großen iranischen Gefahr sei "nicht überzeugend". Nancy Pelosi, Anführerin der demokratischen Minderheit im Repräsentantenhaus, warf Netanjahu vor, "die Intelligenz" der USA beleidigt zu haben, als wüßte er besser als die Führung in Washington, wie Amerikas Sicherheit und seine Interessen im Nahen Osten am besten zu gewährleisten seien.

Nach der Rede gab es bei Twitter eine lebhafte Debatte um das Verhalten Rand Pauls während des Auftritts Netanjahus. Der junge Senator aus Kentucky, derzeit der führende Bewerber um die Nominierung zum republikanischen Kandidaten für die Präsidentenwahl 2016, fiel im Sitzungssaal durch seinen gelangweilten Gesichtsausdrucks und seinen müden Applaus für Netanjahu auf. Paul, der ein Ende des militärischen Abenteurertums der USA im Ausland fordert, gilt aus Sicht der republikanischen Führung, die stets als Erfüllungsgehilfe der US- Rüstungsindustrie agiert, als Störfaktor, genießt dafür um so mehr Zuspruch bei der Basis der Grand Ol' Party (GOP). Der Sohn von Ron Paul, dem ehemaligen Kongreßabgeordneten aus Texas und Galionsfigur der Tea-Party-Bewegung, weiß um die Kriegsverdrossenheit des amerikanischen Volkes. Ihm dürfte auch nicht entgangen sein, daß sich laut Umfragen eine deutliche Mehrheit der US-Bürger eine diplomatische Lösung im Atomstreit mit dem Iran wünscht und den entsprechenden Kurs von Obama und seinem Außenminister John Kerry gutheißt. Folglich dürfte Netanjahus große Iran-Rede kaum außenpolitische Wirkung erzielen. Ob sie seiner Likud-Partei dazu verhilft, die Knesset-Wahl zu gewinnen, wird man in zwei Wochen erfahren.

5. März 2015


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