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BERICHT/076: "Die Antisemitismus-Falle" ... Gesinnungsverdacht gegen Linke (SB)

Antisemitismus-Falle - Hexenprobe - © 2011 by Schattenblick

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Vortrag und Diskussion der AKL Hamburg am 30. November 2011

"Linker Antisemitismus" - das riecht nicht nur nach Antikommunismus, das wirkt sich auch so aus. Im Grundsatz miteinander unvereinbar postulieren die beiden Elemente dieser Begriffspaarung eine höhere Ordnung des Bösen, eine sich emanzipatorisch nur maskierende, im Kern um so perfidere Form des Judenhasses. Um diese Waffe im politischen Kampf scharf machen zu können, bedarf es einer erheblichen Abstraktionsleistung, müssen doch zahlreiche Widersprüche aus dem Weg geräumt werden, bevor die reine Essenz des Gesinnungsverdachts ihr zerstörerisches Werk vollbringen kann.

Was tun mit jüdischen Antizionisten? Wem der "selbsthassende Jude" eine zu triviale psychologistische Erklärung ist, der versetzt den Antisemitismus vollends auf die nebligen Gipfel einer Ideologiekritik, die zu erreichen derart strapaziös ist, daß man sich dort im kleinen Kreis der Eingeweihten auch als nichtjüdischer Deutscher endlich einmal über Juden erheben kann. In der Ferne, von wo aus die Schmerzen und Leiden staatlicher Aushungerungs-, Besatzungs- und Kriegspolitik nicht mehr auszumachen sind, kann sich der von kreatürlichen Widersprüchen unbefleckte Geist ungestört der Freude widmen, die ideologischen Dispositive und ontologischen Kategorien durcheinanderzuwirbeln, um diejenige Ordnung der Dinge entstehen zu lassen, die den eigenen Interessen am meisten zupaß kommt. Sekundärer und struktureller Antisemitismus oder verkürzte Kapitalismuskritik - mit Vorwürfen wie diesen wird gegen Menschen zu Felde gezogen, die die Subjektivität unteilbarer Leidenserfahrung und verläßlicher Solidarität gegen die unbestreitbare Objektivität gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Gewaltverhältnisse in Stellung bringen. Wo im ersten Schritt die Distanzlosigkeit des Streits gewählt wird, besteht die Gefahr revolutionärer Veränderung, der, das walte welcher Gott, welcher Glauben und welche Wahrheit auch immer, zugunsten der eigenen Vorteilnahme Einhalt geboten werden muß.

Wie umgehen mit einem jüdischen Staat, der schon mit dieser Definition im Widerspruch zu jeder egalitären Gesellschaftsordnung steht, in dessen Regierung Minister sitzen, deren rassistische Einstellung dieselbe Regierung im Falle anderer Staaten zum Anlaß scharfer Proteste nähme, der sich seit Jahrzehnten die Mißachtung völkerrechtlicher Forderungen leistet, der seine Nachbarn mit Krieg überzieht und eine ganze Bevölkerung auf kolonialistische Weise unterdrückt? Die Diffamierung jeglicher dagegen gerichteten Kritik erfolgt, gerade weil es überreichlich Anlaß dazu gibt, mit Hilfe eines aggressiven Gesinnungsverdachts, der die Verkehrung von Opfer und Täter zwingend voraussetzt. Der konventionell wie atomar hochgerüstete, mit Sicherheitsgarantien der größten Militärmacht der Welt und ihrer Verbündeten ausgestattete Staat Israel nimmt die Rolle des welthistorischen, durch den Holocaust verifizierten Opfers ein. Dies erfolgt völlig ungeachtet dessen, daß die Vernichtung der europäischen Juden an Menschen vollzogen wurde, die einer mörderischen Staatsgewalt ausgeliefert waren, ohne auch nur über annähernd vergleichbare Mittel zu verfügen, sich gegen ihre Mörder zur Wehr zu setzen. Die daraus zu ziehende Konsequenz, Staat und Kapital der grundsätzlichen Kritik des ihnen innewohnenden Potentials zur faschistischen Eskalation zu unterziehen, würde den Opfern des Holocaust zweifellos gerecht, wird jedoch in keiner Weise von den Nutznießern ihrer Leiden auch nur erwogen. Nur so ist es möglich, Palästinensern, Arabern und Muslimen eine aus bloßem rassistischen Haß gespeiste Vernichtungsabsicht zu unterstellen, die, selbst wenn sie tatsächlich gegeben wäre, in keinerlei Verbindung zur eigenen Gewaltpraxis stehen darf.

Wie also können Linke Antisemiten sein? Auf eben die Weise, daß Theorie und Praxis dissoziativ gegeneinanderlaufen, um ersterer Deutungshoheit über letztere, die Subjektivität des Aufbegehrens gegen jegliche Herrschaft, zu verschaffen. Im Kern handelt es sich um eine mit den medialen und institutionellen Mitteln desjenigen Systems, das vorgeblich zu überwinden ist, ausgebaute und vorgetragene Strategie des Konters. Wo die linke Positionierung gegen Ausbeutung und Unterdrückung mit Hilfe der Volte, eben diesem Kampf liege eine antisemitische Einstellung zugrunde, gegen sich selbst gekehrt wird, könnte nicht wirksamer für den Schutz herrschender Verhältnisse gesorgt werden. Die dabei in Anspruch genommene Überlegenheit weißer Urteilskraft, mit der das Verhalten nichtweißer Bevölkerungen als vormodern und patriarchalisch disqualifiziert wird, ohne die Hypothek eigener kolonialistischer und männlicher Suprematie bewältigt zu haben, trägt zur Immunisierung gegen jegliche Kritik an der eigenen Verwicklung in Dominanzdispositive maßgeblich bei. Der objektive Ertrag des Anwurfes "linker Antisemitismus" belegt seinen instrumentellen Charakter, ist die innere Zerrissenheit der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Linken, die weitgehende Immobilisierung ihrer Kampffähigkeit und die Zersetzung linken Selbstverständnisses durch sich als links ausweisende Parteigänger imperialistischer Kriege und Apologeten kapitalistischer Akkumulationsstrategien doch zu einem Gutteil auf eine Ideologiekritik zurückzuführen, die vom zentralen, die Welt mehr denn je erschütternden sozialen Konflikt nichts wissen will.

Etappen linker Selbstaufgabe

Dem Anwurf des "linken Antisemitismus", immerhin eine der schwersten Bezichtigungen im politischen Diskurs der Bundesrepublik, wurde innerhalb der Partei die Linke noch im ersten Jahr ihres Bestehens der Boden bereitet. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, versuchte bereits in der PDS, von ihm unter dem abfälligen Begriff "dogmatische Linke" subsumierte Positionen kommunistischer und antiimperialistischer Art zu marginalisieren. In einem am 14. April 2008 auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum 60. Jahrestag der Gründung Israels gehaltenen Vortrag, der der "Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel" gewidmet war, vollzog er die Abkehr von einer angeblich einseitigen Solidarisierung mit dem Befreiungskampf der Palästinenser zugunsten eines Bekenntnisses zur "Solidarität mit Israel".

Diese als Bestandteil deutscher "Staatsräson" anzuerkennen verschaffte der israelischen Besatzungspolitik eine Legitimität, die durch Gysis Mahnung, "dass das Völkerrecht auch von Israel respektiert werden sollte und muss", nicht ernsthaft gefährdet wurde. Darüber hinaus unterzog er die Haltung der Linken zum Krieg einer gründlichen Remedur. Ausgerechnet unter Verweis auf den preußischen Militärtheoretiker Carl von Clausewitz wollte er die Genossinnen und Genossen von einem weniger konfrontativen Umgang mit dem Thema überzeugen:

"Anstatt eine Konfliktpartei als einsamen Akteur mit eindeutig festgelegten Präferenzen aufzufassen, muss ein realistisches Bild des Krieges den hohen Grad an Komplexität eines gewaltsamen Konflikts erfassen. Alles andere wäre naiv." [1]

Dies im Kontext des Nahostkonflikts zu postulieren bedeutete nichts anderes, als das konstitutive Gewaltverhältnis zwischen Israelis und Palästinensern zu negieren. Es handelt sich eben nicht um einen Konflikt, von dem beide gleichermaßen betroffen wären, so daß beide unter der gleichen Bringschuld zu seiner Beendigung ständen. Unter der von Gysi in Anspruch genommenen Äquidistanz leiden allein die massiv benachteiligten Palästinenser, während die Suggestion, beide Konfliktparteien befänden sich bereits auf Augenhöhe, einen wichtigen politischen Aktivposten der weit überlegenen Israelis darstellt.

"Realistisch" zu sein kann als Chiffre dafür verstanden werden, entschiedenes Eintreten für Ausgebeutete und Unterdrückte zugunsten einer pflegeleichteren systemintegrativen Indifferenz aufzugeben. Wer Position für die Geschlagenen und Getretenen, für die Schwachen und Ohnmächtigen bezieht, kann in einer Welt, in der die Maßgaben und Verfahrensweisen der Starken und Satten den Ton angeben, gar nicht anders als parteiisch argumentieren. Wer sich nicht angreifbar machen und dem Vorwurf, er handle unsachlich, voreingenommen, einseitig und subjektiv, aussetzen will, der ist allerdings gut beraten, sich der Definitionshoheit der Herrschenden zu beugen. Wo kolonialistische und imperialistische Gewalt auf die Zerstörung der Subjektivität aus ist, weil Widerstand gegen Unterdrückung und Ausbeutung autonomes Denken voraussetzt, ist die postulierte Wirklichkeit von vornherein als Ausdruck herrschender Interessen in Frage zu stellen. Dementsprechend larviert die von Gysi in Anspruch genommene "Komplexität" den einfachen Sachverhalt, daß kein Mensch den Stiefel eines anderen im Gesicht verspüren möchte.

Bei seinem Versuch, das Legitimationskonstrukt der "Staatsräson" für die Linke fruchtbar zu machen, trat Gysi ganz offen für die Affirmation herrschender Verhältnisse ein:

"Ich halte den Gebrauch des Ausdrucks Staatsräson schon für statthaft - einfach als Anerkennung dessen, dass es Vorrangstellungen in der Abwägung von Rechtsgütern gibt, die beeindruckt sind von den tatsächlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen einer Gesellschaft." [1]

Mit der Aufwertung dieses dezisionistischen Anspruchs aus dem Arsenal autoritärer Staatlichkeit artikulierte der Fraktionsvorsitzende der Linken die Bereitschaft seiner Partei, den Pakt mit der Staatsmacht auch unter Anerkennung der sie bestimmenden Bedingungen zu vollziehen. Die damit eingeleitete Negation des grundsätzlich herrschaftskritischen und antiimperialistischen Potentials der Linken erfolgte nicht von ungefähr im Kontext einer internationalen Konfliktkonstellation, an der sich bis heute nicht nur die Geister scheiden, sondern auch Kriege entzünden.

Sich dagegen zu stellen bleibt nicht unvergolten, wie die in Frequenz wie Schärfe zunehmenden Antisemitismusvorwürfe gegen die Linkspartei dokumentieren. Im Mai 2011 kulminierten die Versuche der einzigen im Bundestag vertretenen Partei, die noch linke Kernforderungen erhebt, in einer breit orchestrierten Kampagne. Als könnte die Parteinahme der Bundesregierung für einen Aggressor kein Wässerchen trüben, wurde der Linken die Parteinahme für dessen Opfer als Gesinnungsdelikt angelastet. Was sich fast nahtlos an die der Linken bereits zum Schaden gereichende Kommunismusdebatte vom Januar um einen Beitrag Gesine Lötzschs in der jungen Welt anschloß, war ohne weiteres als nächste Austreibung des antikommunistischen Exorzismus zu erkennen.

Daß diese Kampagne trotz der offenkundigen Irrationalität des gegen Linke gerichteten Antisemitismusvorwurfes ihre Wirkung nicht verfehlte, ist die eigentliche Tragik der Demontage ihrer Ideale. Sie wird auch aus der Partei selbst heraus betrieben, um die noch verbliebenen Ecken und Kanten dissidenter Politik im parlamentarischen Getriebe so rund zu schleifen, daß auch diese Fraktion nämlicher Staatsräson zur Verfügung steht. In einer auf Verlangen der Regierungsparteien abgehaltenen Aktuellen Stunde im Bundestag am 25. Mai wurde die Fraktion der Linkspartei zum Ziel einer inquisitorischen Bezichtigung, für deren Erfolg nicht zuletzt die Sachwalter dieses Anwurfes innerhalb der Linkspartei selbst verantwortlich zeichnen. Gregor Gysi bietet sich zwar aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung dafür an, diese Entwicklung an seiner Person exemplarisch nachzuzeichnen. Es wäre jedoch übertrieben, ihn als maßgeblichen Urheber der Strategie darzustellen, den Antisemitismusvorwurf für innerparteiliche Machtkämpfe zu instrumentalisieren. Seine Funktion in dieser Debatte scheint eher die eines Moderators konfligierender Strömungen zu sein, wobei allerdings der für gesellschaftlichen Erfolg aussichtsreicheren Position schnell der Vorzug gegeben wird.

Am 7. Juni wurde mit dem Fraktionsbeschluß "Entschieden gegen Antisemitismus" nicht nur das Selbstverständliche wiederholt, sondern darüber hinaus von zentralen Forderungen der Linken zur Beilegung des Nahostkonflikts Abstand genommen. In dem unter Regie Gysis in der Fraktion durchgesetzten Grundsatzpapier wurde drei zentralen Positionen der Palästinasolidarität abgeschworen:

"Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer 'Gaza-Flottille' beteiligen."

Im unmittelbaren Kontext der noch einmal unterstrichenen Absage an Rechtsextremismus und Antisemitismus las sich dieser Beschluß so, als wären Aktivistinnen und Aktivisten, die diese Forderung und diese Protestformen unterstützen, vom Makel haßerfüllter Gesinnungen befleckt. Politische Opportunität siegte über linke Streitbarkeit, was der Partei allerdings auch keinen größeren Zuspruch in den Umfrageergebnissen bescherte. Gegenüber starken Mehrheiten einzuknicken, anstatt der inhaltlichen Konsequenz bislang eingenommener Positionen zu folgen und es gar nicht zu einer Defensive kommen zu lassen, von der aus wieder Anlauf für eine Offensive genommen werden müßte, wirkt wenig anziehend auf Wählerinnen und Wähler. Wie verläßlich ist das Mandat der eigenen Stimme bei einer Partei aufgehoben, die wie ein Blatt im Winde machtpolitischer Entwicklungen mal hierhin, mal dorthin treibt, um sich in der Summe des Durchlavierens jener Herrschaftslogik zu unterwerfen, die zu überwinden Sinn und Zweck ihrer Existenz ist? Eine derartige Profillosigkeit in Zeiten, in denen immer mehr Menschen merken, daß sie von Interessen unterjocht werden, die nicht die ihren sein können, muß Anlaß für innerparteilichen Widerstand sein.

Was tun? Antikapitalistische Linke diskutiert Gegenstrategien

Was tun? Diese brennende Frage bedarf auch im Kontext der "Antisemitismus-Falle" keiner endgültigen Antwort, die "richtige" Lösungen suggeriert und damit doch nur die Debatte verödet und der Paßförmigkeit Vorschub leistet. Daß hingegen eine lebendige Streitkultur ein Zeichen der Offensive setzen kann, die wiederzugewinnen die Linke so bitter nötig hat, ist das erfreuliche Fazit der Veranstaltung in der "Kaffeewelt" in Hamburg-St.Georg. Auf Einladung der Antikapitalistischen Linken (AKL) Hamburg diskutierten rund 70 Interessierte unter Moderation von Thomas Immanuel Steinberg (SteinbergRecherche.com) mit Arnold Schölzel (Chefredakteur junge Welt) und Susann Witt-Stahl (Journalistin. AG Medien/Rote Reporter der Partei Die Linke). Wenngleich die Entwicklung innerhalb der Linkspartei im Mittelpunkt der Diskussion stand, hegte doch niemand Zweifel daran, daß man sich mit einer gemeinsamen Problematik all jener konfrontierte, die sich von genuin linken Positionen nicht verabschiedet haben.

Daß man zusammengekommen war, um sich unter Achtung unterschiedlicher Auffassungen zur gebotenen Vorgehensweise zu beraten und vielfältigen Stimmen Gehör zu verschaffen, unterstrich der konzeptionelle Ansatz der Diskussionsführung wie auch der Verlauf der Debatte. Der allzu oft als mißlich erfahrene Bruch zwischen einem referierenden Podium und einem mehr oder minder zum Anhängsel degradierten Publikum wurde hier tendenziell aufgehoben zugunsten eines offenen Gesprächs ohne formales Zwangskorsett. Dies begann mit der Moderation, die wechselweise Stellungnahmen der Referentin und des Referenten zu prägnanten Fragen auf den Weg brachte, und setzte sich fort in der Beteiligung des Plenums, die breiten Raum einnahm. Erfrischend war nicht zuletzt eine zwanglose und zugleich zweckmäßige Verknüpfung von Rede und Gegenrede: Einige Fragen wurden sofort beantwortet, andere Meinungen erst später wieder aufgegriffen, ohne daß übergestülpte Formalien der Reihenfolge oder gar des leidigen Sammelns und Abarbeitens von Fragen dem Diskussionsfluß Abbruch getan hätten. Dies trug nicht unmaßgeblich dazu bei, daß am Ende die angeregte Grundstimmung vorherrschte, gemeinsam eine Eröffnung zur weiteren Auseinandersetzung geschaffen zu haben.

Christian Arndt, der als Veranstalter in seiner Einführung auf die unsägliche Resolution der Linkspartei gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus Bezug nahm, zitierte kritische Erwiderungen innerhalb wie außerhalb der Partei, womit er der weitreichenden Betroffenheit ebenso Rechnung trug wie der Beförderung eines Schulterschlusses gegen die Bezichtigung. Daß dieses Bündnis keineswegs aus der Beliebigkeit loser Übereinkünfte, sondern im Gegenteil aus der Festigkeit einer dezidierten Positionierung geboren ist, unterstrich er in einem späteren Diskussionsbeitrag: Mit einer Fraktion, für die Menschenrechte und andere Grundsätze entschiedenen Eintretens für die Schwachen und Unterdrückten teilbar sind, gebe es kein Zusammenkommen. Diese Bestimmung klarer Grenzen ist unabdingbar, will man sich nicht dem Zug zur Versöhnung mit den herrschenden Verhältnissen dieser Gesellschaft auf ein Fähnchen schreiben, das sich opportun mit jedem Wind dreht.

Welchem Moloch an Medienmacht man sich gegenübersieht, sprach Thomas Steinberg mit einem Zitat aus der Dankesrede Rupert Murdochs bei der Preisverleihung der Anti-Defamation League an: "Meine eigene Sichtweise ist sehr einfach: Wir leben in einer Welt, in der ein Krieg gegen die Juden stattfindet." Murdoch, der Konkurrenten und Bürger flächendeckend abhören ließ, der über einen eigenen Nachrichtendienst verfügt, der Tony Blair zum Premier machte und George W. Bush unterstützte, wie Arnold Schölzel ausführte, steht für eines jener Monopole der Meinungsbildung, die massenwirksam den Ton angeben. Hinzu kommt, so Susann Witt-Stahl, daß seit Anfang der 90er Jahre neokonservative Think Tanks "den Juden" als Fetischpuppe hervorgezaubert hätten, um Kapitalismuskritik abzuwehren. Seither seien Juden insbesondere in Deutschland als Kategorie instrumentalisiert und zur Chiffre für fast alles geworden.

Auf die Frage, was Antisemitismus sei, argumentierte Arnold Schölzel mit Horkheimer, daß man Antisemitismus, der seit fast zwei Jahrtausenden immer wieder in Erscheinung getreten sei, in die jeweilige soziale Realität einbinden müsse. Genau das finde jedoch heute nicht mehr statt. In den letzten Jahren entufert diese Vorwurfslage in zunehmendem Maße, da sie sich als Universalwerkzeug gegen jegliche mißliebige Gesinnung insbesondere des linken Spektrums einsetzen läßt. Susann Witt-Stahl ging in diesem Zusammenhang auch auf die Hilfskonstrukte "sekundärer" und "struktureller" Antisemitismus ein, die letzteren selbst dort verorten, wo er am allerwenigsten nachzuweisen ist. So arbeitet die Bezichtigung der Linken in hohem Maße nicht mit stichhaltigen Argumenten, sondern Behauptungen, Verdrehungen und Verwischungen. Zur Klärung gezielt vernebelter Begriffe mag an dieser Stelle die klare Unterscheidung Abraham Melzers beitragen, Antisemitismus richte sich gegen Menschen, Antizionismus gegen eine Ideologie.

Wenngleich nicht auszuschließen ist, daß es wie überall in der Gesellschaft auch in der Linkspartei Antisemiten gibt, bleibt doch bezeichnend, daß sich dieser Vorwurf nicht auch gegen Parteien richtete, die traditionell Altnazis in ihren Reihen hatten. Solange diese Posten und Ämter bekleideten, krähte offiziell kein Hahn nach ihrer Vergangenheit.

Arnold Schölzel stellte den Antisemitismusvorwurf in einen größeren Zusammenhang und reihte ihn als Glied in die Kette sukzessiver Angriffe gegen die Linke ein. Kampagnen wie jene gegen Gesine Lötzsch und Inge Viett zielten in ihrer Stoßrichtung nicht zuletzt auf die Positionen Lafontaines gegen Krieg und Hartz IV ab, die man zu schwächen und aus der Welt zu schaffen trachtet. Der frühere Berliner Innensenator Körting sprach von einem Anstieg des Linksextremismus, man wähnte die Linke gar am Rande des Terrorismus. Die "Antisemitismus-Falle", von der im Titel der Veranstaltung die Rede war, steht mithin für ein regelrechtes Konglomerat von Fallen, in die emanzipatorische Bewegungen getrieben werden sollen.

Was also tun, wenn Aufklärung, so notwendig sie auch sei, allein nicht reicht, diese Einkreisung aufzubrechen, fragte Thomas Steinberg. Arnold Schölzel gab zu bedenken, daß sich die Linke insbesondere an der Kriegsfrage zu spalten pflegt. Demgegenüber schätze er den Antisemitismusvorwurf als Scheindebatte ein, die er für politisch randständig halte und tiefer gehängt sehen möchte. Dagegen wandte Susann Witt-Stahl ein, daß vielen Außenstehenden und selbst Mitgliedern der Linkspartei häufig unbekannt sei, was sich dort im einzelnen an Bezichtigungen abspiele. Aufklären könne man folglich gar nicht genug, wobei es insbesondere vonnöten sei, den Kriegstreibern die Argumente zu nehmen.

Damit war die allgemeine Diskussion eröffnet, die unter reger Beteiligung, mit Mut zur Kontroverse und dabei doch ohne Ausgrenzung anderer Auffassungen geführt wurde. Natürlich kreiste sie um die Frage, was zu tun sei, um sich der Übermacht der Angriffe zu erwehren. Ein Diskussionsteilnehmer gab zu bedenken, daß Aufklärung in diesem Zusammenhang fast schon zu defensiv sei. Man habe es mit einem spezifisch deutschen Problem zu tun, das die Linke in anderen Ländern nicht in gleichem Maße teile. Stelle man hingegen national wie internationalistisch die Klassenfrage, zeige sich rasch, wo der jeweilige politische Gegner steht. Andernfalls drohe eine Binnendebatte, die für sich genommen zu hoch gehängt werde.

Um diese These, die ja im vorangegangenen Podiumsgespräch schon angeklungen war, entfaltete sich ein Strang der Diskussion. Linke Theorie und Politik dürfe nicht gegen den Kampf gegen die Antideutschen ausgespielt werden, warnte eine Teilnehmerin. Letztere hätten in der Partei derart an Einfluß gewonnen, der sich bis hinein in Fraktionsbeschlüsse manifestiere, daß man zuerst in den eigenen Reihen kehren müsse. Eine andere Teilnehmerin fügte dem hinzu, daß jeder Rückzug an dieser Front kontraproduktiv sei, da die Antideutschen unterdessen Bündnisse mit diversen konservativen bis offen reaktionären Kräften schlössen. Längst zeichne sich ein neokonservativer Extremismus ab, da selbst der Schulterschluß mit Geert Wilders gesucht werde.

Aus diesem Strang der Diskussion ging ein zweiter hervor, der sich mit dem praktischen Umgang mit den Protagonisten antideutscher Ambitionen befaßte. Auch hier waren die Meinungen geteilt, wo und wie man die Grenzen ziehen sollte. Am einen Rand des Spektrums vorgetragener Auffassungen stand der grundsätzliche Zweifel an einer gemeinsamen Basis, weshalb man solche Leute nach rechts abwandern lassen solle, wenn das ihr Wunsch sei. Für die Linkspartei seien andere Fragen wesentlich wichtiger, zumal sie mit ihrer Antikriegsposition oder dem Eintreten für einen Mindestlohn durchaus erfolgreich gewesen sei.

Demgegenüber stand die Auffassung, man müsse den politischen Gegner zwingen, die erhobenen Vorwürfe zu beweisen. Es sei in der Linkspartei Alltagsrealität geworden, andere als Antisemiten und damit als Verbrecher zu bezichtigen. Ist Angela Davis - eine explizite Befürworterin der BDS-Kampagne, zu deren Auszeichnung mit dem Internationalen Blue Planet Award 2011 in Berlin Gregor Gysi die Laudatio hielt - eine Antisemitin oder Rechtsradikale, wenn sie für die Palästinenser eintritt? Sind israelische Linke antisemitisch, weil sie den Boykott oder die Gaza-Flottille unterstützen? Man müsse in der Partei mit aller Kraft durchsetzen, die Feindschaft gegen Linke und die Feindseligkeit gegen Palästinenser zu beenden.

Nicht minder bedenkenswert war der Beitrag eines weiteren Teilnehmers, der von sehr persönlichen Erfahrungen mit Antideutschen berichtete. Er warnte davor, überzeugte Vordenker mit jungen Mitläufern über einen Kamm zu scheren. Letztere hätten oftmals nur gewisse Parolen oder Fragmente im Kopf, was nicht bedeuten könne, sie in der alltäglichen Zusammenarbeit im Betrieb zu meiden und sie nicht in den politischen Kampf einzubeziehen.

In seinem Schlußwort erinnerte Arnold Schölzel noch einmal daran, daß sich die kapitalistische Gesellschaft in ihrer schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg befinde und ihre Eliten hochgradig nervös seien. Damit sollte sich die Linke befassen, nicht aber mit Randproblemen. Wenn Merkel und Sarkozy mittels der EZB Italien eine Woche den Kredit verweigerten und Berlusconi stürzten, sei das Diktatur in ihrer innovativsten Ausprägung. Er könne andererseits auch verstehen, wie drängend das Problem des Antisemitismusvorwurfs in der Linkspartei sei. Es gelte seines Erachtens, offen für Argumente zu sein und Lügen aufzuklären, doch setze er seiner Dialogbereitschaft mit Vertretern des antideutschen Lagers klare Grenzen.

Susann Witt-Stahl bekräftigte abschließend die Notwendigkeit, die Strategien der Gegenseite bis ins einzelne zu zerlegen, handelte es sich doch um dieselben Vorgehensweisen, derer sich Antisemiten bedienten. Deutsche Juden wurden für den Staat Israel in Haftung genommen, während die Antideutschen - diesmal unter positivem Vorzeichen - Juden erneut in Haftung nähmen. Gegen diese Strategie rege sich wenig Widerstand in der Linkspartei. Gregor Gysi habe bereits in seiner Rede 2008 alle Ansätze gelegt, die heute ihr verhängnisvolles Werk verrichteten.

Damit schloß eine Veranstaltung, die dank der kontroversen und zugleich solidarischen Auseinandersetzung mit dieser virulenten Konfliktlage dazu beitragen könnte, die "Antisemitismus-Falle" aufzubrechen. Auf einem Feld der Konfrontation gefangen, dessen Parameter die Gegenseite gesetzt hat, sieht sich die Linke in Rechtfertigungsnot gedrängt. Was immer sie an Argumenten ins Feld führt, scheint ins Leere zu stoßen, da es kein durch überzeugende Einwände erreichbares Gegenüber, sondern nur ein Konglomerat ideologischer Ausflüchte gibt, die stets aufs Neue in anklagende Bezichtigung münden. Dieser Bedrängnis ein Ende zu setzen, bedarf eines Freischlags, der sich nicht an der Mutmaßung abarbeitet, es könne der Gegenseite überhaupt um die Klärung kontrovers verhandelter Argumente gehen. Wenn Aufklärung, dann zugunsten der eigenen linken Position, die sich nicht durch ideologische Dispositive vom demagogischen Charakter eines totalitarismustheoretischen Gesinnungsverdachts irre machen läßt. Die Zusammenkunft in der "Kaffeewelt", deren Betreiber vom Guttemplerorden sich dankenswerterweise nicht durch antideutsche Provokationen im Vorfeld der Veranstaltung beeindrucken ließen, sollte dem Diskussionsprozeß der antikapitalistischen und antiimperialistischen Bewegung innerhalb wie außerhalb der Linkspartei neues Leben einhauchen, um endlich die Offensive zurückzugewinnen.


Fußnoten:

[1] http://www.hagalil.com/archiv/2008/04/gysi.htm


2. Dezember 2011