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BERICHT/100: Kongreß Kurdischer Aufbruch - Demokratievorbild Türkei? (SB)



Der "gemäßigte Islam" - nur eine Maske?

Vortrag des kurdischen Journalisten Ferda Çetin,
04.02.2012

Seit Anfang 2011 befinden sich die autoritären Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens im Aufbruch. Nach dem Sturz der "Regime" der langjährigen Machthaber Tunesiens, Ägyptens, Libyens und des Jemens - Zine El Abidine Ben Ali, Hosni Mubarak, Muammar Gaddhafi und Ali Mohammed Saleh - ist der "Arabische Frühling" in aller Munde. Dazu kommt die vielkolportierte These, die neuen und noch recht unsicheren Demokratien zwischen Atlasgebirge und der Straße von Hormus könnten sich für die zukünftige Gesellschaftsentwicklung an der Türkei, wo seit einigen Jahren unter der Regierung der Fortschritts- und Gerechtigkeitspartei (AKP) von Premierminister Recep Tayyip Erdogan der "moderate Islam" vorherrscht, ein Beispiel nehmen. Auf dem Kongreß "Die kapitalistische Moderne herausfordern - Alternative Konzepte und der kurdische Aufbruch" an der Hamburger Universität setzte sich der Journalist Ferda Çetin am 4. Februar bei der Session "Der Mittlere Osten jenseits der Nationalstaaten" mit dieser These kritisch auseinander. Der Streitpunkt der Erörterungen Çetins, der Absolvent der juristischen Fakultät in Istanbul ist und derzeit für den kurdischen Fernsehsender Roj TV arbeitet, ging aus dem Titel seines Vortrages, "Der gemäßigte Islam - nur eine Maske?" deutlich hervor.

Der Referent am Stehpult, von der Seitie aufgenommen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ferda Çetin
Foto: © 2012 by Schattenblick
Einleitend monierte Moderator Murat Çakir von der Partei Die Linke, der als Geschäftsführer des Hessischen Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Rezeption des Begriffs "politischer Islam" durch die westlichen Medien. Schließlich käme doch niemand auf die absurde Idee, vom "politischen Christentum", "politischen Judentum", "politischen Buddismus" oder "politischen Hinduismus" zu sprechen. Der Begriff des "gemäßigten Islams" sei genauso eine politische Waffe in den Händen derjenigen, welche die Definitionshoheit hätten, so Çakir. Er erinnerte daran, daß beim letztjährigen Besuch Erdogans in Deutschland der damalige Bundespräsident Christian Wulff erklärt habe, die Türkei wäre ein "modernes und säkulares Vorbild" für die arabischen Staaten, um gleich an Çetin die Frage zu stellen, ob der "gemäßigte Islam" wirklich gemäßigt sei oder ob er nur der "Legitimation einer neoliberalen, militaristischen Politik mit islamischen Referenzen" diene.

Çetin verwies auf die vorangegangene Session am Vormittag, bei der man von Achin Vanaik und Felix Padel viele wenig bekannte Dinge über Indien erfahren habe. Çetin verglich die Unterdrückung der muslimischen Mehrheit im indischen Teil Kaschmirs und die Bekämpfung maoistischer Aufstände in anderen Teilen Indiens mit dem Vorgehen des türkischen Staates gegen die eigene kurdische Bevölkerung. In beiden Staaten müßten System- und Regierungskritiker mit Übergriffen, Dorfzerstörungen, Opfern unter der Zivilbevölkerung, Pressezensur und juristischer Repression rechnen. In diesem Zusammenhang erwähnte Çetin das laufende Großverfahren in der Türkei gegen die PKK-nahe KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans), im Rahmen dessen seit 2009 Tausende kurdischer Politiker, Autoren, Verleger, Akademiker und Aktivisten verhaftet wurden. Zuletzt befanden sich mehr als 600 Betroffene in Untersuchungshaft. Gegen mehr als 150 von ihnen wurde Anklage erhoben.

Çetin erklärte, Indien und die Türkei hätten zwar ihre Eigenheiten, aber auch Wichtiges gemein. In beiden Staaten herrsche eine despotische Regierungsform, die man unter dem Schein der Demokratie versteckt halte. Beide sind Lieblinge der USA und Vorzeigeprojekte des Westens, da sie als moderate Staaten im Mittleren Osten respektive in Südasien gelten, Regionen, die auf der religiös-ideologischen Ebene von sehr strengen Überzeugungen geprägt seien.

In der Türkei würde der sogenannte moderate Islam laut Çetin gegen die Kurden in Stellung gebracht. So machte er darauf aufmerksam, daß bei den Diskussionen in kurdischen Kreisen um das von Abdullah Öcalan entworfene Konzept des demokratischen Konföderalismus die Religion im allgemeinen und der Islam im besonderen stark thematisiert werden. Man kommt dabei zu dem Schluß, daß die Religion per se zu keiner Polarisierung innerhalb der Gesellschaft führen muß. Dies geschehe erst, wenn die Religion von den Herrschenden politisch instrumentalisiert werde. Erst im Rahmen einer Strategie des Teilens-und-Herrschens käme es überhaupt zur Unterscheidung zwischen Radikalen und Gemäßigten, zwischen Fundamentalisten und Moderaten, so Çetin.

Der Begriff "moderat" sei, bezogen auf den Islam, nach Ansicht des Referenten nicht aus den Bedürfnissen der einfachen Menschen in der muslimischen Welt entstanden. Statt dessen hätten ihn Vordenker in den USA erfunden. Seit dem Untergang der kommunistischen Sowjetunion würden die USA als einzige verbliebene Supermacht für die muslimische Welt im Rahmen eines "interkulturellen Dialogs" auf den "gemäßigten Islam" zurückgreifen, um dort der kapitalistischen Moderne zum Durchbruch zu verhelfen. Des weiteren füge sich der "gemäßigte Islam" in das Konzept des modernen Nationalstaates, einschließlich der ihm innewohnenden Sicherheitsdoktrin. Während man im Rahmen von Öcalans "demokratischem Konföderalismus" zur Basisdemokratie und weg vom hierarchischen Denken strebe, diene die Unterscheidung zwischen radikalem und moderatem Islam den USA und den Herrschern in Washingtons Vasallenstaaten in der muslimischen Welt dazu, gesellschaftliche Konflikte und divergierende Interessen im eigenen Sinne zu lenken. Ähnlich wie einst US-Gründungsvater Benjamin Franklin warnte Çetin, daß, wer sich für die Sicherheit entscheide, auf den Verlust seiner Freiheiten gefaßt sein müsse. Demnach sei es kein Zufall, daß unter dem Vorwand der Bekämpfung des "Terrorismus" überall auf der Welt, selbst in den westlichen Noch-Demokratien, die Bürgerrechte immer stärker eingeschränkt würden.

Als Hauptbetreiber dieser Sicherheitsdoktrin bezeichnete Çetin die USA. Weißes Haus und Pentagon maßten sich an, auf der ganzen Welt für "Frieden" und "Stabilität" sorgen zu müssen. Hier ginge es nicht um wirkliche Sicherheit für die Menschen, sondern um die globale Durchsetzung kapitalistischer Verwertungsmechanismen. Um dies zu erkennen, müsse man sich nur die steigende Anzahl der Hungernden und die ungleiche Aufteilung der lebensnotwendigen Ressourcen vor Augen führen. Wer sich gegen diese Logik stelle, gerate entweder als "Terrorist" oder "Schurkenstaat" auf die Liste der Feinde der USA. Çetin sieht in der von George Bush sen. 1991 nach dem militärischen Sieg im ersten Golfkrieg gegen den Irak Saddam Husseins verkündeten "Neuen Weltordnung" und dem von George Bush jun. nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 ausgerufenen "Kreuzzug" gegen den "islamistischen Terrorismus" das Angebot an die "gemäßigten" Muslime, sich durch Systemkonformität nicht nur metaphorisch aus der Schußlinie zu bringen.

In der Türkei finde laut Çetin der "moderate" Islam vor allem in der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen seinen Ausdruck. Die Ideologie dieser Sekte, die ein islamisches Großtürkentum propagiert und deren Mitglieder weite Teile des Sicherheitsapparates besetzen, habe in der Türkei den Säkularismus des Republikgründers Kemal Atatürk abgelöst. In der Folge würde man nunmehr darangehen, unter Berufung auf den sunnitischen Islam die Kurden endgültig zu türkisieren. Ähnliche Entwicklungen ließen sich in den Ländern des Nahen Ostens beobachten, wo mit Hilfe der zum Teil verbotenen Moslembruderschaft der Widerstand der Menschen gegen die neoliberale Wirtschaftslogik im Keim erstickt werden soll. Deswegen erfährt Gülen die starke Unterstützung der USA, wo er seit 1999 residiert.

Nach Ansicht Çetins sei die Gülen-Bewegung, die nicht nur in der Türkei, sondern auch in Europa, Nordamerika und den Ländern Zentralasiens viele Schulen und Moscheen betreibt, kein Einzelphänomen. Er verglich sie in ihrer Funktion und Wirkungsweise mit Opus Dei und der Mun-Sekte, deren Aktivitäten in der katholischen Welt - besonders in Spanien und den Ländern Lateinamerikas - respektive Asien von reaktionären Kräften in den USA tatkräftig unterstützt würden. Alle drei Organisationen betreiben Schulen, Hochschulen, religiöse Einrichtungen und einflußreiche Medienimperien. Während Gülens Zaman inzwischen zu den wichtigsten Tageszeitungen der Türkei zählt, gehöre die Washington Times, die für ihre Nähe zum Pentagon berüchtigt sei, zur Sekte des Koreaners Sun Myung Mun.

Çetin zufolge arbeiteten Opus Dei, dessen Wurzeln in Francos Spanien liegen, die Gülen-Bewegung und die Mun-Sekte mit den gleichen Methoden. Sie agierten wie jakobinische Geheimorganisationen und versuchten, ihre Kader in wichtige Positionen zu bringen, um Macht im jeweiligen Staat zu erlangen. Gegenüber ideologischen Gegnern verhielten sie sich intolerant. Alle drei seien wegen ihres rigorosen Antikommunismus bekannt. Ihre Gemäßigtheit bestünde lediglich darin, daß sie pro-amerikanisch und gegen gesellschaftliche Opposition ausgerichtet seien. Hinzu komme, daß sie allesamt vorgeben, apolitische Organisationen zu sein, deren Hauptinteresse im spirituellen Bereich liege. Dem widerspreche, daß sie nicht nur die kapitalistische Führungsmacht USA unterstützten, sondern selbst in materiellen Dingen - durch eigene Banken, internationalen Handel und Großinvestionen an den Börsen - bestens aufgestellt seien.

Aufnahme von Çetin von vorne - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

Çetin siedelt den Beginn der unheiligen Allianz zwischen der Gülen-Gemeinde und den USA beim Militärputsch 1980 in der Türkei an, in den bekanntlich die amerikanische Botschaft in Ankara verwickelt gewesen ist. Einen Monat nach dem Putsch, also im Oktober 1980, veröffentlichte die Zeitschrift Sizinti eine Stellungnahme Gülens, in der der Neofundamentalist das drastische Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die türkische Linke über den grünen Klee lobte und anmahnte, auch weiterhin vor Kommunisten und Kurden auf der Hut zu sein. Daß es Gülen Ende der neunziger Jahre verstanden hat, auf Distanz zur damals umstrittenen islamischen Regierung Necmettins Erbakans zu gehen, nannte Çetin "geschickt". Als Erbakan 1997 vom seinerzeit noch laizistischen Militär gestürzt und mit einem Politikverbot belegt wurde, setzte sich Gülen bald darauf in die USA ab, um von dort aus seine religiöse Mission fortzuführen.

Den Ruf der Gülen-Bewegung als einer "gemäßigten" Organisation hat Çetin in diesem Zusammenhang als Fehlbezeichnung abgetan. Er stellte die von Gülen häufig gemachte Behauptung, zwischen Sunniten und Schiiten nicht zu unterscheiden, mit einer diametral entgegengesetzten Äußerung des Predigers, die vor einiger Zeit bei einem Interview für die Zeitung Zaman gefallen war, in Abrede. Demnach sei der Iran, wo die meisten Schiiten der Welt leben, "kein islamisches Land". Eine solche Behauptung findet natürlich das Gefallen der USA, die mehr als jede andere Macht einen Keil zwischen Sunniten und Schiiten zu treiben versuchten, so Çetin. Gleichwohl arbeiteten aus kurdischer Sicht die Türken, Iraner und die USA gegen sie zusammen. Çetin erzählte hierzu die Anekdote von einem kurdischen Guerilla-Kommandanten, der im letzten Sommer in der Presse dahingehend zitiert wurde, daß die Iraner die militärischen Aufklärungsbilder der türkischen und amerikanischen Drohnen erhalten und ihre Raketenangriffe danach ausrichten würden. Zum Schluß meinte Çetin unter Berufung auf die indische Schriftstellerin Arundathi Roy, die Kurden und andere Völker, die für Selbstbestimmung und Gerechtigkeit kämpften, müßten sich gegen Mickey Mouse - also den Kapitalismus amerikanischer Prägung - und die bärtigen Mullahs - also religiöse Intoleranz - durchsetzen, um eine Welt der demokratischen Autonomie zu schaffen.

In der anschließenden Diskussion machte Martin Dolzer, Autor des 2010 erschienenen Buchs "Der türkisch-kurdische Konflikt", das Publikum darauf aufmerksam, daß er Ende letzten Jahres mit mehreren Wissenschaftlern, Bundestagsabgeordneten und Journalisten in einer Pressemitteilung eine brisante Videobotschaft Gülens öffentlich angeprangert hatte, in der der Geistliche zum Massenmord an den politisch tätigen Kurden aufgerufen hatte. Wörtlich soll Gülen gesagt haben: "Lokalisiert sie, umzingelt sie (...) zerschlagt ihre Einheiten, lasst Feuer auf ihre Häuser regnen, überzieht ihr Klagegeschrei mit noch mehr Wehgeschrei, schneidet ihnen die Wurzeln ab und macht ihrer Sache ein Ende!"

Wie Dolzer weiter schilderte, hatten sich die Vertreter der Gülen-Sekte in Deutschland nach der Veröffentlichung dieser Presseerklärung rasch zu Wort gemeldet und ihren Anführer mit der fadenscheinigen Behauptung, die fragliche Passage der Predigt wäre falsch übersetzt worden, in Schutz genommen. Dann hatte das Berliner Forum für Interkulturellen Dialog, dessen Schirmherr Gülen selbst ist, eine eigene Presseerklärung herausgegeben, in der Dolzer et al. aufgefordert wurden, ihre Erklärung umgehend zurückzunehmen, da der Prediger ungenau zitiert worden sei. Vielmehr liebe Fethullah Gülen 95 Prozent der Kurden in der Türkei. Das Zitat aus der Botschaft sei zwar richtig wiedergegeben, gelte aber nur für fünf Prozent der Kurden und stelle damit keinen Aufruf zum Massenmord dar.

Dolzer verwahrte sich gegen dieses Argument mit dem Hinweis, daß fünf Prozent der kurdischen Bevölkerung in der Türkei, die auf mindestens 20 Millionen geschätzt wird, immerhin eine Million Menschen darstelle. Wäre deren Auslöschung denn kein Massenmord? fragte er. Dieser Aufruf und die Ansichten Gülens dürften laut Dolzer nicht verharmlost werden. Vielmehr müsse die Gefährlichkeit der Gülen-Sekte hervorgehoben werden. Sie habe die Machtzentralen in der Türkei erobert und stelle inzwischen einen Gutteil der Machtelite. 70 Prozent der türkischen Polizisten seien inzwischen sogenannte Fethullaçis, weitgehend durchdrungen sei auch die juristische Sphäre und beim Militär stünden die führenden Generäle der AKP und/oder der Gülen-Bewegung nahe. Man müsse die Gülen-Leute strengstens beobachten und sich gleichzeitig Gedanken machen, wie man die breite Öffentlichkeit auf die Gefährdungspotentiale dieser Organisation aufmerksam machen könne. Man dürfe allerdings nicht vergessen, daß die USA und die EU ihre eigenen geopolitischen Ziele verfolgten. Es sei kein Zufall, daß bei den kürzlich abgehaltenen Wahlen in Ägypten und Tunesien die islamischen Parteien gewonnen haben, die sich nach dem Muster der AKP in der Türkei namentlich zu Fortschritt und Gerechtigkeit bekannt hätten.

In der Diskussion ging Çetin ebenfalls auf eine Frage aus dem Publikum nach dem Sinn sogenannter ziviler Freitagsgebete ein, zu denen es in letzter Zeit im Südosten der Türkei gekommen sei. Er meinte, diese Initiative sei eine wirklich gute Idee, auf die man viel früher hätte kommen müssen. In der Moschee machten die staatlich anerkannten Imame offen Werbung für das Türkentum. Sie predigen nur auf Türkisch und zudem nur den sunnitischen Islam. Am Ende heben die Gläubigen die Hände gen Himmel und beten zu Allah, daß er den Staat und die Armee der Türkei beschütze und die "Terroristen" ausrotte. Im Gegensatz dazu würden laut Çetin die zivilen Freitagsgebete ohne staatliche Bevormundung erfolgen. Darüber hinaus würde auch auf Kurdisch gebetet. Çetin tat seine Überzeugung kund, daß die Religion nichts sei, was man dem Staat zu Propagandazwecken überlassen dürfe. Die Menschen sollten nach der eigenen moralischen Überzeugung ihre Religion praktizieren.

Auf die Frage nach der Echtheit der zuvor von Dolzer erwähnten umstrittenen Äußerungen Gülens zur kurdischen Guerilla erklärte Çetin, die Aufnahme könne sich jeder bzw. jede im Internet anhören. Ihm zufolge habe Gülen in dem Video sein Unverständnis zum Ausdruck gebracht, daß eine Armee, die seit der Gründung der türkischen Republik drei Staatsstreiche vollzogen habe, nicht in der Lage sein solle, den kurdischen Widerstand zu brechen, und forderte deshalb mehr Geschlossenheit und Härte mit den Worten:"Ob 500, ob 5000, laß es 50.000 (Guerillas - Anm. d. SB-Red.) sein, ihr habt eine Million (Soldaten - Anm. d. SB-Red.)." Unter allgemeinem Gelächter lobte Çetin die kapitalistische Moderne, die immerhin Kommunikationsmedien geschaffen habe, die solche Entgleisungen für wißbegierige Interessierte festhielten und jedes Leugnen sinnlos machten.

Çetin fügte hinzu, daß sich Gülen, der sich als interkultureller Vermittler aufspiele, bei einer anderen Gelegenheit abfällig über die Alewiten geäußert habe. Demzufolge seien die Alewiten in der Zentraltürkei akzeptabel, da das alles Türken seien und sie "zu uns" gehörten. Aber die Alewiten in der Provinz Dersim bedeuteten eine große Gefahr und müßten fertiggemacht werden. Çetin beteuerte, daß Gülen dies wortwörtlich so gesagt habe. Sollte die Gülen-Bewegung wie im vorherigen Fall erneut eine Gegendarstellung herausgeben, würde dies wenig bringen, denn die fragliche Aufnahme stehe ebenfalls im Internet, merkte Çetin süffisant an.

Für Çetins These von der Gefährlichkeit der Gülen-Bewegung und der Kurdenfeindlichkeit ihres Gründers und Namensgebers sprechen die jüngsten Ereignisse in der Türkei. Wie Nick Brauns am 13. Februar in der jungen Welt unter der Überschrift "Machtkampf in der AKP" berichtete, versuchen die Fethullaçis die Bemühungen von Erdogan um eine friedliche Beilegung des Konfliktes mit der PKK zu torpedieren. Zur Sabotageaktion der Gülen-Anhänger - zu denen Brauns Präsident Abdullah Gül zählt - gehörte eine wenige Tage zuvor erfolgte, großangelegte Fahndung der Polizei und Staatsanwaltschaft gegen ehemalige und noch im Dienst stehende Mitglieder des türkischen Geheimdienstes MIT, die mit Einverständnis des Premierministers 2010 in Oslo Vorgespräche mit Vertretern der PKK geführt hatten. Selbst vor einer Vorladung des amtierenden MIT-Direktors und Erdogan-Vertrauten Emre Taner hätten die Gülen-Leute nicht zurückgeschreckt.

Podiumsteilnehmer der Session 'Der Mittlere Osten jenseits der Nationalstaaten' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Murat Çakir, Sadik Hassan Itaimish, Ferda Çetin, Muzaffer Ayata und Ayhan Bilgen
Foto: © 2012 by Schattenblick

(Fortsetzung folgt)

24. Februar 2012