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BERICHT/123: Kapitalismus final - Achsenstaat Syrien (SB)


Kriegsstrategien Nahost und bunte Revolutionen



Veranstaltung am 18. September 2012 in Hamburg-Eimsbüttel

"Revolution oder Regime Change?" - einmal mehr ist unter Linken ein Streit über die Frage entbrannt, wie man sich zu einem kriegerischen Geschehen stellen sollte, dem ein innerer Konflikt zugrunde liegt, der von äußeren Akteuren instrumentalisiert wird. Was sich im Gefolge des arabischen Frühlings in Libyen ereignet hat, findet in Syrien insofern seine Entsprechung, als die Proteste gegen ein autoritäres Regime durch die NATO-Staaten und regionale Verbündete auf eine Weise kooptiert werden, die den Eindruck erweckt, es mit einer im Kern imperialistische Interessen durchsetzenden bunten Revolution zu tun zu haben. Diese Frage eindeutig zu beantworten erscheint im Falle Syriens schon deshalb kaum möglich, weil die zivile wie bewaffnete Oppositionsbewegung aus verschiedensten Kräften zusammengesetzt ist, die wiederum von einem höchst komplexen regionalen wie internationalen Interessengeflecht beeinflußt sind. Die jeweiligen Antworten unterziehen die ideologisch ohnehin zerrissene BRD-Linke einer weiteren Belastungsprobe, weil sich in ihnen politische Positionen artikulieren, die weniger mit den Problemen der syrischen Bevölkerung zu tun haben, als daß sie Motiv und Richtung politischer Aktion im breiten Feld zwischen humanitärem Interventionismus und antiimperialistischem Internationalismus zu bestimmen suchen.

Dementsprechend differenziert war das Ergebnis des Vortrags, den die Journalistin Karin Leukefeld unter diesem Titel in der Hamburger Veranstaltungsreihe "Kapitalismus in der Krise" [1] im Eimsbütteler Magda-Thürey-Zentrum hielt. Die Fülle an instruktiven Informationen und persönlichen Zeugnissen, mit der sie das in dem kleinen Veranstaltungssaal dichtgedrängte Publikum konfrontierte, ließ allerdings auch erkennen, daß eine faktenreiche Analyse produktiven Erkenntniswert erst dann erlangt, wenn sie das entschiedene Eintreten gegen aggressive Kriegführung nicht scheut. Im gegenläufigen Sinne tun die Objektivität und Neutralität suggerierenden Konzernmedien nichts anderes. So bedient sich die Berichterstattung der sogenannten Leitmedien dieses Anspruchs, um durch Selektion und Gewichtung des vorhandenen Materials die Voraussetzungen für eine bewertenden Kommentierung zu schaffen, die das politische und geostrategische Eigeninteresse an einer zusehends verdeckten oder von Stellvertretern getragenen Kriegführung ausblendet. Dies erfolgt etwa anhand der Anwendung einer hintergrundslosen Gut-Böse-Dichotomie auf die Konfliktparteien, der moralisierenden Personalisierung gesellschaftlicher Mißstände, der Überlagerung sozialer Widerspruchslagen durch ethnische und religiöse Motive, der Beurteilung der Lage aus Sicht eurozentrischer und kulturalistischer Suprematie wie nicht zuletzt platter Demagogie.

Im Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Karin Leukefeld
Foto: © 2012 by Schattenblick

Karin Leukefeld wurde 2010 durch das syrische Informationsministerium als Journalistin akkreditiert, nachdem sie auf die Bestätigung ihres Antrags fünf Jahre gewartet hatte. Seitdem verfügt sie jedoch, wie sie auf Nachfrage aus dem Publikum zu ihren Arbeitsbedingungen berichtete, über einen syrischen Presseausweis, mit dem sie ein- oder ausreisen kann. Dies wisse sie sehr zu schätzen, weil es ihr mehr Handlungsmöglichkeiten im Land gebe als denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die ein regelmäßig zu verlängerndes Journalistenvisum bei der syrischen Botschaft beantragen müssen. Sie arbeitet nicht als Kriegsberichterstatterin, die mit Helm und Schutzweste in Kampfgebiete fährt, sondern bezieht ihre Erkenntnisse vor allem aus Gesprächen mit syrischen Bürgern und politischen Aktivisten wie aus Reisen in die verschiedenen Regionen des Landes.

Die Komplexität des Geschehens stellte sie einleitend anhand der verschiedenen Ebenen des Konflikts dar. Auf nationaler Ebene stehen sich Regierung und Opposition gegenüber, auf dem regionalen Feld nehmen vor allem Türkei, Irak, Iran und Saudi-Arabien Einfluß und im internationalen Raum stehen die Interessen der USA, der EU und der Golfmonarchien gegen diejenigen Rußlands und Chinas. Wollte man von einer neuen Ost-West-Konfrontation sprechen, dann verläuft diese auch durch Syrien.

Die internationale Dimension des Konflikts vertiefte Karin Leukefeld im zweiten Teil des Abends nach mehreren Fragen aus dem Publikum. So habe schon die Sowjetunion intensive Beziehungen zu Syrien unterhalten, was sich darin fortsetze, daß Rußland versuche, der NATO an dieser Stelle der Ausdehnung ihres Einflußbereichs entgegenzutreten auch in Hinsicht auf die Pläne zur Errichtung einer Raketenabwehr im Süden der Türkei. Moskau wolle sich zudem mit dem Hafen Tartus einen Zugang zum Mittelmeer erhalten und weiter Geschäfte mit der arabischen Welt machen, was unter anderem durch die gegen Syrien gerichteten Sanktionen erschwert werde. Zudem habe man in Rußland aufgrund eigener Konflikte kein Interesse an der Ausdehnung des Einflusses islamischer Organisationen.

Der im Jahr 2000 verstorbene Vater des amtierenden Präsident Baschir al-Assad, Hafiz al Assad, sei 1979 ein strategisches Bündnis mit der Islamischen Republik Iran eingegangen, wogegen die Arabische Liga stets opponiert habe. Diese Verbindung sei jedoch auf wirtschaftlicher, militärischer wie kultureller Ebene sehr eng, was unter anderem daran liege, daß in Syrien einer der wichtigsten schiitischen Schreine, die Saiyida-Zainab-Moschee, stehe. Der Libanon unterhalte ähnlich enge Beziehung zum Iran, was nach der Erklärung US-amerikanischer Kriegsziele durch die Ausrufung der "Achse des Bösen" im Januar 2002 - Iran, Irak, Nordkorea - und deren Erweiterung im Mai 2002 durch Kuba, Libyen und Syrien zur Bildung einer "Achse des Widerstandes" zwischen der Hisbollah im Libanon sowie den Regierungen Syriens und des Iran geführt habe. Es gehe dabei um eine Orientierung auf die Souveränität regionaler Akteure gegen westliche Übernahmeversuche und die Hegemonie Israels.

Diese Achse einer Politik, die nicht dem westlichen Interesse folgt, solle gebrochen werden, das sei auch ein Grund für die Konfrontation um das unterstellte Atomwaffenprogramm des Iran. In diesem Zusammenhang verwies die Journalistin auch auf die Konzeption des "Greater Middle East", der eine Neuaufteilung der Region des Nahen und Mittleren Ostens nach ethnischer und religiöser Zugehörigkeit zugrunde liege. Für dementsprechende Planungen gibt es in geostrategischen Entwürfen wie politischen Stellungnahmen schon aus der Zeit vor den Anschlägen des 11. September 2001 zahlreiche Belege. Virulent wurden diese vor allem in den Kreisen neokonservativer Politiker und Berater der US-Regierung unter George W. Bush entwickelten Pläne allerdings in den Kriegen, die angeblich in Reaktion auf diese Anschläge erfolgten.

Karin Leukefeld - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aus langjähriger Erfahrung und eigener Anschauung sachkundig Foto: © 2012 by Schattenblick

Karin Leukefeld erfuhr in zahlreichen Gesprächen mit syrischen Bürgern, daß eine mögliche Aufteilung des Landes zu deren größten Befürchtungen gehört. Wie der einleitende Vortrag über die koloniale Entstehungsgeschichte des modernen Syrien belegte, ergeben sich die vorhandenen Bruchlinien aus einer Grenzziehung, in denen sich die geopolitischen Interessen der Kolonialmächte Frankreich und Britannien spiegeln, als auch aus einer Verfestigung der medial kolportierten Unterstellung, es handle sich um einen Konflikt ethnisch-religiöser Art. So hatte die Aufteilung des multiethnischen und multireligiösen Syrien unter osmanischer Verwaltung nach dem Ersten Weltkrieg in Mandatsgebiete massive Verwerfungen in der sozialen, politischen und gesellschaftlichen Struktur des Landes zur Folge. Die Herausbildung einer Elite alawitischer Herkunft und die Privilegierung christlicher Bürger gegenüber der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit nahm ihren Anfang in der kolonialistischen Favorisierung bestimmter Gruppen nach dem Prinzip des Teilens und Herrschens.

Der vor allem auf den Sturz Baschir al-Assads gerichteten Politik des Westens hält Karin Leukefeld entgegen, daß man zwischen dem Regime, das sich unter anderem aus Verwandten des Präsidenten rekrutiere, und ihm selbst unterscheiden müsse. Ihrer Ansicht nach werde Syrien von einer undurchsichtigen Gruppe von etwa 200 Personen beherrscht, deren Machtbefugnisse sich auf das Militär, die Sicherheitskräfte und die Kontrolle über Kernbereiche der Wirtschaft des Landes stütze. Hafiz al-Assad habe versucht, die multiethnische Gesellschaft Syriens durch ein Machtgefüge der gegenseitigen Abhängigkeit wie die massive Unterdrückung der Moslembruderschaft zu kontrollieren, was 1982 bei dem von den syrischen Streitkräften angerichteten Massaker von Hama je nach Angabe 20.000 bis 30.000 Menschen das Leben kostete.

Baschar al-Assad hält Leukefeld zugute, daß er mit einem Reformprogramm antrat, das eine Demokratisierung des Landes, eine neue Verfassung und die Ablösung der Alleinherrschaft der Baath-Partei durch ein Mehrparteiensystem zum Ziel hatte. Die kurze Phase des sogenannten Damaszener Frühlings 2001 wurde nach der Verschärfung der Lage in Nahost in Folge der Anschläge des 11. September 2001 abrupt beendet, indem die durch diesen Liberalisierungsschub herausgeforderten Teile des Regimes mit massiver Repression gegen die erwachende Demokratiebewegung vorgingen. Der neue Präsident hat dies in Mißachtung seiner Versprechungen nicht verhindert, was der Anerkennung seines wirtschaftsliberalen Kurses durch die Regierungen der NATO-Staaten nicht im Wege stand. Nachdem Assad das Modell der sozialistischen Planwirtschaft 2006 endgültig verworfen hatte, fand eine Annäherung zu den Regierungen der NATO-Staaten uneingedenk jener Menschenrechtsverletzungen statt, die heute als Legitimation für einen Regimewechsel gehandelt werden. Auch hier ist die Parallele zu Libyen unübersehbar, wurde Gaddafi doch mehrere Jahre von europäischen Regierungen im Wortsinne hofiert, bevor man ihn fast von einem Tag auf den anderen wieder zum fleischgewordenen Bösen erklärte.

Während diese Entwicklung zu einer Belebung des Handels insbesondere mit der Türkei, die unter anderem Syrien als Transitroute für Warentransporte nach Israel nutzte, führte, waren viele Bereiche der mittelständischen Wirtschaft der ausländischen Konkurrenz nicht gewachsen. Zudem litt das Agrarland Syrien wie der gesamte östliche Mittelmeerraum unter langjähriger Trockenheit, die eine Verarmung vieler Kleinbauern und Nomaden zur Folge hatte. Sie zogen in die großen Städte, was dazu führte, daß um die von 1,5 Millionen Menschen bewohnte Hauptstadt Damaskus im Umland Vororte entstanden, die vier Millionen arme Landflüchtlinge aufnahmen. Diese wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerung bilde das größte Potential des Aufstands, so Leukefeld.

Sie hält es für einen gravierenden Fehler der syrischen Regierung, die wirtschaftliche Öffnung des Landes nicht mit Maßnahmen gegen das daraus resultierende Anwachsen der Armut und Unzufriedenheit begleitet zu haben. Statt dessen hätten privilegierte Schichten auch im Regime in großem Ausmaß von dieser Entwicklung profitiert, was ein wichtiger Hintergrund für das Anwachsen der Protestbewegung gewesen sei. Die 40jährige Alleinherrschaft der Baath-Partei, die ungezügelte Macht der Sicherheitsapparate und Geheimdienste, Korruption und Willkür unter den Eliten, die über eine in Ohnmacht und Rechtlosigkeit gehaltene Bevölkerung verfügten, feuerten einen Aufstand an, dessen Parole "Freiheit und Würde" an die arabischen Revolutionen in Tunesien und Ägypten anknüpfte.

Während die Demokratiebewegung Forderungen wie Aufhebung des Ausnahmezustands und der Straffreiheit für Geheimdienste, die Neustrukturierung des Gerichtswesens, soziale Gerechtigkeit und politische Partizipation erhob, strebte sie den Sturz des Präsidenten anfangs noch nicht an. Dies ergab sich erst, als Assad durch widersprüchliche Aussagen und Handlungen, die insbesondere repressive Maßnahmen gegen die Protestler betrafen, immer unglaubwürdiger wurde. Andererseits wären bewaffnete Gruppen zumeist islamischer Art von Anfang an Bestandteil der Protestbewegung gewesen. Dialogangebote der Regierung wären bei diesen auf taube Ohren gestoßen, und auch die Vermittlung durch die traditionellen Ältestenräte der Bevölkerung hätten die Eskalation der Gewalt nicht verhindern können.

Leukefeld differenziert in der Vielschichtigkeit der syrischen Opposition vor allem zwischen der inländischen Bewegung und dem aus dem Ausland geführten Syrischen Nationalrat (SNC). Dieser wurde von den USA, der EU und den Golfstaaten schnell als legitime Vertretung der syrischen Bevölkerung anerkannt und hat auch das Bild der syrischen Opposition in den westlichen Medien geprägt. Um so schwerer hatte es die innersyrische Opposition, sich als wesentliche Kraft des Widerstands gegen das Regime zu behaupten. Die Erfüllung ihrer während einer Konferenz der Opposition in Damaskus im Juli 2011 erhobenen Forderungen nach einem Rückzug der Sicherheitskräfte und Soldaten aus den Städten, der Freilassung aller politischen Gefangenen und des Dialogs mit reformorientierten Kräften innerhalb des Regimes mit dem Ziel, ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten zu wählen, hätte damals vielleicht ein Ende der Konfrontation ermöglicht.

Die Einflußnahme äußerer Akteure wie der Türkei, Saudi-Arabiens und Katars sowie der NATO-Staaten hat jedoch die aus übergelaufenen Soldaten gebildete Freie Syrische Armee (FSA) und andere bewaffnete Kräfte so sehr gestärkt, daß eine friedliche Lösung des Konflikts immer unwahrscheinlicher erscheint. Eine wichtige Konferenz der innersyrischen Opposition am 23. September in Damaskus, auf der unter dem Motto "Für die Rettung der Heimat" die Möglichkeiten einer gewaltfreien Lösung ausgelotet werden sollten, konnte bislang kein Ende der Kämpfe bewirken. Während der Nationale Koordinationsrat für Demokratischen Wandel (NCC) auf eine konstruktive Lösung des Konflikts hinarbeitet, haben sich der SNC und die FSA von vornherein gegen diesen Lösungsansatz gestellt. [2] Zwischen welchen kaum vereinbar erscheinenden Widersprüchen die an diese Konferenz teilnehmenden Gruppen manövrieren mußten, schildert Wilhelm Langthaler in seiner Bewertung des aktuellen Standes der Bemühungen um eine Konfliktlösung, die von großen Teilen der innersyrischen Opposition getragen wird [3].

Publikum dichtgedrängt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Magda-Thürey-Zentrum mit hundert Interessierten überfüllt Foto: © 2012 by Schattenblick

So hat man es mit einem durch äußere Bedingungen und internationale Interessen höchst komplex erscheinenden Konflikt zu tun, dessen gewaltsame Austragung insbesondere für die syrische Bevölkerung eine Katastrophe darstellt. Für Karin Leukefeld ist die auf globaler Ebene immer deutlicher hervortretende Konfrontation zwischen den NATO-Staaten einerseits und Rußland wie China andererseits zu einem Großteil für diese fatale Entwicklung verantwortlich zu machen. Dies wisse man in Syrien durchaus und wehre sich dementsprechend gegen die äußere Einmischung, die sich insbesondere in der Unterstützung bewaffneter islamischer Kräfte durch die USA und andere NATO-Staaten niederschlage. Deren Vormarsch laufe auf einen für längere Zeit unentschiedenen Konflikt zwischen den Verfechtern einer säkularen Moderne und den Befürwortern der Konstitution eines religiös bestimmten Staates hinaus. Erstere in dieser Auseinandersetzung mit friedlichen Mitteln zu unterstützen wäre etwas, was Linke und Kriegsgegner durchaus leisten könnten, lautete ihre Empfehlung auf eine dementsprechende Frage aus dem Publikum.

Landkarte Kurdistans - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kurdischer Traum
Foto: © 2012 by Schattenblick

Einen eigenen Exkurs wert war der Journalistin die Frage nach der Situation der in Syrien lebenden Kurden. Diese zwei Millionen Menschen umfassende Minderheit, die größtenteils in der nördlichen Grenzregion zur Türkei lebe, aber auch schon seit Jahrhunderten eine große Gruppe der Bevölkerung in Damaskus stelle, wurde unter Hafiz al-Assad gemäß seiner gegen religiöse oder ethnische Organisationsformen gerichteten Staatsdoktrin von jeglicher Autonomiebestrebung wie auch der vollständigen Integration in die syrische Gesellschaft abgehalten. Zwar habe Hafiz al-Assad kurdischen Politikern aus der Türkei wie Abdullah Öcalan oder aus dem Nordirak wie Masud Barzani oder Dschalal Talabani die Möglichkeit eröffnet, von Syrien aus das Ziel der kurdischen Autonomie zu verfolgen, aber den Kurden im eigenen Land wurde jede Einflußnahme auf das politische Geschehen in Syrien schon durch die Aufrechterhaltung ihrer Staatenlosigkeit untersagt.

Baschar al-Assad setzte nach Beginn des Aufstandes im März 2011 die lange angekündigte Reform um, der kurdischen Bevölkerung die syrische Staatsangehörigkeit zuzugestehen. Er ließ politische Gefangene der kurdischen Bewegung frei und bot einen Dialog über ihre Forderungen an, der auch weitreichende Autonomierechte zum Gegenstand haben sollte. Zwar wollte die größte kurdische Partei in Syrien, PYD (Partei der Demokratischen Union), auf das Angebot eingehen, doch stand dies im Widerspruch zu den Bedingungen, die andere kurdische Parteien an ein solches Gespräch knüpften. Die PYD hat sich mit anderen Oppositionsgruppen im Nationalen Koordinationsrat für Demokratischen Wandel (NCC) organisiert und tritt für einen Waffenstillstand ein. Nachdem die syrischen Streitkräfte sich aus den Kurdengebieten zurückgezogen haben, ohne daß es dazu eine Vereinbarung mit der Regierung gegeben hätte, hat die PYD eine Art lokale Autonomie in mehreren Städten im Grenzgebiet zur Türkei durchgesetzt. Sie verfügt über bewaffnete Kräfte, die administrative Aufgaben übernommen und Checkpoints eingerichtet haben.

Mit der Demokratische Partei Kurdistans (PDK) unter dem Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan im irakischen Staatsverband Masud Barzani, der auch einige kurdische Gruppen in Syrien nahestehen, hat die PYD vereinbart, nicht gegeneinander vorzugehen. Dies war erforderlich, da die türkische Regierung, wie sie es schon in der Auseinandersetzung mit der PKK im eigenen Land tat, versuchen könnte, über Barzani Einfluß auf die in Syrien lebenden Kurden zu nehmen. Karin Leukefeld ist der Ansicht, daß sich die syrischen Kurden momentan in einer sehr guten Position befinden, die sie ausbauen könnten, wenn sie der dieser auf vier Staaten der Region verteilten Bevölkerung stets drohenden Gefahr, zum Spielball fremder Interessen zu werden, nicht erlägen. Sie wollten sich militärisch weder mit der syrischen Armee noch der FSA oder der Muslimbrüderschaft anlegen. Für den Fall eines möglichen Einmarsches türkischer Truppen in Syrien hat die PYD allerdings entschiedenen Widerstand angekündigt.

Die ihr immer wieder gestellte Frage, ob Assad auch in Zukunft eine führende Rolle in Syrien spielen werde, trifft für Karin Leukefeld nicht den Kern des Problems. Aufgelöst werden müsse das Regime, für das Baschar al-Assad zumindest in der Wahrnehmung vieler Syrer, mit denen die Journalistin gesprochen hat, nicht in erster Linie repräsentativ sei. Ihrer Ansicht nach werde die Forderung nach seinem Rücktritt zu sehr in den Vordergrund gerückt. Für die syrische Bevölkerung liege das Hauptproblem in der Eskalation einer Gewalt, die ihre Lebensgrundlagen zerstört und einen politischen Prozeß, der einen friedlichen Übergang zu einem neuen Syrien ermögliche, wirksam verhindert.

Wie auch immer dieser aussehen könnte, so wird er sicherlich nicht dadurch erreicht, daß die US-Regierung, wie gerade angekündigt, die Aufständischen mit umfassenden Geldmitteln unterstützt. In die inneren Angelegenheiten des Landes einzugreifen, um die politischen Verhältnisse über den Kopf der Syrer in einem Sinne neuzuordnen, die dem Hegemonialstreben der NATO-Staaten in der Region zugute kommt, bedarf der Legitimation durch ein Feindbild, auf das sich alle Beteiligten einigen können. Daß sich dafür am ehesten die Regierung in Damaskus eignet, liegt schon daran, daß diese sich einem solchen Übergriff entgegenstellt. Wie die syrische Bevölkerung Staat und Gesellschaft gestaltet, kann nur durch sie entschieden werden, wenn ein Neubeginn nicht schon den Keim des nächsten Krieges in sich bergen soll. Worin sich die NATO-Staaten mit der syrischen Oligarchie und den islamischen Teilen des Widerstands einig sein dürften, ist die Ablehnung einer sozialistischen und demokratischen Gesellschaft, in der die Menschen unter größtmöglicher Selbstbestimmung Ausbeutung und Unterdrückung zu eliminieren versuchen. Auch wenn dies utopisch erscheint, so zeigt schon der Gedanke daran, wie unvollständig ein Frieden sein muß, der sich nur durch die Abwesenheit von Krieg auszeichnet.

Fußnoten:
[1]http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

[2] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/konf.html

[3] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/konferenz.html

Veranstaltungsplakat mit Fluchtweganzeige - Foto: © 2012 by Schattenblick

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Foto: © 2012 by Schattenblick

3. Oktober 2012