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BERICHT/217: EU-Umlastkonverter - Militärkolonie der NATO ... (SB)


Ratio der Herrschaft - Mangel der Menschheit

"Griechenland, EU und Euro in der Krise" - Veranstaltung am 11. November 2015 in Hamburg-St. Georg


Spricht man von der Krise Griechenlands, der EU und des Euro, so geschieht dies im Kontext globaler Verwerfungen, Erschütterungen und irreversibler Wandlungsprozesse, die nicht länger als vorgebliche Ausnahmeerscheinungen vom ökonomischen, militärischen und politischen Normalbetrieb der vorherrschenden Gesellschaftsverhältnisse unterschieden werden können. Gelang es den führenden westlichen Nationalstaaten und deren Bündnissen in der Vergangenheit, die im Zuge der nach Expansion drängenden Kapitalverwertung produzierte Verelendung, Ausplünderung und Vernichtung überwiegend in andere Weltregionen auszulagern, so schlägt diese inzwischen mit anwachsender Wucht in die Metropolen zurück. Ob Währungskrise, Wirtschaftskrise, Nahrungsmittelkrise, ökologische Krise oder aktuell Flüchtlingskrise, längst werden nahezu alle maßgeblichen Lebensbereiche von katastrophalen Entwicklungen bedroht oder heimgesucht.

Da die Ratio der Herrschaft nur die Bestandssicherung und Fortschreibung des elitären Machterhalts und der Überlebensgarantie für wenige kennt, ist in ihrem Rahmen weder Einlenken noch Umkehr zu erwarten. Ganz im Gegenteil treibt sie angesichts schwindender Ressourcen aller Art den Mangel einer Mehrheit der Menschheit nur um so unerbittlicher voran und beschleunigt damit eben jene Prozesse, die eine menschenwürdige Existenz untergraben oder vollends unmöglich machen. Als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der ideologische Gegenentwurf und die territoriale Beschränkung der westlichen Expansion am Boden lagen, setzte dies einen Schub der Einkreisung Rußlands und Chinas frei, die es aus Sicht der USA und ihrer Verbündeten als letzte verbliebene Hindernisse vor der Durchsetzung einer genuin unipolaren und mithin finalen Weltordnung zu unterwerfen gilt.

Unter ökonomischem Druck, politisch-administrativer Durchdringung und nicht zuletzt einer Kette unablässiger Kriege rücken die NATO-Mächte bis an die Grenzen Rußlands und Chinas vor, indem sie insbesondere im Mittleren Osten und in Zentralasien einen Keil zwischen sie zu treiben versuchen. Hinzu kommt im pazifischen Raum eine Strategie der Einkreisung, die mit Japan, Südkorea und Taiwan drei maßgebliche Bündnispartner der USA zusammenführt und in Stellung bringt. Das im "Kampf der Kulturen" proklamierte neue Feindbild des Westens in Gestalt des Islams und die Aufrüstung islamistischer Gruppierungen bereiteten das Feld, sich begehrter Ressourcen zu bemächtigen und mehr noch einen strategischen Türöffner für die Kriegsführung zu schaffen. Die Besetzung Afghanistans, die Zerschlagung von Nationalstaaten wie Irak und Libyen wie auch der angestrebte Regimewechsel in Syrien haben die Region mit einem Flächenbrand überzogen, dessen Folgen und Ausläufer längst auch die westeuropäischen Länder erreichen.


Im Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Claudia Haydt
Foto: © 2015 by Schattenblick

Deutsche Ambitionen im Kontext globaler Machtverschiebung

In der Veranstaltungsreihe "Griechenland, EU und Euro in der Krise" [1] hielt die Soziologin und Religionswissenschaftlerin Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) einen Vortrag zum Thema "Geostrategische und geopolitische Gesichtspunkte der Krise Griechenlands, der EU und des Euro". Zu der Diskussionsveranstaltung in der Kaffeewelt im Georg-Asmussen-Haus in Hamburg-St. Georg hatte das Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e. V. eingeladen.

Im Jahr 1990, so Claudia Haydt, wurden wesentliche Weichenstellungen vorgenommen, die heute noch offene Prozesse ausgelöst haben. Es kam global zu einer neuen Aufteilung von Macht und Einfluß, wobei die eine Weltmacht USA nach wie vor militärisch gesehen die stärkste, ökonomisch jedoch nicht mehr notwendigerweise führend sei. Gleichzeitig suche die EU - teils mit den USA, teilweise getrennt - nach ihrer Rolle in der Welt. Deutschland habe seinen Einfluß in der EU, der NATO wie auch global seither massiv ausgeweitet. Hinzu kämen aber auch die sogenannten BRICS-Staaten Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika sowie andere aufsteigende Regionalmächte wie die Türkei. Insgesamt habe eine Verschiebung von Machtgewichten und damit auch des Einflusses in verschiedenen Regionen der Welt sowohl militärisch als auch ökonomisch stattgefunden. Am relevantesten sei jedoch nicht so sehr die Neuverteilung zwischen den einzelnen Ländern, als vielmehr die massive Umverteilung von Einkommen und Vermögen von unten nach oben zwischen den Ärmsten und den Reichsten. Dieser Prozeß finde auch in den entwickeltsten Ländern in einem solchen Ausmaß statt, daß selbst die OECD Anfang 2015 von einer zu weit gehenden Umverteilung sprach, die die Konjunktur abwürge und das Wirtschaftswachstum bremse.

Es gebe durchaus Interessenunterschiede zwischen den USA und Teilen der deutschen Führungsschicht, aber nicht allen deutschen Eliten. Im Streit der Transatlantiker gegen den Ostausschuß der deutschen Wirtschaft hätten erstere derzeit die Oberhand. Die deutsche Machtpolitik agiere jedoch tendenziell vorsichtiger als das US-amerikanische Spiel mit dem Feuer. Die Politik des "kreativen Chaos" stoße aus Sicht der EU und Deutschlands an Grenzen, zumal es im Unterschied zu den USA um eine direkte Nachbarschaft gehe. Man könne daher von keinem Unterschied in der Richtung, wohl aber in der Gangart sprechen, so die Referentin.

Als charakteristisch für die neuen deutschen Großmachtambitionen könne man das Werk "Neue Macht - Neue Verantwortung" werten, das Bundespräsident Gauck zusammen mit anderen Mitstreitern der Atlantikbrücke Anfang letzten Jahres auf der Sicherheitskonferenz in München präsentiert hat. Darin zeige er auf, wie ein Elitenkonsens aus EU und USA die Welt in Mitstreiter, Herausforderer und Störer aufteilt. Wichtigster Mitstreiter seien die USA, während die anderen EU-Staaten erst an zweiter Stelle folgten. Hinzu kämen Japan, Kanada, die Türkei, Israel und Südkorea als wichtige Mitstreiter, Australien, Neuseeland und Mexiko eher sekundär. Mit den Herausforderern sucht man möglichst keine direkte militärische Konfrontation, zeigt ihnen aber militärische und ökonomische Stärke. Störer wie Syrien, Nordkorea oder Venezuela - Kuba und der Iran möglicherweise nicht mehr - seien militärisch zu bekämpfen oder einzuhegen. Rußland liege irgendwo dazwischen. Dies zeige, daß die führenden Repräsentanten von Staaten in Kategorien von Macht, Stärke und militärischen Auseinandersetzungen denken, obgleich man den meisten globalen Herausforderungen wie Klima, Armut und Krankheiten nur zivil begegnen könne.

Die Atlantikbrücke als maßgeblicher Think Tank in Deutschland vereine die transatlantischen Eliten aus Politik, Wirtschaft, Militär und Medien. Ihr jüngstes Werk "Landkarten geopolitischer Chancen und Risiken" sei das Resultat einer Umfrage unter ihren Mitgliedern und ihr nahestehenden Menschen, wie sie die zukünftige Entwicklung global einschätzen. Als positiv werden darin insbesondere der Anstieg der Verteidigungsausgaben in Europa, eine größere internationale Verantwortung Deutschlands und daß Europa zunehmend mit der Stimme Deutschlands spricht gewertet. Daraus folge, daß die politischen Kämpfe, die wir in diesem Land verlieren, auch in der EU verloren sind und globale Auswirkungen haben, warnt Haydt.


Flüchtlingsströme in der Festung Europa

In Deutschland werden angesichts der Flüchtlingskrise alle anderen Krisen weitgehend ausgeblendet. Für fehlende Arbeitsstellen, mangelnden Wohnraum oder unzulängliche Gesundheitsversorgung macht man nun die Flüchtlinge verantwortlich. Global gesehen herrsche die höchste Arbeitslosigkeit und die niedrigste Lohnquote seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Lohnzurückhaltung werde mit boomender Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen gleichgesetzt, obgleich das gerade in Deutschland längst widerlegt sei. Dessen ungeachtet sei Deutschland ökonomisch immer noch so stark, daß es noch Brotkrumen an die Ärmsten abgeben kann, während die Lage in anderen Ländern wie Griechenland noch wesentlich schlimmer sei.

Im Kontext der Flüchtingsproblematik werde der Druck auf Griechenland weiter erhöht. Dennoch habe sich die Syriza-Regierung zumindest bei der Frage der Abschottung in Richtung Türkei nicht zum verlängerten Arm Brüssels machen lassen. Bislang seien Flüchtlinge nicht aufs offene Meer zurückgeschickt worden, was allerdings inzwischen Stück für Stück wieder einsetze. In Bulgarien ergehe es den Flüchtlingen am schlechtesten, was im Gegensatz zu Ungarn in den Medien wenig diskutiert wird. Der EU-Staat Bulgarien sei so bitter arm, daß die Menschen nicht einmal mit ihrer Rente auskommen und massenhaft auf der Straße leben, wenn sie keine Angehörigen haben, die sie unterstützen. Ähnlich verhält es sich in vielen ehemaligen Ostblockstaaten, wo seit 1990 ein massiver Ausverkauf von öffentlichem Eigentum stattgefunden hat. Staatliche Leistungen sinken, und noch intakte staatliche Strukturen, die eine gewisse Umverteilung leisten, werden als Hindernis des weiteren Ausverkaufs angesehen.

In Gestalt der Flüchtlingsströme klopfen die Probleme, die der Westen verursacht hat, nun an seine Haustür, so die Referentin. Man habe Afghanistan durch die langjährige Militärpräsenz nicht stabilisiert, sondern das Land destabilisiert, so daß die zweitgrößte Gruppe der Flüchtlinge aus Afghanistan komme. Die EU organisiere sich wie andere reichere Regionen als Gated Community. Es gebe die Mauer zwischen den USA und Mexiko, Grenzbefestigungen um Südafrika herum, eine Abschottung Singapurs. Die Situation laufe in Europa faktisch auf Schießbefehle an den Grenzen und Internierungslager hinaus, die es zwar schon gibt, die nun aber in noch viel stärkerem Ausmaß gefordert würden. Auf dem aktuellen EU-Sondergipfel sei unter anderem vorgeschlagen worden, in den ehemaligen olympischen Sportstätten Athens 50.000 Flüchtlinge zu internieren, was die griechische Regierung abgelehnt habe. Immer mehr Regierungen setzten auf einen kruden Nationalismus, um von den tatsächlichen ökonomischen Problemen abzulenken, wozu auch ein militärisches Säbelrasseln gehöre.


Moderatoren auf dem Podium - Foto: © 2015 by Schattenblick

Dr. Markus Gunkel und Wolfgang Kirstein vom Hamburger Forum
Foto: © 2015 by Schattenblick

Eckpfeiler der NATO im östlichen Mittelmeer

Die NATO ist seit 1990 bis an die russische Grenze vorgerückt. So seien die baltischen Staaten, die Ukraine und Polen an der Grenze zu Weißrußland Aufmarschgebiet gegen Rußland. Im Gegenzug hätten Rußland und China im Mai mit einer starken Flottenpräsenz im Mittelmeer und im Schwarzen Meer demonstriert, daß dies keine NATO-Meere, sondern internationale Gewässer seien. Dies wurde im Westen als aggressiver Akt und Kriegsandrohung ausgelegt. Griechenland spiele in diesem Zusammenhang eine bedeutsame Rolle, da USA und NATO auf Kreta diverse militärische Strukturen unterhalten, von denen aus auch der Krieg gegen Libyen maßgeblich geführt wurde. Mit einem Tiefwasserhafen für U-Boote und Flugzeugträger, einem Schießplatz zum Test neuen Geräts, Reparaturwerften, einem Ausbildungszentrum der Marine sowie militärisch nutzbaren Teilen von Flughäfen ist die Insel zentral für die NATO-Präsenz in der gesamten Region. Britannien unterhält zwei Stützpunkte mit Tiefwasserhäfen und Abhöranlagen auf Zypern, die rechtlich gesehen zum United Kingdom, nicht jedoch zu Großbritannien und damit auch nicht zur EU gehören. Diese Konstruktion entzieht die Militärbasen jeder Kontrolle und beschert der ansässigen Bevölkerung einen rechtlosen Zustand. Diese Stützpunkte werden in den Verhandlungen zwischen Nord- und Südzypern vollständig ausgeblendet.

Davon abgesehen führt die Durchfahrt ins Schwarze Meer an Griechenland vorbei, das als Eckpfeiler an der südöstlichen Flanke für die NATO unverzichtbar ist. Rußland, das mit der Basis im syrischen Tartus nur über einen einzigen Militärstützpunkt am Mittelmeer verfügt, sei an einer Nutzung militärischer Infrastruktur in Zypern und Griechenland interessiert. Im Kalten Krieg konnten russische Schiffe während der Regierungszeit von Giorgos Papandreou Griechenland anlaufen, um Nachschub aufzunehmen und Reparaturen durchzuführen. Eine solche Vereinbarung würde Rußland gern erneuern, wozu sich Griechenland heute jedoch von der Westintegration verabschieden müßte. Würde eine Regierung Militärbasen schließen oder gar einen Austritt aus der NATO erwägen, wäre ein Militärputsch durchaus zu befürchten, so die Einschätzung der Referentin. Bezeichnenderweise machte die Tsipras-Regierung die Einsparungen innerhalb der Streitkräfte seit 2008, die vor allem den Sold betrafen, in einer ihren ersten Amtshandlungen rückgängig. Auf diese Weise erkaufte sie sich die Loyalität der Militärs, weshalb ein Umsturz aus deren Kreis inzwischen nicht mehr zu erwarten sei.

Die Militärausgaben Griechenlands gehören gemessen am Bruttoinlandsprodukt zu den höchsten in der NATO. Ohne die Militärausgaben der letzten 20 Jahre wäre das Land heute rechnerisch schuldenfrei. Hätte es proportional denselben Anteil wie Deutschland aufgebracht, lägen nur Schulden in halber Höhe vor. Vorangetrieben wurde diese extreme Aufrüstung durch deutsche Konzerne, die im Gleichschritt Waffen an die verfeindeten NATO-Mitglieder Türkei und Griechenland lieferten. Die Verträge seien größtenteils unter kriminellen Umständen zustande gekommen, da Staatsbeamte offenbar mit Hunderten von Millionen bestochen wurden, was derzeit in Griechenland mit Hilfe von Kronzeugen juristisch aufgearbeitet werde. Hingegen verschleppe die deutsche Justiz solche Fälle oder ermittle nicht.

China kauft sich ein

Wesentlich stärker ökonomisch als militärisch sei China präsent, das in Piräus, dem zentralen Containerumschlagplatz neben Hamburg für die EU, mit seinem staatlichen Konzern Cosco bereits seit 2009 eine Option auf die Hälfte des Hafens hat. Dadurch erlange China einen direkten Zugang zum westlichen Markt und sei für Akteure wie das deutsche Staatsunternehmen Schenker ein direkter Konkurrent. Noch deutlicher zeige sich diese Konkurrenz bei den Flughäfen, die im Zuge der neuesten Auflagen privatisiert werden müssen. Die Chinesen hätten großes Interesse am Athener Flughafen und stünden dort in direkter Konkurrenz zu Fraport, dem deutschen Logistikunternehmen in Staatsbesitz. Fraport habe ein Paket von 18 kleineren Flughäfen erworben, aber noch nicht den in Athen, der der interessanteste sei.

Die Erfahrung in anderen Konstellationen lehre, daß China häufig den Zuschlag bekomme, also bei diesem neoliberal-kapitalistischen Spiel meistens gewinne. So hätten chinesische Unternehmen bei Privatisierungen in Afghanistan wie Ölraffinerien oder im Bergbau für seltene Erden stets den Zuschlag bekommen, was in den USA heftige Kritik hervorrief. Rußland und China haben Griechenland angeboten, bei der Asiatischen Entwicklungsbank mitzumachen, dem Gegenstück zur Weltbank, wozu es jedoch kaum kommen wird.

Die wachsende ökonomische Bedeutung des östlichen Mittelmeers verdanke sich zum einen der größeren Rolle des Suezkanals, dessen Kapazität im Rekordtempo von zwei Jahren mehr als verdoppelt wurde. Zum anderen gebe es reichhaltige Off-shore-Gasvorkommen, die die Konflikte in der Region verstärkt hätten. Unklar sei noch, wer die Vorkommen vor Kreta ausbeuten darf. Die Türkei schaffe Fakten im Nordteil Zyperns, und gleiches gelte für Israel, dessen Claims sich mit jenen Zyperns überlappen. Die Palästinenser hätten hingegen keine Chance, was die Vorkommen vor Gaza betrifft, so die Referentin.


Claudia Haydt auf dem Podium vor Wandbildern - Foto: © 2015 by Schattenblick

Globalstrategisches aus der "Kaffeewelt"
Foto: © 2015 by Schattenblick

Globale Konkurrenz um Handelsräume

Die Aufteilung des Vermögens in der Welt sei längst nicht abgeschlossen, da es noch viele Ressourcen und viel öffentliches Eigentum gebe. In der globalen Konkurrenz um Handelsräume seien Abkommen wie TTIP, CETA oder das Transpazifische Partnerschaftsabkommen TPP von strategischer Bedeutung. Für die USA sei Europa ökonomisch wichtig, aber noch wichtiger sei der Handelsabtausch mit Japan und in geringerem Umfang auch China. Um in der pazifischen Region ökonomisch stärker Fuß zu fassen, nach eigenen Spielregeln zu handeln und militärisch dominant zu sein, wende sich die US-Politik dieser Region verstärkt zu. So habe ein trilaterales Abkommen zwischen Japan, Südkorea und den USA, das zum überwiegenden Teil militärischer Natur sei, die Neuformierung der US-Präsenz besiegelt. Dadurch werde ein Handelsraum geschaffen, der noch größer als jener des TTIP sei, was wiederum den Druck auf die EU erhöhe, sich an letzterem zu beteiligen.

Hätten schon die existierenden Freihandelsabkommen verheerende Auswirkungen, so werde die Umverteilung von unten nach oben künftig noch gravierender erfolgen. Beispielsweise habe das Abkommen zwischen den USA und Mexiko zu Lohndumping in beiden Ländern und einem massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen geführt. Künftig seien weitere Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen zu erwarten, mit denen kurzfristig Unternehmensgewinne erzielt würden. Es werden ökonomische Mauern der Abschottung nach außen in Richtung Rußland und China, aber auch großer Teile Afrikas und Lateinamerikas hochgezogen, so Haydt.

Auch das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine sei ein Schritt dieser ökonomischen Grenzziehung. Den Ausgeschlossenen blieben im Prinzip die zwei Möglichkeiten, sich entweder den diktierten Bedingungen anzuschließen oder Gegenräume zu schaffen. Einen solchen Gegenraum baue Rußland mit der Eurasischen Zollunion auf, ein anderes Beispiel sei Mercosur in Lateinamerika, doch seien beide vorerst ökonomisch nicht stark genug, um mitzuhalten. Zudem sei es Teil der Freihandelsstrategie, einzelne Staaten herauszubrechen, wobei Länder wie Kasachstan oder insbesondere die Ukraine regelrecht umkämpft würden. Dies führe zu Spannungen zwischen den Staaten, aber auch in den betroffenen Ländern selbst, da einzelne Regionen gegeneinander arbeiteten oder sogar bewaffnet vorgingen. Dieses Szenario erinnere an den Vorabend des Ersten Weltkriegs, als die Imperien in einer Situation der Hochrüstung um die Neuaufteilung der Welt stritten.

Im Jahr 2013 hätten die BRICS-Staaten stark aufgeholt, was das BIP betraf. 2014 überholten sie nach Berechnungen der Weltbank gemessen an der Kaufkraft die alten Industriestaaten. Diesem ökonomischen Einflußverlust entgegenzuwirken, sei eines der wichtigsten strategischen Ziele der Freihandelsabkommen. Bei den Geschehnissen in Griechenland und der Ukraine handle es sich um eine kombinierte ökonomisch-militärische Auseinandersetzung mit sogenannten Herausforderern, die zum Teil als Stellvertreterkrieg und zum Teil direkt geführt werde.


Claudia Haydt präsentiert IMI-Broschüre 'Deutschland: Wi(e)der die Großmacht' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Restauration dingfest gemacht
Foto: © 2015 by Schattenblick

Konsequenzen für die Kämpfe in Deutschland und Europa

Man könne Griechenland unter dem Regime der Troika als ein Versuchslabor der Erpressung bezeichnen, in dem ausgelotet wird, was die Bevölkerung mit sich machen läßt, ohne aufzubegehren, so die Referentin. Zu den Auflagen gehöre, das Handeln der Gewerkschaften weitgehend einzuschränken und deren Mobilisierungsfähigkeit zu schwächen. Setze man die Schutzbestimmungen für Arbeitnehmerinnen auf den denkbar niedrigsten Standard herab, schaffe dies wiederum die ideologischen Voraussetzungen eines Übertrags auf andere Länder. Eine Mehrheit habe Syriza gewählt, obwohl man wußte, daß deren Regierung kaum erfolgreich sein würde. Es habe die Furcht vor dem, was jenseits des Euro geschehen könnte, überwogen. Darüber nicht nachzudenken sei jedoch ein schwerer Fehler gewesen, denn wer ohne Alternative in Verhandlungen geht, sei unendlich erpreßbar.

Wie der Blick in die osteuropäischen Länder zeige, seien die Menschen auch dort desillusioniert, was das politische System betrifft, wenn man von dem Sonderfall Polen absehe. Vom Westen aufgebaute Parteien und NGOs, die Zivilgesellschaft spielen, und ein von außen importiertes "politisches Leben" hätten nur begrenzt Fuß gefaßt hat. Lediglich die Eliten seien extrem US-orientiert, während die Bevölkerung wie etwa in Bulgarien beginne, sich zu organisieren. In Britannien zeichneten sich innere Widersprüche ab, wie die schottische Unabhängigkeitsbewegung, das kommende EU-Referendum und insbesondere die Wahl Jeremy Corbyns zum Labour-Vorsitzenden zeigten. In Portugal sei bei den Wahlen eine Mitte-Links-Verschiebung, doch insgesamt gesehen auch eine noch stärkere nach rechts zu verzeichnen. Der vielerorts wachsende Widerstand gegen die EU neige vor allem zu rechtspopulistischen Antworten. Sehe man nicht, welchen Vorteil Demokratie haben kann, liege der Ruf nach einem starken Mann oder einer starken Frau wie in Frankreich nahe.

Die Rechten in Griechenland seien gut organisiert und vernetzt, hätten aber dennoch nicht den befürchteten durchschlagenden Erfolg. Trotz der nicht eingehaltenen Versprechen Syrizas zeichne den gesellschaftlichen Diskurs eine linke Hegemonie aus, die zu einer gewissen Immunisierung gegen rechte Kräfte führe. Die Diskussionen werden nicht von chauvinistischen Positionen beherrscht, was angesichts der ungeheuren Flüchtlingsströme durchaus zu befürchten wäre. Das möge bescheiden anmuten, sei aber im europäischen Kontext bedeutsam, wenn man an die Rechtsentwicklung in Ungarn, Österreich, Polen oder Frankreich denke. Es komme vor allem auf den Diskurs in der Bevölkerung an, die in Griechenland sehr wach sei und die politische Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit verfolge.

In Deutschland, das im Unterschied zu den meisten anderen EU-Ländern kontinuierlich aufgerüstet hat, könnte Gegensteuern beispielsweise bedeuten, auf Abrüstung zu drängen und Militärbündnisse aufzulösen oder ihnen zumindest die Zähne zu ziehen. Die Europäische Union sei nicht zuletzt ein Militärbündnis, das noch nicht in seinen realen Möglichkeiten, wohl aber in der Konsequenz stärker als die NATO konstruiert ist. Rufe ein NATO-Mitglied den Verteidigungsfall aus, dürfen andere Mitglieder nicht dagegen sein, müssen aber nicht mitkämpfen. Hingegen sei die Solidaritätsklausel der EU ein Zwang, zusammen zu kämpfen. Zentrale Stoßrichtung linker Politik bleibe, die Umverteilung global wie auch innerhalb der Länder anzugehen. Das deutsche ökonomische Konzept zerstöre Europa und setze weltweit die falschen Standards. Es habe einen Dumpingwettbewerb ausgelöst, zumal die deutschen Lohnstückkosten immer noch 20 Prozent unter jenen Frankreichs lägen. Auch hier gelte es, durch gewerkschaftliche Tarifkämpfe gegenzusteuern. Die Kämpfe in Deutschland haben Auswirkungen weit über dieses Land hinaus, so die abschließende mahnende wie ermutigende Aussage Claudia Haydts.


Veranstaltungsplakat an Saaltür - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/


Veranstaltungsreihe "Griechenland, EU und Euro in der Krise" im Schattenblick
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29. November 2015


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