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BERICHT/228: Treffen um Rosa Luxemburg - Zweckvereinnahmung ... (SB)


Fluchtursache Kapitalismus

Politischer Jahresauftakt der Europäischen Linkspartei



Alle Akteure beim Abschlußlied gemeinsam auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Jahresauftakt mit dem Motto "Erkämpft das Menschenrecht - Gegen NATO, Freihandelsdiktate und andere Fluchtursachen" - gemeinsames Abschlußlied in Erinnerung an Comandante Che Guevara
Foto: © 2016 by Schattenblick

Nahezu nahtlos und von vielen Teilnehmenden, wie der Schattenblick vor Ort in Erfahrung bringen konnte, als gewollte wie gefühlte Einheit aufgefaßt, hat sich am 9. Januar die 21. Rosa Luxemburg Konferenz, das alljährliche internationale und internationalistische Treffen der radikalen Linken, tags darauf mit dem politischen Jahresauftakt der Europäischen Linkspartei, zu dem auch Partei und Bundestagsfraktion der deutschen Linken eingeladen hatten, verbunden. Beide Großveranstaltungen wurden zusätzlich ergänzt durch die Ehrung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde am frühen Sonntagmorgen, die anschließende LL-Demo und, nicht zu vergessen, das ebenfalls von der Europäischen Linken am Abend zuvor veranstaltete Podiumsgespräch zum Thema "Antiimperialismus heute".

Inhaltliche wie personelle Verflechtungen verstärkten diesen Eindruck noch und ließen eine dezidierte Feinabstimmung zwischen allen an Planung, Organisation und Durchführung Beteiligten vermuten. Die Rosa Luxemburg Konferenz, unter den programmatischen Titel "Kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun: Selber Tun!" gestellt, nahm dabei ebenso Anleihen an der Internationalen [1] wie der Jahresauftakt der Europäischen Linken, die sich für ihre politischen Initiativen das Motto "Erkämpft das Menschenrecht: Gegen NATO, Freihandelsdiktate und andere Fluchtursachen" auf die Fahnen geschrieben hatte.


Konterfei Rosa Luxemburg vor rotem Hintergrund - Foto: © 2016 by Schattenblick

Politisch unsterblich - Das Konterfei Rosa Luxemburgs auf dem Transparent zum Gedenktag an die Opfer von Antikommunismus und Gewerkschaftsfeindlichkeit
Foto: © 2016 by Schattenblick

Gemessen daran, daß sich linke Parteien aus insgesamt 21 EU-Staaten zur Europäischen Linken (EL) zusammengeschlossen haben, jedoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die im Berliner KOSMOS versammelte Spitze der deutschen Partei Die Linke das Feld der inhaltlichen Beiträge dominierte, blieb offen, welchen Stellenwert das Gros der übrigen EL-Parteien dieser Veranstaltung überhaupt beimaß. Von Diether Dehm, Musikproduzent, Liedermacher, Schatzmeister der Europäischen Linken und Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, organisiert und moderiert, erwies sich der Jahresauftakt als eine rundum professional aufgezogene und in jeder Beziehung ansprechend choreographierte Veranstaltung, die ihren zu vermutenden Zweck, nämlich Geschlossenheit und Stärke der Parteilinken zu demonstrieren, ihrer Anhängerschaft neuen Auftrieb zu vermitteln und gegenüber der Öffentlichkeit klare Kante zu zeigen, voll und ganz erfüllte.

Als besonderer Ehrengast wurde mit Prof. Dr. Georgios Katrougalos, dem amtierenden Sozial- und Arbeitsminister der griechischen Syriza-Regierung, ein im eigenen Land heftig umstrittener, weil unmittelbar mit der Umsetzung des Troika-Diktats befaßter Politiker präsentiert. Die ungebrochene Solidarität der Parteiführung der deutschen Linken mit dem griechischen EL-Partner Syriza ließ sich, wenn auch eher indirekt, daraus ablesen, daß mit keinem Wort auf den scharfen Gegenwind eingegangen wurde, der dem griechischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden EL-Vorsitzenden, Alexis Tsipras, inzwischen entgegenweht. Ihm wurde zugute gehalten, daß seine Regierung auf Zwänge gestoßen sei und nicht den politischen Spielraum vorgefunden habe, ihre Vorhaben auch umzusetzen, weshalb die Rednerinnen und Redner der Partei Die Linke die europäischen Linken aufforderten, für einen ausreichenden Spielraum linker Regierungen zu kämpfen.


Die Genannten an drei kleinen runden Tischen stehend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, Diether Dehm, Oliver Schröder (als Übersetzer) und Prof. Dr. Georgios Katrougalos (v.l.n.r.)
Foto: © 2016 by Schattenblick


Welchen Aufgaben will sich die Partei Die Linke widmen?

Die neue Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, hatte bereits am Vortag auf der Rosa Luxemburg Konferenz eine als programmatisch bezeichnete und bundesweit beachtete Rede gehalten, in der sie einem möglichen Regierungsbündnis mit SPD und Grünen eine Absage erteilte bzw. die Verhandlungspositionen ihrer Partei in diesen Fragen absteckte, und so hatten viele Anwesende im vollbesetzten Berliner KOSMOS auch hier ihrem gemeinsamen Auftritt mit dem Ko-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch mit großem Interesse entgegengesehen. Anläßlich der neuen linken Regierung Portugals, die auch enge Spielräume habe, fragte Diether Dehm in der ersten Talkrunde die beiden Fraktionsvorsitzenden zunächst danach, was Die Linke, auch vom Bundestag aus, noch tun könne, um den Druck auf die Länder Südeuropas zu mildern und dazu beizutragen, daß sie wieder einen Zipfel ihres Schicksals in die eigenen Hände bekämen.


D. Dehm moderiert - Foto: © 2016 by Schattenblick

Diether Dehm
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Sahra Wagenknecht erklärte, das Wichtigste sei, sich nicht auf die üble Kampagne einzulassen, die Bevölkerungen der verschiedenen Länder gegeneinander auszuspielen - schließlich hätten wir alle die finstere, widerwärtige Hetze und Stimmungsmache gegenüber Griechinnen und Griechen vom Frühjahr letzten Jahres noch gut in Erinnerung. Ihrer Meinung nach sei es ganz, ganz wichtig, immer wieder zu vermitteln, daß in Europa derzeit ein neoliberaler Plan des Umbaus des gesamten Kontinents zu Lasten derer, die davon leben müssen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und zugunsten jener, die über große Kapitalpakete verfügen, umgesetzt wird.


Sahra Wagenknecht - Fotos: © 2016 by Schattenblick Sahra Wagenknecht - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Sahra Wagenknecht - neoliberaler Umbau in ganz Europa
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Seit 2009 ist die Armutsquote in Europa, wie die Linken-Fraktionsvorsitzende erläuterte, um fast ein Viertel der Bevölkerung angestiegen, gleichzeitig hat sich die Zahl der Milliardäre in Europa verdoppelt. Gegen die Behauptung, daß einzelne Bevölkerungen schuld an ihren Schulden seien, müsse Die Linke ihre Stimme erheben. Ihre Aufgabe sei es auch, über die Verfassung zu reden, in der sich Europa tatsächlich befindet. Demokratie, ein ur-griechischer, aber auch ur-europäischer Wert, werde nämlich auf dem Kontinent zunehmend außer Kraft gesetzt, wofür Griechenland, dessen Bevölkerung eine Regierung mit dem ausdrücklichen Auftrag gewählt hat, Schluß zu machen mit der desaströsen Spar- und Wirtschaftspolitik, ein aktuelles Beispiel ist.

Beim Referendum haben 60 Prozent der Griechinnen und Griechen erklärt: Wir wollen nicht mehr, daß unser Land kaputtgemacht wird. Doch EZB-Präsident Mario Draghi, Kanzlerin Merkel und all die übrigen EU-Technokraten sagen: Das könnt ihr alles beschließen, das interessiert uns überhaupt nicht. Wir sagen euch, was ihr zu machen habt, und wenn ihr das nicht wollt, müßt ihr halt verschwinden. Syriza, so Wagenknecht, habe sich da für eine bestimmte Position entschieden, die sie hier gar nicht diskutieren wolle, weil das nicht das Thema sei.

Wir müssen darüber reden, so die Linkenpolitikerin, wie es sein könne, daß in Europa die Spielräume einzelner Regierungen letztlich davon abhingen, ob wir hier in Deutschland eine linke oder rechte, konservative Regierung haben. Das dürfe doch nicht wahr sein! Die Portugiesen, die Spanier, wenn es auch dort zu einer linken Regierung kommen sollte, müßten politische Spielräume haben, weshalb wir ein anderes Europa bräuchten, in dem die Verträge die Regierungen nicht mehr auf eine neoliberale Politik verpflichteten.


Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht - Foto: © 2016 by Schattenblick

Geschlossenes Auftreten der Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke
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Dietmar Bartsch vertrat die Auffassung, daß wir in Deutschland, Europa und vielleicht sogar in der Welt an einem Scheideweg stünden und einen Aufbruch in eine neue Sozial- und Friedenspolitik bräuchten. An den aktuellen Wahlergebnissen beispielsweise in Griechenland, Portugal und Spanien könne man sehen, daß die Menschen sich wehren und etwas anderes wählen, was aber noch keine Auswirkungen auf die Kernländer der EU, zu denen auch Deutschland gehöre, habe. Deshalb sei es die Aufgabe der Partei Die Linke, hier deutlich zu machen, daß eine andere Politik möglich ist!

Wir brauchen eine generell andere Umverteilung in Deutschland, in Europa und in der Welt und eine andere Außenpolitik, denn die ist - allein durch Rüstungsexporte - mitverantwortlich für die aktuellen Probleme, so Bartsch. Wir müssen in Deutschland und Europa für Veränderung sorgen, indem wir so stark werden, daß wir die Achse der Politik nach links verschieben können. Da wollen wir in diesem Jahr einen Schritt vorankommen, so die Absichtserklärung des Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke im Bundestag.


Dietmar Bartsch in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dietmar Bartsch - die Achse der Politik nach links entwickeln
Foto: © 2016 by Schattenblick


Klare Kante gegen das PKK-Verbot

In der ersten Talkrunde sprach Diether Dehm die beiden Fraktionsvorsitzenden auch auf die PKK bzw. das PKK-Verbot an. Tapfere jungen Frauen kämpften, wie auf Filmen zu sehen sei, gegen ISIS, werden von der türkischen Armee beschossen und stünden immer noch auf der Terrorliste. Was könnten wir als Fraktion im außerparlamentarischen wie parlamentarischen Raum tun, so Dehms Frage, um ihnen solidarisch zur Seite zu treten, damit endlich die schreckliche Verfolgung von Menschen aufhört, die Christen und Jesiden verteidigen?

Dietmar Bartsch erklärte, daß das, was in der deutschen Außenpolitik mit der Türkei geschähe, in keiner Weise akzeptabel ist. Rußland werde wegen des Ukraine-Konflikts aus der G8 ausgeschlossen, Sanktionen werden verhängt. Saudi-Arabien, wo Menschen geköpft werden, könnten bei den G20 bleiben, Steinmeier komme im Februar zu Besuch. Was ist das für eine Außenpolitik? so seine rhetorische Frage. Was die PKK betrifft, könne er nur empfehlen, sich deren Entwicklung einmal genau anzusehen, denn sie sähe ihre Vergangenheit selbst kritisch, auch was sie in Deutschland gemacht hat. Es sei eine andere Organisation geworden. In der Türkei gehe Erdogan gegen diejenigen vor, die die Jesiden herausgeholt haben, denn das war die PKK und nicht die Peschmerga.

Parlamentarisch können wir nicht mehr machen, räumte der Linkenpolitiker ein. Selbstverständlich haben wir beantragt, daß dieser Unsinn des PKK-Verbots hier endlich aufgehoben wird. Da bleiben wir dran, und das machen wir auch deutlich. Es müsse aber auch gesagt werden, daß die PKK wie auch die YPG in Syrien die einzigen sind, die wirklich mit Waffen gegen den Islamischen Staat kämpften. Davor habe er auch Hochachtung. Er vertrete grundsätzlich antimilitaristische Positionen, sei aber kein Pazifist, und sei deshalb froh, daß der IS zurückgedrängt wurde. Unsere Solidarität gehört den Genossinnen und Genossen auch der PKK, das Verbot ist lange überholt, so Bartsch.


R. Kröhnert zieht Gesichter... - Fotos: © 2016 by Schattenblick R. Kröhnert zieht Gesichter... - Fotos: © 2016 by Schattenblick R. Kröhnert zieht Gesichter... - Fotos: © 2016 by Schattenblick

"Bin immer noch die Mutti aller Flüchtlinge" - Rainer Kröhnert nimmt die Kanzlerin kabarettisisch ins Visier
Fotos: © 2016 by Schattenblick


K. Kipping in Großaufnahmen - Fotos: © 2016 by Schattenblick K. Kipping in Großaufnahmen - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Katja Kipping - die Ungerechtigkeit hat nur einen Namen
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Auch wenn nicht alle Blütenträume reifen...

Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke, erklärte, daß die vielen Flüchtlinge auch ein Resultat von 15 Jahren sogenanntem Anti-Terrorkrieg sind. Sie sei stolz darauf, daß ihre Partei organischer Teil der Flüchtlingssolidarität ist. Die Linke trete auch für eine Sozialgarantie ein, denn um dem Rassismus und Rechtspopulismus die Grundlagen zu entziehen, müßten Sozial- und Rentenkürzungen ausgeschlossen werden. Der Ungerechtigkeit zwischen arm und reich könne ihre Partei nur einen Namen geben: kapitalistisches Wirtschaftssystem.

Mit Blick auf die desaströse EU-Politik erklärte die Parteivorsitzende, diese sorge dafür, daß immer mehr Menschen den Glauben an eine andere Politik in Europa verlieren. Ein ermutigendes Beispiel sei die Wahl Jeremy Corbyns zum neuen Labour-Vorsitzenden. In den südeuropäischen Ländern bekomme die Austeritätspolitik der EU Gegenwind, wie die Wahlerfolge linker Parteien bzw. die Regierungswechsel in Portugal, Griechenland und Spanien zeigten. Im Süden Europas habe die Linke gezeigt, daß sie erfolgreich sein könne, wenn sie bereit ist, die Machtfrage zu stellen. Die Linke habe deutlich ausgestrahlt, daß es um einen grundlegenden Bruch mit der herrschenden Austeritätspolitik geht und dieser nicht nur nötig, sondern auch möglich ist, so Kipping. Einen Versuch, den Widerspruch zu thematisieren zu der nur wenig später von Oskar Lafontaine vertretenen Auffassung, daß Syriza auf Zwänge gestoßen und deshalb die eigene Agenda nicht habe durchsetzen können, unternahm sie nicht.


Anzeigetafel 'Erkämpft das Menschenrecht' mit Kippings Namen - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

Sie widersetzte sich mit Blick auf den Wahlerfolg der Linken Portugals der Einschätzung, die neue portugiesische Regierung [2] würde die Sicherheit in Europa gefährden, denn die werde nicht durch linke Politik, sondern die aktuelle Kriegführung und das Dogma der Austerität gefährdet. Ebensowenig seien die Linken eine Gefahr für die Demokratie, die sie im Gegenteil sogar stärkten, weil sie - auch wenn nicht alle Blütenträume reiften - eine Perspektive für eine andere Politik aufzeigten. Die Militäreinsätze trieben dem Terror neue Mitstreiter zu, der neoliberale Kürzungsplan untergrabe die soziale Sicherheit und die Demokratie in Europa. Kippings Appell lautete deshalb, den Kräften des Neoliberalismus nicht zu gestatten, daß Thema Sicherheit für sich zu beanspruchen, denn es sei Die Linke, die in Europa für soziale Sicherheit und freiheitliche Demokratie einstehe.


B. Riexinger während seiner Rede - Fotos: © 2016 by Schattenblick B. Riexinger während seiner Rede - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Bernd Riexinger - die Kampffelder der Linken annehmen
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Damit die Farbe rot wieder Mode wird

Die europäische Linke stehe, wie Bernd Riexinger, Ko-Vorsitzender der Partei Die Linke, erklärte, vor großen Herausforderungen. Ihre Wahlerfolge in Griechenland, Portugal und Spanien werden überschattet durch das hochgefährliche Erstarken rechter, national- und rechtspopulistischer Kräfte. Auch in Deutschland bilde sich derzeit eine rechtspopulistische Partei heraus, die rassistische Hetze verbreite. Nicht Die Linke, sondern bürgerlich-konservative und sozialdemokratische Parteien hätten diesen Parteien und Bewegungen den Nährboden bereitet mit einer Politik, die den Zusammenhalt in ganz Europa zerstört und soziale Verunsicherung, Zukunftsängste und Politikverdrossenheit verursacht. Es sei die zentrale Aufgabe der gesamten europäischen Linken, rechte, rechtspopulistische oder gar faschistische Politik zu bekämpfen und linke Alternativen stark zu machen.

Perfide sei, wenn Flüchtlinge und große Teile der Bevölkerung gegeneinander ausgespielt werden. Wenn Seehofer sagt, wir können doch nicht der hier lebenden Bevölkerung Leistungen kürzen, nur um mehr Geld für Flüchtlinge zu haben, sei das eine dreiste Unterschlagung der Tatsache, daß für die hiesige Bevölkerung längst Renten gekürzt und Sanktionen erhöht, die Sozialsysteme zerschlagen und Arbeit dereguliert wurde. Um zu verhindern, daß sich Menschen von denen abgrenzen, die noch weiter unten stehen als sie, müsse über die Millionäre und Milliardäre in diesem Land geredet werden. Wenn wir verhindern wollen, daß die Armen die Kosten für die Integration bezahlen, müssen wir offensiver verlangen, daß endlich die Reichen zur Kasse gebeten werden.

Wir stehen vor einer Zäsur über die weitere gesellschaftliche Entwicklung, so Riexingers Einschätzung. Werde weiter sozial gespalten und ausgegrenzt und werden die Kosten nach unten abgewälzt? Oder schaffen wir eine Offensive für bezahlbare Wohnungen für alle, für mehr Personal in Bildung, Pflege und Erziehung, für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, höhere Löhne und gegen prekäre Arbeit, für armutsfeste Renten, kurzum: für soziale Sicherheit statt Existenzangst? Das sind die Kampffelder für Die Linke und auch die Gewerkschaften, also laßt sie uns - so der Appell des Parteivorsitzenden - auch annehmen.


Schriftzug DIE LINKE vor rotem Hintergrund - Foto: © 2016 by Schattenblick

Eine Farbe mit hohem politischen Symbolwert
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Er sei stolz darauf, erklärte Riexinger, daß die Bundestagsfraktion der Linken als einzige geschlossen gegen den Einsatz in Syrien gestimmt habe. Mit der Linken seien auch in Zukunft keine Militäreinsätze der Bundeswehr zu machen. Die Europäische Linke habe die zentrale Aufgabe, gegen Krieg, Waffenexporte und die Militarisierung der europäischen Außenpolitik zu kämpfen, da müsse eine linke Politik grundlegende Alternativen anbieten und für deren Durchsetzung kämpfen. Wir brauchen ein linkes Projekt, das Ausstiege aus dem neoliberalen Kapitalismus durchsetzt, und müssen in diesem Sinne immer auch die Machtfrage stellen, so Riexinger, der aber auch zu bedenken gab, daß es in Deutschland kein linkes Lager gibt. Das lasse sich nur entwickeln, wenn linke Positionen immer wieder mehrheitsfähig gemacht werden und von den Köpfen der Menschen auch in die Füße gelangten.

Gegen mächtige Interessengruppen, die Lobby der Superreichen, Kapitalverbände und die Mehrheit der politischen Eliten könne ein linkes Reformprojekt nur durchgesetzt werden mit der breiten Unterstützung außerparlamentarischer Organisationen und Bewegungen, der Gewerkschaften und Sozialverbände und vieler anderer mehr. Die Partei Die Linke werde auch 2016 für ein gemeinsames, gesellschaftsveränderndes Projekt arbeiten und wolle Motor eines grundlegenden Politikwechsels sein. Wir kämpfen außerparlamentarisch wie parlamentarisch, auch bei den bevorstehenden Landtagswahlen, für eine starke Linke. Wir gehen raus auf die Straßen und Plätze und sorgen dafür, daß die Farbe rot wieder Mode wird, so sein Schlußappell.


R. Kröhnert, diesmal ohne Perücke, im kabarettistischen Einsatz - Fotos: © 2016 by Schattenblick R. Kröhnert, diesmal ohne Perücke, im kabarettistischen Einsatz - Fotos: © 2016 by Schattenblick

"Da wollte dieses Bürschle Varoufakis mit seinem Randale-Rucksäckle mir in Geldfragen das Wasser reichen" - Rainer Kröhnert parodiert den Bundesfinanzminister
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O. Lafontaine während seiner Rede - Fotos: © 2016 by Schattenblick O. Lafontaine während seiner Rede - Fotos: © 2016 by Schattenblick O. Lafontaine während seiner Rede - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Oskar Lafontaine - der Kapitalismus trägt den Krieg in sich
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Spielräume für eine linke Politik

Es werde immer deutlicher, wie Oskar Lafontaine in seiner Abschlußrede ausführte, daß die jetzige wirtschaftliche Entwicklung, basierend auf einem Wirtschaftssystem der Zerstörung, nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Aufgabe der Linken sei es, den Menschen zu sagen, daß der Kapitalismus weltweit die Fluchtursache Nr. 1 ist. Lafontaine zitierte den französischen Reformsozialisten Jean Jaurés mit den Worten, der Kapitalismus trage den Krieg in sich wie die Wolke den Regen, und den Papst mit der Aussage, dieses Wirtschaftssystem müsse Krieg führen, um zu überleben. Die Partei Die Linke sei eine Antikriegspartei und habe wiederholt versucht, im Bundestag eine Debatte darüber zu führen, was Terrorismus eigentlich ist. In einem deutschen Gesetz sei das ganz richtig formuliert worden, so Lafontaine, nämlich als "rechtswidrige Anwendung von Gewalt, um politische Ziele durchzusetzen", was gerade auf diejenigen zuträfe, die angeblich den Terrorismus bekämpfen wie beispielsweise Bush mit dem Irakkrieg.

Wer behaupte, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, aber seit Jahren Waffen an Kopf-ab-Dynastien liefere, sei völlig unglaubwürdig. Um die Fluchtursachen wirksam zu beheben, müßte nicht nur der Waffenhandel gestoppt, sondern auch der Hunger bekämpft werden. Die westlichen Staaten müßten aufhören, Agrarsubventionen bereitzustellen und die Landwirtschaft in den armen Ländern zu zerstören. Das größte Lügenwort in diesem Zusammenhang sei aber der Freihandel, denn das ist das Recht der Konzerne, jede wirtschaftliche Aktivität in diesen Ländern kaputtzumachen. Wenn die Kanzlerin behauptet, wir schaffen das, bedeute das, daß die sozial Schwächeren über höhere Mieten und nicht erhöhte Sozialleistungen die Zeche zahlten. Diese Politik versuche sie zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung, der Rentnerinnen und Rentner und der Arbeitslosen durchzusetzen, wogegen Die Linke aufstehen und sagen müsse: Geh endlich den Reichen an den Geldbeutel!

Als die Linke in den südeuropäischen Ländern erstarkte, habe es große Hoffnungen gegeben, doch dann habe man gesehen, welchen Zwängen sie ausgesetzt ist. Syriza habe viele ihrer Vorhaben überhaupt nicht umsetzen können. Damit die Stimmung nicht umkippe, müsse die Linke auf europäischer Ebene darum kämpfen, daß linke Regierungen auch Spielräume für linke Politik bekämen. Die europäischen Verträge seien gemeißelter Neoliberalismus, dem sich die Partei Die Linke nicht unterwerfe! Das aktuelle neoliberale Projekt in Europa enthalte die Chance deutlich zu machen, daß der Kapitalismus niemals das Ende der Geschichte sein dürfe, weil er zu immer mehr Zerstörung, Hunger und Kriegen führt.

Aufgabe der Linken sei es, diese Wirtschaftsordnung, in der jeder Mensch des anderen Wolf ist, zu überwinden, so Lafontaines Perspektive für eine bessere Welt, für die er mit langanhaltendem Beifall der Anwesenden belohnt wurde. Zusammenfassend läßt sich da nur feststellen, daß die Führung der Partei Die Linke den Spielraum dieser Veranstaltung voll und ganz zu nutzen verstanden hat. Sie hat die Menschen in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Berliner KOSMOS erreicht und, so weit sich das anhand eines Stimmungsbildes überhaupt vermuten läßt, auch für sich einnehmen können. Ihren krönenden Abschluß fand die rundum gelungene Veranstaltung mit dem von der spanischen Sängerin Lucia Socam intonierten Kampflied Hasta Siempre, wozu die versammelte Parteiprominenz geschlossen auf der Bühne erschienen war.


Lucia Socam singt und spielt Gitarre - Foto: © 2016 by Schattenblick

Mit dem Comandante singt sich Lucia Socam in die Herzen des Publikums
Foto: © 2016 by Schattenblick

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Internationale

[2] Am 10. November vergangenen Jahres hatte ein Linksbündnis, bestehend aus der Sozialistischen Partei (PS), dem Marxistischen Linksblock (BE) und dem Kommunistischen Bündnis (CDU), die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho, bestehend aus der Volkspartei (CDS-PP) und der Sozialdemokratischen Partei (PSD), die nach der Wahl vom 4. Oktober gemeinsam eine Minderheitsregierung gebildet hatte, durch ein Mißtrauensvotum zu Fall gebracht. Neuer Ministerpräsident einer neuen, nun sozialistischen Minderheitsregierung wurde der PS-Vorsitzende António Costa mit Unterstützung des Marxistischen Linksblocks und des Kommunistischen Bündnisses. Die neue Linksregierung will den Austeritätskurs ihrer Vorgänger, also eine Politik der Renten- und Lohnkürzungen und Steuererhöhungen für die arme Bevölkerung, beenden. Zugleich erklärte Finanzminister Mário Centeno, daß Portugal nicht gegen die EU-Regularien verstoßen und die staatlichen Zahlungsverpflichtungen nicht in Frage stellen werde.


Treffen um Rosa Luxemburg am 9./10. Januar 2016 in Berlin im Schattenblick
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12. Februar 2016


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