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BERICHT/281: Initiativvorschläge - die Letzten werden die Ersten sein ... (SB)



Das sozialpartnerschaftlich regulierte Verhältnis von Kapital und Arbeit in der Bundesrepublik hat diese fundamentale Widerspruchslage ideologisch und praktisch in den Handlungsrahmen verrechtlichter Arbeitskämpfe eingehegt. Indem die DGB-Gewerkschaften im Rahmen der paritätischen Mitbestimmung einen bis dahin beispiellosen Einfluß auf die Geschäftspolitik großer Konzerne gewannen, verwuchsen sie mit deren Management zu Sachwaltern der Unternehmensinteressen. Sie konzentrierten sich in zunehmendem Maße auf ihre traditionelle Klientel der Stammbelegschaften und übernahmen angesichts hereinbrechender Krisen und wirtschaftlichen Niedergangs insbesondere die Funktion, im Zuge defensiver Abwehrkämpfe Kompromisse auszuhandeln und einer unabdingbaren Opferbereitschaft das Wort zu reden. Der wenngleich schrumpfenden und ihrerseits beschnittenen, so doch relativ bessergestellten Arbeiteraristokratie steht ein rasant wachsendes Heer prekär Beschäftigter gegenüber, das von den großen Gewerkschaften nicht nur weitgehend ignoriert, sondern oftmals sogar gezielt ausgegrenzt wird. Die alte Diskreditierung als "Lumpenproletariat", dessen Existenz den Ethos, Arbeitsfleiß und Schaffensdrang der Werktätigen konterkariere, bricht sich in Gestalt der "Prekären" in einer um so wirkmächtigeren Form der Schuldzuweisung Bahn.

Die sogenannte Dienstleistungsgesellschaft zeichnet sich durch einen extremen Wirtschaftsliberalismus aus, der sich jeglicher Regulierung zu entziehen trachtet und nicht selten neofeudale Formen der Ausbeutung hervorgebracht hat. Subunternehmer, Freiberufler, Solo-Selbständige, Zeitarbeiter, befristet Beschäftigte, Minijobber - der Kreation immer neuer Varianten derselben Zurichtung sind keine Grenzen gesetzt. Arbeitskräfte, die nach Gutdünken geheuert und gefeuert werden, mit Hungerlöhnen und ohne soziale Sicherung, entweder weitgehend rechtlos oder ihrer Rechte nicht bewußt, machtlos und isoliert.

Daß die radikale Linke traditioneller Gewerkschaftsarbeit im Dienst der Sozialpartnerschaft nichts abgewinnen kann, liegt auf der Hand. Es wäre jedoch fatal, den gesamten Sektor der Lohnabhängigkeit im Sinne emanzipatorischer Kämpfe für irrelevant zu erachten und sich selektiv auf andere Felder der Auseinandersetzung zu beschränken. Tatsächlich haben sich Teile der unabhängigen Linken in den letzten Jahren verstärkt der sozialen Frage zugewandt und Kämpfe von Lohnabhängigen unterstützt. Dabei richtet sich ihr Interesse insbesondere auf die sogenannten prekären Bereiche der sozialen Arbeit, der Pflege, in Krankenhäusern, Hotels und Gastronomie, Logistik, Kurierdiensten und Call Centern, kurz der entufernden Sphäre einer Arbeitswelt, in der die DGB-Gewerkschaften kaum vertreten sind.

Da es sich durchweg um Arbeitsfelder handelt, in denen die Lohnabhängigen mangels Bändern, die ihr kollektiver "starker Arm" zum Stillstand bringen könnte, über wenig oder gar keine Produktionsmacht verfügen, stellt sich die im Grunde vom gesamten Spektrum der Linken bis hinein in die Parteipolitik aufgeworfene Frage, auf welche Weise unter diesen grundlegend veränderten Arbeitsverhältnissen dennoch Gegenmacht hervorgebracht werden könnte. So wenig es darum gehen kann, zu einem weiteren unbezahlten Dienstleister sozialer Arbeit zu werden oder sich in begrenzten und befristeten Erfolgen zu erschöpfen, so wenig versteht sich die radikale Linke als belehrende Avantgarde oder ins Leere predigendes Politgruppenbiotop. Was also gilt es zu hinterfragen, zu diskutieren und in Angriff zu nehmen, soll in Kämpfen um ganz konkrete Verbesserungen der Keim von Widerständigkeit und Selbstorganisation gepflanzt werden, der einer sozialrevolutionären Umwälzung den Weg bereiten könnte?

"Gegenmacht ohne Produktionsmacht?"

Dieser Frage ging der Workshop "Gegenmacht ohne Produktionsmacht?" nach, der im Rahmen des Kongresses "Selber machen - Konzepte von Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie" (28. bis 30. April im Bethanien in Berlin-Kreuzberg) stattfand. Organisiert hatte den Workshop die Gruppe Antifa Kritik und Klassenkampf aus Frankfurt [1], die dafür plädiert, daß sich die unabhängige Linke aus strategischen Gründen wieder den Kämpfen der Lohnabhängigen zuwenden und sich dort verankern sollte. Vor allem den sogenannten prekären Bereichen komme besondere Bedeutung zu, weil dort die sozialpartnerschaftlichen DGB-Gewerkschaften kaum präsent seien.

Es waren drei Initiativen eingeladen worden, die in solchen Bereichen aktiv sind: Zum einen die Grupo de Acción Sindical [2], die vor allem spanische Lohnabhängige in Berlin in ihren Kämpfen um bessere Arbeitsbedingungen unterstützt. Hinzu kam die FAU Frankfurt [3], die unter anderem einen Kampf bei der Lebenshilfe geführt hat. Und schließlich berichtete Callum Cant aus Brighton, der das Bulletin "Rebel Roo" herausgibt und in der politischen Gruppe Plan C [4] aktiv ist, von den Kämpfen der Kurierfahrer beim Online-Lieferdienst Deliveroo [5] in mehreren britischen Städten.

Selbstorganisierung migrantischer Arbeitskräfte

Die Grupo de Acción Sindical (GAS) unterstützt in verschiedenen deutschen Städten südeuropäische migrantische Arbeiterinnen und Arbeiter bei der Selbstorganisierung im Betrieb. Sie wurde 2014 aufgrund der Einschätzung ins Leben gerufen, daß migrantische Arbeitskräfte in der Krise einerseits besonders ausgebeutet und andererseits benutzt werden, um die Arbeitsbedingungen hierzulande auf breiter Front zu verschlechtern. Die Grenze verlaufe nicht zwischen Völkern, sondern zwischen unten und oben, so das Credo der GAS, die den kollektiven Kampf um bessere Arbeitsbedingungen auf der Grundlage von Selbstbestimmung, Basisdemokratie und transnationaler Solidarität führt. Wenngleich in der Gruppe vorwiegend Spanisch gesprochen werde, sei sie doch offen für Menschen aus anderen Ländern. Sie helfe dabei, Probleme im Betrieb zu formulieren und Forderungen zu stellen, aber auch beim Dolmetschen und schriftlichen Übersetzen, vermittle arbeitsrechtliche Grundkenntnisse und stelle auf Wunsch Kontakt mit etablierten Gewerkschaften her. In den zurückliegenden drei Jahren sei man in Berlin bei Konflikten in Einzelhandel, Logistik, Luftfahrt, Gastronomie, Telekommunikation und Call Centern aktiv geworden. Die breite Palette der Probleme reiche von Arbeitsbelastung und Personalmangel über unregelmäßige Arbeitszeiten und ständigen Streß bis hin zu Geldstrafen bei Verlassen der Firma und vielem mehr.

Da Berlin nicht nur als Stadt, sondern auch mit dem Umland zusammenwachse, würden zunehmend Industrien und Zulieferer angeworben und viele Jobs geschaffen. Wenngleich die Arbeitslosigkeit gesunken sei, weil das Kapital viele Menschen in seine Verwertung integriert habe, handle es sich häufig um schlechte Jobs. Andererseits könne die Arbeit auch schneller als anderswo gewechselt werden, so daß die Fluktuation in verschiedener Hinsicht wachse. Damit seien spezifische Probleme wie Wohnungsmangel verbunden, da die Vermieter bei jedem Wechsel die Miete erhöhen können. Unternehmen nutzten die Fluktuation für Zeitverträge, Outsourcing, Sklavenarbeit und verhängten Vertragsstrafen, wenn man die Firma vorzeitig verläßt. Merken die Leute nach mehreren Jobwechseln, daß sich dadurch nichts ändert, seien sie mitunter eher bereit, für bessere Bedingungen zu kämpfen, statt weiterzuwandern. Allerdings treffe man in diesen Bereichen auf keine Strukturen, an die man andocken, oder positive Beispiele, auf die man sich beziehen könnte: Man müsse also alles selber machen.

Wie die politischen Parteien seien auch die Gewerkschaften nicht an diesem Sektor interessiert, da sie sich vorwiegend an Standorten und Stammbelegschaften orientierten. Organisierungsversuche in ausgegrenzten Bereichen seien sogar unerwünscht, weil deren niedrige Löhne die höheren im internen Bereich garantierten. Mit den weithin veränderten Rahmenbedingungen der Arbeitswelt hätten sich die Gewerkschaften bislang kaum auseinandergesetzt. Daher könnten auch kleinere Gewerkschaften auftreten, die allerdings Kampfmethoden außerhalb des rechtlichen Rahmens finden müßten, der auf die klassische Industrie zugeschnitten sei.

Wenn migrantische Beschäftigte mit der GAS in Kontakt traten, haben sie sich bereits zusammengetan, zumeist Versammlungen abgehalten und sich insofern organisiert. Unter diesen Voraussetzungen könne die Gruppe ihre Erfahrungen und ihr Wissen einbringen, beraten, Kontakte herstellen, aber auch vor dem jeweiligen Betrieb und teils auch darin agieren. So sei es beispielsweise gelungen, in einer Firma einen multinationalen Betriebsrat zu gründen, als Ingenieure gemeinsam eine angekündigte Kurzarbeit verhindern wollten. Für Menschen aus Spanien und Lateinamerika seien Versammlungen etwas ganz Normales, wenn sie sich wehren oder etwas erreichen wollen. Deshalb habe man seit Gründung dieses Betriebsrats niemals Vorbeschlüsse gefaßt, sondern alle Entscheidungen auf Versammlungen getroffen. Die Ingenieure hätten die Betriebsratswahlen gegen die Geschäftsleitung und die Gewerkschaft durchgesetzt, gewonnen und hielten weiterhin an den Versammlungen als Gremium aller Beschlüsse fest.

Geringfügig Beschäftigte in der sozialen Arbeit

Die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) [3] ist eine anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft. Sie unterstützte mit einer Betriebsgruppe den zwischen 2014 und 2016 geführten Arbeitskampf bei der Lebenshilfe in Frankfurt/Main, die behinderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betreut. Der Kampf wurde von geringfügig Beschäftigten geführt, die mit befristeten Verträgen und ohne ausreichende Bezahlung stundenweise einmal oder mehrmals in der Woche eingesetzt und nicht als vollwertige Kolleginnen angesehen wurden. Es ging darum, einen Tarifvertrag zu erkämpfen: "Wir haben gekämpft, wir wurden gefeuert, wir haben trotzdem gewonnen!" Der Chef des Betriebs habe mit dem offiziellen Betriebsrat eine Vereinbarung getroffen, ohne die Initiative einzubeziehen. Diese wandte sich daraufhin an die FAU und stellte gemeinsam mit ihr Forderungen auf, die der Chef nicht ignorieren konnte. Er holte ver.di ins Haus, worauf eine juristische Schlammschlacht begann, die in einer hoch verrechtlichten Sphäre ausgetragen wurde. Trotz Aktionen wie Demonstrationen und Walk-ins wurde schließlich ein Tarifvertrag mit ver.di geschlossen, der die Basisinitiative ausbootete.

Dennoch bleibe hervorzuheben, daß ohne diesen Zusammenschluß der geringfügig Beschäftigten überhaupt nichts passiert wäre. Für sie habe es schlichtweg keine Institution als Ansprechpartner gegeben. Die FAU habe stets betont, daß es sich um den Kampf der Betroffenen handle, die selbst zu entscheiden hätten, was sie wollten und was zu tun sei. Ohne diesen Ansatz hätte man nicht gelernt zu kämpfen und diese Solidarität nie erfahren. Für ver.di sei es ausschließlich darum gegangen, den Tarifvertrag umzusetzen. Hingegen seien die Leute nie nach ihren Problemen am Arbeitsplatz gefragt worden, so daß sie teilweise bis zum Schluß nicht gewußt hätten, was Tarifverhandlungen sind und wie sie geführt werden.

An Problemen habe kein Mangel geherrscht. Wie streikt man, wenn man Menschen betreut, also in der Verantwortung gegenüber den Klienten und deren Familien steht? Sobald man zu kämpfen beginne, schlage das diffus linke Gefühl im sozialen Bereich in harte Moralisierung um: "Anarchos wollen uns den Betrieb kaputtmachen", es seien sogar Tränen geflossen. Wie streikt man, wenn man vereinzelt und isoliert ist? Es sei gelungen, die Vereinzelung zu überwunden und sich außerhalb des Betriebes in sozialen Zentren zu treffen. Die konkrete Solidarität von Genossinnen in der Stadt und Kolleginnen in anderen Betrieben seien entscheidend gewesen, diesen Kampf durchzustehen. Die Rolle der radikalen Linken in solchen Kämpfen bestehe darin, moralische Kategorien zu durchbrechen und das Lohnarbeitsverhältnis auch in Betrieben des sozialen Bereichs deutlich zu machen.

Streik der Londoner Kurierfahrer macht Schule

Callum Cant hat in Brighton das Bulletin "Rebel Roo" mitgegründet, ein selbstorganisiertes Projekt von Kurierfahrern im Kontext von Plan C, einer autonomen politischen Organisation, die koordinierte militante Aktionen in der Arbeiterschaft für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen unterstützt. Seit sieben Monaten werde das Bulletin für Kurierfahrer herausgegeben, das in allen Städten verteilt wird, wo es solche Jobs gibt, und auch online zugänglich ist. Gemessen daran, daß es landesweit rund 15.000 Kurierfahrer gibt, sei das für ein so kleines Projekt schon eine recht beachtliche Präsenz. Das Bulletin berichtet über Arbeitskämpfe in ganz Europa und wird von den beiden Basisgewerkschaften unterstützt, die aus Unzufriedenheit mit den großen Gewerkschaften gegründet wurden und die Kurierfahrer organisieren, der IWW (Industrial Workers of the World) [6] und der IWGB (Independent Workers of Great Britain) [7].

Das Projekt begann, als vor etwas über einem Jahr eine Welle spontaner Streiks von Kurierfahrern bei Deliveroo in London um sich griff. Sie beschlossen ohne Kontakt zu Gewerkschaften und zur radikalen Linken zu streiken. Kleine Gewerkschaften unterstützten sie daraufhin. Zwischen 200 und 400 Kurierfahrer streikten eine Woche lang und erkämpften damit neue Verträge und eine bessere Bezahlung. Das habe zur Frage geführt, warum das nur in London passiert sei, obwohl doch die Arbeitsbedingungen und Probleme in vielen anderen Städten dieselben sind. Können wir intervenieren und dazu beitragen, daß diese Kämpfe auch anderswo geführt werden? Und könnten diese Kämpfe auf eine höhere politische Ebene überführt werden und zur Revitalisierung solcher Auseinandersetzungen beitragen? Um den Arbeitsprozeß kennenzulernen, habe man selber solche Jobs als Kurierfahrer angenommen. Nach drei Monaten sei "Rebel Roo" erstmals herausgegeben worden, um die Gründe und die Taktik des Londoner Streiks zu verbreiten. Inzwischen würden solche Arbeitskämpfe auch in anderen Städten wie insbesondere Leeds und Brighton geführt.

In Brighton hätten unterdessen Kurierfahrer, Arbeitskräfte von Supermärkten und prekär beschäftigte Dozenten an Universitäten zusammengefunden, die alle von der traditionellen Gewerkschaftsbewegung ignoriert werden. Sie arbeiten nun unabhängig oder in Basisgewerkschaften zusammen und haben eine prekäre Maidemonstration organisiert, da natürlich viel kleiner als die offizielle Demonstration war, aber ein Zeichen gesetzt hat. Es sei also möglich, eine neue Klassenbewegung unter prekär Beschäftigten und außerhalb des gewerkschaftlichen Mainstreams zu organisieren, der in UK absolut tot sei. Es habe 2016 so wenige Streiks wie nie zuvor seit 1893 gegeben, während die Bevölkerung seither um ein Vielfaches gewachsen sei.

Kurierfahrer sind formell keine Angestellten, sondern Selbständige. Als Kontraktarbeiter entscheiden sie, ob sie über ihr Smartphone Aufträge annehmen oder nicht. Für sie gilt der Mindestlohn nicht, sie können sich von Rechts wegen nicht als Gewerkschaft organisieren und deswegen keine kollektiven Verträge aushandeln oder Vereinbarungen treffen. Andererseits gelten aber all die repressiven Gesetze, die gegen Gewerkschaften ins Feld geführt werden, für sie nicht. Sie können also jederzeit spontan streiken, wie das auch in London der Fall war. In allen anderen Arbeitsverhältnissen würde man sofort gefeuert werden. Das führe zu dem erstaunlichen Phänomen, daß hyperprekäre Arbeitskräfte ohne Urlaubsansprüche und irgendwelche anderen Rechte die Macht haben, Kämpfe zu führen. Die gängige Auffassung, wonach Prekäre schwach seien und nicht kämpfen könnten, werde damit durchbrochen, ja sogar ins Gegenteil verkehrt. So seien auch in Brighton die Löhne der Kurierfahrer gestiegen und die Arbeitsbedingungen besser geworden.

Prekäre - Potential unverhofften Widerstands?

Unter den zahlreichen Themen, die in der anschließenden Diskussion zur Sprache kamen, kristallisierten sich spezifische Probleme der jeweiligen Sektoren wie auch übergreifende Fragestellungen im Kontext prekärer Arbeit heraus. So berichtete die GAS im Zusammenhang mit Vertragsstrafen bei migrantischen Krankenschwestern über die Erfahrung, daß das kein isoliertes Phänomen weniger Krankenhäuser, sondern in fast allen Berliner Kliniken der Fall war. Verschiedene Ansätze, Kontakt mit den Betroffenen herzustellen, wie Umfragen oder Anfragen bei Gewerkschaften hätten jedoch nicht gefruchtet. Auch die deutschen Medien ließen kein Interesse an diesem Thema erkennen, während in Spanien die Ausbeutung der Krankenschwestern in deutschen Kliniken von fast allen Tageszeitungen und in mehreren Fernsehsendungen aufgegriffen worden sei.

So wichtig die geschilderten Arbeitskämpfe für sich genommen sind, stellt sich doch grundsätzlich die Frage, ob solche Basisprojekte auf lange Sicht Gegenmacht schaffen können, wie dies im Titel des Workshops angesprochen wurde. Seitens der FAU wurde dazu zum einen ins Feld geführt, daß es unverzichtbar sei, immer wieder zu kommunizieren, was man vorhabe und wofür man einstehe, sowohl im Betrieb als auch außerhalb bei möglichen Unterstützern. Eine wesentliche Erfahrung sei es gewesen, daß man bei Null angefangen und dennoch eine Menge erreicht habe. Das sei der erste Schritt, um langfristig Gegenmacht zu etablieren. Andererseits führe angesichts der Ungleichzeitigkeit von Kämpfen eine gelegentliche gegenseitige Unterstützung noch nicht zu einer langfristigen Organisierung. Abträglich sei, mit der Tür anarchosyndikalistischer Kategorien ins Haus zu fallen. Solche Diskussionen entwickelten sich erst später und eher nebenbei, wenn eine Vertrauensbasis hergestellt sei. Wenn man wisse, daß man sich auf den andern verlassen kann, nehme man ihn auch in seinen sonstigen Überzeugungen ernst.

Der Erfolg des Streiks der Kurierfahrer bei Deliveroo erklärt sich nach Einschätzung Callum Cants nicht zuletzt damit, daß das Unternehmen sehr auf sein Image bedacht ist: Freundliche Hipster helfen Startups, indem sie ihnen das Essen aus dem Restaurant direkt an den Arbeitsplatz liefern. Wichtig sei aber auch gewesen, daß zahlreiche soziale Gruppen das Anliegen der Kurierfahrer unterstützten und sehr schnell eine kritische Masse entstand. Daraufhin stellte das Unternehmen zuvor entlassene Fahrer wieder ein und feuerte statt dessen den örtlichen Manager. Seine Erfahrung in Kämpfen an der University of Sussex wie auch der Kurierfahrer von Deliveroo und Angestellten von Supermärkten bestärke ihn in der Überzeugung, daß die rasante Zunahme prekärer Jobs zu einer Angleichung der Arbeitsplätze und damit der dabei auftretenden Probleme führe. Das trage maßgeblich zur Übertragbarkeit von Arbeitskämpfen von einer Branche auf die andere bei. Vielerorts im Land entstehe eine militante Arbeiterbewegung, wie man sie seit Jahren nicht mehr erlebt habe. Wie schwierig die Verhältnisse auch sein mögen, gebe es doch immer das Potential eines Widerstands, der sich sehr schnell ausbreiten könne, weil die Leute die Schnauze voll hätten.


Fußnoten:

[1] http://akkffm.blogsport.de

[2] http://15mberlin.com/category/grupos-de-trabajo/grupo-de-accion-sindical-gas/

[3] https://www.fau.org/ortsgruppen/frankfurt

[4] https://www.weareplanc.org/blog/a-new-initiative-rebel-roo-7/

[5] Deliveroo ist ein britischer Online-Lieferdienst, der seine Kunden mit Gerichten aus verschiedenen Partnerrestaurants beliefert. Das 2013 in London gegründete Unternehmen operiert mittlerweile auch in Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Irland, Spanien, Italien, Australien, Singapur, Dubai und Hong Kong. Auf dem deutschen Markt ist der Hauptkonkurrent Foodora in Berlin, der mit einem nahezu identischen Geschäftsmodell arbeitet.

[6] https://iww.org.uk

[7] https://iwgb.org.uk


Beiträge zum Kongreß "Selber machen - Konzepte von Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/268: Initiativvorschläge - koordinierte Effizienz ... (SB)
BERICHT/271: Initiativvorschläge - Selbsthilfe revolutionär ... (SB)
BERICHT/272: Initiativvorschläge - ein Standpunkt in Bewegung ... (1) (SB)
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INTERVIEW/367: Initiativvorschläge - forcierte Stetigkeit ...    Aktivist Jonas im Gespräch (SB)
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11. Juli 2017


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