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BERICHT/309: Pflegenot - Menschenrecht Gesundheit ... (1) (SB)


Wir sind die Kinder von Helios. Vom Besten zu lernen, ohne Schranken ein Team, bei uns ist jeder Moment Medizin.
Firmeneigene Hymne des Krankenhauskonzerns Helios [1]


Kennt die Leidensfähigkeit der Pflegenden keine Grenzen, ist ihre Substanz der widerspruchslos zu verheizende Treibstoff des kommerzialisierten Klinikbetriebs? Begnügen sich die Patienten heutzutage damit, den Krankenhausaufenthalt überlebt zu haben? Ist Gesundheit das letzte verbliebene Gut, das aggressiv zur Ware gemacht und dem Verwertungsregime profitträchtig unterworfen wird? Die allermeisten Krankenschwestern und Pfleger betonen, daß sie ihren Beruf schätzen, der zu den anspruchsvollsten und angesehensten in diesem Land gehört. Dennoch herrschen Frustration, Wut und Verzweiflung im Pflegebereich, sind die Beschäftigten oftmals nach wenigen Jahren körperlich und psychisch am Ende, so daß sie resignieren und kündigen. Die Überlastung führt weithin dazu, daß nur noch das Nötigste für die Patientinnen und Patienten getan werden kann, deren Versorgung immer schlechter wird. Vernachlässigung und Behandlungsfehler ziehen eine unbekannte Zahl von Opfern nach sich. Ausgebildete Krankenpfleger und Krankenschwestern werden händeringend gesucht, in der sogenannten Fachkräfteengpaßanalyse der Bundesagentur für Arbeit tauchen sie regelmäßig auf. Zehntausende Stellen können bundesweit nicht besetzt werden.

Am häufigsten klagen die Beschäftigten über Personalmangel und die daraus resultierende Belastung, ihre Patienten nicht adäquat versorgen zu können. Sie haben ständig das Gefühl, sich nur im Laufschritt zu bewegen und trotzdem nicht genug zu schaffen. Es gibt keine Pausen, die diesen Namen verdienen, ständig arbeite man an der Grenze der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Die Pflegekräfte häufen einen Berg von Überstunden auf, ohne daß ein Ende des permanenten Drucks in Sicht wäre. Bezeichnenderweise sind es in der patriarchalisch geprägten Klinikhierarchie insbesondere Frauen, denen die Last der Sorge unter Bedingungen aufgebürdet wird, die systematischen Raubbau an ihrer Substanz betreiben und zugleich damit kalkulieren, daß sie sich eher selbst des Versagens bezichtigen und in die Verhältnisse fügen, als dagegen Stimme und Hand zu erheben.

Ist das die finstere Ecke in einem ansonsten soliden Klinikbetrieb, der immanent Abhilfe geschaffen werden könnte? Handelt es sich um eine Fehlentwicklung der Krankenhäuser oder gar des gesamten Gesundheitssystems, der sich aufklärend und neu justierend begegnen ließe, da doch die Problematik längst in der Bundespolitik angekommen ist? Oder muß die Kritik schärfer ansetzen und sich mit gesellschaftlichen Verhältnissen konfrontieren, deren integraler Verfügungsschub die Kommodifizierung der Gesundheit und der Zugriff auf die Körperlichkeit des Menschen ist? Erinnern wir uns: Daß eine rot-grüne Bundesregierung unter Schröder und Fischer das Hartz-IV-Ghetto mit seinen heute gut 6 Millionen Insassen geschaffen hat, ist weithin bekannt. Weniger geläufig dürfte hingegen sein, daß damals auch mit dem Krankenhausfinanzierungssystem (DRG) eine Umwälzung des Gesundheitswesens auf den Weg gebracht wurde, in dessen Rahmen die Krankenhäuser in Deutschland derzeit 40 Millionen Fälle jährlich stationär oder ambulant "versorgen". Nachfolgende Große Koalitionen sattelten auf und trieben die Brutalisierung voran, die mit dem "Krankenhausstrukturgesetz" (KHSG) in die nächste Runde der Kapitalisierung der Krankenhausversorgung ging, die wiederum von der bereits in Angriff genommenen "Qualitätsoffensive" samt "Strukturfonds" aus Steuergeldern auf die nächsthöhere Stufe der Verwertung getrieben wird. [2] Wer ernsthaft von einer Fehlentwicklung im Gesundheitssystem sprechen will, sollte daher von diesen "Reformen" im Kontext des "Geschäftsmodells Deutschland" nicht schweigen, was zwangsläufig an grundlegende Fragen der hiesigen Lebensverhältnisse zu Lasten innerer und äußerer Opfer des Raubzugs führt.

Banner - Grafik: 2017 by Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg

Grafik: 2017 by Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg


Jour Fixe der Gewerkschaftslinken zum Pflegenotstand

Am 3. März fand ein Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken [3] statt, der seit Oktober 2005 regelmäßig einmal im Monat der Unterstützung eigenständiger Kämpfe in der Arbeitswelt gewidmet ist. Als Thema des 160. Jour Fixe, der diesmal in den Räumen der Föderation demokratischer Arbeitervereine (DIDF) [4] am Berliner Tor zu Gast war, standen "Kämpfe in Krankenhäusern in Hamburg, Bremen und Berlin - Organisierung von Pflegebündnissen - die Macht der Öffentlichkeit" zur Diskussion. Wie Dieter Wegner, der zu den Gründungsmitgliedern des Jour Fixe gehört, eingangs ausführte, ging die Initiative zu dem Treffen von Bärbel Schönafinger von labournet tv [5] aus. Für das seit Frühjahr 2017 bestehende Pflegebündnis Hamburg [6] stand Christoph Kranich Rede und Antwort. Aus Berlin waren Michael K. (Krankenpfleger) und Silvia Habekost (Pflegerin im Vivantes Klinikum) angereist, aus Bremen Ariane Müller (Krankenschwester und Mitbegründerin des dortigen Pflegebündnisses).

"Wo bleibt der Aufstand? Krankenhauspflege - keine Zeit für Menschlichkeit!" Mit solchen Schlagzeilen warten derzeit große deutsche Zeitungen auf. Wenngleich diese Skandalisierung natürlich in erster Linie auf eine Steigerung der Auflage abzielt, können derartige Berichte über die Zustände in den Krankenhäusern doch nützlich sein, den Kämpfen der Pflegenden um bessere Arbeitsbedingungen und eine entsprechende Versorgung der Patienten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Wie Wegner allerdings warnend hervorhob, geißelten dieselben Medienerzeugnisse solche Mißstände, die seit Jahrzehnten die neoliberale Politik und die Liberalisierung der Wirtschaft ideologisch begleitet haben. Sollte es zu organisiertem Widerstand in den Kliniken kommen, so geschehe das nicht in Folge einer schlaglichtartigen Berichterstattung. Dies könne nur von unten geschehen, indem sich die betroffenen Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern zusammenschließen und aktiv für ihre Interessen eintreten.

Zu früheren ÖTV-Zeiten reichte es aus, die Müllwerker ein paar Tage mit den Deckeln klappern zu lassen, um weithin eine Lohnerhöhung von 5, 6 oder 7 Prozent durchzusetzen, so Wegner. Die anderen Branchen und Sparten brauchten nichts zu unternehmen, und in den Krankenhäusern dachten die Beschäftigten am allerwenigsten an Streik. Das ist heute anders. Wenn die Lohnabhängigen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Kindergärten etwas erreichen wollen, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, gemeinsam den Kampf aufzunehmen. Allein durch gewerkschaftlichen Kampf ist das in den Kliniken nicht mehr möglich. Erforderlich ist zudem eine Unterstützung von außen durch Pflegebündnisse und andere Gruppen, die vor Ort aktiv sind. Ausgehend von der Berliner Charité, dann auch von einer kleinen Gruppe im Hamburger Krankenhaus St. Georg, seien in dieser Hinsicht in den letzten Jahren doch beachtliche Fortschritte herbeigeführt worden. Als Jour Fixe habe man mit den Kolleginnen und Kollegen im St. Georg schon seit vielen Jahren Kontakt und arbeite mit ihnen bei ihren Aktionen zusammen.


labournet tv - Arbeitskämpfe sichtbar machen

Wie Bärbel Schönafinger berichtete, existiert labournet tv seit 2011 in Berlin als ein Projekt, das sich zur Aufgabe gemacht hat, Arbeitskämpfe sichtbarer zu machen. Gesammelt werden Filme und Videos über Streiks und Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz aus allen Ländern und allen Zeiten. Auf diese Weise soll über die Jahre ein Archiv von Klassenkämpfen aus den verschiedenen Ländern aufgebaut werden. Bislang sind dabei 750 Filme aus 53 Ländern zusammengekommen, die man mit deutschen und englischen Untertiteln kostenlos auf der Webseite labournet.tv anschauen kann.

Zudem dreht das aus zwei Frauen bestehende Kollektiv selber Dokumentarfilme zu Themen, die ihm besonders wichtig erscheinen. Derzeit ist ein Film über die Betriebsgruppe GoG (Gegenwehr ohne Grenzen) in Arbeit, die seit 1972 existiert und bei Opel in Bochum aktiv war. Zum dritten führt labournet tv Veranstaltungen durch und hat vor einem Jahr mit der Reihe "Cinéma Klassenkampf" begonnen. Dabei geht es darum, streikende Menschen zu einer Veranstaltung zu bitten, damit sie aus erster Hand berichten und es auf diesem Wege möglich wird, ungefilterte Informationen über Arbeitskämpfe zu erhalten und sich solidarisch zu organisieren.

Das aktuelle Treffen in Hamburg war die neunte Veranstaltung in der Reihe, diesmal zusammen mit dem Jour Fixe der Gewerkschaftslinken und zum ersten Mal nicht in Berlin. Dem waren bereits vier Veranstaltungen zum Thema Kämpfe in Krankenhäusern vorangegangen, weil in dieser Hinsicht in Berlin sehr viel passiert ist. So wurde unter anderem eine Veranstaltung organisiert, als im September der Streik an der Charité lief.


Bei der Veranstaltung - Foto: © 2018 by Schattenblick

Berichte zu Pflegestreiks aus erster Hand
Foto: © 2018 by Schattenblick


Ein Film über den Streik an der Charité 2015

In einem Film über den Streik am Berliner Klinikum Charité im Jahr 2015 kommen Krankenschwestern und Pfleger, Patientinnen und Gewerkschafter im Kontext des Arbeitskampfs zu Wort. Sie berichten von einer dramatischen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der zwangsläufigen Folge, die eigene Leistung zu rationieren, weil zuviel Pflegeleistung mit viel zu wenig Personal in viel zu wenig Zeit erbracht werden muß. Körperpflege, Hilfe beim Aufstehen oder gar menschliche Zuwendung fänden kaum noch statt. Seit Beginn der 2000er Jahre habe ein anderes Finanzierungssystem zu mehr Ärzten, aber weniger Pflegepersonal geführt. Es sei eine politische Entscheidung, Krankenhäuser zu profitgetriebenen Verwertungseinrichtungen zu machen. Eine Umfrage der Gewerkschaft ver.di, die den Streik mitorganisiert hat, kam zu dem Ergebnis, daß für eine angemessene Versorgung der Patienten bundesweit 162.000 Stellen, davon 70.000 in der Pflege fehlen. Die Länder stellen den Kliniken nicht einmal die Hälfte der finanziellen Mittel zur Verfügung, die notwendig wären, um die Investitionen zu tätigen. Die Kliniken benutzen Geld, das von den Krankenkassen kommt, um diese Lücken zu schließen. Dadurch wird Geld für Personalstellen zu Geld für Baustellen.

Unter diesen verheerenden Umständen sei Streiken der einzige Weg, um das Land aufzurütteln. Andernfalls werde sich nie etwas ändern. Die pflegenden Berufe stehen unter dem ständigen Zwang, sich zu erklären. Pflegekräfte reiben sich in unter diesem Druck in kurzer Zeit auf und machen das oftmals nicht lange mit. Viele von ihnen geben auf und kündigen, andere ziehen sich ins Privatleben zurück und arbeiten nur noch des Geldes wegen. Sie abzuholen und zum gemeinsamen Widerstand zu organisieren falle sehr schwer, dennoch sei es vielfach gelungen: Ihr müßt aktiv werden und könnt nicht darauf warten, daß irgend jemand anderes das für euch macht!

Als Hauptforderung verlangten die Streikenden feste Quoten von 1:2 für die Intensivpflege und 1:4 für die Normalpflege. Der Arbeitgeber erklärte, diese Forderung widerspreche seinem Recht auf unternehmerische Freiheit. Es folgte ein erster Warnstreikaufruf, um ihn an den Verhandlungstisch zu bringen. Als dann ein Warnstreik kein besseres Angebot zur Folge hatte, kam es zu einem neuntägigen unbefristeten Streik. Es wurden rund 1500 Betten bestreikt, der Schaden für das Unternehmen betrug bis zu 500.000 Euro täglich. Aufkleber des Arbeitgebers "Streik ist keine Lösung", die den Arbeitskampf verteufelten, wurden häufig von Patienten abgerissen. Nicht der Streik, sondern der Normalbetrieb gefährdet die Patienten, so die Parole im Arbeitskampf. Der Streikstrategie einer maximalen Schonung der Patienten folgend wurde eine Notdienstvereinbarung mit der Charité geschlossen. In dieser verpflichteten sich die Streikenden, sieben Tage im voraus mitzuteilen, wenn eine Station komplett geschlossen werden muß, und drei Tage im voraus, wenn einzelne Betten bestreikt werden sollen.

Mit großem Erfolg wurden aus dem Kreis der Beschäftigten sogenannte Tarifberaterinnen eingeladen, die noch nicht organisiert waren, um mitzudiskutieren und sich einzubringen. Das habe eingeschlagen wie eine Bombe: Ein ver.di-Verhandlungsführer hat doch keine Ahnung von den Besonderheiten der Intensivmedizin! Schon nach dem Streik im Jahr 2011 sei den Beteiligten klargeworden, daß sie der Unterstützung von außerhalb ihrer Betriebsgruppe bedürfen. Deshalb wurde ein Bündnis ins Leben gerufen, an dem auch Patienten, Menschen aus der Bevölkerung, Ärzte und politische Organisationen beteiligt sind und das die gesamte Öffentlichkeitsarbeit übernommen hat. Die öffentliche Meinung war von Anfang an auf seiten der Streikenden. Diesen ging es nicht zuletzt darum, bundesweit zu signalisieren, daß Pflegekräfte etwas bewegen können, wenn sie den Mund aufmachen und aktiv werden. Viele Betriebsgruppen bekundeten Interesse, auch so etwas zu machen. Dabei seien einzelne betriebliche Lösungen nur ein notwendiger erster Schritt auf dem Weg, Druck auf die Politik auszuüben, damit endlich eine gesetzliche Regelung geschaffen wird. Jede Belegschaft habe nun die Instrumentarien an der Hand und verfüge über eine Organisation, die zu Streiks aufrufen darf. Da Privatisierungen und Ausgrenzungen im herrschenden Wirtschaftssystem weiter zunehmen, werde gewerkschaftliches Engagement an der Basis um so wichtiger. Die Charité werde nie wieder dieselbe sein: "Wir haben ein solches Bewußtsein und eine Wachsamkeit gegenüber den Ausbeutungsprozessen geschaffen und eine Belegschaft, die Lunte gerochen hat, daß es hier eine historische Chance gibt, etwas zu verändern, was für die gesamte Republik Folgen haben kann. Politik hört zu, wenn man laut genug schreit, (...) und das Schreien muß man erst einmal lernen, gerade in diesem Beruf!"


Im Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

Den Schwachen kämpferisch zur Seite stehen
Foto: © 2018 by Schattenblick


Was ist seither in Berlin passiert?

Michael K. berichtete, was sich seit 2015 im Klinikbetrieb abgespielt hat. Er hat seine Ausbildung zum Krankenpfleger im Klinikkonzern Vivantes gemacht und ist seit 2003 an der Charité beschäftigt. Wie er ausführte, endete der Streik 2015 mit dem Tarifvertrag für Gesundheitsschutz. Die Charité hatte zunächst gerichtlich in Frage gestellt, daß eine solche Regelung in einem Tarifvertrag überhaupt möglich ist. Das Gericht befand jedoch, daß die unternehmerische Freiheit dort endet, wo die Gesundheit der Beschäftigten betroffen ist. Zunächst wurde ein Eckpunktepapier vereinbart, nach einem Verhandlungsmarathon der Tarifvertrag Anfang 2016 unterzeichnet. Doch die Entlastung, die sich die Beschäftigten davon erhofft hatten, sei auf den Stationen nur in sehr geringem Maße spürbar geworden. Das liege zum einen an Regelungen im Tarifvertrag selbst. Zum anderen brüste sich die Charité bundesweit mit der Errungenschaft dieses Tarifvertrags und behaupte, mehrere hundert zusätzliche Kräfte eingestellt zu haben. Die Kollegen könnten jedoch keine nennenswerte Veränderung feststellen.

Daraufhin hat sich die Betriebsgruppe wiederholt mit den Tarifberatern zusammengesetzt, um zu diskutieren, wie der Tarifvertrag genutzt werden könne, um eine tatsächliche Entlastung herbeizuführen. Dabei stellte sich heraus, daß das Zusammentragen von Daten, auf denen die Regelungen des Tarifvertrags beruhen sollen, sehr schwierig war. 2017 seien die Beteiligten soweit gewesen, eine Verbesserung des Tarifvertrags zu fordern, der zu viele Unwägbarkeiten aufweise. Es folgte ein längerer Briefwechsel mit dem Vorstand und der Pflegedirektion der Charité, an welchen Punkten der Tarifvertrag nicht ausreichend eingehalten wird bzw. nicht genügend Entlastung herbeigeführt hat. Dem wurde mit einer Hinhaltetaktik begegnet. Im September 2017 kam es deshalb erneut zu einem Streik, der über fünf Tage lief und deutlich schwieriger als der vorangegangene war. Eine der Ursachen sei die Weigerung der Charité gewesen, die Notdienstvereinbarung zu unterschreiben.

Am Sonntag der Streikwoche fand die Bundestagswahl statt. Der Plan, eine Woche zu streiken, dann eine Pause einzulegen, um dann erneut in den Streik zu treten, konnte nicht umgesetzt werden. Die zweite Streikwoche kam nicht mehr zustande, weil es kurzfristig ein scheinbares Entgegenkommen der Charité gab. Sie signalisierte Verhandlungsbereitschaft und legte ein Papier vor, in dem es darum ging, den Tarifvertrag wieder in Kraft zu setzen, dessen Auslaufen den Streik möglich gemacht hatte. Gleichzeitig sollte eine gemeinsame Kommentierung des Tarifvertrags, also seine Auslegung, stattfinden. Seitdem werde verhandelt oder auch nicht, Terminprobleme würden vorgeschützt. Nun ist der Tarifvertrag von Anfang 2016 wieder in Kraft, doch die damit verbundenen Probleme haben sich nicht verändert. Die gemeinsame Kommentierung sei bislang nicht erfolgt. Woran es hakt, könne man allenfalls erahnen, wenn man nicht selbst an der Tarifkommission beteiligt ist. Offenbar bremse die Charité den Fortgang aus.

In allen drei bettenführende Häusern des Konzerns in Berlin sei die Stimmung der Beschäftigten gereizt, doch zeichneten sich auch resignative Tendenzen ab. Nicht wenige Beschäftigte wandern zu Sklavenhändlern ab, die derzeit besser bezahlen als Festangestellte verdienen. Man erlebe eine Flucht in die Leasingfirmen, wie es sie bei Tarifangestellten nur selten gibt. Es sei 2015 und bis heute nicht wirklich gelungen, mit den Arbeitskämpfen über den Pflegebereich hinauszugreifen. Man kämpfe für eine Mindestbesetzung im Pflegebereich, aber nicht nur. Auch Ärzte, Physiotherapeuten oder Reinigungspersonal - Arbeitsbedingungen und Bezahlung seien überall mies. Es gibt bundesweit mehrere Kliniken, in denen zumindest Warnstreiktage durchgeführt wurden, und in Städten wie Hamburg Bündnisse, um diese Kämpfe zu unterstützen. Aber der Streik in der Charité sei 2015 und 2017 allein geblieben, obwohl es in Berlin und in derselben Gewerkschaft mit Vivantes einen zweiten großen Klinikkonzern gibt, in dem ebenfalls eine gewisse Streikbereitschaft zu verzeichnen war.

Nach den Worten des Referenten hat das Management der Charité ähnlich zugeschlagen wie in anderen Kliniken und Töchter gegründet. Es wurde insbesondere eine große Tochterfirma, Charite Facility Management GmbH, geschaffen, im Moment noch mit einer Beteiligung der Charité von 51 Prozent, 49 Prozent hält ein privates Konsortium. Dort gibt es keinen einheitlichen Tarifvertrag, wenn man von einigen Kollegen z.B. in der Reinigung absieht. Im Unternehmen CFM wird daher der Kampf für einen Tarifvertrag geführt, jedoch bislang nicht gemeinsam mit den Auseinandersetzungen im Mutterkonzern, so seine abschließenden Worte zu einem großen Manko der aktuellen Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen.

(wird fortgesetzt)


Eingangstür mit DIDF-Schild - Foto: © 2018 by Schattenblick

Treffpunkt bei DIDF in Hamburg-St. Georg
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.zeit.de/arbeit/2018-02/krankenhaus-pflege-fachkraeftemangel-bezahlung-mangel/komplettansicht

[2] https://www.heise.de/tp/features/Krankenhaeuser-Schliessungen-Die-alte-Rot-Gruen-Politik-wird-von-der-neuen-GroKo-fortgesetzt-3981033.html?seite=all

[3] http://www.gewerkschaftslinke.hamburg

[4] DIDF (Föderation demokratischer Arbeitervereine e.V.) wurde im Dezember 1980 als Dachverband von Vereinen aus der Türkei gegründet. Ihr gehören heute mehr als 35 Mitgliedsvereine und -gruppen an. Die DIDF ist eine Migrantenselbstorgansation.
http://www.didf.de

[5] http://www.labournet.tv

[6] http://www.pflegenotstand-hamburg.de


7. März 2018


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