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BERICHT/322: Ausgehebelt - der Mensch bleibt auf der Strecke ... (SB)


Der 164. Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken am 6. Juni im Curio-Haus an der Rothenbaumchaussee stand unter dem Motto "Hamburger Hafen: Arbeitserleichterung oder Stellenvernichtung". Nach einleitenden Worten von Moderator Dieter Wegener erläuterte Norbert Paulsen, Betriebsratsvorsitzender bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), den Stand des umstrittenen Vorhabens des Senats, auf dem Areal Steinwerder am südlichen Elbufer von einem chinesischen Konsortium einen vollautomatisierten Containerterminal samt Logistikzentrum errichten zu lassen. Das Thema ist in Hamburg topaktuell. Am Vorabend hatte auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung die HHLA-Vorstandsvorsitzende Angela Titzrath ihre Ideen zur Zukunft von Deutschlands "Tor zur Welt" im digitalisierten 21. Jahrhundert präsentiert.



Containerverladung am Burchardkai aus der Kranführerperspektive - Foto: © 2015 by Eduard47 via Wikimedia Commons CC-BY-SA-4.0-Lizenz

Hamburger Hafen im Hochbetrieb
Foto: © 2015 by Eduard47 via Wikimedia Commons CC-BY-SA-4.0- Lizenz

Paulsen, der offenbar auch die Konkurrenzveranstaltung im Seemannsheim am Krayenkamp gegenüber der St.-Michaeliskirche besucht hatte, kritisierte eingangs die einseitige Ausrichtung der Debatte bei den Grünen. Ihm zufolge ging es dort ausschließlich um die Erörterung von Möglichkeiten, den "Abstieg" des Hamburger Hafens "in die zweite Liga" zu verhindern. Logistische Optionen - Stichwort Elbvertiefung - sowie technologische Ansätze wurden laut Paulsen bei der Heinrich-Böll-Stiftung breit diskutiert, die jedoch kein Wort über die Beschäftigten verlor, ganz so, als seien deren Interessen denjenigen des Kapitals vollkommen nachgeordnet, im Vergleich dazu unbedeutend.

Vor diesem Hintergrund bieten aus der Sicht Paulsens die Bebauungspläne für Steinwerder Anlaß zur größten Sorge. Dort soll ein Konsortium, das von der halbstaatlichen China Communications Construction Company (CCCC) angeführt wird, die Platz 103 auf der Forbes-Liste der 500 größten Unternehmen der Welt belegt und im asiatischen Raum für die Umsetzung von Infrastrukturprojekten pharaonischen Ausmaßes bekannt ist, einen Pachtvertrag für 60 Jahre mit der Option auf 99 erhalten. Üblich sind 25 Jahre. An dem Konsortium sind neben CCCC auch Chinas Großreederei COSCO und Ali Baba, das chinesische Pendant Amazons, das sogar einen größeren Jahresumsatz als das amerikanische Online-Versandunternehmen Jeff Bezos' vorweisen kann, beteiligt. In Hamburg, seit längerem der wichtigste Umschlaghafen für Güter Made in China, hat COSCO ihre europäische Zentrale. Dies würde vielleicht erklären, warum 2017 das chinesische Konsortium überraschend und ohne nähere Begründung vom Senat zum Gewinner des sogenannten "Ideenwettbewerbs" für Steinwerder gekürt wurde.

Doch die ungewöhnlich lange Pachtzeit ist nicht die einzige Besonderheit am Zukunftsprojekt Steinwerder. Bedenklich ist auch die Tatsache, daß CCCC sämtliche Bauarbeiten in eigener Regie durchführen wird. In Hamburg war bisher die Stadt allein für die Bereitstellung und Instandhaltung der Infrastruktur am Hafen zuständig - nicht zuletzt, um dort die Kontrolle zu behalten. Doch in Steinwerder soll nun erstmals in der Geschichte der Hansestadt der Pächter sowohl Infrastruktur wie Kaianlagen als auch Superstruktur wie die Kräne und das künftige E-Hub von Ali Baba selbst bereitstellen. Nach Einschätzung Paulsens will sich Hamburg in Steinwerder aus der bisherigen Verantwortung stehlen und damit dem Rückzug der Stadt an anderen Stellen den Weg bereiten. Das bisherige Prinzip der Verpflichtung der Stadt in der Daseinsversorgung gegenüber den Bürgern wird in Steinwerder aufgeweicht bzw. aufgegeben.


Norbert Paulsen trägt im Sitzen vor - Foto: © 2018 by Schattenblick

Norbert Paulsen
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schlimmer noch, im Gespräch mit Vertretern des Senats will Paulsen erfahren haben, daß künftig auf dem Steinwerder-Gelände die üblichen Sozialstandards nicht gelten sollen. Das Konsortium soll die Einhaltung einer solchen Bedingung rundweg abgelehnt haben. Paulsen verwies auf ähnliche Hafenprojekte der Volksrepublik im Rahmen der Neuen Seidenstraße, auch One Belt, One Road (OBOR) genannt, im griechischen Piräus und in Colombo auf Sri Lanka. Die von den chinesischen Interessenten gepachteten Areale seien völlig abgeschottet. Ein nicht geringer Teil der Bau- und sonstigen Arbeit werde dort von Chinesen zu chinesischen Bedingungen verrichtet. Ähnliche Verhältnisse seien auch in Hamburg zu befürchten, so Paulsen.

Der finanzielle Umfang der Errichtung des vollautomatisierten Containerterminals samt E-Hub wird derzeit auf 1,2 bis 1,4 Milliarden Euro geschätzt. Am Ende wird am Steinwerder eine Hafenanlage stehen, die quasi exterritoriale Rechte genießt und kaum Gebühren in die Staatskasse zahlt, weil der Pächter alles allein gemacht hat. Seit Jahren stagniert das Containeraufkommen am Hamburger Hafen. Unter den Beschäftigten dort glaubt niemand an eine baldige Steigerung. Folglich dürfte der neue Terminal der Chinesen zu Überkapazitäten führen und einen ruinösen Wettbewerb mit den bisherigen Hafenbetreibern wie HHLA und Eurokai auslösen, der mit Sicherheit Stellenabbau im großen Stil nach sich ziehen wird. Ein solcher Umstand, gepaart mit den ohnehin als gering einzuschätzenden Zahlungen des chinesischen Konsortiums an die kommunalen Kassen, könnte wiederum zu steigenden Preisen für die Passagiere von Bus und Bahn des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) führen.

Paulsen forderte deshalb einen runden Tisch, an dem alle Parteien am Hafen beteiligt sind, um ein Gesamtkonzept auszuarbeiten. Ihm zufolge sei die Hafenstrategie des Senats, wovon die Umwandlung Steinwerders nur einen alarmierenden Aspekt darstelle, nicht konsensfähig. Er wertet den Ausgang des Ideenwettbewerbs als einen weiteren Beweis dafür, wie sehr die SPD in Hamburg die Interessen ihrer traditionellen Wähler aus den Augen verliert und sich verstärkt als Erfüllungsgehilfin der Unternehmer versteht. Die Beschäftigten wollen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden und im Notfall auf die Straße gehen. Dies zeigte die Demonstration am 1. Mai, bei der die Hafenarbeiter ausdrücklich gegen die Pläne für Steinwerder protestiert haben.


Wölke und Wegener nehmen an der Diskussion teil - Foto: © 2018 by Schattenblick

Jörn Wölke und Dieter Wegener
Foto: © 2018 by Schattenblick

Es folgte eine Diskussion, die von den hochinteressanten Erläuterungen Jörn Wölkes, Betriebsratsmitglied (GHB), zu den Auswirkungen und Umwälzungen, die in der Arbeitswelt weltweit infolge der Automatisierung und des Einsatzes der künstlichen Intelligence (KI) drohen, beflügelt wurde. Ihm zufolge stehen durch das Steinwerder-Modell mindestens 1100 bereits existierende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Auf der Welt gibt es bislang nur eine Handvoll vollautomatisierte Hafenterminals, darunter einen in Los Angeles sowie die neue Anlage der dänischen Reederei Maersk in Rotterdam. Dort arbeiten kaum noch Menschen, höchstens einige Wachleute, um das Gelände vor Außenstehenden abzusichern, und einige Spezialisten, um den reibungslosen Betrieb der Roboter zu garantieren. Wölke bezeichnete die Vollautomatisierung als länderübergreifendes gesamtgesellschaftliches Problem. Auch ohne die Chinesen hätten die anderen Hafenbetreiber in Hamburg Pläne zur weiteren Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen mittels Roboter in der Schublade, so Wölke. Wie richtig dieser mit seinen Kassandrarufen liegt, zeigt ein Bericht der britischen Sonntagszeitung Observer vom 13. Mai, dem zufolge bis 2021 allein bei den Callcentern im Vereinigten Königreich bis zu 46.000 Arbeitsplätze verlorengehen werden.

In der Debatte kam es zu zahlreichen interessanten Beiträgen. Diejenigen, die sich zu Wort meldeten, kannten sich zumindest in Teilaspekten der Problematik gut aus. Ein Teilnehmer berichtete beispielsweise von einer neuerlichen Solidaritätsreise nach Griechenland über die verschlechterten Arbeitsbedingungen am Hafen von Piräus, der eine Schlüsselstelle der OBOR-Architektur einnimmt. Dort haben die neuen chinesischen Betreiber, darunter COSCO, nicht nur den Hafen, sondern auch die Hafenbehörde übernommen, und können nun schalten und walten, wie sie wollen. Jörn Wölke wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß COSCO die Austeritätspolitik der Regierung Spaniens genutzt habe, um sich zu günstigen Konditionen am Hafen von Valencia zu etablieren.


Der vollbeladene Containerriese Cosco Pride passiert Övelgönne - Foto: © 2014 by ChristianSchd via Wikimedia Commons CC-BY-SA-4.0-Lizenz

Die Cosco Pride läuft aus Hamburg aus
Foto: © 2014 by ChristianSchd via Wikimedia Commons CC-BY-SA-4.0- Lizenz

Eine Teilnehmerin sorgte für ein gewisses Stirnrunzeln, als sie von eigenen Reisen nach Nicaragua und den Plänen der Chinesen, dort eine zum Panama-Kanal konkurrierende Schiffsverbindung zwischen Atlantik und Pazifik zu schaffen, berichtete. Sie äußerte Bedenken, daß bei diesem Projekt sowie bei der gesamten Neuen Seidenstraße staatliche chinesische Unternehmen involviert seien, die eng mit dem Verteidigungsministerium in Peking verflochten seien. Gleichwohl wurde der Anstoß, die geplante Mobilisierung der Hamburger Öffentlichkeit gegen die chinesischen Pläne für Steinwerder mittels Hinweises auf die vermeintliche "Gelbe Gefahr" zusätzlich zu befeuern, als Griff in die fremdenfeindliche Trickkiste von allen Beteiligten verworfen.

Um so mehr tauschte man sich über Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Hafengewerkschaften in den anderen EU-Staaten wie auch in China aus. Nach Angaben Dieter Wegeners bestehen bereits länder- und kontinentübergreifende Kontakte. Vielfach wurde die Orientierung des Hamburger Senats, vor allem der SPD, an der neoliberalen Wirtschaftsideologie kritisiert. Jörn Wölke führte die unheilvolle Entwicklung auf die Ära Henning Vorscheraus als Bürgermeister zurück, der in den neunziger Jahren die Leitlinie der Stadt als Unternehmen verfolgte. Daraus resultierte eine Privatisierungswelle sowie später das Finanzdesaster mit der HSH Nordbank. Einige Redner verwiesen auf Erfolge bei der Massenmobilisierung der Bürger Hamburgs der letzten Jahre - zum Beispiel gegen Ole von Beusts geplante Vollprivatisierung der HHLA und gegen Olaf Scholz' Bewerbung um die Sommerolympiade im Jahr 2024. Auch wenn es viel zu tun gibt, herrschte am Ende doch Zuversicht vor, die Hamburger zur Verteidigung ihres geliebten Hafens bewegen zu können.


Mitglieder der Gewerkschaftlinken sitzen im Halbkreis - Foto: © 2018 by Schattenblick

In vertrauter Runde
Foto: © 2018 by Schattenblick


12. Juni 2018


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