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BERICHT/328: Dem Karl Liebknecht haben wir's geschworen - zögerliche Ernte ... (SB)


"Ordnung herrscht in Warschau!" "Ordnung herrscht in Paris!" "Ordnung herrscht in Berlin!" So laufen die Meldungen der Hüter der "Ordnung" jedes halbe Jahrhundert von einem Zentrum des weltgeschichtlichen Kampfes zum anderen. Und die frohlockenden "Sieger" merken nicht, daß eine "Ordnung", die periodisch durch blutige Metzeleien aufrechterhalten werden muß, unaufhaltsam ihrem historischen Geschick, ihrem Untergang entgegengeht.
Rosa Luxemburg - Die Ordnung herrscht in Berlin (14. Januar 1919) [1]

Zu den historisch bedeutsamen und folgenreichen Bluttaten der herrschenden Ordnung gehört die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 durch ein Offizierskommando. Auf Befehl des Ersten Generalstabsoffiziers der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD), Waldemar Pabst, wurde die Niederlage der November-Revolution durch die Beseitigung ihrer führenden Köpfe besiegelt. Aus einem nachgelassenen Brief geht hervor, daß sich Pabst dafür die Rückendeckung des Volksbeauftragten für Heer und Marine, des SPD-Politikers Gustav Noske, geholt hatte. Im Gegenzug habe er 50 Jahre über diese Zusammenarbeit geschwiegen, was ihm zugleich dazu verhalf, niemals für die Morde und andere von ihm befehligte Massaker zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.



Gedenkstein 'Die Toten mahnen uns' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick

Die SPD hat die Kollaboration zwischen der Mehrheitssozialdemokratie und den gegenrevolutionären Kräften des untergegangenen Kaiserreiches bei der Niederschlagung der Revolution niemals aufgearbeitet und wird dies vermutlich auch in Zukunft nicht tun. Sie betrifft nicht nur die Gutheißung der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht durch Noske, sondern auch dessen Bestätigung eines von Pabst formulierten Befehls, die seinen Truppen mit einem Freibrief für die Ermordung revolutionärer AktivistInnen und solcher, die sie dafür hielten, versah. Dieser von Noske am 9. März 1919 in seiner neuen Funktion als Reichswehrminister unterzeichnete Befehl hatte zur Folge, daß im März bis zu 2000 Personen fast nach Belieben im "Gründungsmassaker" der Weimarer Republik, so der Historiker Mark Jones, von der Soldateska der Regierung Scheidemann ermordet wurden. Obgleich traditionsreichste Partei der Bundesrepublik, hat die SPD dieses Jahr ihre Historische Kommission, angeblich aus Kostengründen, aufgelöst.


Die Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - Fotos: © 2019 by Schattenblick Die Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Tatsächlich hätte das hundertjährige Gedenken an die Novemberrevolution und ihre Transformation zum Projekt der bürgerlichen Republik für die im Niedergang befindliche Sozialdemokratie nur wenig Schmeichelhaftes hervorgebracht. Obgleich als Partei der Arbeiterklasse angetreten, bahnte sie spätestens mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten im August 1914 dem deutschen Imperialismus den Weg. Das Paktieren der Parteiführung mit nationalkonservativen Kräften zur Niederschlagung der sozialen Revolution rettete Deutschland nicht etwa vor dem Bolschewismus, wie zur Rechtfertigung der SPD häufig behauptet, sondern diente dem Machterhalt einer Parteielite, die sich in einer Rätedemokratie der Kontrolle durch die unterdrückten Klasse der ArbeiterInnen, BäuerInnen und einfachen Soldaten hätte aussetzen müssen.

Damit wurde Kräften der radikalen Rechten der Weg geebnet, die schon im Juli 1919 mit Hilfe eines Putschversuches des GKSK unter Pabst versuchten, die Macht an sich zu reißen, um im März 1920 beim Kapp-Putsch erneut zu scheitern. Das durch den Versailler Vertrag geschwächte Militär war weiterhin ein Machtfaktor ersten Ranges, und die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs dementsprechend kein taktischer Winkelzug, sondern ein strategischer Angriff auf die zwei führenden Exponenten des Antimilitarismus. Karl Liebknecht war schon 1907 für seine Schrift "Militarismus und Antimilitarismus" wegen Hochverrat zu anderthalb Jahren Festungshaft verurteilt worden und demonstrierte am 2. Dezember 1914, als er als einziger Abgeordneter die Zustimmung zum Ergänzungshaushalt für die Kriegskredite verweigere, antimilitaristische Konsequenz.


Seitentransparent '100 Jahre Novemberrevolution' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Liebknecht und Luxemburg mußten für ihre radikale Opposition gegen den deutschen Imperialismus mit mehreren Haftstrafen bezahlen, was sie nicht davon abhielt, sich mit der Gründung der Gruppe Internationale, der Spartakusgruppe und schließlich der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum Jahreswechsel 1918/1919 weiter zu radikalisieren. Heute Ikonen der sozialen Revolution, waren beide den größten Teil ihres Lebens aktive Mitglieder in der SPD. Die am 5. März 1871 im polnischen Zamosc geborene Rosa Luxemburg trat 1898 nach ihrer Übersiedlung ins Deutsche Reich sofort in die SPD ein, nachdem sie bereits jahrelang am Aufbau einer sozialistischen Partei in Polen beteiligt gewesen war. Da das polnische Parlament am 1. April 2016 ein Gesetz zum Verbot der Propaganda für den Kommunismus verabschiedet hat, wurde die Gedenktafel an ihrem Geburtshaus in Zamosc entfernt. Einer zeitlebens gegen Nationalchauvinismus kämpfenden Frau darf im modernen Polen, einem Mitgliedstaat der angeblichen Wertegemeinschaft EU, nicht gedacht werden.

Der am 13. August 1871 in Leipzig geborene Karl Liebknecht war seit 1900 SPD-Mitglied und von 1912 bis 1916 sozialdemokratischer Abgeordneter im Reichstag. Erst mit Abspaltung des linken Flügels der SPD, der USPD im April 1917, verließen Luxemburg und Liebknecht mit der Spartakusgruppe die heutige Regierungspartei, die sich eigentlich ohne Not schwertut mit diesem Teil ihres politischen Erbes. Obwohl als MitbegründerInnen lediglich zwei Wochen bis zu ihrer Ermordung der KPD angehörend, wird Karl und Rosa mehr als KommunistInnen denn als SozialdemokratInnen gedacht. Das gilt insbesondere für bürgerliche Medien, die mit allerlei ideologischen Winkelzügen versuchen, den Brandgeruch der Revolution durch formelhafte Demokratierethorik zu vertreiben und sich zu diesem Zweck vor allem auf Rosas Äußerung zur Freiheit der Andersdenkenden kaprizieren.


Transparent mit Erdal Gökoglu und Musa Asoglu - Foto: © 2019 by Schattenblick

Politische Gefangene in der Bundesrepublik Deutschland
Foto: © 2019 by Schattenblick

Diese Äußerung lediglich auf die untergegangene DDR zu münzen, um das Scheitern des dortigen Sozialismusprojekts einmal mehr zu besiegeln, instrumentalisiert Rosa für die Flickenschusterei, mit der die brüchige Legitimation des bürgerlichen Staates und seiner kapitalistischen Gesellschaftsordnung instand gehalten werden soll. Wie wenig diese Freiheit bis heute für KommunistInnen gilt, zeigen nicht nur das aufrechterhaltene KPD-Verbot, sondern auch die Verfolgung nichtdeutscher KommunistInnen in der Bundesrepublik mit den Mitteln der politischen Justiz und die europaweite Rückkehr nationalistischer und chauvinistischer Ideologeme. Um so angestrengter arbeitet sich die SPD an einem liberalistischen Reputationsmanagement ab, daß sie strikt auf den Vollzug des herrschenden Regelwerks staatlicher Verfügungsgewalt festlegt und alle Versuche, die Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung zu hinterfragen, neutralisiert.

Gerade das allerdings war der Zweck der Aussage "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden" aus Rosa Luxemburgs Schrift über die Russische Revolution. Ihr ging es nicht darum, diese sie begeisternde Entwicklung zu diskreditieren, sondern aus ihr durch produktive Kritik für die ausstehende Revolution in Deutschland zu lernen. Für das Gelingen der Russischen Revolution war der Erfolg der revolutionären Bewegung in Deutschland zentral, gerade auch in Hinsicht darauf, daß es galt, die Revolution zu einer internationalen Umwälzung zu entwickeln. [2]

Die aus dem Aufbruch zur Überwindung bürgerlicher Klassenherrschaft hervorgegangene SPD wurde in der Weimarer Republik für die tätige Mithilfe bei der Verhinderung der sozialistischen Räterepublik mit politischen Ämtern und Privilegien aller Art belohnt. Mit Friedrich Ebert stellte sie den ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, der dieses Amt bis 1925 innehatte, und vier ihrer Reichskanzler. Um das NS-Regime zu verhindern, obwohl die SPD im Rahmen des Reichsbanners an einer paramilitärischen Organisation beteiligt war, die Zehntausende Kämpfer hätte mobilisieren können, fehlte es an eben jenem revolutionären Elan, den die Partei 1918 und 1919 selbst bekämpft hatte.


Schalmeien-Orchester Fritz Weineck - Foto: © 2019 by Schattenblick

Wir sind die Moorsoldaten ...
Foto: © 2019 by Schattenblick

Während die SPD am 23. März 1933 noch gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis votierte, stimmte sie in der letzten Reichstagssitzung, zu der sie am 17. Mai 1933 noch zugelassen wurde, für eine außenpolitische Erklärung Adolf Hitlers gegen die Deutschland betreffenden Beschränkungen des Versailler Friedensvertrages [2]. Dieser nationale Schulterschluß ging allerdings nicht wie 1914 in einer Burgfriedenspolitik auf, bei der die SPD für das Einschwenken auf den Kriegskurs mit dem Erhalt ihres politischen Einflusses und ihrer parlamentarischen Privilegien belohnt wurde, sondern mündete in das Verbot der Partei am 22. Juni 1933.

Auch nach dem NS-Faschismus ist die Partizipation an deutschen Herrschaftsprojekten nicht nur unausgesprochenes, sondern seit Bad Godesberg 1959 auch explizites Programm der SPD. Von der Wiederbewaffnung bis zum NATO-Beitritt der Bundesrepublik, vom KPD-Verbot über die Notstandsgesetze bis zum Radikalenerlaß, von der deutschen Beteiligung am Überfall der NATO auf Jugoslawien bis zur Normalisierung der Beteiligung der Bundeswehr an imperialistischen Kriegen, von der sozialchauvinistischen Agenda 2010 bis zum Ausbau der Flüchtlingsabwehr der EU - auch im Klassenantagonismus dieser Tage wissen SozialddemokratInnen ihren Vorteil zu wahren. Nicht umsonst scheint der SPD ein Bedeutungsverlust wie der der Parti socialiste (PS) in Frankreich vorbestimmt zu sein. Diese kam bei der letzten Präsidentschaftswahl 2017 nur noch auf 6,36 Prozent der Stimmen, nachdem sie fünf Jahre zuvor noch 28,63 und zu ihren Hochzeiten 1974 gar 43,25 der WählerInnen für sich verbuchen konnte. Die Epoche der Sozialdemokratie, die im sozialen Kompromiß der Systemkonkurrenz bis 1990 immer wieder Anspruch auf Regierungsmacht erheben konnte, neigt sich ihrem Ende zu. Sollte dies doch noch einmal abzuwenden sein, dann sicherlich nicht ohne fundamental Remedur zu machen.


Fronttransparente mit Rosa und Karl - Fotos: © 2019 by Schattenblick Fronttransparente mit Rosa und Karl - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick


Liebknecht-Luxemburg-Demo gestern und heute

100 Jahre Gedenken an die Ermordung von Karl und Rosa sind mithin alles andere als eine Marotte unbelehrbarer KommunistInnen oder das symbolpolitische Abfeiern eines historischen Ereignisses, die sich nicht einfach ignorieren läßt. Es betrifft den Hauptstrom der von sozialen Kämpfen getriebenen Geschichte der Vergesellschaftung des Menschen und seiner Unterdrückung durch eine militärische Gewalt, ohne die die auf Privateigentum basierende Aneignung und kapitalistische Bewirtschaftung allen Lebens nicht möglich wäre. Parolen und Transparente gegen den Krieg waren auf der alljährlichen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin denn auch dieses Jahr stark vertreten. Rund 15.000 Menschen gedachten am 12. Januar auf der Strecke vom Frankfurter Tor bis zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde der namensgebenden Leitbilder dieser traditionsreichen Demonstration.

Wo Karl Liebknecht am 25. Januar und Rosa Luxemburg am 13. Juni 1919 in Begleitung Zehntausender Trauernder beigesetzt wurden, zogen bis 1933 jedes Jahr zum Jahrestag ihrer Ermordung zahlreiche Menschen zur zentralen Gedenkstätte der 1918 und den folgenden Jahren ermordeten RevolutionärInnen. Diese Tradition wurde 1946 wieder aufgenommen und nahm in der DDR den Charakter eines Staatsaktes an, dem regelmäßig bis zu 200.000 Menschen beiwohnten. In der auf Abrechnung mit dem Systemgegner abonnierten Nachwendezeit kam es zu zahlreichen Übergriffen der Polizei auf die LL-Demonstration, die erst mit Amtsantritt der SPD-PDS-Koalition in Berlin 2002 endeten. Quasi als Antithese zum sozialistischen Mahnmal wurde am 11. Dezember 2006 auf dem Friedhofsvorplatz ein Gedenkstein für die "Opfer des Stalinismus" eingeweiht. Dabei ging es weniger darum, der vom Apparat der ideologischen Säuberung in der Sowjetunion ermordeten KommunistInnen zu gedenken, sondern den Kommunismus als ganzes zu diskreditieren und die DDR im Sinne der Totalitarismusthese mit dem NS-Faschismus gleichzusetzen.


Schwarze Transparente zu Arbeit und Kapital - Fotos: © 2019 by Schattenblick Schwarze Transparente zu Arbeit und Kapital - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Dabei lassen sich dem Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht viele Seiten abgewinnen, die nichts mit der Blockkonfrontation zu tun haben, sondern die vielen ungelösten Probleme der Zeit betreffen. Die soziale Revolution ist unabgegolten, nur wenig hat sich in den letzten 100 Jahren verbessert. Katastrophen weltumspannenden Ausmaßes stehen vor der Tür, und die sogenannten Menschheit ist praktisch keinen Schritt über das Gewaltverhältnis hinausgekommen, in dem sie zu ihren eigenen Subjekten wie denen der Natur steht. Vieles wird der Radikalität von Karl und Rosa angelastet, denn auf den Kommandhöhen bürgerlicher Gesellschaft und staatlicher Exekutivgewalt regiert der privatwirtschaftliche Eigentumsvorbehalt vor allem anderen. Diesen zu bestreiten ist in Zeiten, da die krisenhafte Entwicklung nicht mehr nur soziale Unterdrückung, sondern auch ökologische Zerstörung in lebensbedrohlichem Ausmaß hervorbringt, mehr als gerechtfertigt. InternationalistInnen wie Karl und Rosa haben schon vor 100 Jahren in einem Ausmaß Verantwortung für die Gesamtentwicklung menschlichen Lebens übernommen, daß niemand mehr behaupten kann, von den verheerenden Folgen des Verschleppens aller Probleme, die mit der Vergesellschaftung des Menschen einhergehen, nicht gewußt zu haben.


Transparente für Frauenstreik - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente für Frauenstreik - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick


Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand ...

Insbesondere Rosa Luxemburg hat ein ergiebiges Werk theoretischer Schriften und persönlicher Briefe hinterlassen. So hat sie mit der Analyse, daß kapitalistisches Wachstum immer auf nichtkapitalistischen Produktionsweisen beruht, den zwingenden Zusammenhang von kapitalistischer Mehrwertproduktion und kolonialistischer Expansion im Sinne fortgesetzter ursprünglicher Akkumulation nachgewiesen. Dieses unter anderem von Tove Soiland zum Theorem der Neuen Landnahme als einer Bewirtschaftung nicht kapitalistisch in Wert gesetzter Reproduktionsarbeit vor allem von Frauen weiterentwickelte Konzept [4] gehört zu den wegweisenden Errungenschaften Luxemburgs. Da es den rassistischen Charakter des kapitalistischen Weltsystems offenlegt, ist es bis heute nicht überholt und hallt nicht umsonst in dem epochalen Werk Frantz Fanons "Die Verdammten dieser Erde" wider.

Wenn der Kapitalismus also von nichtkapitalistischen Formationen lebt, so lebt er, genauer gesprochen, von dem Ruin dieser Formationen, und wenn er des nichtkapitalistischen Milieus zur Akkumulation unbedingt bedarf, so braucht er es als Nährboden, auf dessen Kosten, durch dessen Aufsaugung die Akkumulation sich vollzieht. [5]

Es liegt nahe, daß Rosa Luxemburgs Landnahmetheorem für das sozialökologische Problem einer an die finalen Grenzen des Ressourcenverbrauches stoßende Welt fruchtbar gemacht werden kann. Dies betrifft auch den Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Landnahme, verbirgt sich letztere doch hinter schwer zu durchschauenden Sachzwängen, wenn es etwa um die Ausbeutung kostenlos erbrachter Sorgearbeit, um medizinisch begründete Verhaltenskontrolle oder mit imperativer Gewalt vorgenommene Eingriffe in den Körper und die Lebensführung der Menschen geht. Darüber hinaus war Luxemburg nicht nur an politischer Theorie und politökonomischer Kritik interessiert, sondern widmete sich verschiedensten Bereichen wie Biologie, Zoologie, Architektur und Malerei mit großem Interesse.


Transparente zu Rojava - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente zu Rojava - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Mit fünf Jahren von einem Arzt aufgrund einer Fehldiagnose für fast ein Jahr in ein Gipsbett gelegt, mußt Rosa zeitlebens mit zwei verschieden langen Beinen klar kommen. Sie war als Behinderte, als Frau, als Linke, als Intellektuelle, als Jüdin und Polin praktisch ein Paradefall für eine Form von gesellschaftlicher Stigmatisierung, wie sie heute unter den Stichworten Mehrfachunterdrückung oder Intersektionalität diskutiert wird. Die insbesondere aus ihrer Gefängniskorrespondenz hervorgehende Empathie für Menschen wie Tiere, die Schmerz erleiden oder andersweitig in Not sind, mag ein Ergebnis der streitbaren Auseinandersetzung mit dem normativen Druck ihrer sozialen Umgebung gewesen sein. Besonders berühmt wurde die in einem Brief an Sonia Liebknecht geschilderte Geschichte über jenen rumänischen Büffel, der von einem ihn zur Zugarbeit treibenden Soldaten so stark geschlagen wird, daß seine dicke Haut regelrecht zerreißt: "Oh, mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht." [6] Selbst für die kleine, achtlos zerdrückte Fliege gilt, das für sie mit ihrem Leben die ganz Welt vernichtet wird [7]. Rosa Luxemburg wußte um die Unteilbarkeit des Schmerzes und befand sich damit auf der Spur eines Streites, der dem Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung zwar immanent ist, aber ihn als menschlicher Stoffwechsel mit der Natur auch überschreitet und so zu neuen Fragestellungen führt.


Internationale Beteiligung - Fotos: © 2019 by Schattenblick Internationale Beteiligung - Fotos: © 2019 by Schattenblick Internationale Beteiligung - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Fotos: © 2019 by Schattenblick

Wie sehr dies die Menschen auf der LL-Demonstration mitvollziehen oder nicht, sie werden auf diese oder jene Weise von Mißständen und Nöten umgetrieben, zu deren Überwindung es mehr bedarf als das Einfordern sozialstaatlicher Regulative oder das Verabreichen karitativer Wundpflaster. Daran ändert auch die mediale Beschwichtigung nichts, mit der versucht wird, den zündenden Funken im Wirken Luxemburgs und Liebknechts dadurch zu löschen, daß alles vom Scheitern der Revolution aus gedacht wird und die treibenden Faktoren des gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung gerichteten Aufstandes vom Narrativ einer zeitgeschichtlichen Episode bloßer Irrungen und Wirrungen überblendet werden. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland mit der SPD eine linke Arbeiterpartei mit Massenbasis, die zur Hoffnung Anlaß gab, daß in dem großen Land in der Mitte Europas der Sozialismus verwirklicht werde. Mit dem Einschwenken dieser Partei auf den Kriegskurs der deutschen Bourgeoisie und Monarchie trat eine sozialrevolutionäre Massenbewegung in Erscheinung, die der Möglichkeit zu fundamentalen Veränderungen sehr nahegekommen war. Daß diese Revolution dennoch scheiterte und in die Katastrophe der systematischen Massenvernichtung durch den NS-Staat mündete, ist von einer Tragik, die in der neoliberalen Gesellschaft und ihrer Formierung zu einer Ansammlung voneinander isolierter Konkurrenzsubjekte kaum noch vermittelbar ist. Daran etwas zu ändern bedarf einer revolutionären Tatkraft, für die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bis heute zum Vorbild gereichen können.


Gedenkwand mit Namen und Grabplatten - Fotos: © 2019 by Schattenblick Gedenkwand mit Namen und Grabplatten - Fotos: © 2019 by Schattenblick Gedenkwand mit Namen und Grabplatten - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Gedenkstätte der Sozialisten
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1919/01/ordnung.htm

[2] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/dokumentationen/090116_RL-Konferenz/beitraege/Tanja_Storlokken.pdf

[3] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40693632.html

[4] http://www.theoriekritik.ch/?p=3180

[5] http://www.glasnost.de/klassiker/luxem2.html

[6] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1917/12/17-brgef.html

[7] http://www.rosalux-nyc.org/wp-content/files_mf/rosaasfeminist_drucillacornell_deufinal.pdf


16. Januar 2019


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