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BERICHT/024: "Die Innere Sicherheit?" - Dekonstruktion medialer Terrorismusinszenierung (SB)


"Die Innere Sicherheit?" - Vorführung und Debatte am 29. November in Berlin

Axel Bussmer, Kay Sokolowsky, Walter van Rossum, Burhan Kesici

Axel Bussmer, Kay Sokolowsky, Walter van Rossum, Burhan Kesici

Nicht erst seit dem 11. September 2001 dient der Terrorismus der nicht enden wollenden Aufrüstung des Sicherheitsstaats als Generallegitimation. Der Beliebigkeit der Begriffsverwendung entspricht die Entuferung repressiver Maßnahmen et vice versa. Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit von Strafvorschriften wird durch die antiterroristische Präventivdoktrin unterlaufen, um staatlicher Repression die Tür zu einer grundsätzlichen Bezichtigung unbescholtener Bürger zu öffnen. Was sich am Beispiel der Verschleppung, Folterung und Inhaftierung von US-Streitkräften oder -Geheimdiensten irgendwo in der Welt aufgegriffener Personen, die ohne Gerichtsurteil dauerhaft ihrer Freiheit beraubt werden, als Extrem staatlicher Unrechtsjustiz manifestiert, findet in der Verlagerung der Ermittlungspraxis ins Vorfeld strafbarer Handlungen und den damit gegen alle Bürger erhobenen Generalverdacht sein angeblich rechtsstaatliches Äquivalent.

Weit über die pragmatische Sichtweise hinaus, daß es sich bei Terrorismus um eine Methode gewaltsamer Einflußnahme handelt, wird der Begriff zur Ablenkung von akuten sozialen Konflikten mit Feindbildern aufgeladen und politisiert. Die Problematik zueinander wie in sich widersprüchlicher Terrorismusdefinitionen, anhand derer militante Organisationen mal kriminalisiert, mal instrumentalisiert werden, während gewaltfreie Formen des zivilgesellschaftlichen Protestes Gefahr laufen, als terroristische Handlungen stigmatisiert zu werden, dokumentiert den Willkürcharakter eines Kampfbegriffs, mit dem Delikte, die auch nach konventionellem Strafrecht verfolgt werden könnten, den weitreichenden exekutiven wie juristischen Möglichkeiten der Staatsschutzapparate ausgesetzt werden.

Das belegen auch die Mutationen der Gesetzgebung zur Vereinigungskriminalität nach § 129 StGB und ihre Ausweitung auf terroristische Gruppen nach § 129a und 129b, die schon die Zugehörigkeit zu einer solchen zu einem Verbrechen am Staat erklärt. Während diese aufgrund der Kriminalisierung radikaler politischer Ansichten als Gesinnungsstrafrecht geltenden Paragraphen vor allem zur polizeilichen und geheimdienstlichen Ausforschung oppositioneller Strukturen eingesetzt werden, sollen mit den dieses Jahr in Kraft getretenen Paragraphen 89a, 89b und 91 StGB nun wieder terroristische Einzeltäter dingfest gemacht werden. Dieses Staatsschutzstrafrecht betrifft Vorbereitungshandlungen, die zu bestimmen ein hohes Ausmaß an richterlicher Subjektivität voraussetzt und das politischen Zweckerwägungen Tür und Tor öffnet.

Es gäbe also gute Gründe dafür, eine breite gesellschaftliche Debatte um das Verhältnis zwischen staatschützerischen Maßnahmen und demokratischen Freiheiten zu führen. Das weitgehende Ausbleiben einer öffentlichen Diskussion um die Fragen, wer in dieser Gesellschaft von was bedroht wird und was daher zu tun wäre, ist dem instrumentellen Charakter des Terrorismusbegriffs immanent. Ohne die mediale Trivialisierung und Hypertrophierung dieses Diskurses wäre die für die Bundesrepublik ausgewiesene Terrorgefahr kaum zu einem Staat und Gesellschaft prägenden Faktor geworden. Die reale Gefahr, daß der einzelne Opfer eines Anschlags wird, ist im Verhältnis zu zahlreichen anderen Bedrohungen für Leib und Leben eine vernachlässigenswerte Größe. Sie dennoch zu einem Schreckgespenst aufzubauen folgt daher einer anderen Ratio als der gemeinhin unterstellten.

Einen Beitrag zur Aufklärung dieses Zusammenhangs leistete das Filmfestival "One World Berlin", in dessen Rahmen am 29. November im ACUDKino in Berlin-Mitte "Mediale Darstellungen der Terrorbedrohung für Deutschland" untersucht wurden. Unter der Skepsis signalisierenden Überschrift "Die innere Sicherheit?" wurden zwei Medienbeiträge vorgestellt, die um die Verhaftung der sogenannten Sauerlandgruppe und ihre mutmaßlichen Anschlagsvorbereitungen kreisen.

Im ersten Fall handelt es sich um eine dieses Jahr ausgestrahlte TV-Reportage, in der Peter Gerhardt und Ahmet Senyurt die "Terroristenjagd im Sauerland" schon im Titel mit dem Fazit "Wie das BKA ein Blutbad verhinderte" zusammenfassen. Die 45minütige ARD-Produktion schildert die Ereignisse des 4. September 2007, als drei mutmaßliche Terroristen in der kleinen sauerländischen Gemeinde Oberschledorn von einem Großaufgebot schwer bewaffneter Sicherheitskräfte verhaftet wurden, vor allem aus der Sicht der Dorfbewohner. Wie diese die verdeckte, sich über Tage erstreckende Beobachtung der Sauerlandgruppe durch mehrere hundert Sicherheitskräfte in ihrem Ort wahrnahmen, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Die Kommentare unbedarft wirkender Bürger, denen im Rahmen ihrer ganz normalen nachbarschaftlichen Observationstätigkeit manches an den merkwürdigen Feriengästen auffällt, verstärken den dramaturgischen Effekt, wie das Böse inmitten einer friedlichen ländlichen Idylle unversehens sein Haupt erhebt.

Demgegenüber wird die terroristische Karriere der drei in Deutschland aufgewachsenen Attentäter in den düsteren Farben eines von Fanatismus und Engstirnigkeit gezeichneten Islam illuminiert. Man bedient sich der Stereotypie einer sektiererischen Gemeinschaft, die, im Banne einer fundamentalistischen Ideologie stehend, zu allem bereite Anhänger hervorbringt. Fragen nach dem spezifischen Charakter der gepredigten Doktrin erspart man sich ebenso wie Überlegungen zu den sozialen Gründen, die die dort versammelten Muslime zu ihren angeblich gefährlichen Ansichten treibt. Zwar wird die unterstellte Terroraffinität dieser Gemeinschaft nicht explizit auf den Islam verallgemeinert, doch ihr spezifischer Charakter wird so undifferenziert dargestellt, daß sich ein derartiges Vorurteil ohne weiteres verfestigen kann.

Dazu trägt auch die in dem Filmbeitrag wiederholt betonte Abgeschlossenheit dieser Gemeinde wie der Sauerlandgruppe nach außen bei. Was sich in der Projektion des Publikums als konspiratives und damit verdächtiges Verhalten abbildet, entspringt seinerseits einer Außensicht, die sich gar nicht erst um ein weitergehendes Verständnis für die Motive der mutmaßlichen Terroristen bemühen will. Nur so können die eigenen Wertmaßstäbe vor jeglichem Zweifel an ihrer beanspruchten universalen Gültigkeit geschützt werden. Halten sich Muslime, wie in dem Film behauptet, für "Opfer einer weltweiten Unterdrückung durch den Westen", dann wird dies als Schwarzmalerei ohne jegliche Verankerung in der Realität globaler Machtverhältnisse dargestellt. Auch nur zu erwägen, daß diesem subjektiven Eindruck objektive politische Entwicklungen vorausgegangen sein könnten, liegt den Autoren der Dokumentation fern. Für sie ist alles, was die von ihnen befragten Muslime in dieser Hinsicht umtreibt, eine Ausgeburt paranoider Wahnvorstellungen.

Entsprechend arglos berichten sie darüber, daß "einer, der ihnen das immer wieder eingeimpft", jahrelang als Informant für den Verfassungsschutz gearbeitet hat. Die naheliegende Frage, wie so ein Doppelspiel und andere mit dem Bild konspirativer Anschlagplanung unvereinbare Auffälligkeiten erlauben konnte, daß drei jugendliche Attentäter fast einen verheerenden Anschlag durchführten, entfällt.

Diese und andere Widersprüche in der glattpolierten Oberfläche einer Terrorangst und Bedrohungsparanoia schürenden Berichterstattung aufzugreifen hat sich Walter van Rossum in seinem Radiofeature "Ein Käfig voller Enten" zur Aufgabe gemacht. Nicht zu Unrecht verweist der Titel auf die französische Komödie "La Cage aux Folles", kommt die ganz Deutschland in Atem haltende Geschichte eines nur durch entschlossenen Einsatz der Sicherheitskräfte erfolgreich verhinderten Anschlags von monströsen Ausmaßen doch mit allerlei Flitter und Tand aufgetakelt wie eine Drag Queen daher. Im Unterschied zur männlichen Inszenierung von Weiblichkeit geht es im Bestiarium des Terrorkriegs gerade nicht darum, die Oberfläche der Performanz so durchsichtig zu halten, daß sich der Reiz der Darbietung aus dem Wissen um ihren irreführenden Charakter ergibt.

So führt van Rossum die für die angebliche Gefährlichkeit der Sauerlandgruppe unterbewertete Tatsache an, daß die zwölf Fässer mit der legal erworbenen 35prozentigen Wasserstoffperoxydlösung durch halb Deutschland gekarrt wurden, um schließlich mit einem dieser Fässer noch einmal durch die halbe Republik zum Ort der angeblichen Bombenmontage zu fahren. Dies geschah wohlgemerkt trotz einer im Januar 2007 erfolgten Hausdurchsuchung bei dem Verdächtigen Fritz Gelowicz, trotz des von den Observierten ausgegangenen Übergriffs auf ein sie verfolgendes Fahrzeug der Sicherheitsbehörden, dessen Reifen sie durchstachen, trotz ihres in Abhörprotokollen der Polizei dokumentierten Bewußtseins um die umfassenden Überwachungsmaßnahmen, denen sie ausgesetzt waren.

Selbst die Presse hatte noch vor den Anschlagsvorbereitungen im Sauerland Wind davon bekommen, wie van Rossum unter Verweis auf einen Artikel des Focus vom Mai 2007 schildert, in dem bereits von Ermittlungen gegen ominöse islamische Terrorverdächtige berichtet wird, als deren Objekt sich die Sauerlandgruppe ohne weiteres wiedererkennen konnte. Daß dem Verfasser dieses Artikels enge Kontakte zum Bundesnachrichtendienst nachgesagt werden, ist nur eines der vielen Mosaiksteinchen, mit denen sich ein ganz anderes Bild dieses spektakulären Erfolgs der deutschen Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Terrorismus zeichnen läßt. Auch Journalisten des Stern sprachen einen Monat vor der Verhaftung der Sauerlandgruppe mit Gelowicz, dem ihren Aussagen zufolge allemal bewußt war, daß er observiert wurde.

Die hochgradigen technischen Probleme, die der Bau einer auf dieser - im übrigen bereits durch die Sicherheitsbehörden mittels Verdünnung entschärften - Lösung basierenden Bombe mit sich bringt, kommen in dem Radiofeature ebenso zur Sprache wie die Geheimdienstverbindungen, die in diesem Fall als Terrorverdächtige und deren geistige Mentoren involvierte Personen unterhielten. Van Rossum liefert mit seinem Bericht den Gegenentwurf zu der zuvor gezeigten ARD-Produktion, aus der in seinem Feature mehrmals zitiert wird, und wirft die Frage auf, wieso bei den meisten Beteiligten trotz des widersprüchlichen Verlauf des Falls "Zufriedenheit mit dem Stand der Dinge zu herrschen scheint".

Was in dem Feature einerseits mit der Warnung des sogenannten Terrorismusexperten Rolf Tophoven vor der medialen Strategie der Terroristen und andererseits mit dem Verweis des Stern-Journalisten Rainer Nübel auf den spektakulären Fall vom September 2008, als zwei angebliche Jihadisten unter großer Beteiligung der Öffentlichen als potentielle Selbstmordattentäter festgenommen wurden, nur um zwei Wochen später sang- und klanglos wieder entlassen zu werden, nachdem sich etwa der angebliche Abschiedsbrief eines der beiden Männer als Liebesbrief seiner Verlobten entpuppte, konterkariert wird, steht als Frage nach wie vor im Raum der systematisch vermiedenen Debatte. Diese Frage zu präzisieren sollte Aufgabe der nun folgenden Podiumsdiskussion sein.

Axel Bussmer von der Humanistischen Union moderiert eine Runde, in der neben dem Journalisten Kay Sokolowsky und seinem Kollegen Walter van Rossum mit dem Vizepräsidenten der Islamischen Föderation in Berlin, Burhan Kesici, ein von dieser Inszenierung der terroristischen Bedrohung Betroffener zu Worte kommt. Sokolowsky, Autor des Buches "Feindbild Moslem", lenkt einleitend den Blick auf den verallgemeinernden Charakter der Darstellung von Terrorverdächtigen islamischen Glaubens. Wie in der zuvor gezeigten ARD-Produktion wird kaum untersucht und erläutert, woher die unterstellte terroristische Gefahr stammt. Sie resultiert quasi selbstredend aus dem religiösen Bekenntnis, so daß dem Islam durch solche Kurzschlüsse insgesamt eine ideologische Affinität zur Anwendung von Gewalt angelastet wird.

Walter van Rossum faßt das heiße Eisen mit einer gehörige Portion Humor an und demontiert den propagandistischen Charakter des Gesehenen, indem er noch einmal die Lächerlichkeit der aufgedeckten Widersprüche hervorhebt und durch Zusatzinformationen verstärkt. Um so ernster zu nehmen ist seine Forderung, die zivilisatorische Errungenschaft der Aufklärung nicht nur als Schild im Kulturkampf vor sich herzutragen, indem man einen Mangel derselben in der islamischen Welt festzustellen meint und so über das geringe Ausmaß tatsächlich verwirklichter Aufklärung in der westlichen Welt hinwegtäuscht. Um "gegen die Richtung" zu gucken und Propaganda zu dekonstruieren bedarf es keines besonderen Expertentums. Das kann jeder, so van Rossums ermunternde Aussage zu den Möglichkeiten emanzipatorischer Erkenntnis.

Burhan Kesici wählt ebenfalls einen leichtfüßigen Einstieg in die Debatte, indem er das Problem der muslimischen Gemeinde schildert, die in den Medien präsentierten Fanatiker in den eigenen Reihen überhaupt auszumachen. Man habe regelrecht das Gefühl, in einer anderen Realität zu leben, wenn man mit dem in den Medien produzierten Bild des islamistischen Terroristen konfrontiert wird, das schon deshalb nicht stimmen könne, weil es mit der Theologie des Islam nicht in Übereinstimmung zu bringen sei. Allerdings nehme er inzwischen Radikalisierungstendenzen unter islamischen Jugendlichen wahr, die wie eine selbsterfüllende Prophezeiung an die Inszenierung des angeblichen islamischen Terrorismus anschlössen, so der Politologe Kesici, der sich ausdrücklich gegen das häufig an ihn angetragene Angebot verwahrt, als eloquenter Redner und aufgeklärter Wissenschaftler anders als "die anderen" Muslime zu sein, sprich sich von der eigenen Gemeinde zu distanzieren.

Die Schilderung Kesicis von seiner Erfahrung mit alltäglicher Diskriminierung und dem wachsenden Mißtrauen, das Muslimen von ihrer nichtmuslimischen Umwelt entgegengebracht wird, nimmt van Rossum zum Anlaß, an die diesem Konflikt zugrundeliegenden realpolitischen Entwicklungen zu erinnern. Die Unterstützung diktatorischer Regimes in der islamischen Welt durch westliche Staaten bei gleichzeitiger Ausblendung jeglicher offizieller Kritik an deren Unterdrückungspraktiken und die hierzulande weitgehend akzeptierte völkerrechtswidrige Kriegführung der Sieger des Zweiten Weltkriegs im Nahen und Mittleren Osten hätten zur Folge, daß sich unter den Betroffenen auch einzelne Menschen fänden, die dies zum Anlaß militanten Widerstands nähmen. Das Vergessen der 300jährigen Kolonialgeschichte sei eine "grandiose Leistung", so van Rossum, der die neokolonialistische Gegenwart nüchtern als die kosteneffizientere Form globaler Herrschaftsausübung darstellt.

Der häufig unterbewerteten Wechselwirkung zwischen äußerer Aggression und innerer Repression entspricht die Bundesregierung längst mit der Auffassung, daß die Differenzierung zwischen äußerer und innerer Sicherheit den heutigen Bedrohungslagen nicht mehr gerecht werde. Um diese den Zweck der Militarisierung der inneren Sicherheit wie der Einbindung zivilgesellschaftlicher Strukturen in die Kriegführung verfolgende Lesart kritisch würdigen zu können, bedarf es des außenpolitischen Kontextes, ohne den die "Medialen Darstellungen der Terrorbedrohung für Deutschland" nur unzureichend zu verstehen sind.

Kay Sokolowsky schildert die fatale Auswirkung, die die Stigmatisierung letztlich aller Muslime als Feinde der westlichen Gesellschaft und potentielle Terroristen nicht nur für ihr Leben in Europa hat, sondern auch für die geistige Enge und negative Gemütsverfassung der solchermaßen indoktrinierten Bürger. Am Beispiel des wohl bekanntesten Wortführers des antiislamischen Ressentiments, Henryk M. Broder, stellt Sokolowsky die destruktiven Praktiken dar, mit denen Mißtrauen gegen Muslime geschürt wird.

Burhan Kesici beklagt denn auch, daß emanzipatorische Forderungen von Muslimen in Europa häufig mit dem Erlassen restriktiver Gesetze quittiert werden. Viele seiner Glaubensschwestern und -brüder setzten kaum noch Hoffnung in die Entwicklung westlicher Werte, weil sie, wenn sie diese im Wortlaut beanspruchten, häufig die Erfahrung machten, daß sie ihnen nicht zugestanden würden. In der Debatte mit Politikern und Juristen müßten Muslime, die sich auf das Grundgesetz berufen, diese bisweilen erst über dessen freiheitliche Substanz aufklären, was wiederum dazu führe, daß man sie der Besserwisserei bezichtige.

Abschließend setzt van Rossum noch einmal den bei der Verhaftung der Sauerlandgruppe betriebenen Aufwand der Sicherheitsbehörden in den Kontext der damit möglicherweise verfolgten Absicht, allein durch deren erhebliches Ausmaß Angst und Schrecken in der Bevölkerung auszulösen. Im Ergebnis ist nichts passiert, weil gar nichts passieren konnte, wie auch jüngste Aussagen des BKA im Düsseldorfer Prozeß gegen die Sauerlandgruppe bestätigen. So hätten die Angeklagten bei ihrer Verhaftung erst ganz am Anfang des Bombenbaus gestanden, weil sie nicht einmal über die bei einem Elektronikversand bestellten Bauteile für die Vorrichtung verfügten, mit der die Zünder des Sprengsatzes aktiviert werden sollten (sueddeutsche.de,12.2009).

Das Resümee des Abends zieht Sokolowsky mit der Aussage, daß der Rassismus in Deutschland niemals überwunden wurde, sondern seit jeher eine dominante Rolle spielt. Heute, da die soziale Schere immer weiter auseinanderklafft und die Welt durch die Wirtschaftskrise an den Abgrund geführt werde, brauche man den Rassismus als Ventil, so der notwendige Ausblick auf die politische Funktion von Feindbildern wie dem des angeblich aus dem Islam generierten Terrorismus. Gerade weil es vollkommen gesellschaftsfähig sei, auf den Islam und auf Muslime einzudreschen, eigne sich die antiislamische Variante des Rassismus zu diesem Zweck.

Obwohl der kleine Kinosaal nicht vollständig besetzt war, verlief die etwa einstündige Diskussion unter reger Beteiligung des Publikums. Dem Thema wäre ein weit größeres Forum zu wünschen gewesen, doch das vergleichsweise geringe Interesse an ihm belegt auch seine Relevanz. Eine breite gesellschaftliche Strömung so zu ignorieren, wie es im Fall des grassierenden Antiislamismus in Politik und Medien geschieht, zeugt von der Brisanz einer Entwicklung, die vor dem Hintergrund der genozidalen Praktiken des NS-Regimes und den Anfängen, die sie in der Schürung des bereits vorhandenen Antisemitismus nahmen, in ihrer Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden darf. Dabei gilt es, die im aufklärerischen Sinne notwendige Kritik der Religion nicht auf gesellschaftliche Widerspruchslagen von ganz anderer Art zu übertragen.

Die Virulenz des antiislamischen Ressentiments zeigte sich auch daran, daß der medienkritische Ansatz der Veranstaltung wie von selbst in ein Gespräch über das Problem mündete, daß nicht nur Ausländer allgemein, sondern Muslime insbesondere von der Mehrheitsbevölkerung als fremd und feindlich identifiziert werden. Der soziale Charakter dieses Konflikts hat sich in der Debatte um die Äußerungen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin gezeigt, richtete sich seine von vielen Bundesbürgern gutgeheißene Ausgrenzungsrhetorik doch gegen alle "unproduktiven" Menschen und nicht nur gegen Türken und Araber. Einen geradezu anekdotischen Beleg für den sozialrassistischen Charakter dieser Feindbildproduktion lieferte das Bundeskriminalamt im September 2008 mit der Angabe, daß Fritz Gelowicz aufgrund betrügerischer Inanspruchnahme von Sozialleistungen 650 Euro im Monat zur Vorbereitung der Anschläge beisteuern konnte. Wie das mißbräuchliche Erschleichen von Sozialleistungen mit sinistren Plänen zur Zerstörung der herrschenden Gesellschaftsordnung kombiniert wird, um eine kausale Verbindung zwischen sozialer Delinquenz und terroristischer Bösartigkeit zu ziehen, so ist die Aufrüstung staatlicher Repression folgerichtig als Maßnahme gegen das verelendete und eines Tages vielleicht widerständige Subproletariat zu begreifen.

Veranstaltungsort ACUDKino in der Veteranenstr. 21

Veranstaltungsort ACUDKino in der Veteranenstr. 21

15. Dezember 2009