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BERICHT/035: Energiekonferenz - Fachvorträge mit Biß gegen Profitstreben und Kontrollzuwachs (SB)

Dora Heyenn und Roman Denter eröffnen den zweiten Tag der Energiekonferenz - © 2010 by Schattenblick

Dora Heyenn und Roman Denter eröffnen den zweiten Tag der Energiekonferenz
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Energiekonferenz Die Linke - Der Aktivist und der Politiker

Der zweite Tag der Energiekonferenz wurde von der Fraktionsvorsitzenden Der Linken in der Hamburger Bürgerschaft, Dora Heyenn, eröffnet. Anschließend hielten zwei Personen Fachvorträge, die thematisch den Spannungsbogen der gesamten Konferenz abdeckten. "Atomkraft abschaffen!" - dafür war Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Lüchow Dannenberg, zuständig. "Die Zukunft ist erneuerbar!" - um dies zu erläutern, konnte mit Hermann Scheer, dem Bundestagsabgeordneten der SPD und Präsident von Eurosolar, wohl kein geeigneterer Streiter für die erneuerbaren Energien eingeladen werden.

Wolfgang Ehmke, der bereits an die Einhaltung der Zeit erinnert wurde, noch bevor er etwas gesagt hatte, schoß ein wahres Feuerwerk an Thesen, Argumenten und Forderungen ab, die den Atomausstieg aus seiner Sicht begründen. Daß uns heute noch die Atomtechnologie beschäftige, hänge mit der Macht der Oligopole zusammen. Die müsse gebrochen werden. Weltweit existiere kein sicheres Endlager für radioaktive Stoffe, deshalb müßten Atomkraftwerke stillgelegt werden.

Schon bald demonstrierte Ehmke, daß Mitglied einer "Bürgerinitiative" zu sein nicht bedeutet, keinen Blick über den eigenen Tellerrand zu riskieren und lediglich zu fordern, daß vor der eigenen Haustür kein atomares Endlager gebaut werden soll: Am Beginn der Atomwirtschaft in Deutschland habe das Interesse des am 6. Oktober 1955 zum Bundesminister für Atomfragen berufenen Franz Josef Strauß darin bestanden, daß Deutschland über den Weg der Forschung und der NATO-Mitgliedschaft "zu einer nuklearen Schwellenmacht" aufsteigt, erläuterte er. Die nukleare Teilhabe sei auch heute für einige Länder Treibkraft. Die Gefahr der Proliferation werde jedoch von Lobbyisten wie Nicolas Sarkozy ignoriert, der ständig im Mittelmeerraum unterwegs sei und Atomkraftwerke verkaufe. Die schwarz-gelbe Bundesregierung wiederum sichere mit Hermes- Bürgschaften den Bau von Akws finanziell ab. Wer sich über das erste Akw im Iran und die Urananreicherung aufrege, der müsse sich fragen lassen, warum das gleiche nicht für die Urananreicherungsanlage in Gronau gelte. Weiter ging's in der ungestümen Rede über das waffenfähige Plutonium am Atomstandort Hanau, die Verwendung uranhaltiger Munition in Serbien und Irak bis hin zur Nutzung der Kohlekraft, was von der BI ebenfalls abgelehnt wird.

Ehmke erwähnte es nicht eigens, aber auch Kohlekraftwerke geben radioaktive Substanzen ab. Diese sind in der Kohle enthalten und entweichen aus den Schornsteinen, so daß sie über das ganze Land verteilt werden. In der Nähe von Kohlekraftwerken finden sich Radionukleotide sowohl aus der Uran- als auch der Thoriumkette. Der allergrößte Teil der Strahlenpartikel wird hierzulande entweder von Filtern abgefangen oder in der Asche und Schmelze aufkonzentriert und "entsorgt". Dennoch ist in der Nähe von Kohlekraftwerken eine erhöhte Radioaktivitätsbelastung zu messen, insbesondere in der Hauptwindrichtung. Einige Fachleute behaupten sogar, daß Kohlekraftwerke mehr Strahlenpartikel an die Umwelt abgeben als Atomkraftwerke, sofern diese keine Störung aufweisen. Somit gibt es gute Gründe, die Forderung nach einem Atomausstieg auf Kohlekraftwerke auszudehnen.

Wolfgang Ehmke - © 2010 by Schattenblick

Wolfgang Ehmke
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Entschieden wandte sich Ehmke gegen das Verpressen von Kohlendioxid in Tiefenlagern und erklärte sich solidarisch mit den Bürgerinitiativen, die gegen die CCS-Technologie protestierten. "Schluß mit Pest oder Cholera! Vorwärts mit den Erneuerbaren!" rief er dem Publikum zu, das diesen Appell mit kräftigem Beifall quittierte. Für viele Zuhörerinnen und Zuhörer womöglich nicht neu, aber in diesem Kontext sicherlich passend plaziert, war die Information, daß der Begriff "Brückentechnologie" für Atomkraftwerke von der Berliner PGRS Unternehmensberatung für Politik und Krisenmanagement aufgebracht wurde. Ehmke zitierte aus einem 109 Seiten langen Strategiepapier: "Das Gesamtziel der vorgelegten Strategie ist es, die politisch-öffentliche Debatte um die Verlängerung der Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke positiv zu beeinflussen."

Dumm gelaufen, könnte man sagen, denn die gut besuchte Energiekonferenz wie auch die zur Zeit auf breiter Front stattfindende Mobilisierung zur Anti-Atom-Demonstration am 18. September in Berlin beweisen, daß viele Bürgerinnen und Bürger vermeintliche Sachargumente sehr gut einschätzen können und erkennen, daß die "Brücke", welche die Atomtechnologie angeblich bildet, keineswegs in eine Akw-freie Zukunft führen soll.

Hier bestimmen nackte Profitinteressen das energiepolitische Handeln der politischen Klasse, sagte Ehmke, bei dessen Einschätzung, daß die schwarz-gelbe Regierung den Oligopolen "zu Kreuze" kriecht, allerdings das virulente Eigeninteresse der Politik an einer zentralistischen Energieversorgung zu sehr in den Hintergrund gerät. Das läßt sich an einem zugespitzten Bild verdeutlichen: Man stelle sich vor, jedem einzelnen Haushalt stehe jederzeit, ohne die geringsten Einschränkungen und kostenlos, Energie zur Verfügung. Dann könnten mit der Energieversorgung keine Profite mehr erwirtschaftet werden, da niemals eine Situation des Mangels eintritt. Umgekehrt deutet das darauf hin, daß in einem profitorientierten Wirtschaftssystem gezielt Mangel erzeugt wird. Freie Energieverfügbarkeit schließt Kapitalakkumulation mittels Energieversorgung aus. Es schließt aber auch ihre Verwaltung durch eine Regierung aus. Wenn Energie frei verfügbar wäre, bedürfte es keiner Institution, die das Ganze administriert und Zuteilungen vornimmt.

Gegen diese Schlußfolgerung ließe sich einwenden, daß es keine frei verfügbar Energie gibt und deshalb ein Mangel besteht, der verwaltet werden müsse. Dem Argument wäre entgegenzuhalten, daß sich aus Sicht wirtschaftlicher wie auch administrativer Interessen eine Gesellschaft auf keinen Fall auch nur auf den Weg zu einer mangelfreien Welt begeben darf. Weil dann die administrative Verfügungsgewalt vom ersten Schritt an grundlegend in Frage gestellt würde und weder eine Regierung noch ein Wirtschaftsunternehmen gebraucht werden.

Hermann Scheer, der zweite Redner an diesem Samstagmorgen, bewegte sich in seinen Ausführungen auf ähnlichen Pfaden. Er sprach von einer wünschenswerten "Unterspülung des herkömmlichen Energiesystems" durch die Mobilisierung und Investitionsbewegung zu erneuerbaren Energien. Diese würden diversifiziert und ließen sich nicht zentral regulieren. Eine solche Bewegung, an der die Stadtwerke oder auch Genossenschaften teilnehmen, ist nach Scheer der schnellste Weg zum Energiewechsel. Das halte die herkömmliche Energiewirtschaft nicht durch, "das hat sie nicht unter Kontrolle, es sei denn, ihr wird dabei von der Regierung geholfen".

Das wird ihr in der Tat, wie die Verhandlungen zwischen den großen Stromversorgern und der Regierung zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke beweisen. Beide Seiten arbeiten Hand in Hand, sie wollen die Kontrolle nicht verlieren. Um sie ausüben zu können, muß deshalb auch die Politik auf Verknappung ausgerichtet sein. Für eine herrschende Regierung stellt etwas, das frei verfügbar ist und sich somit ihrer Verfügungsgewalt entzieht, eine existentielle Bedrohung dar. Das ist der Grund, warum das System bestehen bliebe, wenn nur die Oligopole zerschlagen würden.

Hermann Scheer - © 2010 by Schattenblick

Hermann Scheer
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Es paßte zum gesamten Tenor der Energiekonferenz, aus dem Munde Hermann Scheers zu hören, daß man es hier nicht mit einer Energieexpertenfrage zu tun habe, sondern mit einer gesellschaftlichen Frage. Die Vorstellung einer flächendeckenden Versorgung mit erneuerbaren Energien weist den Weg in eine Autarkie, auf die sich Regierung und Industrie nicht vorbehaltlos einlassen können - zumindest nicht, ohne rechtzeitig sichergestellt zu haben, daß sie weiterhin die Kontrolle ausüben, beispielsweise über die Stromnetze.

Scheer warnte vor Einschläferungsversuchen der Vertreter der konventionellen Energieversorgungssysteme und ihrer Schirmhalter, die erneuerbare Energien angeblich begrüßten. "Wer immer denkt, es gäbe jetzt über diese Ziele einen Konsens, irrt grundsätzlich." Das im Jahr 2000 eingeleitete Erneuerbare-Energien-Gesetz führe zu einem Strukturwandel, durch den bereits Umsätze in Milliardenhöhe gemacht werden. Das gehe ans Eingemachte. "Unter der Decke des allgemeinen Bekenntnisses zu erneuerbaren Energien" haben wir es nicht mit einem abflauenden, sondern einem sich zuspitzenden Energiekonflikt zu tun. Indem Atom- und Kohlekraftwerke nicht mehr als Alternative zu erneuerbaren Energien gestellt, sondern als Brückentechnologie beschrieben werden, werde auf den Psychologismus gesetzt, daß man sich nicht vorstellen könne, eine gesicherte Energieversorgung sei ohne Großkraftwerke möglich. Es werde die Suggestivkraft des Großen angesprochen. Sogar Anhänger der erneuerbaren Energien könnten sich nicht vorstellen, daß mit zahllosen, breit gestreuten Anlagen in völlig anderer Eigentümerstruktur ausreichend Energie produziert werden kann.

Riesige Offshore-Windparks und Desertec - Solarstrom aus der Wüste, der nur von transnational operierenden Energiekonzernen befördert werden kann - sind für Scheer ebenfalls Beispiele für die Suggestivkraft des Großen, der sich die Energiewirtschaft bedient, um ihre Unverzichtbarkeit als Investoren zu untermauern. Mit dieser Argumentationskette habe man sich ebenso kritisch auseinanderzusetzen wie mit der Neigung der Weltklimakonferenzen, fast ausschließlich über die Energiefrage und damit einhergehend die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen zu diskutieren. Natürlich reiche die Klimaveränderung als Argument aus, um den vollständigen Wechsel zu erneuerbaren Energien zu begründen. "Aber stellen wir uns einen Augenblick vor, es gäbe das CO2-Problem nicht - wir wären ja alle froh darüber -, wäre dann deshalb das heutige Energiesystem mit den ganzen fossilen Energien intakt? Davon kann gar keine Rede sein!", sagte Scheer. Man habe es mit einem Problem des überkommenen, konventionellen, fossil-atomaren Energiesystems zu tun.

Hermann Scheer - © 2010 by Schattenblick
Hermann Scheer redet sich in Rage
© 2010 by Schattenblick

Bemerkenswert war Scheers Einschätzung der gescheiterten Klimaschutzkonferenz von Kopenhagen. Er zeigte sich darüber erleichtert. Denn wenn ein Konsens beschlossen worden wäre, wie es die NGOs einforderten, dann hätten sie für das 2-Grad-Ziel Beifall geklatscht. Das besagt, daß die Treibhausgasemissionen so weit reduziert werden, daß die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt. Die Wissenschaft nimmt an, daß das einem Atmosphärenanteil des Kohlendioxids von 450 ppm (parts per million) entspricht. Nach Scheer wäre es eine Katastrophe, sollte dieser Wert erreicht werden.

Er führte es nicht näher aus, aber auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen hatten die Inselstaaten und Entwicklungsländer die Einhaltung eines 1,5-Grad-Ziels gefordert. Beim 2-Grad-Ziel würde der Meeresspiegel zu stark steigen, so daß sie schlichtweg untergingen, warnten die Vertreter der flachen Inselstaaten. Um Scheers Worte aufzugreifen: Dem hätten die NGOs dann applaudierend zugestimmt. Beim Abschluß eines Klimaschutzabkommens wäre auch attestiert worden, daß Atomkraftwerke klimafreundlich sind und daß Kohlendioxid mittels der CCS-Technologie im Erdinnern verpreßt wird.

Teile der Ökobewegung betrachteten sich als Klimadiplomaten, teilte Scheer an die Umweltbewegung aus. Da habe sich eine Kompromittierung herausgebildet, bei der alles nur noch unter dem Gesichtspunkt der CO2-Minderung, nicht der Vermeidung gesehen werde. Das zeige, wie schnell Strategien in die Irre führen können, wenn die Bewegung die Sache nicht grundsätzlich genug sehe und an der falschen Stelle Kompromisse mache. Viele hätten den Grundkonflikt noch nicht verstanden, der ein Energiesystemkonflikt sei.

Diesen teilte er auf in zwei Gegensätze: emissionsfreie, erneuerbare Energien gegenüber den emissionsreichen herkömmlichen Energien und die Unerschöpflichkeit der erneuerbaren Energien versus Erschöpflichkeit der herkömmlichen Energien. "Diese beiden Grundunterschiede begründen die historische, naturgesetzlich vorgegebene Notwendigkeit zum Energiewechsel. Und zwar zu einem raschen Energiewechsel, weil wir längst in einem Wettlauf mit der Zeit sind", warnte Scheer. Das sei die existenzielle Zukunftsfrage überhaupt.

Blick von Empore auf das Publikum - © 2010 by Schattenblick

Volles Haus
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So wie zuvor Wolfgang Ehmke verknüpfte er die Forderung nach Abschaffung der Atomenergie mit der vollständigen Abrüstung aller Atomwaffen. Zudem sprach er auf den Konflikt an, daß bei den herkömmlichen Energiesystemen eine Entkopplung der Räume des Energieverbrauchs von den Räumen der Energiegewinnung stattfand - der Beginn der heutigen Globalisierung. Uran, Erdöl, Erdgas oder Kohle näherten sich der Erschöpfung und würden von den wenigen Plätzen der Welt als Energieträger bis ins letzte Dorf gebracht, sofern dort Kaufkraft ist. Wo es sie - wie in Afrika - nicht gibt, werden sogar noch die Bäume ausgerissen, ohne sie zu erneuern. Dieser zwangsläufigen Konzentration der Energieversorgung durch die Internationalisierung der Energiewirtschaft tritt der Eurosolar-Präsident mit dem von ihm propagierten Konzept einer auf viele kleine Einheiten verteilten Energiegewinnung entgegen.

Die Energiewirtschaft und viele andere auch hätten mit den erneuerbaren Energien das Problem, daß man die Sonne nicht privatisieren könne. Sie sei, wenn man so wolle, die einzige "linke" Energiequelle. Mit dieser Erklärung bestätigt Scheer unsere obigen Ausführungen zur Mangeladministration. "Privat" kommt bekanntlich von lateinisch "privare" und meint "rauben". Auf eine kurze Kette gezogen steht das System für den Raub zum Zwecke der Verknappung, um darüber Herrschaft auszuüben. Der akkumulierte Reichtum auf der einen Seite wäre dann das Äquivalent zu Mangel und Not auf der anderen.

Daß hiermit nicht allein der Umgang mit Energie beschrieben wird, sollte leicht nachzuvollziehen sein. Ob eine Partei wie Die Linke, die aus dem System heraus agiert, in der Lage ist, Raub und Herrschaft auf grundlegende Weise zu hinterfragen und emanzipatorischen Bestrebungen keinerlei Hindernisse in den Weg zu legen, ist eine Frage, der sich die Mitgliederinnen und Mitglieder selbst zu stellen haben. Die Energiekonferenz jedenfalls lieferte Anregungen für viele Fragen grundlegender Art. Mit Wolfgang Ehmke und Hermann Scheer hatte Die Linke zwei Experten eingeladen, die keine Mitglieder dieser Partei sind. Das kann sehr wohl so ausgelegt werden, daß Die Linke an einer möglichst sachlichen und nicht von Parteiinteressen bestimmten Debatte zur Energiezukunft in Deutschland interessiert ist.


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Anmerkungen:

[1] Die Schattenblick-Redaktion wird die Berichterstattung zur Energiekonferenz in den kommenden Tagen mit weiteren Ausarbeitungen und Interviews zu diesem Thema vertiefen. Wir werden die Beiträge unter POLITIK -> REPORT -> BERICHT und POLITIK -> REPORT -> INTERVIEW einstellen.

Näheres unter:
BERICHT/033: Energiekonferenz - sozialer Widerstand gegen Monopolanspruch der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/034: Energiekonferenz - Podiumsdiskussion zu Alternativen der Atomwirtschaft (SB)

Menschenschlange vor dem Eingang zur Fabrik - © 2010 by Schattenblick

Schlange stehen zur Energiekonferenz? Kein Problem!
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9. September 2010