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BERICHT/043: Antirep2010 - Sabine Schiffer nimmt Islamfeindlichkeit in den Medien aufs Korn (SB)


Islamophobie als Mittel der (Kriegs-)Propaganda

Vortrag am 10. Oktober 2010 in Hamburg

Sabine Schiffer beim Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Sabine Schiffer
© 2010 by Schattenblick
Im Entwurf geostrategischer Herrschaftssicherung der westlichen Mächte, der in Gestalt des proklamierten "Kampfs gegen den Terror" als permanenter Kriegszustand vorgetragen wird, nimmt das Feindbild des Islams den zentralen Rang ein. Sowohl im Kontext außenpolitischen Hegemonialstrebens als auch zur Beförderung einer sozialrassistischen Spaltungsstrategie im Innern werden islamfeindliche Ressentiments systematisch geschürt, um angesichts dramatisch schwindender Ressourcen der Überlebenssicherung und des krisenhaften Verlaufs kapitalistischer Verwertung ein Modell kultureller Konkurrenz zu implementieren, das den grundlegenden Konflikt der Ausbeutungs- und Verfügungsordnung verschleiert und die aggressive Durchsetzung der dominanten Wirtschaftsweise legitimiert.

Als vielbeschworenes Damoklesschwert im Nacken der Bundesbürger kulminiert die postulierte "Terrorgefahr" im Verbund mit dem Zerrbild orientalischer Sozialkonkurrenz in einem Szenario allgegenwärtiger Bedrohung des in Anspruch genommenen Lebensstandards, dessen offensichtlicher Verfall der "islamischen Unterwanderung" angelastet wird. In den an Heftigkeit zunehmenden Schüben rassistischer Hammerschläge aus der gesellschaftlichen Mitte der Bundesrepublik manifestiert sich eine Verwertungsordnung, welche die Stigmatisierung und Ausgrenzung für unbrauchbar erachteter Existenzen zunächst auf Menschen islamischen Glaubens zur Anwendung bringt, jedoch gleichermaßen das wachsende deutsche Subproletariat zu einer Last erklärt, die zu schultern den angeblichen Leistungsträgern nicht länger zuzumuten sei.

Um Menschen ihrer Toleranz, ihres Mitgefühls und jeglicher Verbundenheit mit Schwächeren zu berauben und sie auf den Kern ihrer Selbstbehauptung zu Lasten anderer zu reduzieren, bedarf es einer lang angelegten und ausgeklügelten Kampagne propagandistischer Deformation etablierter Denk- und Handlungsweisen. Im Prozeß öffentlicher Meinungsbildung nehmen die Medien dabei als Transformationsagenturen herrschaftsrelevanter Doktrin die Schlüsselstellung ein, sofern sie ihren Anspruch und Auftrag, als Vierte Gewalt das Parlament bei der Kontrolle der Staatsgewalt zu unterstützen und die Teilnahme des Bürgers am demokratischen Diskussionsprozeß zu fördern, willfährig ins Gegenteil verkehren. Antimuslimischer Rassismus unter dem Deckmantel vorgeblicher Aufklärung und Gefahrenabwehr zählt zu den augenfälligsten und in seinen Konsequenzen verheerendsten medialen Zubringerdiensten bei der repressiven Transformation der Gesellschaft.

Sabine Schiffer beim Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Medienverantwortung auf dem Prüfstand
© 2010 by Schattenblick

Dr. Sabine Schiffer, Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, mahnte in ihrem Vortrag über Islamophobie als Mittel der (Kriegs-)Propaganda Medienmacher und Mediennutzer gleichermaßen zu kritischer Kompetenz. Zur Dekonstruktion medialer Präsentationstechniken gehört ihres Erachtens nicht zuletzt die kritische Selbstreflexion, da es tiefsitzende rassistische Phänomene in der Gesellschaft zu entschlüsseln und zu entwurzeln gilt. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Darstellung von Minderheiten in den Medien und hat das Islambild in der deutschen Presse zum Thema ihrer Promotion gemacht.

Der Erlanger Medienwissenschaftlerin ist es mit ihrem Anliegen, Rassismus in keiner Form hinzunehmen, so ernst, daß sie sich nicht auf Forschungsarbeit und Publikationen beschränkt, sondern darüber hinaus an aktuellen Brennpunkten Stellung bezieht. So hat sie sich auch durch eine Strafandrohung nicht von ihrer wissenschaftlich begründeten Haltung und ihren kritischen Fragen zum Mord an Marwa El-Sherbini abbringen lassen. Gegen sie war ein Strafbefehl wegen übler Nachrede in Höhe von 6.000 Euro oder zwei Monaten Haft ergangen, weil sie in einem Interview geäußert habe, der Fehlschuß des Polizisten auf den Ehemann der Ermordeten müsse auf mögliche rassistische Zusammenhänge hin untersucht werden. Gegen den juristischen Einschüchterungsversuch zur Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit formierte sich ein Aktionsbündnis gegen Rassismus, das sich mit Sabine Schiffer solidarisch erklärte, um sie in Wahrnehmung ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung zu unterstützen. Vor wenigen Tagen hat die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg den Revisionsantrag gegen das erstinstanzliche Urteil vom März diesen Jahres zurückgezogen, so daß der am 24.03.2010 erfolgte Freispruch von Dr. Sabine Schiffer rechtskräftig ist.

Sabine Schiffer beim Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Vortrag voller Elan
© 2010 by Schattenblick

In ihrem Vortrag auf dem Hamburger Antirepressionskongreß illustrierte Sabine Schiffer anhand einprägsamer Beispiele aus der deutschen Medienlandschaft, mit welchen Mitteln Stimmung gegen Muslime gemacht wird. Ihr Generalthema war die Verantwortung der Medien, da das Bild der muslimischen Bevölkerungsgruppe in der Öffentlichkeit von einem Journalismus generiert wird, dem objektive Berichterstattung und ausgewogene Bewertung, in der auch die Minderheit angemessen berücksichtigt wird, weitgehend abhandengekommen zu sein scheint. Herrscht die Auffassung vor, daß neun von zehn Anschlägen von Islamisten verübt werden, obwohl es sich de facto umgekehrt verhält, muß dieser Verdrehung der tatsächlichen Verhältnisse eine massiv verzerrende Berichterstattung vorausgegangen sein. Nichts spricht in diesem Zusammenhang dagegen, die Ängste der Bundesbürger ernst zu nehmen, doch muß die Frage gestattet sein, von welchen Ängsten eigentlich die Rede ist und wie diese entstanden sind.

Da die Referentin keine trockene Abhandlung vortrug, sondern ihre Thesen anhand exemplarischer Beispiele ausführte, sprang der Funke des Verständnisses auf die Zuhörer über. Wie ihre Reaktionen zeigten, wurden sie in die lebendige Präsentation einbezogen. Wenngleich es im Kontext dieses Kongresses gewiß keine Mauern zwischen unvereinbaren Auffassungen einzureißen galt, stellte der Sonntagmorgen des dritten Konferenztages eine Herausforderung an die Aufmerksamkeit der Zuhörer dar, die Sabine Schiffer voller Elan bewältigte.

Daß es neben Fakten vor allem Fiktionen sind, die stereotyp auf "den Islam" oder "die Muslime" projiziert werden, weist deren vorherrschende Diskreditierung in den Massenmedien als Propaganda aus, die seit den 1990er Jahren auch in Deutschland um sich greift. Die Methoden verzerrender Darstellung sind vielfältig, doch zeichnet sich immer wieder das Grundmuster ab, die vorab festgelegte negative Sichtweise mit den Mitteln der Desinformation und Assoziation in den Rang vorgeblichen Allgemeinverständnisses zu erheben. Islamophobie bedient sich dabei des Bodensatzes einer nie vollständig ausgeräumten Xenophobie, die zu einem Kampf der Kulturen hochstilisiert Kriegszüge ebenso rechtfertigt wie sie die Steuerung der Mehrheitsmeinung im eigenen Land befördert.

Bestimmte Zustände wie die vielzitierte Unterdrückung der Frauen werden herausgegriffen, verallgemeinert und durch stete Wiederholung mit "dem Islam" verknüpft, um daraus dessen Rückständigkeit und das Recht auf Intervention von außen abzuleiten. Die Behauptung, die Bundeswehr habe am Hindukusch ebenso wie die deutschen Behörden beim Zugriff auf muslimische Gemeinschaften nur das Wohl drangsalierter Frauen im Sinn, feiert Urstände, zumal wenn sie mit erschreckenden Bildern wie jenem einer afghanischen Frau, der Nase und Ohren abgeschnitten worden waren, unterfüttert wird. Als ultimative Inhumanität angeprangert, deren Wirkung man sich schwerlich entziehen kann, wurde diese bereits 2003 verübte Bestrafung erst 2010 publiziert. Zur selben Zeit erfuhr man aber auch, daß die CIA PR-Kampagnen zur Unterstützung des Afghanistankriegs entworfen hat, die auf einzelne europäische Länder abgestimmt sind und mit jeweils eigener Stoßrichtung spezifische Ressentiments befördern sollen. Frauenschicksale darzustellen, hielt man insbesondere im Falle Deutschlands für geeignet, die Stimmung gegen den Krieg einzudämmen.

Sabine Schiffer beim Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Wider Demagogie und Sozialrassismus
© 2010 by Schattenblick

Bezeichnenderweise hat eine aufklärende Diskussion kaum Rückwirkungen auf die Öffentlichkeit, zumal wenn sie wie im Falle der Ermordung El-Sherbinis geradezu gezielt vermieden wurde. Hingegen fragt man gern und oft, ob die Debatte denn endlich bei den Muslimen angekommen sei, ohne sich darum zu scheren, ob sie denn auch bei Demagogen wie Sarrazin angekommen ist. Dieser besetzt seinen Sozialrassismus mit dem Islam, befördert aber zugleich den Vorwurf der Unproduktivität als allgemeines Unterdrückungsargument, über dessen eugenischen Charakter zu wenig diskutiert wird.

Als Beispiele sinninduzierender Wahrnehmung würzten den Vortrag unter anderem Titelseiten deutscher Magazine, die reißerische Überschriften mit assoziativ verknüpfenden Bildern als genuine Werkzeuge einer Berichterstattung ausweisen, die islamfeindliche Vorbehalte schürt. "Zittern vor Allahs Kriegern", "Weltmacht Islam", "Gefährlich fremd" oder "Rätsel Islam", versehen mit Bildern von Rückschrittlichkeit und Gewalt, Gebetsräumen und Kopftüchern oder einer schwarz verschleierten Frau, die mit einem Krummsäbel wie ein Gespenst über die nächtliche Hamburger Silhouette fliegt, konfrontieren den Leser mit einer Botschaft, deren bedrohlicher Wirkung er sich kaum entziehen kann.

Hier wird ein Rahmen der Rezeption gesetzt, der gleichsam als Schablone der Wahrnehmung bestimmte Auffassungen und Stimmungsbilder induziert, die von aller Widersprüchlichkeit und Vielfalt realer Verhältnisse absehen. So postuliert man "die Frau" im Islam, als existierten weder verschiedene Länder noch Kulturen, Stadt noch Land, Armut noch Reichtum. Daß solche Mittel natürlich nicht nur hierzulande angewendet werden, zeigte ein Blick in die Schweiz, wo der Aufruf zum Minarettverbot mit der unvermeidlichen verschleierten Frauenfigur sowie dicht an dicht auf der ausgebreiteten Landesflagge aufragenden Minaretten versehen war, als stehe die Übernahme durch den Islam unmittelbar bevor. Ein geradezu klassisches Beispiel von Framing liefert ein Beitrag des Hessischen Rundfunks aus dem Jahr 2007 zum Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh, in dessen Intro das Bild des Getöteten mit dem Gesang eines Imams unterlegt und mit Gebetsszenen in einer Moschee oder dem Blick auf Mekka kontrastiert wird.

Ob historische Karikaturen wie die eines bärtigen Muslimen, aus dessen Turban eine Lunte ragt, oder moderne wie die einer vermeintlich schwangeren Frau, unter deren Körperschleier sich eine gewaltige Bombe verbirgt - dem Einfallsreichtum bösartiger Bezichtigungen sind keine Grenzen gesetzt, sobald Journalisten auf der Seite der Guten die Messer wetzen. Wenn der "Stern" titelt, "Wie gefährlich ist der Iran?", und Ahmadineschad mit einer Atombombe zeigt, bringt das die Kampagne jahrelang erhobener Vorwürfe ins Bild, als habe man es mit vollendeten Tatsachen in Teheran und nicht etwa einer aggressiven Strategie der westlichen Mächte zu tun. Daß auch der Gegenseite solche brachialen Verknüpfungen nicht fremd sind, belegte die Homepage einer arabischen Website, auf der Netanjahu Feuer speit, das in einen Atompilz übergeht. Über dem Kopf des Premiers ist ein Davidstern plaziert, der die Darstellung antisemitisch auflädt.

Will man sich mit seinen kritischen Einwänden nicht im Dschungel derart komplexer und widersprüchlicher Verhältnisse verlaufen und unversehens im Lager falscher Freunde landen, sollte man sich tunlichst nicht im breiten Strom mehrheitsfähiger Meinungen einfinden. Das Feindbild Islam in all seinen Schattierungen klammert das aggressive Projekt, die unterlegenen Mächte im Weltmaßstab zu unterwerfen und den notleidenden Teil der eigenen Bevölkerung auszugrenzen. Wer sich den Sinn bewahrt hat, Partei für den Schwächeren zu ergreifen, kann Islamfeindlichkeit ungeachtet des antiemanzipatorischen Charakters jeglicher institutionalisierter Religiosität nicht anders auffassen denn als Herrschaftsinstrument, ob sie nun als Einwanderungsdebatte, Multikultiabsage oder Leitkulturdisput daherkommt.

Mahnmal am Platz der Jüdischen Deportierten - © 2010 by Schattenblick

... gegen Rassismus in jeglicher Erscheinungsform
© 2010 by Schattenblick

Bisher erschienen:
BERICHT/039: Antirep2010 - Der "War On Terror" und moderner Faschismus (SB)
BERICHT/040: Antirep2010 - Heinz-Jürgen Schneider zum Terrorverdikt im politischen Strafrecht (SB)
BERICHT/041: Antirep2010 - Yossi Wolfson streitet gegen Illegalisierung (SB)
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INTERVIEW/051: Antirep2010 - Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe und Autor (SB)


20. Oktober 2010