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INTERVIEW/006: Irischer Sozialistenchef Joe Higgins (SB)


Interview mit Joe Higgins, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Irlands, am 9. Januar 2009 bei ihm zu Hause im Dubliner Stadtteil Mulhuddart


Als einer der respektiertesten, weil vermutlich der unbestechlichste Politiker Irlands, gilt Joe Higgins, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei. Der frühere Seminarist, der in den siebziger Jahren als Schullehrer in einigen der ärmsten Vierteln Dublins arbeitete, versteht sich als Internationalist und ist auch mit einigen Mitgliedern der Sozialistischen Alternative hier in Deutschland befreundet. 1989 wurde er als Mitglied einer Gruppe sogenannter "Militanter" wegen angeblicher radikaler Tendenzen aus der sozialdemokratischen Labour Party Irlands ausgeschlossen. 1996 gründete Higgins, der inzwischen Stadtrat von Dublin geworden war, mit Gleichgesinnten die Socialist Party of Ireland. Von 1997 bis 2007 hat er als deren einziger Vertreter einen Sitz im irischen Unterhaus, dem Dáil, innegehabt.

Während dieser Zeit hat sich der 1949 geborene Higgins einen Namen als eine Art Ein-Mann-Opposition erworben, weil er kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es darum ging, die Klüngelei der etablierten Parteien Fianna Fáil, Fine Gael, Labour und Progressive Democrats mit dem Großkapital anzuprangern. Besonders den damaligen Taoiseach (Premierminister) Bertie Ahern hat Higgins immer wieder mit seiner rhetorischen Brillanz und seiner beißenden Ironie vor der ganzen Nation der Lächerlichkeit preisgegeben. Darüber hinaus hat sich Higgins in diesen Jahren als unerschrockener Kämpfer für soziale Gerechtigkeit erwiesen. Er weigerte sich, als Parlamentabgeordneter mehr Geld als den durchschnittlichen Industrielohn anzunehmen, und hat die andere Hälfte seiner Diäten der Partei gespendet. Er setzte sich genauso energisch gegen die Ausbeutung von Gastarbeitern wie gegen die Privatisierung von öffentlichen Diensten und die Erhebung von versteckten Steuern in Form von Sonderabgaben ein. In Verbindung mit der Kampagne gegen die Einführung von Müllgebühren verbrachte er 2003 einen Monat im Dubliner Gefängnis Mountjoy. Obwohl Higgins 2007 seinen Sitz im Wahlbezirk Dublin West verlor, spielten er und die Páirtí Sóisialach na hÉireann eine wichtige Rolle bei der letztjährigen Kampagne gegen den EU-Reformvertrag. Über dies und mehr mit Higgins zu reden, hatte der Schattenblick am 9. Januar Gelegenheit.



Joe Higgins im entspannten Gespräch mit dem Schattenblick
© 2009 by Schattenblick


Schattenblick: Herr Higgins, Sie sind Mitglied der Irischen Labour Party und Stadtrat in Dublin gewesen und waren von 1997 bis 2007 der alleinige Repräsentant der Sozialistischen Party Irlands im irischen Unterhaus, auch Dáil genannt. Können Sie uns ein wenig von Ihrem Hintergrund, der Entwicklung ihrer politischen Ansichten erzählen und warum Sie ein revolutionärer Marxist geblieben sind?

Joe Higgins: Nun, vom Standpunkt der Sozialistischen Partei her, die ich im Dáil vertrat, und dem Komitee für eine Arbeiterinternationale, dem wir angeschlossen sind und das Sektionen in mehr als 30 Ländern hat, ging es darum, den Kampf, der generell geführt wird und geführt werden muß, in den Dáil hineinzutragen. Wir sahen den Sitz im Dáil nicht als Selbstzweck, sondern als Plattform, erstens um die arbeitende Bevölkerung und Gemeinden im Kampf um ihre Rechte, je nach den Erfordernissen und den Themen, zu unterstützen und zweitens um eine sozialistische Alternative zur neoliberalen, kapitalistischen Marktwirtschaft zu propagieren.

In den zehn Jahren, die ich dort war, war es vor dem Hintergrund des sogenannten keltischen Tigers und des Wachstums der Wirtschaft auf der Basis dieser riesigen Immobilienblase, als angeblich alles so prächtig lief und behauptet wurde, daß es nie enden würde. Wir warnten vor den Gefahren. Obwohl klar war, daß es eine Blase war, verschlossen wie die meisten Unternehmen hier die Politiker des rechten Spektrums absichtlich die Augen davor und ließen zu, daß eine Situation entstand, in der Baubranche, Immobilien und Wohneigentum einen überproportional großen Anteil am Bruttosozialprodukt einnehmen konnten. Als dann der unvermeidliche Zusammenbruch kam, zog er die aktuelle enorme Krise nach sich.

Daher bestand meine Rolle als Parlamentsabgeordneter darin, die Ideen des demokratischen Sozialismus zu verbreiten. Das bedeutet eine Planwirtschaft, aber nicht nach stalinistischer Art, sondern demokratisch geplant unter der Kontrolle der Arbeiterschaft, so daß die gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt werden, anstatt derer des Privateigentums und der Konzerne. Was internationale Themen betrifft, hatten wir eine ähnliche Sichtweise und haben sie oft in Dáil-Debatten vorgetragen. Wir lehnten zum Beispiel die Invasion des Iraks ab, welche die irische Regierung heimlich unterstützt hat - die Besetzung wird ebenfalls bis heute heimlich unterstützt.

Also bestand unser Ziel darin, über eine ganze Reihe von Themen eine grundsätzlich andere, sozialistische Alternative zur Unternehmenspolitik, zur herrschenden Meinung in den Medien usw. aufzuzeigen. Wie wir in diesem Land in den letzten vier oder fünf Monaten beobachten konnten, haben sich viele dieser Ideen als die richtigen erwiesen, und inzwischen diskutieren Kommentatoren die Verstaatlichung der Banken als wesentliches Element der Wirtschaft, während ich jedesmal, wenn ich diese Möglichkeit im Parlament erwähnte, seitens eines Teils des Establishments nicht wenig Spott erntete.

Im wesentlichen war es eine Plattform, um sozialistische Ideen zu verbreiten und eine oppositionelle Bewegung aufzubauen. Hierbei haben wir viele verschiedene Probleme thematisiert. Wir hatten hier ein berühmten Fall, als es uns gelang, die Ausbeutung türkischer Arbeiter durch eine Firma namens GAMA zu enthüllen. Es kam zu einem Riesenskandal. Betroffen waren ungefähr tausend türkische Arbeiter, von denen viele für drei Euro in der Stunde arbeiteten, in Baracken auf Baustellen lebten und die auf groteske Weise mißbraucht wurden. Wir nutzten den Dáil, um dies aufzudecken, und dann im Rahmen eines Ausstands, in den die Arbeiter traten, konnten wir die ca. 30 Millionen Euro sicherstellen, die ihnen dieses große türkische Bauunternehmen gestohlen hatte.

SB: Teil der Frage war, wie Sie zuallererst Sozialist wurden, in bezug auf Ihre Träume oder das Milieu, aus dem Sie kommen, die politischen Ideen, mit denen Sie in Kontakt kamen.

JH: Nun, ich komme aus einer ländlichen Gegend, von einem kleinen Farm in der Grafschaft Kerry, und ich glaube, daß meine politische Entwicklung aus dem Verständnis resultierte, daß die Art, wie der Kapitalismus unsere Welt organisiert, ein einziges Unglück ist, wo doch ausreichende Ressourcen und Reserven vorhanden sind, die, wenn sie sorgfältig herangezogen, verplant und demokratisch kontrolliert werden, die Bedürfnisse jedes menschlichen Wesens befriedigten, die Umwelt schützten, jedem ein anständiges Leben ermöglichten, Konflikte beendigten, die Abschaffung der Rüstungsindustrie und vieles mehr realisierbar machten. Um dies zu verwirklichen, bräuchte man einen massiven Systemwandel, weshalb der Sozialismus die einzige Alternative darstellt.

SB: Sie haben außerdem in Amerika an den Protesten gegen den Vietnam-Krieg teilgenommen, nicht wahr?

JH: In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren war ich in Amerika und habe an den Antikriegsprotesten teilgenommen - nur als einfache Person und nicht als Führungsmitglied irgendeiner Bewegung, denn ich war zu der Zeit noch jung. Einmal reiste ich nach Washington für einen 1.-Mai-Marsch. So etwas nannte man damals Moratorium, und hunderttausend junge Leute strömten in die Hauptstadt, um ihre Opposition zum Krieg kundzutun, der natürlich ein völliges Desaster war.

SB: Was glauben Sie waren die Hauptgründe für die Ablehnung des Vertrages von Lissabon durch die irische Wählerschaft?

JH: Es gab viele Gründe. Es war ein sehr kompliziertes Dokument, das eine Menge Sachen enthielt. Es gab diverse Gruppen, die dagegen waren, von denen einige rechts waren, katholische Rechte, genauso wie rechte Neoliberale. Wir von der Sozialistischen Partei haben eine wichtige und herausragende Rolle im Rahmen der linken Opposition zum Lissabon-Vertrag gespielt.

Es gab drei Bereiche, die wir besonders hervorgehoben haben. Erstens argumentierten wir, daß der Lissaboner Vertrag eine Intensivierung jener neoliberalen Wirtschaftspolitik bedeutete, welche die EU Kommission im allgemeinen seit geraumer Zeit vorantreibt. Wir nahmen insbesondere die Vorgaben aufs Korn, welche eine Aufgabe des nationalen Vetos bedeuteten, wenn es darum ging zu entscheiden, ob Bereiche und Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung Gegenstand von Welthandelsvereinbarungen werden sollten. Wir sahen das als eine erhebliche Verminderung des Schutzes entscheidender öffentlicher Dienstleistungen und einen Schritt in Richtung einer Zwangsprivatisierung, nämlich dergestalt, daß die Mehrheit, wenn das Veto abgeschafft wäre, vorschreiben könnte, daß die Großkonzerne - europäische wie auch amerikanische - das Recht erhielten, hierher zu kommen und um die Übernahme von Teilen des öffentlichen Gesundheitswesens mitzubieten, genauso wie bereits in anderen Bereichen Dienstleistungen und Industrien privatisiert worden sind.

Also war der Erhalt des nationalen Vetos ein wichtiges Thema. Es war nicht so, daß wir viel Vertrauen hatten, daß Dublin gegen eine solche Maßnahme Einspruch erheben würde, denn die irische Regierung setzt seit einiger Zeit rechtsgerichtete, neoliberale Politik um und hat bereits Teile des Gesundheitswesens privatisiert. Der Punkt ist, daß man mit dem Veto, stünde ein besonders verwerflicher Vorschlag in Aussicht, eine massive Kampagne starten könnte, um die Regierung zum Gegenhalten zu zwingen. Oder käme es zum Regierungswechsel und man hätte eine mehr links-orientierte Regierung, auf die man leichter Druck ausüben und die man leichter überzeugen könnte, dann wäre das Veto schon eine Waffe.

Das zweite Schlüsselthema war die Außenpolitik und die Institutionalisierung der Rüstungsindustrie, die erstmals auf eine vertragliche Basis gestellt werden sollte. Lissabon sah eine Erhöhung der Rüstungsausgaben und eine gemeinsame Außenpolitik vor, wodurch das Recht des einzelnen Mitgliedsstaates auf eine eigene Außenpolitik zur Disposition gestellt worden wäre. Wir sahen das als Vorstoß, der von den wichtigsten kapitalistischen Blöcken innerhalb der Europäischen Union ausging, die mit einer eigenen Armee und außenpolitischen Instrumenten auf der internationalen Weltbühne auftreten wollen, um auf Augenhöhe beispielsweise mit dem amerikanischen Imperialismus im Kampf der kommenden Jahre und Jahrzehnte um Rohstoffe, Märkte, Einfluß usw. konkurrieren zu können. Daher war dies ein wichtiges Thema, das wir ausführlich erläutert haben.

Das dritte Schlüsselthema war die gesamte Frage der Arbeiterrechte. Sie stellte einen sehr wichtigen Teil der Debatte dar, denn die Führung des rechten Gewerkschaftsflügels innerhalb der Labour Party behauptete, daß die Aufnahme der Grundrechtscharta in den Reformvertrag die Arbeiterrechte fundamental schützen würde. Wir demonstrierten, daß dies absolut falsch war und daß die Grundrechtscharta die Arbeiterrechte einschränkt, indem sie vorschreibt, daß jene Rechte den Märkten und den Möglichkeiten und Rechten der Kapitalisten, Profite zu machen, unterworfen sein sollten.

Wir verwiesen auf die berüchtigten Präzendenzfälle, welche der Europäische Gerichtshof geschaffen hatte, wie die Viking- und Laval-Fälle in Finnland respektive in Schweden und der Rueffert-Fall in Deutschland. Hier hatte der Europäische Gerichtshof im Grunde genommen den Unternehmen das Recht zugeschrieben, ausländische Mitarbeiter zu Bedingungen und Gehältern zu beschäftigen, welche die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelten Tarifverträge in dem jeweiligen Land unterliefen. Also lagen Gewerkschaftsführer mit ihren Behauptungen tatsächlich völlig falsch, denn die Grundrechtscharta, die 2000 verkündet wurde und auf die sich der Europäische Gerichtshof in einigen seiner Urteile beruft, könnte dazu genutzt werden, die Arbeiterrechte auszuhebeln, indem sie, statt diese zu schützen, die Rechte der Ausbeuter garantierten. Das waren also drei kritische Themen, die wir besonders hervorhoben, und ich glaube, daß wir damit die Menschen erreicht haben.

SB: Glauben Sie, daß diese drei Themen auch bei der Mehrheit der Leute die vorherrschenden waren?

JH: Nun, es gab andere Themen, doch bei einer anschließenden Umfrage, welche die Regierung durchführen ließ, zeigte sich, daß die Rechte der Arbeiter ein sehr wichtiges Thema gewesen waren.

SB: Und die Frage der irischen Neutralität?

JH: Sie war von entscheidender Bedeutung - ganz klar. Es wurde seitens der Lissabon-Befürworter beklagt, daß die Leute angeblich gegen alles mögliche gestimmt hätten, was gar nicht im Vertrag stand, wie zum Beispiel Wehrpflicht in einer europäischen Armee und Abschaffung des irischen Abtreibungsverbots. Nun, wir haben jedenfalls kein Thema zur Sprache gebracht, das nicht im Reformvertrag war. Die Wehrpflicht ist nicht im Vertrag, und das Thema Abtreibung kommt darin auch nicht vor.

SB: Solche Behauptungen sind doch Ablenkungsmanöver, um im nachhinein dem für die Regierung und die anderen etablierten Parteien negativen Ergebnis der Abstimmung eine für sie günstige Interpretation zu verleihen, nicht wahr?

JH: Ja. So würden wir es auch sehen - absolut. Ein weiteres Thema war der drohende Verlust des irischen EU-Kommissars und die damit einhergehende Frage des Demokratieabbaus in der Europäischen Union. Wir in der Sozialistischen Partei treten für eine Alternative zur Europäischen Union ein. Unserer Meinung nach ist die Europäische Union ein Club der großen Unternehmer, die von großen Lobbyorganisationen wie der European Roundtable of Industrialists beherrscht wird, die sämtliche großen, in der EU angesiedelten multinationalen Konzerne einschließlich die der Rüstungsindustrie zusammenbringen und die durch die Kommission und über die Regierungen der einzelnen Länder enorme Macht ausüben. Wir stehen für ein sozialistisches Europa, ein Europa der Arbeiter. Als Internationalisten treten wir für die größtmögliche Solidarität, Handel und kulturellen Austausch zwischen den arbeitenden Bevölkerungen und Staaten unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter ein. Das ist unsere Alternative. Am Ende des Tages hat das Ergebnis der Volksabstimmung gezeigt, wie wenig Respekt die etablierten Politiker in Irland genießen und daß die Leute ihnen einfach nicht über den Weg trauen.

SB: Wie ist Ihre Meinung zu den Konzessionen, die Irland mit dem Ziel gemacht werden sollen, daß der Lissabon-Vertrag beim zweiten Mal durchkommt? Sind sie auf irgendeine Weise wesentlich oder handelt es sich nur um einen billigen politischen Trick?

JH: Nun, da wir diese Konzessionen nicht gesehen haben, wissen wir nicht genau, welche Form sie annehmen werden. Aber soweit wir es wissen, wird es keine Änderungen am Lissabon-Vertrag geben; also ist es derselbe Vertrag und folglich bleiben die Themen dieselben. Wenn also im Herbst ein neuer Anlauf genommen und versucht wird, ihn doch noch durchzusetzen, wird unsere Kampagne dagegen ähnlich energisch ausfallen. Man wird versuchen, den Leuten Furcht einzuflößen und unter Verweis auf die Wirtschaftskrise behaupten, daß ein zweites Nein ein Unglück wäre, das Irland an den Rand der EU drängen würde. Alle möglichen Ängste werden beschworen, aber wir werden sie direkt angehen.

SB: Was glauben Sie, wie das zweite Referendum ausgehen wird?

JH: Ich glaube, daß diese Frage offen ist.

SB: Sie glauben, daß es so oder so ausgehen kann?

JH: Ja, das tue ich. Einige Leute sagen bereits, daß das Ergebnis von vornherein feststeht und daß der Reformvertrag diesmal bestätigt wird, ähnlich dem Nizza-Vertrag, der auch beim zweiten Mal durchging.

SB: Im letzten Sommer behaupteten Sie auch, daß ein Ja zu Lissabon von vornherein feststand.

JH: Das stimmt. 2001 haben die Iren den Nizza-Vertrag abgelehnt, und bei der zweiten Volksabstimmung im Jahr darauf ging er durch, und sie hoffen, daß sich dieser Vorgang wiederholen wird und daß ihnen die Wirtschaftskrise die Sache erleichtern wird. Ich sage, es ist eine offene Frage und daß es beim nächsten Mal eine sehr starke und vielleicht noch fokussiertere Gegenkampagne geben wird.

Auftritt von Joe Higgins auf der Demonstration am 3. Januar in Dublin gegen die israelische Aggression im Gaza - © 2009 by Schattenblick

Auftritt von Joe Higgins auf der Demonstration
am 3. Januar in Dublin gegen die israelische
Aggression im Gaza
© 2009 by Schattenblick
SB: Wie würden Sie Ängsten begegnen, daß ein zweites Nein zu Lissabon Irland dem kontinentalen Europa entfremden und es zu einer noch größeren kulturellen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von den USA und Großbritannien verurteilen würde?

JH: Wenn Leute davon reden, daß Irland in Europa geächtet und marginalisiert wird und daß man ihm dort die Entscheidung gegen Lissabon verübelt, sind selbstverständlich die politischen und wirtschaftlichen Eliten auf dem Festland gemeint. Sie waren selbstverständlich sehr erzürnt, denn Lissabon ist ihr Projekt für einen größeren und mächtigeren Griff nach den Ressourcen der Welt. Aber was ist mit den Hunderten von Millionen Europäern, die nicht einmal die Chance bekamen mitzubestimmen? Aus unserer Sicht hat sich die irische Arbeiterschaft den Arbeitern in Europa nicht entfremdet. Die Franzosen haben diesen Vertrag 2005 abgelehnt, als er noch Verfassung hieß, ebenso die Niederländer. Von daher können wir das Argument nicht akzeptieren. Es soll im wesentlichen angst machen.

SB: Glauben Sie, daß ein weiteres Nein zu Lissabon durch die irische Wählerschaft zu einem Kurswechsel der EU führen könnte, oder ist das elitäre Projekt eines europäischen Superstaates in sich fehlerhaft und von vornherein unreformierbar?

JH: Nun, sollten die Iren wieder mit Nein stimmen, dann glaube ich, daß wir erleben werden, wie ein harter Kern der Staaten versuchen wird, das Projekt auch so fortzusetzen. Ich glaube, daß sie das auf die eine oder andere Weise das tun werden, denn Lissabon stellt die Interessen der regierenden Klassen in Deutschland, Frankreich usw. dar. Dennoch glauben wir von der Sozialistischen Partei nicht und haben es auch niemals geglaubt, daß aus der EU ein Superstaat nach Art der Vereinigten Staaten mit dem gleichen Maß an Vernetzung usw. wird, denn obwohl es offensichtlich im Interesse der kapitalistischen Klassen Europas ist, an einem Markt mit mehr als 450 Millionen Menschen zu kooperieren, haben sie in jedem Mitgliedsstaat ihre eigenen Nationalinteressen.

Besonders jetzt angesichts der Weltwirtschaftskrise kann man sehen, wie Spannungen zwischen den kapitalistischen Klassen verschiedener europäischer Länder entstehen, wie sie um Märkte, Investitionen usw. konkurrieren. Derzeit erlebt man, wie der Euro in Ländern wie Italien und Griechenland, wo zuvor die Abwertung der Landeswährung traditionell ein bewährtes Mittel der Politik zur Lösung solcher Krisen war, unter enormen Druck gerät. Da sie nun in der Eurozone sind, bleibt solchen Ländern der Rückgriff auf dieses Mittel verwehrt. Hinzu kommt, daß die Stärke des Euro im Vergleich zu anderen internationalen Währungen den Exporteuren und Herstellern ernsthafte Probleme bereitet. Folglich kann man sogar nicht ausschließen, daß einige Länder aus der Eurozone ausscheren und ihre eigenen Währungen wiedereinführen werden. Ich glaube, daß der Ausgang der nächsten Volksbefragung offen ist, aber daß man, sollte Irland Lissabon erneut ablehnen, wahrscheinlich erleben wird, wie Deutschland, Frankreich und vielleicht andere versuchen werden, das Projekt irgendwie voranzutreiben.

SB: Also sehen Sie keine Möglichkeit, daß der Lissaboner Vertrag überdacht oder neu verhandelt werden wird?

JH: Nein. Das werden sie nicht tun.

SB: Was sind Ihre eigenen politischen Pläne für die Zukunft hinsichtlich der bevorstehenden Kommunal- und EU-Wahlen und der Möglichkeit einer irischen Parlamentswahl innerhalb der nächsten zwölf Monate?

JH: Nun, eine Parlamentswahl ist jederzeit möglich, wenn sich die Krise genug verschärft oder etwas Dramatisches geschieht. Der Diskussion halber nehmen wir an, daß sie nicht in der ersten Hälfte dieses Jahres stattfindet, was bedeutet, daß die europäischen Wahlen und die irischen Kommunalwahlen, die gleichzeitig in der ersten Juni-Woche abgehalten werden, im Mittelpunkt stehen werden. Nun, obwohl die Sozialistische Partei wächst, sind wir verhältnismäßig klein und verfügen über keine großen Ressourcen. Nichtsdestotrotz werden wir mit mir als Kandidat die Europawahlen im Bezirk Dublin bestreiten, um für die Hauptstadt eine sozialistische Alternative präsentieren zu können. Es ist klar, daß wir es mit den großen politischen Parteien und deren Wahlkampfapparaten zu tun haben werden. Im EU-Wahlbezirk Dublin gibt es nur drei Sitze, weshalb es hier einer ziemlich politischen Überraschung bedürfte, damit wir einen davon gewinnen. Wie dem auch sei, wir haben mit Abstand das wichtigste Motiv, nämlich eine Alternative zu präsentieren und Leute dafür zu gewinnen. Gleichzeitig werden wir Kandidaten, darunter auch mich, für die Kommunalwahlen aufstellen. Und wann immer es zu einer Parlamentswahl kommen sollte, werde ich mich bemühen, den Sitz, den ich 2007 verloren habe, zurückzugewinnen, während wir auch darum kämpfen werden, für die Sozialistische Partei noch ein paar weitere Sitze zu erobern.

SB: In welchem Maße, wenn überhaupt, haben der Erfolg der Anti-Lissabon Kampagne und die gegenwärtige Wirtschaftskrise zu einer Stärkung der Linken in Irland geführt und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Parteien und Gruppierungen intensiviert?

JH: Ich glaube, daß es für die Linke ein großer Erfolg war, in der Lissabon-Frage das gesamte Establishment zu schlagen. Einige Kräfte des rechten Lagers wie Declan Ganley und Libertas glauben, dadurch ebenfalls Auftrieb erhalten zu haben. Inzwischen reden sie davon, bei den europäischen Wahlen Kandidaten in ganz Europa aufzustellen. Sie haben, meiner Meinung nach, dummerweise erklärt, daß die Europawahlen ein Referendum über den Lissaboner Vertrag sein werden. Das ist Quatsch, denn die Leute wählen aus allen möglichen Gründen - für bestimmte Kandidaten, aus Parteitreue usw. Zwar wird Lissabon ein wichtiger Teil der Debatte sein, darum werden wir uns kümmern, aber man kann nicht sagen, daß die Wahlen zum europäischen Parlament eine Abstimmung darüber sein werden.

Durch ihre Beteiligung an der Koalitionsregierung mit Fianna Fáil haben sich die Grünen total aus der Rechnung herauskatapultiert. In der Anti-Nizza-Kampagne hatten wir eine informelle Sammelbewegung, welche die Grünen, Sinn Féin, einige andere und uns selbst umfaßte. Doch bei der Volksbefragung zu Lissabon haben die Grünen sich auf die Seite der etablierten Parteien gestellt. Sinn Féin wird natürlich gegen Lissabon-2 ankämpfen, doch nach unserem Dafürhalten ist sie keine linke Partei. Sie ist eine nationalistische Partei mit einigen radikalen Positionen. Sinn Féins Perspektive bei den letzten Parlamentswahlen zum Beispiel war, daß sie hoffte, danach das Zünglein an der Waage zu spielen und mit Fianna Fáil die Regierung zu bilden, wie es die Labour Party als kleinere Koalitionspartnerin der Parteien des Kapitals regelmäßig tut. Das bedeutete jedoch, jeden Anspruch, eine Alternative zu vertreten, aufzugeben - was die Grünen kürzlich getan haben. Vor diesem Hintergrund war der Erfolg der Anti-Lissabon-Kampagne eine große Ermutigung für die echte Linke, und wir sehen es als große Aufgabe für die kommenden Jahren an, eine neue Massenpartei für die Arbeiterschicht zustande zu bringen.

SB: Was halten Sie von der Theorie, daß die Bedeutung, die Libertas in den irischen Medien beigemessen wird, Teil eines Versuchs ist, ein neues Vehikel für die Beförderung neoliberaler Politik angesichts des Untergangs der Progressiven Demokraten zu kreieren?

JH: Ja, absolut. Es bestehen nicht die geringsten Zweifel. Linke Aktivisten macht es wütend, in diesem Zusammenhang die gewaltige Unaufrichtigkeit der kapitalistischen Medien mitanzusehen. Sie behandeln Ganley nicht als eine wichtige Führungspersönlichkeit, sondern als die wichtigste Führungspersönlichkeit innerhalb der Nein-Kampagne schlichtweg, was völlig falsch ist. Die Nein-Kampagne hatte viele Führungspersönlichkeiten, aber weil er einer der ihren ist, verübeln sie ihm zwar die Position, die er eingenommen hat, und kritisieren ihn heftig, gleichzeitig jedoch verleihen sie ihm Auftrieb. Das machen sie auch, um die Opposition zu demoralisieren, in dem Sinne, daß sie den Menschen weiszumachen versuchen, daß diese keine wirkliche politische Alternative haben, denn Ganleys rechtsgerichtete neoliberale Politik ist für die Mehrheit der Menschen, die gegen Lissabon votierten, arbeitende Frauen und junge Leute, nicht attraktiv. Indem sie ihn zur offiziellen Alternative küren, fragen sie: 'Ist es das, was ihr wirklich wollt?'. Mich unterstützen sie nicht und auch nicht die Sozialistische Partei. Von daher liegen Sie völlig richtig. Es ist eine absichtliche Täuschung - keine Frage.

SB: Wie planen Sie und Ihre Partei, die reaktionären Forderungen zu kontern, die man täglich in den irischen Medien vernehmen kann, nach massiven Bechneidungen der Löhne und Arbeitsbedingungen als einzige Möglichkeit, die Produktivität und Rentabilität der irischen Industrie zu erhöhen? Können Sie sich vorstellen, daß der gegenwärtige Angriff auf die Arbeiterklasse zu einer Verringerung des Einflusses von Fianna Fáil und Fine Gael in der politischen Landschaft Irlands führen wird?

JH: In der Tat erleben wir seit vier oder fünf Monaten, zeitgleich mit dem Einbruch der Wirtschaft, eine außergewöhnlich intensive und giftige Hetzkampagne von Teilen der kapitalistischen Medien gegen die Arbeiter im öffentlichen Dienst. Es handelt sich um den zynischen Versuch, die Leute und die Klasse im System, welche die Krise verursacht haben, von der Schuld freizusprechen und sie anderen zuzulasten. Aufgrund des wirtschaftlichen Einbruchs sind die öffentlichen Finanzen in einem katastrophalen Zustand, und das Ziel der Kampagne besteht darin, die arbeitende Bevölkerung dieses Staates dazu zu zwingen, die Rechnung für die Krise zu bezahlen. Also wird es den Versuch geben, sowohl die Gehälter um 5% oder 10% zu kürzen als auch nicht geringe Teile der Belegschaften auf die Straße zu setzen. Darüber habe ich keinen Zweifel. Und wir sagen: Auf keinen Fall! Es sollte Widerstand gegen solche Maßnahmen geben; es sollte gekämpft und auf jedem erdenklichen Weg dagegen mobil gemacht werden. Unglücklicherweise werden sich die Gewerkschaftsführer dem wahrscheinlich fügen. Sie sind seit nunmehr 21 Jahren im Rahmen der sogenannten Partnerschaftsabkommen von der Regierung und dem Unternehmertum dressiert worden. Doch ich denke, daß eine neue Oppositionsbewegung von unten kommen wird, trotz der massiven Propagandakampagne und des Versuchs, die Leute dadurch zu demoralisieren, indem man behauptet, es gäbe keine Alternative. Es gibt sehr wohl eine Alternative.

Die Propagandakampagne ist wirklich unglaublich. Man konnte es in den letzten Tagen nach der Bekanntgabe von Dell in Limerick, daß sie 1900 Arbeitsplätze streichen werden, gut beobachten. In dem Laden gibt es keine Gewerkschaft; die Leute arbeiten dort für 10 oder 11 Euro in der Stunde - 10.000 Euro unter dem durschnittlichen Jahresgehalt im industriellen Sektor. Also können sie die Arbeiter nicht für die Probleme verantwortlich machen. Man stelle sich vor, es hätte vorher einen Streik gegeben, woraufhin Dell erklärt hätte, daß sie dichtmachen. Man hätte erlebt, wie die Belegschaft mit Beschimpfungen regelrecht überschüttet worden wäre. Doch in all den Zeitungen, die ich in den letzten Tagen gelesen habe, gab es kein einziges Wort der Bezichtigung, geschweige der Kritik an die Adresse Michael Dells. Statt dessen versuchen sie einem einzubleuen, daß es sich um eine logische betriebwirtschaftliche Entscheidung handelt und daß das Geschäft, das ökonomische System, nur so funktioniert.

Damit haben wir es also zu tun. Ich denke, daß die arbeitende Bevölkerung, insbesondere die jungen Arbeiter, die so etwas zum ersten Mal erleben, durch diese Erfahrung radikalisiert werden. Darum müssen wir herausgehen und eine Alternative aufbauen. Die aktuelle Krise unterminiert Fianna Fáil ganz besonders. Die Progressive Democrats wurden bereits bei den Wahlen 2007 praktisch ausgelöscht. Unglücklicherweise werden Fine Gael und Labour von der aktuellen Situation profitieren, nicht weil sie etwas anderes als Fianna Fáil repräsentieren, sondern einzig weil sie derzeit nicht in der Regierung sind. Doch ebenso werden meiner Meinung nach die Linke und die Sozialistische Partei profitieren, und es werden sich Gelegenheiten ergeben, eine neue Massenpartei der Arbeiter zu schaffen. Am Aufbau einer solchen Partei werden wir uns zusammen mit anderen aktiv beteiligen.

SB: Haben sich die Chancen, die Nutzung des Flughafens Shannon durch das US-Militär zu beenden, durch der Wahl von Barack Obama zum nächsten amerikanischen Präsidenten gesteigert oder vermindert?

JH: Ich glaube nicht, daß es irgendeinen wirklichen Unterschied machen wird. Die Wahl Barack Obamas und die starke Aura von Hoffnung und Erwartung, die ihn gerade umgibt, stellen den Höhepunkt seiner Präsidentschaft dar. Nach der Amtseinführung geht es nur noch bergab, denn Obama vertritt den amerikanischen Imperialismus, d.h. die wirtschaftlichen Interessen des amerikanischen Big Business und der multinationalen Konzerne. Am Stil wird es große Unterschiede geben und vielleicht auch ein bißchen in der Substanz. Die künftige Administration bereitet derzeit eine Art "New Deal" vor - im Grunde genommen aus Verzweiflung, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Sie werden einige neue Richtungen in der Außenpolitik einschlagen. Sie werden wahrscheinlich das Embargo gegen Kuba aufheben. Sie könnten eventuell etwas Neues im Nahen Osten versuchen. Doch Obama, wenn ich mich nicht irre, hat gegen das kriminelle Abschlachten von Unschuldigen in Gaza kein einziges Wort gesagt. Sicherlich wird er den Krieg in Afghanistan weiter verfolgen und behält sich das Recht vor, Pakistan zu bombardieren.

SB: Könnten wir vielleicht erleben, daß Shannon nicht mehr für CIA-Folterflüge genutzt wird, aber daß die militärische Nutzung des Flughafens durch die Amerikaner fortgesetzt wird?

JH: Das Gefangenenlager in Guantánamo wird sehr schnell geschlossen und das Programm der extraordinary renditions in seiner derzeitigen Form beendet werden. Aber solange die kapitalistische Klasse und die konservative Regierung Irlands vom amerikanischen System wirtschaftlich und anderweitig abhängig bleibt, werden sie dem Pentagon weiterhin die Nutzung des Flughafens Shannon zu Transportzwecken gestatten.

SB: Wie sehen Sie die irische Beteiligung an Militäroperationen der EU?

JH: Wir glauben nicht, daß EU-Militäroperationen die Lösung für Probleme im Tschad oder sonstwo sind. Deshalb lehnen wir sie genauso ab, wie wir die imperialistische Invasion des Irak ablehnten. Es liegt bei der arbeitenden Bevölkerung, bei den armen Menschen und den Bauern in solchen Ländern, sich zu organisieren, zu mobilisieren und die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, zu lösen. Wir ermutigen zu solcher lokalen Problemlösung und assistieren dabei auf jede mögliche Weise, während wir gleichzeitig den Standpunkt vertreten, daß Sozialismus die wirkliche Lösung der Probleme der Menschheit ist.

EU-Militäroperationen dienen im wesentlichen der Durchsetzung der Interessen der Europäische Union und ihrer wirtschaftlichen Kräfte. Bei solchen Operationen wird natürlich der Schutz der Flüchtlinge und so weiter stets hervorgehoben, doch im Falle des Tschad ist die Regierung ein recht diktatorisches, undemokratisches Regime. Also unterscheidet sich Frankreichs Intervention dort nicht allzusehr von denen seiner imperialistischen Vergangenheit. Damit in Verbindung gebracht zu werden birgt für die irische Armee große Risiken. Wir würden eine andere Vorgehensweise bevorzugen.

SB: Im Hinblick auf Ihr eigenes gegenwärtiges Engagement gegen die israelische Aggression in Gaza, was glauben Sie, wie der Konflikt im Nahen Osten gelöst werden könnte?

JH: Nun, zunächst muß das palästinensische Volk einen unabhängigen Staat erhalten, während gleichzeitig das Existenzrecht des israelischen Staates garantiert werden muß. Persönlich kann ich mir eine Lösung einzig auf der Basis einer sozialistischen Föderation des Mittleren Ostens vorstellen, wobei die Arbeiterklasse der arabischen Bevölkerung die korrupten Regime der Region stürzt und an die jüdische Arbeiterklasse in Israel appelliert, die große Probleme mit dem Regime in ihrem eigenen Land hat. Israel hat schwere wirtschaftliche Probleme, und dort ist es in den letzten Jahren zu heftigen Kämpfen gegen Armut und Diskriminierung usw. gekommen. Die Taktiken und Strategien der fundamentalistischen Islamisten wie Hamas und Hisb Allah sind desaströs. Hamas' Feuern dieser Raketen nach Südisrael hinein ist ein Desaster.

SB: Macht sie nicht durch die Raketen auf eine, für sich genommen, unhaltbare Situation aufmerksam? Ist es nicht vielleicht das einzige, was sie gegen die Blockade von Gaza tun kann?

JH: Dem kann ich nicht unbedingt zustimmen. Die Hamas behauptet, sie verteidige das palästinensische Volk. Die Palästinenser verteidigen bei drei toten Israelis infolge des Raketenbeschusses und 800 toten Palästinensern? Keine besonders tolle Verteidigung müßte man sagen. Die Palästinenser haben das Recht auf Selbstverteidigung, selbstverständlich mit Waffengewalt. Doch Raketen wahllos nach Israel hinein zu schießen stellt an sich ein Kriegsverbrechen dar. Doch selbst wenn man dieses Argument beiseite läßt, meine ich, daß sie genauso gut mit Blasröhren schießen könnten, um Gottes willen.

Die Politik von Hamas und Hisb Allah ähnelt der Kampagne der IRA in Nordirland, welche die protestantische Arbeiterklasse in die Arme von Ian Paisley und Konsorten trieb. Das ist, was Hamas und Hisb Allah tun: sie treiben die jüdische Arbeiterklasse in die Arme dieser bigotten Reaktionäre in Israel, die dann dort die Regierungen stellen. Dann gibt es den Charakter des Hamas-Regimes, das dem Erreichen von Fortschritt durch das palästinensische Volk im Wege steht. Die Hamas ist für die arbeitende Bevölkerung keine wirklich attraktive Kraft. Ihre soziale und wirtschaftliche Politik ist reaktionär und rechtsgerichtet.

Unser Ansatz wäre daher folgender: die palästinensischen Massen in Gaza und auf der Westbank zusammen mit der arabische Arbeiterschaft innerhalb des Staates Israel zu mobilisieren; einen Aufruf an die Massen in den arabischen Ländern wie Ägypten usw. zu richten; Ideen vortragen, wie der Wohlstand der Region genutzt werden könnte, um alle daran teilhaben zu lassen und eine demokratische Gesellschaft aufzubauen; und einen Aufruf an die jüdische Arbeiterklasse zu richten, der sie von der zionistischen Führung abbringt.

SB: Herr Higgins, vielen Dank für das Gespräch.

Der Blick von der O'Connell Street Bridge - © 2009 by Schattenblick

Der Blick von der O'Connell Bridge im Herzen Dublins den Liffey ostwärts in Richtung Irischer See. Zu sehen sind drei der bekanntesten Wahrzeichen der Fair City: links das Hauptquartier des irischen Gewerkschaftbundes Liberty Hall, rechts davon das von James Gandon Ende des 18. Jahrhunderts entworfene und gebaute Custom House und dahinter das International Financial Services Centre, von wo aus namhafte deutsche Finanzhäuser wie die Sachsen LB und die IKB über ihre Dubliner Tochtergesellschaften Milliardensummen am US-Immobilienmarkt verspekulierten.
© 2009 by Schattenblick


Für die Übersetzung aus dem Englischen zeichnet der Schattenblick verantwortlich.

9. Februar 2009