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INTERVIEW/065: Till Petersen, AG Studierendenpolitik der Partei Die Linke (SB)


Interview am 8. Januar 2011 in Hamburg-Altona


Till Petersen gehört der AG Studierendenpolitik der Partei Die Linke im Hamburger Landesverband an. Am Rande des Wahlparteitags der Linken zur Bürgerschaftswahl hatte der Schattenblick Gelegenheit, Petersen einige Fragen zu stellen.

Till Petersen - © 2011 by Schattenblick

Till Petersen
© 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Herr Petersen, worum ging es bei der Kontroverse unter den Delegierten im Saal, die wir eben gehört haben? Dabei ging es ja wohl nicht nur um Verfahrensfragen ...

Till Petersen: Da muß ich fragen: Welche Kontroverse? Wir hatten ja hier viele Kontroversen.

SB: Meine Frage richtet sich nach dem Grundverhältnis zwischen der Linksjugend ['solid] und der AG Studierendenpolitik auf der einen Seite, falls man das so sagen kann, und den Fraktionen, die ihnen gegenüberstehen.

TP: Was die anderen Fraktionen betrifft, so ist dies meines Erachtens im wesentlichen unser Landesvorstand. Wir haben einen schwierigen Parteibildungsprozeß hinter uns. Wir sind der Auffassung, die, wie ich vermute, Solid teilt, daß dieser Parteibildungsprozeß stärker inhaltlich definiert werden muß, demokratisch verlaufen muß. In der gegenwärtigen Situation wird die Partei eher verwaltet, als daß sie sich inhaltlich positionell entwickeln könnte. Das äußert sich zum Beispiel darin, daß wir im Landesverband schon vor geraumer Zeit eine stadtpolitische Konferenz beschlossen haben, in der zu allen Themenfeldern präzise Positionen erarbeitet werden sollen. Dies ist inzwischen mehr als zwölf Monate verschoben worden.

Hier sieht man den Gegensatz, ob man entweder in besonderer Weise Gewicht auf eine inhaltliche Vertiefung, Positionsbildung und Präzision legt, oder ob man die Mitgliedschaft eher verwaltet. Das halte ich für den Konflikt im Parteiverständnis. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, wie man sich zu den kapitalistischen Verhältnissen positioniert. Ob man sich als Partei eher als Korrektiv betrachtet, das heißt zusieht, daß man Modifikationen durchsetzen kann, oder ob man offensiv agiert und grundlegende Änderungen durchsetzen will. Ich denke, Solid geht genauso wie wir von letzterem aus.

SB: Welche grundlegenden Positionen sollten denn parteipolitisch festgeschrieben werden?

TP: Es gibt grundlegende Positionen, die zwar erwähnt, aber meines Erachtens nicht mit dem erforderlichen Nachhalt vertreten werden. Das wichtigste ist Frieden, weil daran die Frage einer humanen Entwicklung in der Gesellschaft hängt. Deswegen halte ich die Friedensfrage für die zentrale Frage, und nicht nur eine, die man als ein Alleinstellungsmerkmal wie ein Markenzeichen vor sich herträgt.

Das zweite zentrale Element ist die Position gegen Rechts und der Antifaschismus. Hier gibt es zum Beispiel den Konflikt, ob man wirklich die Gegnerschaft mit der radikalsten Form gesellschaftlicher Konkurrenz, nämlich der rechtsextremen aufnimmt, als extreme Form dessen, was diese Gesellschaft problematisch macht. Die Konkurrenz, die dann doch immer eliminatorisch ist. Wir haben ja in Hamburg gerade wieder einen Obdachlosen gehabt, der tot im Gebüsch gefunden wurde.

Das sind Grundsatzfragen, die Konsequenzen in allen Bereichen haben. Das wiederum hängt mit der Frage zusammen, wie es um das Verhältnis parlamentarisch/außerparlamentarisch bestellt ist. Ob man im wesentlichen davon ausgeht, daß gesellschaftliche Veränderung nur durch die Menschen selber durchgesetzt werden kann, wie es in der "Internationale" verdichtet ist, oder ob der parlamentarische Apparat doch ein erhebliches Potential für gesellschaftliche Veränderung birgt. Ich halte das Parlament für eine Bühne, für eine Möglichkeit, etwas zu erfahren, in der Öffentlichkeit Aufklärung zu leisten, aber das Entscheidende ist, daß es eine Bewegung in der Gesellschaft gibt.

SB: Es scheint ja in der Linkspartei eine Fraktion zu geben, die eher auf die parlamentarische Schiene setzt. Besteht da nicht die Gefahr, daß eine Entwicklung eingeleitet wird, wie man sie an der SPD kritisiert?

TP: Diese Gefahr besteht, aber ihr steht meines Erachtens entgegen, daß wir diese Auseinandersetzung führen. Daß auch sehr begründet aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, aus der gesellschaftlichen Krise, bestimmt wird, warum ein solches Setzen auf das Parlament nicht sinnvoll ist. Sicherlich gibt es Leute, die diese Position abwehren, aber sie wirkt trotzdem. Es gibt diese Gefahr, aber weil sie von den Mitgliedern erkannt, thematisiert und problematisiert wird und sich so eine Gegenposition herausbildet, bin ich mir sicher, daß unsere Partei diesen Weg nicht gehen wird.

SB: Gregor Gysi sagte, der Wahlerfolg sei unheimlich wichtig, das Entscheidende überhaupt. Da klang durch, daß man bestimmte Dinge nicht vor der Öffentlichkeit sagen sollte. Habe ich das richtig verstanden oder habe ich mich getäuscht?

TP: Er hat dafür plädiert, daß man, wenn man sich äußert, taktisch geschickt vorgeht und berücksichtigt, daß es gesellschaftliche Vorurteile gibt. Ich finde, daß das für Gregor Gysi ein positioneller Fortschritt ist, weil er in der Vergangenheit für sich in Anspruch genommen hat, den Antikommunismus in Westdeutschland beseitigt zu haben. Das geschah in einer Zeit, in der er wie ich meine innerparteilich sehr viel von diesem Antikommunismus übernommen hatte. Wenn er diesem dann selber nicht mehr ausgesetzt war, handelt es sich nicht um eine Beseitigung, sondern nur um eine Verschiebung. Insofern finde ich erfreulich, daß er auch die historischen Gründe für den fest in Westdeutschland verankerten Antikommunismus dargelegt hat. Wie man das nun beantwortet, darüber muß man streiten. Ich glaube, daß man den Antikommunismus und seine Gründe angreifen muß und daß es nicht ausreicht, ihm auszuweichen. Der Antikommunismus hat eine Funktion, er soll ja unterbinden, daß die Menschen eine Hoffnung auf grundlegende positive Veränderung haben. Und deswegen muß man diese Hoffnungszerstörung zurückweisen.

SB: Worin bestehen Gemeinsamkeiten zwischen der AG Studierendenpolitik und der Linksjugend ['solid] - wo gibt es Unterschiede?

TP: Die Gemeinsamkeiten sind hier relativ klar geworden, nämlich stark außerparlamentarisch und eine große Gewichtung auf Friedenspolitik. Ich glaube, daß die Unterschiede darin bestehen, daß die AG Studierendenpolitik besonderen Wert auf eine positive humanistische Perspektive legt. Sie geht davon aus, daß nicht nur über die Übel des Kapitalismus und dessen systematische Ursachen aufzuklären ist, sondern auch die erfreuliche Perspektive des Sozialismus genauer gefaßt werden muß. Das heißt auch zu bestimmen, daß es nicht nur um eine Beseitigung der Belastung geht, sondern daß die volle, gleiche Verfügung der Menschen über gleiche Lebensverhältnisse eine ungeheuer erfreuliche Angelegenheit ist. Das führt aus der Depression, die seit 1990 die Welt ergriffen hat, heraus, und gegen diese Depression muß man etwas tun.

SB: Wie ist das Verhältnis der AG Studierendenpolitik zu anderen Gruppierungen an der Universität?

TP: Die AG Studierendenpolitik ist ein Zusammenschluß innerhalb der Partei, der das Terrain der Studierendenpolitik bearbeitet. An den Hochschulen gibt es zwei explizite parteinahe Hochschulgruppen, die unterschiedliche Akzente haben, aber doch sehr eng kooperieren. Beide sind im Studierendenparlament vertreten. Wir haben jetzt gerade Wahlen und gehen dabei von erheblichen Verbesserungen aus. Zur Zeit sind wir eher oppositionell tätig, doch hoffen wir, auch das ändern zu können. Die AG Studierendenpolitik ist mit einem der drei studentischen Senatoren im akademischen Senat vertreten und gibt dort unserem überführten Präsidenten aus Berlin, der dort viel neoliberalen Unfug angestellt hat, ordentlich Contra, kann ihn da ordentlich erziehen. Insofern bin ich mit dem, was wir da erreichen, eigentlich recht glücklich.

SB: Es gibt eine Position, die besagt, lieber Fundamentalopposition, als sich in der Regierungsbeteiligung zu verbiegen. Ist da was dran?

TP: Da stellt sich die Frage, was mit "lieber als" gemeint ist. Fundamentalopposition ja, denn ich finde auch, daß man fundamental gegen den Kapitalismus Opposition machen muß. Das wird aber häufig mit dem Vorwurf verbunden, wer Fundamentalopposition betreibe, habe gar nichts Positives zu benennen. Ich meine, daß eine Fundamentalopposition notwendig ist, um wirklich Positives durchzusetzen. Nehmen wir ein Beispiel aus der Hochschule, das Bachelor-Master-System. Nur wenn man darlegt, was die gesellschaftliche Funktion dieser gestuften Studiengänge ist, nämlich vollständig auf die Ausbeutbarkeit als Ware Arbeitskraft zu orientieren, und eine Fundamentalkritik von dem Standpunkt aus leistet, daß doch Bildung im wesentlichen dazu da sein müßte, die Ursache von gesellschaftlichen Problemen zu erkennen und zu überwinden, und daß die Bildungssubjekte sich auch in ihrer Persönlichkeit entfalten können, so ist das eine Fundamentalkritik, die eine Alternative hat und sehr konkrete Reformschritte ableiten kann. Diese Reformschritte müssen sich wiederum am Maßstab der Fundamentalkritik messen lassen. Deswegen gebe ich der Denunziation nicht recht, der zufolge Fundamentalopposition bedeutet, daß man keinen Entscheidungsanspruch hat.

SB: Die Kollegen von Solid haben uns vorhin erzählt, daß sie in den letzten Jahren mit ihrer Position an Einfluß in der Linkspartei gewonnen haben. Kann man das auch für die AG Studierendenpolitik bestätigen?

TP: Die AG Studierendenpolitik ist schon seit 1993 in der PDS präsent gewesen und verfügte stets über Einfluß. Das ist mal schwieriger, mal besser, aber er ist vorhanden. Der Einfluß ist in jüngerer Vergangenheit insofern wieder gestiegen, weil die gesellschaftliche Entwicklung der sehr grundlegenden Kritik am Kapitalismus recht gibt. Ich glaube, das macht die Intensität und Hitzigkeit der heutigen Debatte aus, daß diese Partei selber suchen und herausfinden muß, wie man der höheren Dynamik gesellschaftlicher Polarisierung gerecht wird. Das ist nicht einfach, und ich finde es gut, daß sich unsere Partei dieser Aufgabe stellt, denn die andern tun es nicht. Sich ihr zu stellen, ist ein sehr schwieriger und hakeliger Prozeß, der jedoch zu begrüßen ist.

SB: Mir ist aufgefallen, daß heute sehr viel Presse anwesend war. Ist das normal auf Parteitagen oder hat das mit der Vorgeschichte zu tun, weil man neugierig ist, was Gesine Lötzsch und Gregor Gysi sagen werden?

TP: Die Presse war auch früher auf unseren Landesparteitagen präsent, doch die heutige Intensität ist zweifellos diesem ohnehin medieninszenierten - Konflikt will ich gar nicht sagen - dieser medieninszenierten Diskussion um den Kommunismusbegriff geschuldet. Mein Eindruck ist, daß das im wesentlichen CDU-Politiker, Springerpresse und andere Medienvertreter beschäftigt, weil die Bevölkerung ganz andere Probleme hat. Diese beobachtet, was man in Afghanistan für Blutspuren hinterläßt oder welches soziale Elend vorhanden ist und daß man darauf eine Antwort braucht. Da hilft dieses Rumkrakelen gar nicht weiter. Die Medien sind aus dem Grund hier, das weiter zu inszenieren.

Ich finde, daß Gesine das sehr souverän beantwortet hat, und ich fand überflüssig, daß Gregor Gysi bei so einer Diskussion noch einmal eine Ermahnung an Gesine nachgeschoben hat. Der Umgang mit der Presse ist allemal schwierig, weil einem manches Wort im Munde umgedreht wird. Da kann jeder jeden kritisieren. Ich finde, daß der Grundgedanke und vor allem die Diskussionsoffenheit von Gesine Lötzsch - denn es handelt sich ja vor allem um ein Diskussionsangebot an die Parteilinke - positiv zu bewerten ist. Das mit einer Ermahnung zu unterbinden, ist nicht richtig.

SB: Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Till Petersen mit SB-Redakteur - © 2011 by Schattenblick

Till Petersen mit SB-Redakteur
© 2011 by Schattenblick



17. Januar 2011