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INTERVIEW/068: Christin Bernhold und Christian Stache von der Linksjugend ['solid] Hamburg (SB)


Interview am 8. Januar 2011 in der Louise-Schröder Schule Hamburg-Altona


Christin Bernhold ist Sprecherin der Linksjugend ['solid] Hamburg und wurde auf Platz sieben der Landesliste der Partei DIE LINKE zur Bürgerschaftswahl am 20. Februar 2011 gewählt. Christian Stache ist Vertreter der Linksjugend im Landesvorstand. Am Rande des Wahlparteitags der Linken ergab sich die Gelegenheit für ein ausführliches Gespräch.

Christin Bernhold - © 2011 by Schattenblick

Christin Bernhold
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Schattenblick: Würdet ihr den Lesern des Schattenblicks anhand eines Beispiels berichten, wie sich die Hamburger Linksjugend mit Änderungen am vorliegenden Wahlprogramm einbringt?

Christian Stache: Wir haben Vorschläge für den Friedensteil, den jugendpolitischen Teil und einige Änderungsanträge, besonders für die Einleitung und den Schlußteil verfaßt. Der Friedensteil, den wir maßgeblich im Landesvorstand eingebracht haben, wurde dort angenommen. Anschließend wurden jedoch einige Änderungsanträge gestellt.

Schattenblick: Um welche Änderungen ging es da speziell?

CS: Um den Titel, dann wurde das böse Imperialismus-Wort entfernt, die Vergesellschaftung der Rüstungsindustrie sollte auch ebenso raus wie die Verknüpfung des Endes der kapitalistischen Produktionsweise mit dem Ende der Kriege am Schluß unseres Antrags.

Christin Bernhold: Mit der Begründung, daß die Sowjetunion ja auch Krieg geführt hat gegen Afghanistan und man daran sehen würde, daß mit der Abschaffung des Kapitalismus keineswegs die Kriege beendet seien. Aber die letzten beiden Änderungsanträge an unseren Friedensteil wurden von den Delegierten des Wahlprogrammparteitages zum Glück nicht angenommen.

SB: Schon die Änderungsanträge zur Einleitung des Wahlprogramms waren ja wichtig. Mit dem Antrag "keine Regierungsbeteiligung" seid ihr eben in der Abstimmung relativ knapp gescheitert. Demnach gibt es in der Hamburger Linken immer noch eine ganze Menge Genossen, die Fundamentalopposition üben würden?

CS: Ich würde schon sagen, daß es einige Genossen gibt, die die Regierungsbeteiligung ablehnen. Ich würde auch sagen, daß es einige Genossen gibt, die sich klar dazu bekennen, daß sie auch außerparlamentarisch arbeiten wollen. Das ist nicht zu vernachlässigen. Ich bin wie viele andere aktive Parteimitglieder der Auffassung, daß die Basisarbeit, die konkreten Projekte, die die einzelnen Genossinnen und Genossen verfolgen, das eigentliche Kernstück der politischen Arbeit sein sollten. Wenn man sich das Abstimmungsverhalten anschaut, kann man daran ablesen, daß eine Verparlamentarisierung der Politik der Linken in Hamburg und eine mögliche Regierungsbeteiligung zumindest kritisch beäugt wird. Ob die Mehrheit diesbezüglich kritisch ist, weiß ich nicht.

SB: Als es in Hamburg noch keine Partei Die Linke gab und die PDS hier antrat, war diese zwar recht klein, doch stand sie im Ruf, sehr radikal zu sein. Was ist von diesen Strukturen der PDS geblieben, die damals ein bis zwei Prozent bei den Wahlen bekam?

CB: In Hamburg gibt es auf jeden Fall Strukturen in der Partei, in denen sehr viele Leute organisiert sind, die ganz klar radikal linke und antikapitalistische Positionen vertreten. Es gibt jedoch eine eklatante Schere: Auf der einen Seite Teile der Parteibasis und die Leute, die nicht unbedingt als Delegierte auf dem Landesparteitag sind, sondern ganz konkret in ihren Bezirken und in Basisgruppen und Zusammenschlüssen arbeiten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Personen, die gegen unseren Antrag gestimmt haben und sich damit die Regierungsbeteiligung offen halten wollen. Das entspricht in etwa dem Bild, das es auch auf Bundesebene gibt. Ich glaube schon, daß es in der Partei einige Leute gibt, die mindestens mit einem halben Auge in Richtung Regierungsbeteiligung schielen, während für andere klar ist, daß dies der Aufgabe einer linken, antikapitalistischen Ausrichtung der Partei gleichkäme.

SB: Also wird in eurer Jugendorganisation Solid durchaus Kritik am Parlamentarismus geübt?

CS: Ja, das ist gar keine Frage. Man muß ja sehen, von welchen Erkenntnissen und theoretischen Einsichten man ausgeht. Wir haben eine klare gesellschaftskritische, marxistische Position, die natürlich die Kritik am klassischen Marxismus mit aufgenommen hat, aber dennoch weiterhin die bürgerlichen Parlamente als Instrumente der herrschenden Klasse begreift. Die Linke muß in der Lage sein, die Instrumente, die sie vorfindet, für sich zu nutzen. Das ist meines Erachtens das Ziel der parlamentarischen Arbeit. Glaubt man hingegen, wie es durchaus auch in der LINKEN vertreten wird, daß durch die Arbeit in den Parlamenten eine fundamentale gesellschaftliche Veränderung vollzogen werden kann, täuscht man sich und ignoriert die Erkenntnisse der kritischen Wissenschaften und der Gesellschaftskritik. Wenn man sich auf Rosa Luxemburg bezieht, die ja immer als Ikone vor der Partei hergetragen wird, so müßten Teile der Partei einiges von dem, was Rosa Luxemburg zum Beispiel über Parlamente, über Massenansätze oder über Imperialismuskritik gesagt hat, besser aufnehmen. Auch was die Einschätzung der Politik in den Parlamenten angeht, muss auf jeden Fall weiter darauf hingewirkt werden, dass wir uns viel klarer machen, was wir eigentlich von den Parlamenten erwarten und was wir dort nicht leisten können.

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Kritik an der Verabsolutierung des Parlamentarismus
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CB: Ich stimme meinem Genossen da vollkommen zu und möchte noch hinzufügen, daß wir die Arbeit im Parlament nicht ablehnen, aber dennoch den Parlamentarismus kritisieren. Was wir in Parlamenten machen, nämlich Anträge stellen und vor allen Dingen auch Anfragen einbringen, müssen wir der außerparlamentarischen Opposition zur Verfügung stellen und ihr Informationen zukommen lassen. Für sie müssen die Parlamente auch eine Bühne sein. Wir sind also gegen das Bild eines Parlamentarismus, wie es auch einige Leute in der Linkspartei haben, der jeglicher anderer Arbeit übergeordnet wäre und durch den man tatsächlich die Gesellschaft grundlegend verändern könnte. Läßt man sich dann gar auf eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei ein, läßt man sich auch auf die integrative Funktion ein, die diese hat. Wie das passiert, kann man doch sehr gut an der Entwicklung der Grünen erkennen.

SB: Das ist ja eine ganz grundlegende Frage, die in der Linken virulent ist, weil die Partei sehr breit aufgestellt ist und es noch kein festes Parteiprogramm gibt. Die Frage nach den Machtverhältnissen, die über Medien oder personelle Platzierungen in die Parlamente hineinwirken, müßte doch eigentlich in der Partei viel breiter diskutiert werden, um die Frage der Durchsetzbarkeit von Politik konkret angehen zu können?

CB: Natürlich. Ich sehe das genauso. Das ist viel zu wenig diskutiert worden, und was jetzt aktuell in den letzten Tagen passiert ist, ist meines Erachtens ein bezeichnendes Beispiel dafür. Die Linke wird die ganze Zeit verschwiegen, in der kompletten Medienlandschaft spielt das, was Die Linke als Position erarbeitet, nie eine Rolle. Wenn es aber einen Skandal gibt und Die Linke von bürgerlichen Medien angeklagt werden kann, wie aktuell Gesine Lötzsch für die Verwendung des Wortes Kommunismus, muss man sich nur ansehen, an wen in der Linkspartei die Presse herantritt. Das waren zum Beispiel Bodo Ramelow und in der Tagesschau auch noch Jan Korte. Die Presse weiß natürlich ganz genau, daß das die Leute sind, die sagen, was man hören will. In der Linkspartei wird ja bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit der Begriff des Pluralismus herangezogen. Der Begriff wird immer dann positiv verwendet, wenn es darum geht, Leute wie Bodo Ramelow und Klaus Lederer mit ihren rechteren Positionen zu Worte kommen zu lassen. Wenn es aber wirklich mal ans Eingemachte geht, um klassenkämpferische linke Positionen, die tatsächlich das Ziel haben, den Kapitalismus abzuschaffen, dann ist es auch ganz schnell vorbei mit dem Pluralismus. Das muß auf jeden Fall auf die Tagesordnung.

SB: Wie beurteilt ihr die Entscheidung Gesine Lötzschs, so eine Eröffnung in der jungen Welt zu machen, dann aber auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz nicht mehr an dieser Diskussion teilzunehmen?

CS: Ich glaube, Gesine Lötzsch hat heute beim Parteitag mit ihren Aussagen verschiedene Spektren, verschiedene Rezipientenkreise abgedeckt. Das macht bis zu einem gewissen Grad auch Sinn. Doch die Presse hat eine Kampagne initiiert, die sich nicht nur gegen DIE LINKE als Partei, sondern die Linke als gesellschaftliche Kraft richtet. Wenn wir uns als Linke von der Presse treiben lassen und ihrem Druck nachgeben, machen wir meines Erachtens einen Fehler. Wir sollten stattdessen selbstbewusst sagen, was wir unter Kommunismus verstehen und natürlich sind wir für Kommunismus. Was Medien oder die CSU uns diesbezüglich unterstellen, läßt viel mehr darauf schließen, was sie unter Kommunismus verstehen. Wenn man mich persönlich fragen würde, was ich von Gesines Absage halte, wie du das gerade gemacht hast, dann würde ich sagen, man muß an seinen Taten gemessen werden. Wenn man zuerst einen großen Beitrag für eine Konferenz schreibt und sich dann unter dem Druck der Presse von der Teilnahme an einer Podiumsdiskussion und vor allen Dingen auch von seinen außerparlamentarischen Bündnispartnern distanziert, dann läßt man sich von der Presse vor sich her treiben und knickt ein. Wenn man sich immer wieder unter Druck setzen läßt, dann zeugt das von einem Mangel an Selbstbewusstsein in der Linken, den die Medien und die anderen Parteien spüren. Wenn man immer wieder nachgibt, dann gibt man anderen Anlass, die Linke vor sich her zu treiben.

SB: Du hattest in deiner Einlassung zu der Rede Gesine Lötzschs prinzipielle Solidarität mit ihr bekundet, um sie vor den Angriffen in Schutz zu nehmen. Ihr Ansatz war ja, den Begriff des Kommunismus so einzuführen, daß man sich positiv darauf beziehen kann. Das war schon ein beachtlicher Schritt von ihr. Allerdings hat sie von radikaler Realpolitik gesprochen, also nicht mehr von revolutionärer Realpolitik, was offenbar eine Art Brückenschlag zwischen dem Mainstream der Partei und dem linken Flügel war. Wie würdet ihr das aus eurer Sicht mit Blick auf das parteiinterne Machtmanagement beurteilen?

CB: Ich gebe dir da vollkommen recht. Ich habe die Solidarität mit Gesine zum Ausdruck gebracht, weil sie derzeit nicht zu denjenigen gehört, die fordern, man dürfe nicht mehr Kommunismus sagen. Das schließt an das an, was Christian gerade gesagt hat: Ich finde es richtig und wichtig, sich nicht von den Medien vorgeben zu lassen, welche Begriffe man benutzten darf, sondern das selber zu entscheiden und ganz im Gegenteil offensiv damit umzugehen und zu erläutern, was man inhaltlich damit meint. Was die Partei in einer solchen Situation zeigen müsste, ist Rückgrat. Dann würden, denke ich, auch die Umfrageergebnisse besser für DIE LINKE ausfallen. Insofern war das eine Solidaritätserklärung. Das heißt aber nicht, daß ich mit dem Text "Wege zum Kommunismus", wie Gesine Lötzsch ihn geschrieben hat, inhaltlich in allen Punkten übereinstimme. Ich teile die Auffassung, daß es ein Versuch war, verschiedene Strömungen innerhalb der Partei zu vereinen und mit ins Boot zu holen. Ich teile aber deswegen nicht alles, was sie gesagt oder geschrieben hat. Zum Beispiel ihre Ausführungen zu Regierungen oder ihre Aussage, dass man die Wege zum Kommunismus, sei es in der Opposition oder in der Regierung, erkunden könne, halte ich für falsch.

SB: Wie ist euer Verhältnis als Jugendverband Solid hier in Hamburg zu der radikalen autonomen Linken, von der es ja immer noch Reste gibt, die bestimmte Aktionen durchführen und zu Demonstrationen aufrufen? In welcher Rolle seht ihr euch da als Parteiorganisation?

CS: Wenn man auf diese Frage antworten will, muß man zunächst noch einmal auf das grundsätzliche Politikverständnis auch hinsichtlich der Parlamentsarbeit zurückkommen. Meiner Auffassung nach können wir uns weder ausschließlich in den Parlamenten aufhalten und da Politik machen, noch sich, wie es die klassischen Autonomen gemacht haben, "nur" auf außerparlamentarische selbstorganisierte Arbeit in Kleingruppen konzentrieren. Beides macht für sich allein keinen Sinn. Ich glaube, dass man eine Synthese suchen muß, je nachdem, welche konkrete Konstellation gerade vorhanden ist. Du hast nach Hamburg gefragt, wo sich die sogenannte autonome Szene überwiegend dem "antideutschen" Lager zuordnet, mit dem wir als Jugendverband schon in unserer eigenen Partei und in unserem eigenen Jugendverband mit dem BAK "Shalom" über Kreuz liegen, der unseres Erachtens regelmäßig gegen die Grundsätze unseres Jugendverbands verstößt. Natürlich zählt diese autonome Szene, wie sie zum Teil auch in der Roten Flora angesiedelt ist, nicht zu unseren Bündnispartnern.

Nichtsdestotrotz gibt es natürlich außerparlamentarische Gruppen, Basisorganisationen und NGOs, mit denen wir sehr gerne kooperieren. Wir haben jüngst ein Seminar zur Militarisierung der globalen Sozialpolitik gemeinsam mit der Informationsstelle Militarisierung (IMI) und der Bundeskoordination Internationalismus (BuKo) durchgeführt, über das wir uns sehr gefreut haben. Es hat inhaltlich gute Diskussionen gegeben und verschiedene Personen an einen Tisch gebracht, die sonst kaum miteinander reden würden oder nur selten einen Anlass dazu haben. Genau solche Bündnisse müssen wir eingehen. Wenn wir zum Beispiel darüber reden, daß wieder der revolutionäre 1. Mai stattfindet, dann beziehen wir uns positiv darauf und hoffen, daß sich die außerparlamentarischen Kräfte zusammenfinden, die noch an einer transformatorischen Perspektive festhalten oder, wie Adorno einmal gesagt hat, an einer Gesellschaft, in der keiner Angst haben muss, verschieden zu sein. Wenn man an so einer Vision, an so einer Art von Utopie festhält, dann kommt man gar nicht drumherum, sich mit der außerparlamentarischen Opposition zusammenzuschließen.

Ich möchte noch etwas hinzufügen, das über die klassische Diskussion über die APO als Korrektiv für die Linke hinausgeht: Ich glaube, daß man die verschiedenen Taktiken linker Politik integrieren muß. Es macht keinen Sinn, wenn wir für uns allein hinwursteln und nur sporadisch punktuelle Bündnisse schließen. Wir müssen vielmehr dazu kommen, nicht nur punktuell gemeinsam zu arbeiten, sondern auch mittel- und langfristig eine gesellschaftliche Kraft zu formieren. Wie die dann organisiert sein wird, muß sich in dem Prozess entwickeln. Wir brauchen eine gesellschaftliche Kraft, die diesem enormen Angriff selbst auf die bürgerlichen Errungenschaften der Geschichte Widerstand leistet. Das eint uns als Linksjugend und wie ich glaube auch die Partei Die Linke mit weiten Teilen des nicht-"antideutschen" Lagers der außerparlamentarischen Opposition. Wir müssen es schaffen, diesem verheerenden Ausnahmezustand von Afghanistan bis in die USA, aber natürlich auch in Deutschland und in der Europäischen Union, etwas entgegenzusetzen, das über die erforderliche Stärke verfügt.

Christin Bernhold - © 2011 by Schattenblick

Antimilitarismus als Lackmustest für Bündnisfragen
Christin Bernhold
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SB: Ihr habt einen gewissen Schwerpunkt in internationaler Politik und Friedenspolitik. Wieso fühlt ihr euch als Jugendverband dafür in besonderer Weise zuständig?

CB: Ein Grund dafür ist, daß wir den Eindruck gewonnen hatten, daß die Frage von Krieg und Frieden trotz ihrer zentralen Bedeutung zunehmend vernachlässigt wird. Darüber hinaus haben wir innerhalb wie außerhalb der Partei die Erfahrung gemacht, daß es ein sehr wichtiges Thema ist, weil schlicht und ergreifend überall auf der Welt neoimperialistische Kriege geführt werden, an denen sich auch Deutschland beteiligt. Deutschland ist derzeit in elf Auslandseinsätzen aktiv, das ist der eine Punkt. Zum zweiten ist es ein Thema, anhand dessen wir klarmachen können, was die Alleinstellungsmerkmale der Linken, sowohl der Partei Die Linke als auch der gesellschaftlichen Linken, sind. An diesem Thema Krieg und Imperialismus können Klassenwidersprüche sehr deutlich aufgezeigt werden, während das bei bestimmten anderen Themen, die eher der emanzipatorischen Linken zuzuordnen sind, nicht der Fall ist. Das waren für uns Gründe, warum wir uns mit diesen Themen beschäftigen und sie als Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten.

Zudem lassen sich diese Themen gerade in Hamburg sehr gut mit Blick auf unsere politische Zielsetzung und die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen verfolgen. Man kann bei Themen wie Antimilitarismus, Rüstung und Antiimperialismus auch im Parlament Forderungen aufstellen, zum Beispiel den Abzug der Hamburger Polizisten aus Afghanistan, und beispielsweise aufdecken, welche Hamburger Rüstungsbetriebe ihre Profite mit Beteiligung an Kriegen erwirtschaften. Wir können fordern, daß Rüstungsproduktion verboten, daß Rüstungsbetriebe enteignet und vergesellschaftet werden müssen. Wir arbeiten für das laufende Jahr auch an einer Kampagne gegen Bundeswehr an Schulen und die Militarisierung der Hochschulen. Bei diesem Thema kann man Bündnisse mit den explizit linken außerparlamentarischen Gruppen schließen. Anhand des Themas Krieg und Frieden kann man klarmachen, daß wir uns die Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten und Bündnisse suchen, nicht danach aussuchen, ob sie APO oder ob sie Partei sind, sondern nach unseren politischen Positionen. Und da ist Antiimperialismus, Krieg und Frieden ein Thema, an dem sich sehr deutlich aufzeigen lässt, wo die Linien auch in der Linken verlaufen.

CS: Ich möchte zwei Punkte ergänzen. Zum einen lag das Thema Frieden und internationale Politik in Hamburg nicht völlig brach. Auch wenn ich einige seiner Positionen nicht teile, gab es in der Partei mit Norman Paech im Bundestag schon jemanden, der sich energisch für eine linke Friedenspolitik eingesetzt hat. In Hamburg gibt es außerdem Arbeitskreise, die sich zum Teil schon seit Jahren mit viel Fachkenntnis diesem Thema widmen. Dies wurde innerhalb der Partei vernachlässigt, wobei ich trennen möchte zwischen dem, was die Leute erarbeitet haben und somit als Fundus vorhanden ist und auf Bundesebene teilweise auch von Hamburg aus gemacht wurde, und dem Umstand, dass dies meines Erachtens bundesweit überhaupt nicht geschätzt wird. Norman Paech wird ja ganz im Gegenteil wegen diverser Positionen, die er vertritt, völlig zu Unrecht und mit hanebüchenen Vorwürfen diskreditiert.

Zudem hat die Renaissance des Imperialismus als expansive Politik nach außen in Gestalt der Weltordnungskriege auch eine Militarisierung des Inneren mit sich gebracht, die unser Leben in der Bundesrepublik radikal durch die Präsenz von Militär in der Öffentlichkeit und dessen Einflussnahme in den Bildungseinrichtungen an eine Ethik des Befehl und Gehorsams zu gewöhnen sucht. Das vollzieht sich nicht Knall auf Fall, sondern peu à peu. Volker Rühe hat das Wort Salamitaktik für die sukzessive Militarisierung der deutschen Außenpolitik geprägt. Aber dieses Vorgehen gilt nicht nur für die Militarisierung der Außenpolitik, sondern auch für die Innenpolitik. Die Bundestagsfraktion der Linken - Ulla Jelpke wäre da zu nennen, aber auch andere wie Christine Buchholz oder Sevim Dagdelen - hat in diesem Punkt hervorragende Arbeit geleistet. Sie hat aufgedeckt, wie Verbindungskommandos oder Kooperationsgremien zwischen den Unternehmen, die die zentrale Infrastruktur in den Städten und Bundesländern stellen, und den jeweiligen Landes- beziehungsweise Kreiskommandos der Bundeswehr geschaffen wurden. Da gibt es Gremien, von denen die Bevölkerung in der Bundesrepublik nichts weiß, genauso wenig, wie sie die Kooperationsvereinbarungen zwischen den Schulministerien auf Landesebene und der Bundeswehr richtig einschätzen kann.

Man muß sich vor Augen führen, daß über diese Kooperationsvereinbarung der Bundeswehr gestattet wird, den Lehrplan an Schulen mitzugestalten und ihre Leute als Co-Lehrer oder Co-Referenten zu installieren sowie Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen. Die Lehrer sind in der Regel völlig überfordert und nehmen dieses Angebot gerne an, weil sie sich damit die Unterrichtsvorbereitung erleichtern. Es geht also nicht nur darum, daß in Hamburg beim Hafengeburtstag regelmäßig Marineschiffe abgefeiert werden. Das ist zwar schlimm genug. Aber es handelt sich vielmehr um langfristig angelegte Prozesse der Militarisierung im Inneren, von denen die Einsätze der Bundeswehr bei Castortransporten oder bei den Protesten gegen den G8-Gipfel nur die Spitze sind. Wir erleben derzeit eine Remilitarisierung, die innerhalb der Linken bis zu einem gewissen Maße unterschätzt wird.

SB: Die Talkshow mit Kerner und Guttenberg in Afghanistan, die ihr vielleicht gesehen habt, war ein sehr bezeichnendes Beispiel.

CS: Ja, genau! Das sind Entwicklungen, die eine gesellschaftliche Tragweite haben, über die wir als Linke die Öffentlichkeit aufklären und gegen die wir massiv mobilisieren müssen.

CB: Ja, und wir sehen unsere Aufgabe nicht zuletzt darin, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Wir sollten dabei auch die Veränderung der Sprache berücksichtigen. Liest man beispielsweise die Unterrichtsmaterialien der Bundeswehr durch, ist darin fast ausschließlich von Frieden und Sicherheit die Rede. Wenn das Militär festlegt, was Krieg und was Frieden sei, hat dies fatale Konsequenzen nicht nur in Hinblick auf das Friedensthema, sondern generell auf gesellschaftliche Veränderungen. Begriffe wie Frieden werden nach Lesart der Bundeswehr daran gekoppelt, daß sich die westliche Form des Kapitalismus zur Not auch militärisch weltweit durchsetzen muß, weil so angeblich die Voraussetzungen für Frieden geschaffen werden.

SB: Ihr habt zur Demonstration gegen Thilo Sarrazin in Itzehoe aufgerufen. Die von ihm propagierte Islamfeindlichkeit führt dazu, daß sich die Muslime in Deutschland zu Recht in ganz besonderer Weise drangsaliert fühlen. In welchem Ausmaß würdet ihr mit muslimischen Verbänden zusammenarbeiten, was eine gegen die Islamfeindlichkeit gerichtete Politik betrifft?

CS: Grundsätzlich muß man vorausschicken, daß wir als Linke von Marx gelernt haben, daß Religion Opium des Volkes ist. Aber man kann, ohne sich aufs Glatteis zu begeben, sagen, daß die Ausbreitung der Islamophobie spätestens seit dem 11. September 2001 eine der zentralen Leitideologien der westlichen Welt geworden ist. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa und die USA, wenn man sich die populistische Bewegung eines Geert Wilders oder die Defence Leagues ansieht, wie auch die fundamentalistischen Christen in den USA. In der westlichen Welt herrscht die Auffassung vor, die christlich-jüdische Tradition sei das Normale und nicht zu hinterfragen. Man liest und hört unablässig, wie in der Regel zu Unrecht und mit ebenso gehaltlosen wie verheerenden Argumenten auf dem Islam herumgehackt wird, während niemand Probleme mit den Kreuzen in den Kirchen oder den Staatsverträgen mit christlichen Kirchen zu haben scheint. Dieses Wiederaufleben des christlichen Chauvinismus in der westlichen Welt muß verstärkt Gegenstand unserer Kritik werden. Wenn Karl Liebknecht gesagt hat, der Feind stehe im eigenen Land, könnte man das auch auf die hier herrschende Kultur übertragen. Man muß gar nicht erst die ganze christliche Geschichte mit ihren Kreuzzügen, den antijüdischen Pogromen, den antifeministischen Positionen aufarbeiten oder fragen, woher denn der Papst stammt, um eine angemessen Kulturkritik der westlichen Zivilisation zu leisten. Man kann z.B. die Dialektik der Aufklärung lesen und wird viel über das Unheil erfahren, das uns und der Welt genau diese Tradition eingebrockt hat.

Was die Islamophobie betrifft, kommt man nicht weiter, wenn man aus einer grundsätzlichen Ablehnung von Religion den Muslimen nicht dieselben Rechte wie den christlichen Glaubensgemeinschaften zugesteht. Das wäre eine falsche Antwort, weil sie die Ungleichbehandlung der Glaubensgruppen zementiert. Muslime sind gegenwärtig diejenigen, die vorrangig den westlichen Imperialismus aushalten müssen und die in den westlichen Staaten am stärksten drangsaliert werden. Wer ist in Abu Ghraib gefoltert worden? Wer sitzt in Guantànamo Bay? Wer wird in der Rasterfahndung aussortiert? Wer wird an Flughäfen zusätzlich der Leibesvisitation unterzogen und durchleuchtet? Es sind hauptsächlich Muslime. Oder nehmt die Jugendlichen in den Vororten französischer Städte, die systematisch der Repression ausgesetzt und marginalisiert werden. Sarkozy hat allen Ernstes diese Reaktionen auf soziale Probleme auf den Glauben und die Kultur der überwiegend migrantischen Jugend abgewälzt. Ich glaube, daß eine Selbstorganisation der Marginalisierten, wie sie beispielsweise Marcuse gefordert hat, dringend notwendig ist. Ein Aufstand wie in den Banlieues von Paris ist künftig auch in Deutschland möglich. Wir haben zu klären, wie wir uns solchen Bewegungen gegenüber verhalten, und ich bin der Auffassung, daß wir als Linke in diesen Bewegungen präsent sein müssen.

SB: Müßte man dann nicht auch aus linker Sicht die Frage vom Krieg der Zivilisationen und die Kulturfrage wieder zurückführen auf die eigentlichen Fragen, nämlich daß Kriege nach innen und außen im Namen der Religion geführt werden, aber die soziale Frage völlig ausgeblendet wird?

CB: Die soziale Frage wird völlig ausgeblendet, und das ist eine Entwicklung, die ich persönlich für sehr bedrohlich halte. Ein Problem ist, daß auch in Teilen der Linken, zum Beispiel in vielen Antifa-Gruppen, diese Verknüpfung viel zu wenig vorgenommen wird und dass die soziale Lage wie auch deren Konsequenzen nur unzulänglich analysiert werden. Eine strategische Ausrichtung auf das, was tatsächlich in der Bevölkerung geschieht, findet dann nicht statt. Was sich, angefangen mit Sarrazin, zu einer bedrohlichen Wolke aus Islamophobie zusammenbraut, ist doch ein großes Problem. Aber das Hauptproblem ist nicht die Person Sarrazin. Das Hauptproblem sind die Leute, die hinter Sarrazins Aussagen stehen, die Kleinbürger, auch wenn sie sein taktisches Vorgehen vielleicht für falsch halten. Unser ganz konkretes Problem besteht darin, daß soziale Schieflagen und die Konsequenzen der kapitalistischen Gesellschaft, unter denen die Menschen zu leiden haben, nicht in sozialen Protest, sondern nach rechts in islamophobe, antimuslimische Ideologie kanalisiert werden. Auf dieses Problem müssen wir reagieren, was die antifaschistische Linke in Deutschland wie gesagt meines Erachtens viel zu wenig tut.

Hier stellt sich die Frage der Bündnisse, um noch einmal auf die konkrete Arbeit einzugehen. Die Teile der Linken, die unter anderem mit christlichen Gruppen zusammenarbeiten, sind doch nun wirklich wesentlich größer als der Anteil islamischer Gruppen in linken Bündnissen und da wird sich viel weniger empört. Was Christian als Kampf von Marginalisierten angesprochen hat, gilt es auch in dieser Hinsicht aufzugreifen. Nicht die Einstellung der Religion als solcher gegenüber, sondern unsere politischen Analysen und Positionen, unsere politischen Strategien und Ziele sind ausschlaggebend dafür, mit welchen Gruppen wir Bündnisse eingehen. Das heißt noch lange nicht, daß man mit islamischen Gruppen per se zusammenarbeiten sollte, weil sie islamische Gruppen sind. Schließt man aber Bündnisse mit islamischen Gruppen, bekommt man aus Teilen der Linken sofort vorgehalten: "Aber was ist denn mit den Frauenrechten!" Dem müssen wir ganz klar entgegenhalten, daß es viele islamische Gruppen gibt, die aufgrund von ihren Positionen und aufgrund des Widerstands gegen ihre Marginalisierung wesentlich stärker als Bündnispartner gesucht werden müssen. Beispielsweise wurde in Hamburg organisiert vom AstA der HAW und vom SDS ein Seminar zum Thema antimuslimischer Rassismus durchgeführt. Das wäre ein solcher Ansatzpunkt, da viele unterschiedliche Leute, darunter auch linke Musliminnen, zusammengearbeitet haben. Wir müssen aufhören, diese Möglichkeit zu ignorieren, und an solchen Punkten verstärkt Bündnisse knüpfen.

CS: Zu diesem Themenkomplex gehört auch, daß wir innerhalb der Linken eine radikale Ideologiekritik leisten müssen. Schaut man sich die emanzipatorische Linke an, die sich aus der 68er Studentenrevolte heraus entwickelt und nach 1990 einen Wandel vollzogen hat, so sind die meisten der sogenannten "Antideutschen" aus antinationalen Gruppierungen hervorgegangen und somit Ausläufer, Nachfolger oder Erbfolger der Studentenbewegung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die historische Konstellation geändert, unter der die Post-68er Politik entwickelt haben. Die klassische emanzipatorische Politik wurde für Frauen, für Migranten, für Menschen mit anderer Sexualität erweitert, da sie in der alten Form nicht mehr fortgeführt werden konnte. Die ideologische Matrix der bürgerlichen Gesellschaft hat sich verändert und diesen Emanzipationsanspruch aufgesogen, für sich instrumentalisiert und fruchtbar gemacht. Wenn heute beispielsweise Frauen, die als klassische Vertreterinnen des Feminismus gelten, Kriege befürworten, die angeblich im Namen der Befreiung der Frauen in den entsprechenden Ländern geführt werden, oder wenn die Kritik am Antisemitismus dafür instrumentalisiert wird, Kriegsgegner mundtot zu machen, die keine Antisemiten sind, muß man dieser Formwandlung des emanzipatorischen Anspruchs entgegentreten. Moshe Zuckermann hat zur Instrumentalisierung der Antisemitismuskritik ein hervorragendes Buch geschrieben, und auch zu Frauenfragen gibt es diverse empfehlenswerte Bücher.

Das ist ein Problem, mit dem sich die Linke in Deutschland und ich glaube auch im Rest der westlichen Welt nicht befaßt hat. Der emanzipatorische Gehalt von Forderungen, die die Post-68er-Bewegungen gestellt haben, wurde für die bürgerliche Gesellschaft entleert und instrumentalisiert. Das ist eine Einsicht, aus der eine andere Praxis abzuleiten ist. Man kann nicht einfach immer weiter dasselbe machen wie die 68er, wenn man den Gehalt ihrer Forderung, die Emanzipation der Gesellschaft, retten will. Wie ich schon eingangs gesagt habe, müssen wir eine Integration anstreben und ein neues Verhältnis zwischen klassischer emanzipatorischer Politik und klassischer marxistischer Politik bestimmen.

SB: Das, finde ich, war ein gutes Schlußwort. Christin und Christian, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Christin Bernhold und SB-Redakteur - © 2011 by Schattenblick

Im Gespräch mit SB-Redakteur
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25. Januar 2011