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INTERVIEW/070: Eurokrake Sicherheit - Matthias Monroy zur Spitzelproblematik (SB)


Gespräch mit Matthias Monroy in Berlin am 30. Januar 2011


Matthias Monroy publiziert seit längerem zu Themen der EU-Sicherheitspolitik. Als auf dem Feld der Antirepressionsarbeit tätiger Aktivist ist er von der Unterwanderung linker Oppositionsbewegungen durch grenzüberschreitend eingesetzte Polizeispitzel zumindest mittelbar betroffen. Am Rande des entsichern-Kongresses in Berlin beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu diesem Problem.

Zivilpolizisten im Einsatz - © 2011 by Schattenblic

Mit Helm und zwangloser Kleidung - Strasbourg 4. April 2009
© 2011 by Schattenblick

Schattenblick: Matthias, du bist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Andrej Hunko, der eine Kleine Anfrage zum Einsatz des britischen Polizeispitzels Mark Kennedy alias Stone in Deutschland gestellt hat. Worum ging es dabei?

Matthias Monroy: Als Mark Kennedy Ende Oktober aufflog, wollten wir in Erfahrung bringen, wie der Einsatz von ausländischen verdeckten Ermittlern in Deutschland überhaupt und im betreffenden Fall geregelt ist. Die Auskunft war recht mager, man hat sich darauf beschränkt, unsere Frage nach der Rechtslage etwa unter Verweis auf den Prümer Vertrag oder bilaterale Abkommen zu beantworten. Dort ist zum Beispiel geregelt, ob derartige Personen "milieubedingte Straftaten" begehen dürfen, was nicht der Fall ist. Zu Mark Kennedy selbst haben sie aus "einsatztaktischen Erwägungen" weder positive noch negative Auskunft gegeben, was auch schon eine Auskunft war. Es war klar, daß da etwas dran sein mußte, von daher war die Anfrage nützlich. Man konnte später darauf aufbauen, zudem haben sich Journalisten an dem Material bedient. Kleine Anfragen sind ja auch dazu gedacht, dabei zu helfen, ein Thema groß zu machen.

SB: Nun sollen die Landeskriminalämter für Kennedys Einsatz zuständig gewesen sein, wie BKA-Chef Jörg Ziercke angibt. Handelt es sich dabei um ein Ausweichmanöver?

MM: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin ziemlich sicher, daß das stimmt, weil die Internationalisierung des Spitzelaustauschs mit neuen Arbeitsgruppen einhergeht. So gibt es zum Beispiel auf der EU-Ebene eine Arbeitsgruppe namens European Cooperation Group on Undercover Activities (ECG), die vermutlich auf der Ebene der Polizeichefs angesiedelt sein wird, die sich regelmäßig im europäischen Rahmen treffen. Dazu werden auch das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt, nicht jedoch die Landeskriminalämter eingeladen. Insofern wird die Auskunft, daß das BKA das lediglich vermittelt hat, stimmen. Dies hat auch der Innenminister Baden-Württembergs, Heribert Rech, erklärt, und dies wird auch der Innenminister Lorenz Caffier für Mecklenburg-Vorpommern bestätigen.

Man kann sich das Szenario wahrscheinlich so vorstellen: Im Mittelpunkt steht Knut Abramowski, Leiter der BAO Kavala, damals als Sonderpolizeibehörde der Polizeidirektion Rostock nachgeordnet. 2005 fängt man an, sich auf den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm vorzubereiten. Kavala gab es 2005 noch nicht, aber es gab eine Vorläuferorganisation, und es war von vornherein klar, daß Abramowski Leiter dieser Sonderpolizeibehörde wird. Abramowski fährt 2005 nach Hongkong zum WTO-Gipfel und fährt nach Gleneagles zum G8-Gipfel und schaut sich an, wie das da so gemacht wird. Er reist wahrscheinlich nicht alleine, sondern wird von bestimmten leitenden Polizisten begleitet. Dort hat man dann Kennedy bestellt. Dort hat man gesagt: Bei uns findet ein G8-Gipfel statt, wir wollten mal sehen, wie ihr das macht, wir erwarten Straftaten, verdeckte Ermittler wären schon gut, habt ihr da welche?

Daß verdeckte Ermittler eingesetzt werden, ist ja nicht neu! Das Neue daran scheint mir zu sein, daß es diesen Pool gibt. Abramowski hat den Einsatz wahrscheinlich angebahnt, das deckt sich nach unserem Wissen zeitlich in etwa. Ab 2005 war Mark Kennedy sehr viel in Kontinentaleuropa unterwegs. 2004 war er eher in Irland, 2005 in Großbritannien, auch wenn er sich gelegentlich schon in Westeuropa befand. Etwa zwei Jahre vor dem NATO-Gipfel 2009 hat sich dann das LKA Baden-Württemberg an irgendeiner Stelle wie etwa der Innenministerkonferenz mit den Beamten von Kavala unterhalten und überlegt, wie man sich darauf vorbereitet. Da gibt es viele Gemeinsamkeiten wie die Frage des Datenaustausches, der Einrichtung von Gewahrsamszellen oder des Verhängens von Versammlungsverboten.

Die Versammlungsverbote wurden für Kavala von derjenigen Fachfrau begründet, die das immer im Wendland macht. Sie wurde vom dortigen Regierungspräsidium zur Kavala beordert, um die Versammlungsverbote auszufertigen, also so gibt es eine Zusammenarbeit, die wird es mit den Spitzeln auch gegeben haben. Man fragt sozusagen: Habt ihr einen Spitzel, der in der Szene drin ist? - Ja, ja, haben wir - Ach, ist ja super - Wir haben sogar gleich drei aus Großbritannien, die werden von einer halbprivaten Organisation geführt, damit entfällt auch ein bißchen Kontrolle, das ist ganz praktisch.

Es ist schon möglich, daß das BKA an irgendeiner Stelle die Koordinierung gemacht und es in diese Koordinierungsgruppe auf EU-Ebene hereingetragen hat, daß es dort erfahren hat, daß es jetzt noch einen zweiten oder dritten Spitzel gibt, die man auch noch darauf ansetzen kann. Interessant an dem NATO-Gipfel ist seine grenzüberschreitende Organisation. Die deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Sicherheitsgebiet wurde als besonders erfolgreich dargestellt und gelobt. Die beiden dort eingesetzten Spitzel Marco Jacobs und Mark Kennedy haben auch an den Vorbereitungstreffen, die zumeist auf französischer Seite stattfanden, teilgenommen. Das heißt, daß auch die französischen Behörden involviert waren.

SB: Könntest du dir vorstellen, daß der Internationalisierung des Protests behördlicherseits auf diese Weise entgegengearbeitet wird, zumal ausländische Spitzel den Vorteil haben, daß ihre Legende schwerer zu überprüfen ist?

MM: So haben sie es ja gesagt. Während wir uns abgemüht haben, das Camp aufzubauen, die Mobilisierung in den letzten Zügen lag und es klar wurde, daß im Mai 2007 ein riesengroßer Protest stattfinden wird, da gab es plötzlich noch drei Wochen zuvor Durchsuchungswellen. Die Razzien erfolgten genau zu der gleichen Zeit, als die deutsche Ratspräsidentschaft zu Ende ging. Man hat formal noch einmal nachgeholt, was sowieso längst Praxis war, nämlich den grenzüberschreitenden Spitzelaustausch zu standardisieren. Es gibt einen bekannt gewordenen Vermerk der deutschen EU-Präsidentschaft 2007, in dem erklärt wurde, daß sich diese Praxis bestens bewährt habe und man jetzt einmal sehen müsse, daß man das angleicht.

Dabei geht es zum Beispiel um Fragen wie die Legendierung. In Deutschland werden verdeckte Ermittler nicht vor Gericht zitiert, sondern sie werden kodiert. Das heißt, sie dürfen nicht enttarnt werden. Das ist nicht in allen Ländern so. Wie wir zum Beispiel in Österreich gesehen haben, werden dort verdeckte Ermittler vorgeladen. Deshalb wird Deutschland Österreich keine Spitzel ausleihen. Ein anderes Beispiel ist die Frage der Zuständigkeit bei Gesetzesübertretungen, ob diese im Entsendeland oder im Empfangenenland justiziabel gemacht werden. Die Standardisierung derartiger Fragen ist noch nicht abgeschlossen, aber Deutschland hat diese Initiative damals auf den Weg gebracht. In dem Vermerk steht auch, daß die erfolgreiche Praxis gezeigt habe, daß die verdeckten Ermittler schwerer enttarnt werden können. Da kann man natürlich nur mutmaßen warum, aber es liegt auf der Hand, daß die Legende schwerer überprüfbar ist, wenn der Spitzel aus dem Ausland kommt.

Ich finde die Frage, wie man damit umgeht, total schwierig zu beantworten, weil das Mißtrauen natürlich einen zersetzenden Aspekt hat. Die grenzüberschreitende Vernetzung, die unsere Stärke war, kommt plötzlich als Bumerang zurück und verwandelt sich in grenzüberschreitendes Mißtrauen. Das ist natürlich sehr unangenehm. Ich möchte das nicht in dem Sinne fördern, daß ich Verdachtsmomente herauskristallisiere, auf die man besonders zu achten hat. Trotzdem fällt mir eine Sache auf, die ich wichtig finde. Mark Kennedy hatte stets sehr viel Geld. Er hat selbst angegeben, bis zu 300.000 Euro im Jahr zu verdienen. Wenn er fast sein gesamtes Leben in einer falschen Identität verbringt, dann will er natürlich von diesem Wohlstand auch dort etwas haben und verfügt über ein Auto, über Rechner, eine teure Uhr und alle möglichen kostspieligen Dinge. Aber das ist gar nicht einmal das wirklich Auffällige. Zu der Legende gehört immer auch, daß die Leute irgendwann auf Urlaub gehen. Sie sind regelmäßig abwesend. Sie sind LKW-Fahrer, sie sind Drogenschmuggler, sie sind depressiv, also irgend etwas, wo man dann immer wieder weg ist und was auch absoluten Sinn macht.

So verfügte Kennedy über die Legende eines Drogenkuriers, was den Vorteil hatte, daß man heimlich tat und eigentlich nicht drüber sprechen durfte. Dafür versprach er etwas mitzubringen, was er eben auch wirklich gemacht hat. Bei einem einheimischen Spitzel wie Simon Brunner alias Bromma fällt es natürlich auf, wenn man mit ihm zusammen in einer Politgruppe sitzt und er schon wieder weg ist. Solche Verdachtsmomente entstehen sehr viel eher bei einem verdeckten Ermittler, der an einem festen Ort wohnt und dort auch hauptsächlich aktiv ist. Ein Mark Kennedy, der zum Gipfel oder zum Vorbereitungstreffen anreist und dann wieder weg ist und dann in seiner britischen Gruppe erzählt, er sei auf dem Kontinent bei dem Vorbereitungstreffen gewesen und dort auch wieder verschwindet, bei dem niemand genau weiß, ob er nun eine Woche länger wegbleibt oder wo er überhaupt gerade ist, der ist einfach ganz schwer zu fassen. Das meine ich, ist der Hintergrund dieses Vermerks der deutschen Ratspräsidentschaft.

SB: Zuletzt hat sich herausgestellt, daß Indymedia in England von den Sicherheitsbehörden massiv mit gefälschten Nachrichten unterwandert wurde. Kannst du dir vorstellen, daß es sich bei alledem um eine absichtliche Strategie der Verunsicherung und Spaltung handelt, die bis hin zur möglicherweise in Kauf genommenen Enttarnung von Spitzeln reicht, daß also Überlegungen angestellt werden, wie man das Mißtrauen so schüren kann, daß die AktivistInnen handlungsunfähig werden?

MM: So wie du die Frage stellst, glaube ich das nicht. Ich muß allerdings dazu sagen, daß ich mich noch nicht so lange mit Spitzeln beschäftige, sondern dies erst seit diesem Fall intensiv tue. Ich bin also nicht geschichtsfest, bin aber schon der Ansicht, daß man unterscheiden muß zwischen verdeckten Ermittlern der Polizei und verdeckten Ermittlern der Geheimdienste, also in Deutschland des Verfassungsschutzes. Ich würde sagen, beim Verfassungsschutz ist jeder Ansprechversuch, auch wenn er scheitert, trotzdem erfolgreich. Auch wenn die Leute nicht kollaborieren, ist die Szene verunsichert. Das glaube ich bei den Polizeispitzeln nicht. Deren alleroberste Priorität scheint mir zu sein, ihre Legende zu schützen. Wenn die auffliegt, dann ist nicht nur der Spitzel verbraucht, dann wirft es ein schlechtes Licht auf die Polizei. Ich glaube auch, daß es Handlungsanweisungen dazu gibt, was bei einer Enttarnung zu tun ist. Dabei wird ganz oben stehen, was bei Polizisten wahrscheinlich immer ganz oben steht, rette dein Leben. Zur Not erzähle irgend etwas, aber rette dein Leben.

Das ist meiner Ansicht nach der Grund, warum Kennedy und Bromma auch ein wenig preisgegeben haben. Um es in meinen Worten zu sagen, saßen bei der Enttarnung ein paar Leute im Raum näher an der Tür als sie. Ich glaube nicht, daß die Spitzel in dem Sinne zur Verunsicherung eingesetzt wurden. Allerdings besteht zumindestens bei Marco Jakobs ein anderer Verdacht. Er hat sowohl in Großbritannien als auch bei der NATO-Mobilisierung, wie im Nachhinein aufgefallen ist, versucht, die Gruppen zu spalten. Ich weiß es nicht im Einzelnen, aber habe das zumindest von Leuten aus seiner Gruppe in Brighton und aus der NATO-Vorbereitung gehört, daß er dort überhaupt nicht auf konstruktive, sondern eher destruktive Weise beteiligt war.

SB: Das Thema Agents provocateurs wird gerne in den Bereich der Verschwörungstheorien verschoben. Es hat sich aber immer wieder gezeigt, daß Spitzel durchaus das produzieren, was nachher strafrechtlich verfolgt wird. So sind nicht nur im linken Milieu, sondern auch mehrere im Bereich der NPD vom Verfassungsschutz geführte Informanten dadurch aufgefallen, daß sie im Einsatz Rechtsbrüche begangen haben. Meinst du, daß so etwas eher in der individuellen Verantwortung des jeweiligen Ermittlers erfolgt oder es sich eher um einen systematischen Ansatz handelt?

MM: Das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht so genau. Da würde vielleicht ein Vergleich zwischen Bromma und Kennedy lohnen. Bromma kommt sehr zivil daher, so ein junger, fröhlicher Typ, der überall dabei ist und dem man vertraut. Kennedy war eher so der Kühle, man spricht nicht über die Dinge, weil er überall seine Finger drin hat, der jede Gelegenheit zur Party mitnimmt, ein ausgiebiger Drogenkonsument, der übrigens auch Koks und Heroin verschenkt oder verkauft hat, ein gern gesehener und wohl auch guter DJ auf Parties, also eher ein Lebemann. Möglicherweise hat Kennedy auch ein wenig aus dem Grund mitgemacht, um sich ausleben zu können.

Ich habe von der Enttarnung Brommas gehört, daß Leute wie er auch ein wenig schizophren sein müssen mit ihren zwei Identitäten. In der Enttarnung wurde er plötzlich ganz sachlich und hat gesagt: Ja, ich habe Dossiers angelegt, Akten, Nachweise über folgende Personen. Dann war er plötzlich wieder Brenner, der sagte: Scheiße, es tut mir wirklich total leid, ihr geht ja auch irgendwie fair mit mir um, ich will auch fair mit euch umgehen und so weiter.

Ich kann mir vorstellen, daß Kennedy natürlich auch etwas ausgelebt hat. Es macht ja auch Spaß, so voll dabei zu sein und dann irgendwie auch noch diese Sex-Schiene, die zumindest für mehrere Länder bekannt ist und daß dazu auch noch ein bißchen gehört: Jetzt zünde ich mal eine Mülltonne an, und wenn die mich verhaften, dann holt mich mein Führungsoffizier, der nebenan im Hotel sitzt, eh wieder heraus. Das ist eine Interpretation und eine naive Sicht auf die Dinge, und ich neige auch eher zu dem, weil ich das andere nicht weiß. Man muß wirklich aufpassen mit Verschwörungstheorien. Es kann natürlich sein, daß Kavala oder irgendwer ihm eine Weisung erteilt hat: Radikalisier' das Ganze, trag' mit dazu bei, wir brauchen einen Grund, um draufhauen zu können und um zum Beispiel den Sternmarsch zu verbieten.

Das ist eine interessante Verbindung. 2007 wurde der Sternmarsch unter Verwendung einer Vielzahl falscher Informationen verboten. Im Eilverfahren haben sich das Gericht und das Bundesverfassungsgericht darauf berufen, daß jetzt nicht prüfen zu können und sich darauf verlassen zu müssen, was ihnen die Polizei vorlegt, so daß der Sternmarsch nach Sicht der Dinge untersagt bleiben muß. Da kann man natürlich fragen, ob Kennedy daran beteiligt war, eine solche Stimmung zu schaffen. Da ist es natürlich doch wieder interessant, daß er bei militanten Geschichten gesehen wurde. Es ist auffällig, daß er versucht hat, Leute zu infiltrieren, die Blockaden gebaut und Lock-Ons eingerichtet haben und die sich dann gewundert haben, warum die Bullen so schnell da waren.

BKA-Chef Ziercke hat ja auch gesagt, daß Kennedy in Berlin gar nicht aktiv war und dort nur hingefahren sei, um seine Legende zu bilden, was nicht stimmt. Kennedy hat in der Daily Mail selbst erklärt, daß er aus Berlin nicht nur berichtet, sondern Beweismittel nach Großbritannien mitgebracht hat. Die Daily Mail berichtete über ein Handbuch, in dem erklärt werde, wie man Brandsätze baut. So etwas erscheint in Berlin ungefähr monatlich und wird dann konfisziert. Vielleicht war es ein Vorläufer dieser Zeitschrift "Prisma", in der am Beispiel von direct action tools noch einmal etwas aus 20 Jahren Widerstandsgeschichte zusammengetragen wurde. Ich glaube nicht, daß es ein klandestines Dokument war, von dem es nur wenige Exemplare gibt, wie die Daily Mail behauptet hat. Kennedy hat auch beschrieben, wie es abhanden gekommen ist. Nachdem er es seinem Führungsoffizier übergeben hatte und dann irgendwann wiederhaben wollte, erklärte dieser, daß seine Sekretärin das Dokument aus Versehen geschreddert habe. Als er mit leeren Händen zurückkehrte, hat er dann zerknirscht gesagt, es wäre ihm an der Grenze abgenommen worden. Dieser Vorfall hätte ihn sehr dabei behindert, weiter in diese Gruppe einzudringen, weil ihm plötzlich nicht mehr so recht getraut wurde. Dabei ging es um Berlin. Also Ziercke lügt oder irgendwer lügt.

SB: Kennedys sexuelle Beziehungen werden relativ in den Vordergrund gespielt in den Medien. Ich frage mich mehr, was überhaupt bei Menschen geschieht, die ein Vertrauensverhältnis zu einem Spitzel haben, das über informelle Kontakte hinaus in Freundschaft übergeht. So wurde Simon Bromma teilweise zu Eltern von AktivistInnen nach Hause eingeladen, es gab also sehr enge Kontakte.

MM: Er hat Wohngemeinschaften und die Wohnungen seiner FreundInnen gescannt und detailliert darüber berichtet, was sich darin befand und wo genau es stand.

SB: Was könnten eigentlich Strategien sein, anhand derer AktivistInnen einen solchen Vertrauensbruch verarbeiten und Möglichkeiten entwickeln, sich überhaupt darüber klar zu werden, mit wem man es eigentlich zu tun hat?

MM: Ich kann zwar nicht aus persönlicher Betroffenheit sprechen, da ich Mark Kennedy nur sehr vage kannte. Aber ich stelle mir vor, daß es ein extrem schlimmes Gefühl ist, wenn die Person, die jahrelang dein bester Freund war, womöglich sogar deine Liebesbeziehung, dich so massiv täuscht. Es muß sich ja auch ein wenig so anfühlen, als sei die Person plötzlich weg, als existiere sie nicht mehr, als sei sie gestorben. Hinzu kommen Schuldgefühle, weil man mit der Unterstützung dieser Person nicht nur sich selbst, sondern auch seine Freunde ans Messer geliefert hat. Natürlich kannst du nichts dafür, aber im Nachhinein wird dir klar, daß du unwissentlich die Brücke warst, über die Informationen in die Hände der Polizei gefallen sind. Man empfindet ja auch Schuld für Dinge, mit denen man gar nichts zu tun hatte, daher stelle ich mir das schon als eine Art Traumatisierung vor.

Wie damit umgehen weiß ich auch nicht so genau. Man muß jetzt schon einmal sagen, es steht schon im Moment 5:0 für uns. Die Spitzel in Großbritannien sind ja gepurzelt wie die Dominosteine, und das hat ganz bestimmt für Verunsicherung gesorgt und wird sicherlich auch auf Polizeiebene aufgearbeitet. Ich glaube, es wäre ganz gut, dieses Vakuum ein wenig zu nutzen, um das aufzuarbeiten, um zu fragen, wie sinnvoll es ist, wenn sich eine AG Nachermittlungen Zugang zu einem Mailaccount verschaffen kann. Das wird wahrscheinlich eine Ausnahme bleiben, aber jetzt haben sich Leute in Großbritannien mit dem Fall beschäftigt, und das hat es auch in Deutschland gegeben.

Da kann man Erfahrungen sammeln, aber ohne Kriterien aufzulisten, nach denen Leute in Verdacht geraten oder nicht. Irgendwie einen Weg finden, um einen fairen Umgang damit herzustellen, an dem es mangelt. Wenn man Unbehagen einer Person gegenüber entwickelt und es anderen genauso geht, wenn man womöglich anfängt, darüber zu sprechen und einen Verdacht in die Welt setzt, dann finde ich, ist man auch moralisch dazu verpflichtet, den Verdacht entweder zurückzunehmen oder zu bestätigen. Wenn so etwas einmal in der Welt ist, dann bleibt der Makel haften. Das ist ungefähr wie eine Veröffentlichung im Internet, die du nicht mehr entfernen kannst. Es muß irgend jemanden geben, der oder die das überprüft, und das kann eigentlich nur mit einem offenen Umgang geschehen. Wenn Leute einen Verdacht haben, dann sollten sie das gegenüber der betroffenen Person sagen. Vielleicht gibt es taktische Gründe, damit noch zwei Wochen zu warten, aber ansonsten sollte man schon auf zugewandte Weise versuchen, dieser Person gegenüber zu artikulieren, was einen an ihr irritiert und ob sie das nicht aufklären könne. Das kommt natürlich komisch an und ist für alle Beteiligten problematisch, und das ist erst recht für die ausgefragte Person unangenehm. Ich halte es jedoch für einen besseren Umgang, als so etwas auszusitzen und nach zwei Jahren zu merken, daß diese Person doch okay ist, sie aber zwei Jahre damit leben mußte, daß die Leute in der Szene sie irgendwie nicht an sich herankommen ließen.

SB: Ich möchte noch einmal auf die andere Seite zu sprechen kommen: Der Staat setzt Leute an einer vermeintlich inneren Front ein, deren Beruf es ist, sich zu verstellen, erwartet aber gleichzeitig von ihnen Loyalität. Genaugenommen kann er sich nicht auf Personen verlassen, deren Leistungsmerkmal darin besteht, gut betrügen und lügen zu können. Wenn er sich auf solche Qualitäten stützt, dann muß man im Grunde genommen davon ausgehen, daß die staatlich propagierten Werte nichts wert sind.

MM: Über das Abgeordnetenbüro hatten wir den wissenschaftlichen Dienst einmal beauftragt zu untersuchen, wie es sich völkerrechtlich mit dem Praktizieren von Sexualität unter Vortäuschen falscher Tatsachen verhält und ob es nicht auf den Straftatbestand des non-consensual sex handelt. Dabei kam heraus, daß es sich wahrscheinlich schon um eine Verletzung der Privatheit der Sexualsphäre handelt. In diesem Zusammenhang wurde beschrieben, wie dieses Lügen, Tricksen, Täuschen und sich sozusagen unsichtbar dazu führt, daß man das Vertrauen einer Gruppe erwirbt, das man wieder ins Feld führen kann, um auf das Treffen einer anderen Gruppe zu gelangen und ähnliches. Wie geschickt, ja listig solche Leute auch immer vorgehen, ändert nichts daran, daß man den von ihnen verfaßten Berichten traut und sie als 100prozentige Wahrheit nimmt.

Da steht dann womöglich drin: Ich bin hier im Camp, hier werden Kartoffeln mit Nägeln gespickt, hier wird mit unbekannten Flüssigkeiten hantiert, die in Pistolen gefüllt werden, hier werden Fahrradschläuche mit Steinen gefüllt, womit womöglich Polizisten verdroschen werden sollen, hier sind kistenweise Fahrradschläuche angekommen. Das sind ja die Meldungen, mit denen der Sternmarsch verboten wurde. Es ist eine sehr interessante Frage, ob die Meldungen von den verdeckten Ermittlern kamen. Woher denn sonst? Natürlich gibt es auch noch Informanten und Vertrauenspersonen, also Leute aus der Szene, die für Geld Informationen an die Bullen liefern, die aber keine Polizisten sind. Das mag schon sein, daß es von denen kam, aber ich fände es wichtig, diese Frage noch zu klären. Zudem finde ich es interessant, juristisch in die Tiefe zu gehen und Auskunft darüber zu verlangen ob irgendeine dieser Informationen, die beim Verfassungsgericht gelandet und im Schriftsatz zum Sternmarschverbot enthalten sind, von Mark Kennedy stammt. Wahrscheinlich werden sie Unkenntnis vorschützen oder behaupten, die Information sei längst gelöscht oder ähnliches.

SB: Matthias, vielen Dank für das Gespräch.

Demonstrant und Aktivist der Clown's Army - © 2011 by Schattenblick

Unsichtbar im Maskentanz - Strasbourg 4. April 2009
© 2011 by Schattenblick

5. Februar 2011