Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

INTERVIEW/095: Petersberg II - Gesine Lötzsch, Parteivorsitzende DIE LINKE (SB)


Interview mit Gesine Lötzsch am 3. Dezember 2011 in Bonn

Sissy Vouvou, Gesine Lötzsch, Christine Buchholz - Foto: © 2011 by Schattenblick

Gesine Lötzsch beim "Fest des Widerstands"
Foto: © 2011 by Schattenblick
Im Anschluß an die Demonstration gegen die Afghanistankonferenz in Bonn am 3. Dezember luden die Partei DIE LINKE und die Europäische Linke (EL) zum "Fest des Widerstands". Die Veranstaltung an Bord der am Rheinufer liegenden MS Beethoven begann mit einer Podiumsdiskussion, an der Sissi Vouvou von der Occupy-Bewegung in Griechenland, Isaiah Toney von der Occupy Wall Street-Bewegung in den USA, die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, und die Bundestagsabgeordnete der Linken, Christine Buchholz, teilnahmen.

Nach den Berichten von den Aktivitäten der Occupy-Bewegung in den USA und Griechenland bezog Gesine Lötzsch Stellung zur innerparteilichen Debatte um die Frage, inwiefern die Kritik an den maßgeblichen Akteuren und Nutznießern der kapitalistischen Krisenpolitik personalisiert werden dürfe. Sie betonte, daß Entscheidungen letztendlich immer von Menschen getroffen würden und man diese daher auch zur Verantwortung ziehen sollte. Wer Interessen durchsetze, die zu Lasten ganzer Bevölkerungen gingen, sollte nicht den Schutz der Anonymität genießen, sondern auch persönlich Rechenschaft über seine politische oder ökonomische Einflußnahme ablegen.

An die Angehörigen der Occupy-Bewegung gerichtet warnte sie vor der positiven Resonanz, die ihren Aktivistinnen und Aktivisten von Institutionen und Unternehmen entgegengebracht wird, die selbst Ziel des Widerstands sind. Diesem "Ersticken durch Umarmung" sei mit deutlicher Kritik an den herrschenden Mißständen entgegenzutreten, die auch dann völlig legitim sei, wenn sie nicht von eigenen Lösungsvorschlägen begleitet werde. Man sei berechtigt, grundsätzliche Einwände zu artikulieren, selbst wenn man keine detaillierten Alternativen vorzulegen habe. Diese immer wieder an die Adresse sozialer Bewegungen erhobene Forderung laufe ebenfalls auf den Versuch hinaus, den von ihnen ausgehenden Widerstand zu schwächen.

Das "Fest des Widerstands" habe auch die doppelsinnige Bedeutung, fest im Widerstand zu sein, mahnte Lötzsch zum Ausklang der fast zweistündigen Podiumsdiskussion. Jede gesellschaftliche Veränderung beginnt mit Empörung, so die Vorsitzende der Linkspartei unter Verweis auf Stéphane Hessel, und wer sich nicht in seinem Protest beirren läßt, sondern an seinem Anliegen festhält, der werde erfahren, daß sich Widerstand lohnt. Mit einem Konzert der Bots und Microphone Mafia klang der ereignisreiche Tag in der ehemaligen Bundeshauptstadt aus.

Unmittelbar vor der Veranstaltung an Bord der MS Beethoven beantwortete Gesine Lötzsch dem Schattenblick einige Fragen.

Gesine Lötzsch - Foto: © 2011 by Schattenblick

Im Interview
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Auf welche Weise unterscheidet sich die Position der Linkspartei nicht nur zum Afghanistankrieg, sondern auch zum jüngsten Krieg in Libyen wie zu den möglicherweise drohenden Kriegen gegen den Iran und Syrien vom Standpunkt der anderen Parteien?

Gesine Lötzsch: Wir als Linke haben die eindeutige Position, dass mit Krieg kein Frieden zu schaffen ist. Krieg kann kein Mittel zur Lösung von Problemen sein. Krieg führt immer zu Unrecht, verletzt und tötet unschuldige Menschen. Krieg ist immer auch eine riesige Natur- und Umweltkatastrophe. Unsere Position ist ganz klar: DIE LINKE ist eine Friedenspartei.

SB: Im Fall des Libyenkriegs ist die merkwürdige Situation eingetreten, daß der deutsche Außenminister, Herr Westerwelle, die Beteiligung Deutschlands am Krieg, wohl nach Absprache mit der Bundeskanzlerin, verweigert hat und dafür von den Grünen und auch der SPD harsch kritisiert wurde. Was halten Sie von dieser merkwürdigen Entwicklung, daß die liberal-konservative Regierung von einer rot-grünen Opposition rechts überholt wurde?

GL: So merkwürdig ist die Entwicklung eigentlich nicht, denn der erste Krieg, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder mit deutschen Soldaten geführt wurde, war der Jugoslawienkrieg. Dieser Krieg ist unter Rot-Grün beschlossen worden. Aber es war völlig richtig, dass sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Einrichtung der Flugverbotszonen in Libyen enthalten und damit nicht zugestimmt hat. Man hat ja auch gesehen, dass es eine völlig ziel- und konzeptionslose Aktion war, bei der es keinerlei Ideen und Vorstellungen gab, wie man Probleme lösen will. Deshalb haben wir Außenminister Westerwelle an dieser Stelle gegen Rot-Grün verteidigt.

SB: Auf der Afghanistan-Demonstration ist es heute zu einem kleinen Zwischenfall gekommen. Beim Auftritt von Herrn Ströbele gab es nicht nur einen Eierwurf, sondern auch lautstarke Rufe mit der Forderung, daß er dort nicht sprechen soll. Herr Ströbele gilt innerhalb der Grünen durchaus als Vertreter der Friedensbewegung, allerdings hat er jüngst den Antrag der Grünen zur Geschlechtergerechtigkeit in der Bundeswehr mit unterzeichnet, in dem es darum geht, daß mehr Frauen in die Streitkräfte sollen. Meinen Sie, daß so ein Politiker tatsächlich auf einer Friedenskundgebung sprechen sollte?

GL: Herr Ströbele hat, so weit ich mich erinnere, im Bundestag immer gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr gestimmt, und von daher hat er eine eindeutige Position. Den von Ihnen erwähnten Antrag würde ich nicht als einen Antrag in Richtung Krieg einordnen. Natürlich ist klar, dass sich Herr Ströbele auch kritischen Fragen stellen muss. Ich finde jedoch Eierwürfe oder andere Demonstrationen des Unmuts gegen ihn nicht angemessen. Er sollte auf jeden Fall seine Position vertreten dürfen. Allerdings ist die Frage auch an ihn erlaubt, wieso er noch Mitglied der Grünen ist. Er hat zwar persönlich gegen alle Kriegseinsätze gestimmt, aber das hat keinerlei Einfluss auf die Position der Grünen insgesamt. Da ist natürlich klar, dass er nicht nur ein einzelner Abgeordneter ist, sondern Vertreter einer Partei.

SB: Wie steht die Linke generell zur Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit in der Bundeswehr, was sich ja dahingehend auswirkt, daß mehr Frauen Soldatinnen werden?

GL: Wir sind generell für Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft, aber ich würde jedem jungen Mann und jeder jungen Frau empfehlen, einen zivilen Beruf zu ergreifen. Ich mache mir allerdings große Sorgen, dass in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit, zum Beispiel in Ostdeutschland oder Norddeutschland, junge Menschen als einzigen Berufsweg die Bundeswehr sehen. Das ist einer zivilen Gesellschaft nicht angemessen. Wir brauchen mehr Angebote. Aber die Frage der Geschlechtergerechtigkeit auf die Bundeswehr zu verkürzen, halte ich für falsch. Ich glaube nicht, dass die Bundeswehr ziviler wird, wenn dort mehr Frauen dienen. Eine Armee ist eine Armee. Und daher kann die entscheidende Frage nur sein, jungen Menschen Möglichkeiten anzubieten, eine zivile Berufslaufbahn einzuschlagen.

SB: Herr Lafontaine war einer der ersten prominenten deutschen Politiker, der die Demokratiebewegung in Ägypten öffentlich begrüßt hat. Inzwischen hat sie mit ihren eigenen Widersprüchen zu kämpfen, der Libyenkrieg wurde geführt, und die Rolle der USA und EU in Ägypten ist mindestens ambivalent, wenn nicht dubios. Wie verhält sich Ihrer Meinung nach die Entwicklung dort in Bezug zum globalen Anwachsen ziviler Formen des Widerstands. Es gibt inzwischen auf der ganzen Welt Protestbewegungen, die die soziale Frage erneut stellen. Sehen Sie da einen Zusammenhang zu den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens? Und wie sollte die EU Ihrer Ansicht nach darauf reagieren?

GL: Der entscheidende Punkt ist: Weder die EU noch andere Länder sollten sich einmischen und mit finanziellen Mitteln versuchen, Leute, die ihnen genehm sind, zu positionieren. Wir sprechen ja vom arabischen Frühling. Wir sprechen davon, dass viele Leute mit den Diktatoren nicht mehr einverstanden waren. Die große Frage ist, was kommt danach? Wen unterstützt man und was sind demokratische Bewegungen? Wir sehen immer nur Ausschnitte im Fernsehen oder in den Medien und müssen sehr vorsichtig sein mit endgültigen Beurteilungen. Wir betrachten politische Entwicklungen meist nur aus dem Blickwinkel Westeuropas, der EU. Wir müssen die Zivilgesellschaft unterstützen und stärken, aber wir dürfen nicht versuchen, eigene Machtpositionen dort einzunehmen.

SB: Die Linke hat inzwischen ihr erstes Parteiprogramm verabschiedet. Für wie tragfähig halten Sie diesen innerparteilichen Frieden, der in großen Zügen ein Kompromiß zwischen miteinander streitenden Fraktionen zu sein scheint? Meinen Sie, daß Die Linke darauf aufbauen kann?

GL: Ein Kompromiss ist erst einmal nichts Schlechtes, denn er bedeutet, dass die verschiedenen Seiten miteinander diskutiert und gemeinsam Vorschläge erarbeitet haben. Ich bin sehr zufrieden, dass 97 Prozent der Delegierten auf dem Parteitag in Erfurt für das Programm gestimmt haben. Ich halte das für eine sehr gute Grundlage für unsere weitere Arbeit. Aber die entscheidende Frage ist natürlich, wie wir unser Programm umsetzen. Wir können es jetzt nicht in die Schublade legen und sagen, jetzt haben wir ein Programm und das war's. Jetzt sind viele gute Ideen gefragt. Wir sprachen gerade über Friedenspolitik, da ist es ganz wichtig, dass wir auch öffentlich zeigen, wofür wir stehen, wie zum Beispiel auf der Kundgebung in Bonn. Zudem glaube ich, dass sich unser Programm bestens dazu eignet, Kernanliegen wie Demokratie, Gerechtigkeit, Transparenz und Offenheit umzusetzen. Zentral ist immer die Eigentumsfrage. In unserem Programm wird gefordert, öffentliches Eigentum zu verteidigen oder zurückzuholen. Man kann natürlich in den Kommunen, in denen die Konzessionsverträge für Gas, Wasser usw. nach 20 Jahren auslaufen, diese in die eigene Kompetenz zurückholen oder in Genossenschaften aktiv werden. Das ist für mich eine aktive Umsetzung des Programms.

SB: Inwieweit spielen die Kampagnen, die in diesem Jahr in einem immensen Ausmaß gegen die Linkspartei gefahren wurden - die Kommunismusdebatte, die direkt mit Ihnen zu tun hatte, und der Antisemitismusvorwurf sind nur die beiden herausragenden Beispiele -, in die innerparteiliche Debatte hinein? Was wäre aus Ihrer Sicht sinnvoll, seitens Der Linken dagegen zu unternehmen?

GL: Die entscheidende Lehre für DIE LINKE ist, dass sie sich nicht gleich von jedem Rauschen im Blätterwald verrückt machen lässt und die eigenen Positionen mit mehr Selbstbewusstsein darstellt. Wir dürfen nicht darauf hoffen und warten, von bestimmten Medien gelobt zu werden. Wenn man sich innerparteilich nicht gegeneinander aufbringen lässt, dann verlieren Medien sehr schnell das Interesse.

SB: Sie hatten in ihrer Rede auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz unter anderem dafür geworben, durchaus auch einen Dialog mit der etwas radikaleren Linken zu eröffnen. Inwiefern gilt das auch im Zusammenhang zum Beispiel mit der Occupy-Bewegung? Was tut die Linke dafür, um mit solchen Bewegungen in Dialog zu treten und vielleicht sogar Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln?

GL: Wir werden heute Abend noch mit Vertretern der Occupy-Bewegung sprechen. Das Entscheidende ist aus meiner Sicht, diese Bewegungen nicht zu vereinnahmen, aber klarzustellen, dass DIE LINKE auch eine Partei ist, die nicht nur aufs Parlament fixiert ist, sondern auch darüber hinaus in der Gesellschaft mit sozialen Bewegungen und Protestgruppen zusammenarbeitet. Darin unterscheidet wir uns sehr von anderen Parteien.

SB: Sie treten noch einmal zur Wiederwahl für den Parteivorsitz an. Wie ist Ihre innerparteiliche Positionierung beschaffen, die sie von möglichen anderen Kandidaten unterscheidet?

GL: Ich habe über anderthalb Jahre sehr intensiv am Programm mit meinen Genossinnen und Genossen in der Redaktionskommission gearbeitet. Dass wir mit dem Programm so eine große Übereinstimmung erreicht haben, ist natürlich auch ein großer Erfolg für Klaus Ernst und für mich. Außerdem setze ich mich sehr stark für eine Mitgliederpartei ein, in der jeder einzelne mitwirken kann. Wir dürfen unsere Mitglieder nicht nur im Wahlkampf mobilisieren, damit sie Plakate aufhängen. Ohne Frage ist das auch wichtig. Wir brauchen Ideen und Konzepte, um unser Programm umzusetzen. Das ist die wichtigste und auch die schwierigste Aufgabe, auf die ich mich jetzt konzentriere.

SB: Auf dem Erfurter Parteitag gab es auch Töne der Kritik. So wurde beanstandet, daß die Regie zu sehr von oben kam und der Parteitag insgesamt zu orchestriert war. Würden Sie sich auch dafür einsetzen, daß eine stärkere Demokratisierung innerhalb der Partei stattfindet oder eine bessere Einlösung des demokratischen Anspruchs?

GL: Es wird viel darüber gesprochen. Mein Vorschlag für den nächsten Parteitag ist, ihn als Basis-Parteitag zu gestalten. Dort in Göttingen sollen die Vertreter der Parteibasis aus den unterschiedlichen Landesverbänden ihre Erfolge, ihre Positionen, ihre Projekte darstellen können und nicht immer nur "die üblichen Verdächtigen" zu Wort kommen. Das wäre gut. Im Vorfeld des Erfurter Parteitages haben sehr viele Diskussionen stattgefunden, in denen um den Text des Programms gerungen wurde. Wir hätten vielleicht noch viel stärker betonen sollen, wie viele gemeinsame Positionen schon in dem bearbeiteten Programmentwurf aufgenommen wurden.

SB: Die bürgerlichen Medien haben ihren Parteivorsitz relativ schlecht bewertet. Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der Anteil daran, daß es einfach nur darum geht, die Linkspartei zu beschädigen, so daß es anderen Vorsitzenden unabhängig von ihrer Leistung nicht anders erginge?

GL: Wenn man eine Partei schädigen will, insbesondere die Linkspartei, versucht man natürlich, immer zuerst die Vorsitzenden anzugreifen. Das war bei unseren Vorgängern nicht anders. Darum muss jeder in der Partei wissen, dass man in einer Partei die Dinge auch nur gemeinsam voranbringen kann.. Man kann immer wieder in regelmäßigen Abständen neue Vorsitzende wählen, aber jeder Vorsitzende wird von den bürgerlichen Medien wieder angegriffen werden. Das ist meine Erfahrung, und das wird auch in Zukunft so sein. Darum sage ich, wir dürfen uns nicht von jedem Rauschen im Blätterwald erschrecken lassen.

SB: Frau Lötzsch, vielen Dank für das Interview.

TeilnehmerInnen Podiumsdiskussion - Foto: © 2011 by Schattenblick

Sissy Vouvou, Gesine Lötzsch, Christine Buchholz, Isaiah Toney, Nadja Douglas (Übersetzung)
Foto: © 2011 by Schattenblick

21. Dezember 2011