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INTERVIEW/104: Sonja Hegasy, Vizedirektorin des Zentrums Moderner Orient (ZMO) (SB)


Interview mit Sonja Hegasy am 15. Dezember 2011 in Berlin


Die Islamwissenschaftlerin Dr. Sonja Hegasy ist Vizedirektorin des Zentrums Moderner Orient in Berlin. An dem von der Islamwissenschaftlerin Dr. Ulrike Freitag geleiteten Institut werden die sozialen Verhältnisse in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften wie deren Beziehungen zu nichtmuslimischen Nachbarn auf interdisziplinärer Basis untersucht. Am Rande einer Veranstaltung mit dem israelischen Historiker Ilan Pappé beantwortete Frau Hegasy dem Schattenblick einige Fragen zur Arbeit des ZMO [1].

Sonja Hegasy - Foto: © 2011 by Schattenblick

Sonja Hegasy
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Frau Hegasy, könnten Sie bitte Ihre Arbeit und sich vorstellen?

Sonja Hegasy: Ich bin Islamwissenschaftlerin und habe an der Universität Bochum und New York studiert. Seit 1998 arbeite ich im Zentrum Moderner Orient (ZMO) als wissenschaftliche Mitarbeiterin und bin seit 2008 Vizedirektorin, unter anderem verantwortlich für das Outreach-Programm, für Presse und Wissenstransfer, das Aufbereiten und Bekanntmachen der Ergebnisse der Projekte und Veranstaltungen, um sie zur Diskussion zu stellen. Spezialisiert bin ich auf zeitgenössisches Marokko und Ägypten.

SB: Auf welche Weise ist das ZMO institutionell verankert?

SH: Das Zentrum Moderner Orient ist eines von drei Geisteswissenschaftlichen Zentren in Berlin. Wir sind außeruniversitär, keiner Berliner Universität angeschlossen und werden zu einem Drittel vom Senat Berlin und zu zwei Dritteln vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Wir haben natürlich noch weitere Drittmittelprojekte von der DFG oder von anderen Stiftungen. Übernächstes Jahr feiern wir unser zwanzigjähriges Bestehen.

Im Prinzip ist das Zentrum aus der ehemaligen Entwicklungsländerforschung der DDR hervorgegangen. Früher waren das Teile der Akademie der Wissenschaften Ost, die dann evaluiert und nach der Wiedervereinigung in diese Geisteswissenschaftlichen Zentren überführt wurden. Unser Ansatz ist in allererster Linie historisch. Daher laden wir natürlich insbesondere Historiker ein. Auch unsere Mitarbeiter sind zumeist Historiker, Anthropologen und Islamwissenschaftler. Darüber hinaus sind auch andere Disziplinen vertreten wie Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Literaturwissenschaften und Kulturwissenschaften. Wir arbeiten zu muslimisch geprägten Gesellschaften in Asien und Afrika, beschäftigen uns zum Beispiel aber auch mit Christen in Indien. Dies gilt allerdings nur für Länder, in denen der Islam eine von verschiedenen prägenden Elementen ist.

SB: Also ist der Begriff "Moderner Orient" übergreifender gemeint und beschränkt sich nicht darauf, was normalerweise mit Orient assoziiert wird?

SH: Genau. Der Begriff kann mißverstanden werden, weil bei uns eben auch zu Themen ab dem 14. Jahrhundert gearbeitet wird, was man unter Moderne gemeinhin nicht sofort assoziiert, und Orient ist weit gefaßt zwischen Malaysia und Mauretanien.

SB: Spätestens seit 2001 sind in der breiten Öffentlichkeit viele Fragen zum Themenkreis islamische Welt und Orient aufgekommen. Erfüllen Sie da auch gewisse Funktionen im Bereich der Politikberatung?

SH: Eine starke Nachfrage nach Hintergrundinformationen gibt es natürlich durch die Presse. 2011 hatten wir eine unglaublich lange Liste. Politikberatung unternehmen wir dagegen nur in den seltensten Fällen. Es gibt bei uns einige Kollegen, die zu sehr virulenten Themen arbeiten wie zum Beispiel Pakistan. Da wird natürlich auf individueller Ebene nachgefragt. Ich selbst und ein Kollege hatten 2011 bei einem Ägypten-Experten-Hearing der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mitgewirkt. Aber das ist eher die Ausnahme. In der Hauptsache betreiben wir Grundlagenforschung zu muslimisch geprägten Gesellschaften.

SB: Haben Sie im Zusammenhang mit der jüngsten Entwicklung zu Ägypten gearbeitet? Gehört das zu Ihrem Forschungsbereich?

SH: Ja. Ich war jetzt gerade in Ägypten, wie übrigens auch meine Kollegen, die die Möglichkeit haben, länger zu bleiben. Die Ergebnisse werden auf jeden Fall publiziert.

SB: Lassen sich aus diesen Forschungen auch Schlußfolgerungen mit prognostischer Perspektive aufzeigen, oder beschränkt sich Ihre Arbeit eher auf strikte Empirie?

SH: Sie ist eher strikt empirisch. In aller Regel lehnen es unsere Mitarbeiter ab, jetzt über Entwicklungen zu theoretisieren und Szenarien für die nächsten fünf Jahre zu entwerfen. Wir halten uns davon fern.

SB: Herr Pappé hat erklärt, er würde sich wünschen, daß Historiker einer zukünftigen Generation auch stärker als Aktivisten auftreten. Beschreibt das Ihrer Ansicht nach ein Feld, auf dem die Geschichtswissenschaften neue Impulse erhalten könnten?

SH: Bei uns ist es häufig so, daß die Historiker durchaus auch sehr aktiv sind in Bezug auf ihre Heimatländer. Wir sind ein internationales Institut. Die Arbeitssprache ist englisch. Wir haben Kollegen aus Syrien, Palästina und Indien. Viele von ihnen sind zugleich politische Aktivisten. Wir hatten auch einen sehr bekannten Menschenrechtsaktivisten hier, Dr. Farish Noor aus Malaysia. Das hängt sicherlich damit zusammen, daß wir großen Wert darauf legen, daß unsere Mitarbeiter auch aus der Region kommen, zu der sie forschen. Deswegen kann ich jetzt nicht wirklich für die Mainstream-Geschichtswissenschaft sprechen, aber ich sehe es letztendlich schon so, daß die Geschichtswissenschaft viel stärker zu diesen Konfliktlösungsversuchen beitragen muß und auch kann.

SB: Die deutsche Orientforschung genießt einen guten Ruf und kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Sehen sie da einen größeren Unterschied zu den entsprechenden Wissenschaften in angloamerikanischen Gesellschaften, etwa in der Ausrichtung, in den Ergebnissen oder der Arbeitsweise? Oder ist das heute international weitgehend angeglichen?

SH: Ich würde sagen, diesen politischen Impetus können Sie in den USA, aber auch in Deutschland in der Orientalistik finden. Der Bereich, in dem noch zum Teil ein großer Unterschied herrscht, ist, daß Leute aus diesen Regionen hier Professoren werden. Das ist hier immer noch die Ausnahme gegenüber dem angloamerikanischen Wissenschaftsbetrieb.

SB: Erfolgte die Einladung von Herrn Pappé im Rahmen eines ihrer Forschungsprojekte?

SH: Wir haben eine Vorlesungsreihe, die im Sommer immer offen ist. Das heißt, unsere Kollegen schlagen Leute vor und es kann zu jedem Thema gesprochen werden. Das Wintersemester ist dagegen immer thematisch vorgegeben und wird von einem oder zwei Kollegen organisiert. 2011 lautete das Thema "Krise und Konflikt", deswegen kamen wir darauf, Herrn Professor Pappé einzuladen.

SB: Er ist ein Wissenschaftler, der sehr entschieden Position bezieht. In Deutschland gab es bereits Probleme mit seinen Auftritten. Ist man mit Kritik an dieser Einladung an Sie herangetreten?

SH: In den letzten 24 Stunden kamen ganz leichte Kommentare in diese Richtung. Ob es nicht zu einseitig sei, ihn einzuladen usw. Ich bin jetzt gespannt, wie der Abend läuft. Im Vorfeld haben wir keine Probleme gehabt, weil wir auch relativ ausgewogen einladen. Ich arbeite eigentlich mit allen Institutionen in Berlin zusammen. Auch die israelischen Wissenschaftler tragen bei uns vor. Wir sind da sehr breit aufgestellt.

SB: Frau Hegasy, vielen Dank für das Gespräch.

Fußnote:

[1] http://www.zmo.de/index.html

ZMO-Gebäude - Foto: © 2011 by Schattenblick

Forschungszentrum in idyllischer Lage
Foto: © 2011 by Schattenblick

16. Januar 2012