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INTERVIEW/126: Afrikas Erde - Dr. Wilfried Bommert zu Landraub (SB)


"Afrikas Zukunft? Europäische Entwicklungspolitik versus Landgrabbing - Oder: Stehen wir vor einem neuen Kolonialismus?"

Interview mit Dr. Wilfried Bommert am 8. August 2012 in Hamburg

Interviewpartner am Tisch sitzend - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Wilfried Bommert
Foto: © 2012 by Schattenblick

Unruhen in mehreren Dutzend Ländern aufgrund steigender Nahrungsmittelpreise und der Sturz von Regierungen haben vor einigen Jahren eine Debatte in Politik und Zivilgesellschaft über Landraub ausgelöst. Bei dem auch als Land Grabbing bezeichneten Phänomen kaufen oder pachten ausländische Unternehmen oder Staatskonzerne Landflächen, um darauf Pflanzen für die Produktion von Nahrung und Agrotreibstoff für den Export anzubauen.

Um über dieses folgenschwere Thema zu informieren und zu diskutieren lud am 8. August 2012 die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit dem GIGA - German Institute of Global and Area Studies zu einer Veranstaltung in das GIGA-Gebäude in Hamburg ein. Unter dem Titel "Afrikas Zukunft? Europäische Entwicklungspolitik versus Landgrabbing - Oder: Stehen wir vor einem neuen Kolonialismus?" referierten die Diplomgeographin Kerstin Nolte von GIGA, die MISEREOR-Mitarbeiterin Alicia Kolmans aus Aachen und der frühere Rundfunkjournalist und Buchautor Dr. Wilfried Bommert [1]. Mit ihm sprach der Schattenblick vor der Veranstaltung unter anderem zu den Themen Landraub, Hunger, die Notwendigkeit einer Systemveränderung und den Wandel in der Umweltbewegung der letzten 25 Jahre.


Schattenblick: Sie sprechen in Ihrem neuen Buch "Bodenrausch" [2] von verschiedenen Interessengruppen, die sich hauptsächlich an der "globalen Jagd nach den Äckern der Welt", wie es im Untertitel heißt, beteiligen. Könnten Sie unseren Lesern kurz erläutern, um welche "Jäger" es sich handelt und welche Bedeutung sie diesen im Rahmen der globalen Landnahme zuordnen?

Wilfried Bommert: Diese "Jäger" sind etwa seit 2008 unterwegs. Es handelt sich bei dem Jahr um eine Weltzäsur, weil damals vier globale Krisen offensichtlich wurden: Die Klimakrise, die Weltfinanzkrise, die Ernährungskrise und die Erdölkrise. Sie alle drückten sich in höheren Preisen auf den jeweiligen Märkten aus. Daraufhin haben sich diese Märkte überlegt, was sie tun können, um der Situation auszuweichen. Zunächst waren es die Weltnahrungsmittelmärkte, die gesagt haben, daß der Weltmarkt eigentlich gar nicht mehr funktioniert. Denn plötzlich waren die Preise um 300 Prozent in die Höhe geschnellt - das war damals für Reis der Fall -, und die Staaten, die von Nahrungsmitteleinfuhren abhängig waren, haben angefangen, sich umzuorientieren. Sie sagten sich: Da müssen wir unsere Staatskonzerne auffordern, vom Weltmarkt Abschied zu nehmen. 'Seht zu, daß ihr irgendwo direkt Land gewinnt!' Das war die erste große Gruppe, zu der mächtige Staaten gehören wie Japan, Südkorea, die ölexportierenden Staaten, aber auch China. Die haben einen dringenden Bedarf, weil sie ihre Bevölkerung zum größten Teil nicht aus der eigenen Scholle ernähren können.

Die zweite Gruppe entstand aus der Weltenergiekrise. Die Ölpreise waren damals exorbitant hoch und lagen plötzlich bei 140 Dollar pro Barrel. Da begann der Boom des sogenannten Biosprits. Denn es war klar geworden, daß die Welt auf eine andere Energiequelle umschalten muß. Damals ist in allen Industriestaaten und Schwellenländern die Biospritdiskussion voll in Gang gekommen und es sind weltweit Konzepte entwickelt worden, Teile, wenn nicht sogar alles, was aus Erdöl ist, durch Biokraftstoffe oder durch Bioenergie zu ersetzen. Bioenergie braucht aber Land, und dieses Land kann man nicht irgendwo bekommen, sondern kann es nur von da, wo noch Land frei ist. Das war der zweite große Player auf dem Markt für Landgewinn.

Der dritte große Player waren die Finanzmärkte, die plötzlich feststellten: Aktien kann man nicht essen. Die haben unter Umständen gar keinen dauerhaften Wert, wir brauchen dringend Bodenhaftung für unsere Geldmengen, die wir haben, und die Bodenhaftung finden wir am besten im Boden. Das war dann die dritte große Nachfrageseite auf dem Markt für Boden.

Die vierte Gruppe, die höchst ökonomische Interessen an Land hat und sich breitmacht, ist etwas kleiner. Das ist die Seite, die sagt, wenn sich unser Klima in Zukunft weiter verschlechtert, dann brauchen wir dringend Puffer, die die CO2-Mengen auffangen. Und die Puffer wachsen auf Äckern, und da nehmen wir am besten Bäume dazu. Das ist jetzt eine durchaus ernstzunehmende Gesellschaft, die sagt, wir kaufen Land, um es aufzuforsten, und mit dem, was die Bäume an CO2 einsammeln, können wir Klimakredite generieren und sie an der Weltklimabörse verkaufen.

SB: Wird denn schon konkret in Hinsicht Aufforstung mit
Klimazertifikaten gehandelt?

WB: Ja, die Klimazertifikate werden schon gehandelt, auch wenn es noch kein einheitliches Weltregime dafür gibt. Aber es gibt zum Beispiel in Tansania große Flächen, die von norwegischen Interessenten bepflanzt werden und die dafür ihren Investoren heute schon Klimakredite versprechen. Dazu gibt es heftige Auseinandersetzungen, weil die Leute vor Ort auch was davon haben sollten, was aber nicht geschehen ist - seltsamerweise, aber so ist das in dem ganzen "Spiel". Die Leute vor Ort bekommen nichts, die Investoren bekommen alles.

SB: Welche Chancen sehen Sie in den kürzlich von den Vereinten Nationen beschlossenen "freiwilligen Richtlinien" für Landnahmen?

WB: Sie sind freiwillig, und das unterstreicht ihren Stellenwert. In den Ländern, in denen dieses Landgrabbing passiert, sind in der Regel Regime am Werk, die entweder korrupt sind oder eine korrupte Basis haben, auf der sie stehen. In Ländern, wo kein Rechtssystem funktioniert, Länder, die keine Eigentumsordnung haben, wo also die Bevölkerung schwach ist und die Regierenden stark sind, müssen sich letztere nicht um das Recht kümmern. Die werden also einen Teufel tun und sich um solch ein internationales Recht kümmern, zumal das noch nicht einmal verbindlich ist. Solange die Richtlinien freiwillig bleiben, werden sie keinerlei Wirkung haben.

SB: Sind eigentlich deutsche Unternehmen oder ist die deutsche Regierungspolitik an der Landnahme beteiligt?

WB: Die deutsche Regierungspolitik hat versucht, sich davon weitgehend zu distanzieren. Ich kenne die Konzepte, die da bestehen, und die sehen so aus, daß Deutschland seiner Entwicklungsgesellschaft GIZ [3] auf den Zahn fühlt und fragt, ob sie solche Projekte macht und wenn ja, ihnen Kriterien auferlegt, an die sie sich halten muß. Da weht ein ganz anderer Wind als international. International herrscht eher Sorglosigkeit vor und wird sich viel mehr an den "main interests" orientiert, als es in der deutschen Politik der Fall ist. Ob das unten ankommt und wie das dann vor Ort aussieht, weiß ich nicht genau. Weil sich die politische Wende in Deutschland auch gerade erst vollzieht. Aber dadurch daß sich etwas vollzieht, denke ich mir, ist das schon mal ein Hoffnungsschimmer.

Wie weit die deutschen Unternehmen in Landgrabbing involviert sind, wissen wir nur teilweise. Die Deutsche Bank war involviert und ist es wohl auch noch. Große deutsche Versicherungskonzerne sind involviert über Beteiligung an Unternehmen, die weltweit solche Geschäfte tätigen. Es besteht eine komplexe ökonomische Verstrickung, die man von außen gar nicht so schnell erkennen kann. Ich glaube jedoch, daß es für die deutschen Unternehmen in Zukunft ganz schwierig werden wird, so etwas zu machen, denn es kratzt enorm an ihrem Image. Und wenn Unternehmen etwas nicht mögen, dann ist es ein Imageschaden.

SB: Sind Sie bei Ihren Auslandsreisen oder Recherchen jemals auf ein Landinvestitionsprojekt eines ausländischen Unternehmens in Afrika gestoßen, von dem Sie sagen würden, daß es zum Wohl der örtlichen Bevölkerung war und Vorbild für andere sein könnte?

WB: Soweit ich weiß, gibt es dafür keine Vorbilder. Alles, was als Vorbild deklariert wird, löst sich bei näherem Hinsehen wieder auf. Es werden Versprechungen gemacht, die nachher nicht eingehalten werden. Der Standard sieht leider so aus, daß von den Regierungen Landflächen als frei deklariert werden, obwohl sie von Leuten bewirtschaftet werden. Nicht so intensiv wie Amerikaner oder Europäer das tun, aber die Kleinbauern, Hirten, Nomaden haben da ihre Lebensgrundlage. Sie bewirtschaften ihre Flächen extensiv, und die werden von den nationalen Regierungen als frei erklärt. Die Leute werden dann zunächst mit Versprechen abgespeist - nach dem Motto, wenn ihr euer Land hergebt, kriegt ihr etwas dafür - und nachdem das Land freigegeben wurde, kommt der Investor. Dann wird den Leuten unter Umständen eine Arbeitsstelle angeboten, an der sie zu einem Hungerlohn arbeiten sollen. Sie erhalten weit weniger, als sie vorher durch ihre Betriebe oder mit ihren Herden verdient haben. Und dann landen die sozusagen sukzessive im Elend, wenn sie nicht ganz vertrieben werden und in die Städte abwandern müssen. Aber es gibt kein Vorbild, keine "Best practice"-Beispiele in der Welt, die man in dieser Hinsicht anführen könnte.

SB: Haben Sie eine eigene Vorstellung davon, wie eine solche Investition zum Vorteil der örtlichen Bevölkerung aussehen müßte?

WB: Eine Investition in die Landwirtschaft ist wichtig. Weil im Zuge der letzten dreißig Jahre darin immer weniger investiert wurde.

SB: Unter anderem als Folge der Politik von IWF und Weltbank ...

WB: Wegen ganz unterschiedlicher Politiken, aber vor allen Dingen wegen der Liberalisierung. weil man gesagt hat, das mit den Nahrungsmittelmärkten regelt sich von allein, das ist sowieso inferior [4], die Industriemärkte sind viel wichtiger, um die kümmern wir uns, da investieren wir rein. Jetzt zeigt sich plötzlich, daß der Engpaß bei den Nahrungsmitteln auftritt. Und die Frage ist nun, wo tritt er auf? Er tritt bei den Leuten auf, die häufig selbst Land bewirtschaften. Die kleinen Landbewirtschafter haben meist nicht genügend Geld, um ihr Land intensiv zu bewirtschaften, um dann genug für ihre Familien zu erzeugen. Wir haben 700 Millionen Kleinlandwirte auf der Welt, die sich selbst nicht ernähren können. Es wäre ein großes Ding, wenn man sagen würde, die zuerst! Die sollen zuerst Geld, Beratung, Ausbildung und wissenschaftliches Knowhow erhalten, damit sie wieder auf die Beine kommen. Dann haben wir einen Teil des Welthungerproblems - es hungern schließlich eine Milliarde Menschen auf der Welt! - schon mal gelöst.

Also, in Kleinlandwirtschaft investieren, das ist das Credo, und das ist auch allgemein anerkannt. Aber der große Zug fährt genau in die Gegenrichtung.

SB: So wie es auch im Weltagrarbericht formuliert wurde.

WB: So wie es der Weltagrarbericht vorgeschlagen hat und so wie der Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung der Vereinigten Nationen [5] es vorschlägt. Der sagt nicht nur, daß in kleinbäuerliche Strukturen investiert werden muß, sondern, wenn großbäuerliche Konzernstrukturen aufgebaut werden, welche Rechte die davon betroffene Bevölkerung haben muß. Erstens muß sie gefragt werden. Wenn sie nein sagt, kommt da keiner hin. Zweitens muß sie in ihren unmittelbaren Lebensumständen einen direkten Gewinn davon haben. Sie muß auch einen langfristigen Gewinn davon haben. Das Land muß ebenfalls einen langfristigen Gewinn davon haben. Das heißt, der Wohlstand muß da bleiben, wo der Boden ist, und darf nicht exportiert werden. Die heutigen Konzepte dagegen laufen alle mehr oder weniger auf einen Export des Wohlstands hinaus.

SB: Setzt das Ihrer Meinung nach nicht ein ganz anderes Gesellschaftsmodell mit anderen Produktionsverhältnissen voraus, da sich ja die Kleinbauern in einer Abhängigkeit befinden beispielsweise gegenüber ihrer Regierung?

WB: Es setzt gewiß ein Gesellschaftsmodell voraus, wo wir sagen: Die Basis der Ökonomie ist klein. Die beginnt im Kleinen, sie ist nicht im Globalen zu finden. Wir müssen die Basis im Kleinen und die demokratischen Rechte der kleinen Leute stärken, damit die Staatengebilde, um die es geht, auch am Ende funktionieren können. Wir möchten ja gerne, daß diese Staaten funktionsfähig bleiben, damit da nicht Mord und Totschlag und jeden Tag Umbruch an der Tagesordnung sind. Wir möchten ja eine stabile Welt haben, und die kriegen wir nur von unten gezimmert.

SB: Dann sehen Sie die Liberalisierung der Märkte und die Privatisierung des Bodens eher kritisch?

WB: Ja, die Privatisierung des Bodens ist eine neue Erfindung. Wenn man historisch einmal zurückblickt, gab es die auch in Westeuropa nicht immer. Die ist sozusagen erst im 12. Jahrhundert dialektisch mit eingeführt worden von Thomas von Aquin. Der hat der katholischen Kirche beigebracht, daß es auch Privateigentum geben und man damit ganz gut leben könne.

SB: Und die Kirche hat das dankbar aufgegriffen?

WB: Die Kirche hat es geteilt aufgegriffen. Es gibt immer noch Strömungen in der Kirche, die sagen, das war der Sündenfall schlechthin, das hättet ihr nie machen dürfen. Aber der Mainstream läuft anders. Und der Mainstream läuft eben in allen westlichen Gesellschaften so, daß an Privateigentum, auch an Grund und Boden, festgehalten wird. Man meint, es dringend zu brauchen und zu wollen. Im größten Teil der Welt, in Südamerika, in Afrika und auch in Asien, gibt es solches Privateigentum nicht, was ich interessant finde. Dort gibt es kulturell gesehen das Gemeinschaftseigentum, was allen gehört und was dann womöglich delegiert wird an einen Obersten, der es verwaltet. Aber letztendlich ist der dabei den Unteren verpflichtet. Diese Art von Eigentum entspricht nicht unserem Eigentumsbegriff.

Zur Zeit wird mit Unterstützung der Weltbank und der Wirtschaftsstrategen der Industrieländer dieses Gemeinrecht an Eigentum unterminiert. Zum Teil mit Erfolg, zum Teil mit mäßigem Erfolg, aber es wird weltweit unterminiert, um die Grundlage zu schaffen für private Investoren. Wenn die kein Eigentumsrecht haben, investieren sie auch nicht. Daraus folgt, daß es geregelt werden muß, und das übernimmt dann die Weltbank.

SB: Einerseits schwinden die Weltgetreidevorräte immer mehr - da sind die Zahlen des US-Landwirtschaftsministeriums eindeutig: wenn jetzt nichts mehr produziert wird, hätte die Welt nicht mal mehr für zwei Monate Getreide -, andererseits heißt es auch in den Reihen der Umweltbewegung, die Menschheit würde genügend Nahrung für alle produzieren. Es sei nur eine Frage der gerechten Verteilung, damit die Nahrung bei den Bedürftigen ankomme. Teilen Sie diese Einschätzung?

WB: Das ist eine schwierige Frage. Wenn wir das globale Produktionspotential nehmen, das auf den Äckern bereits wächst, können wir nicht nur sieben Milliarden, sondern zwölf Milliarden Menschen ernähren. So aber, wie wir unsere Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft strukturiert haben, funktioniert das nicht. Allein die Hälfte unserer Nahrungsmittel verschwindet zwischen Acker und Teller! Wird in den Müll geworfen, landet in irgendwelchen Versorgungsirrtümern auf dem Weg zur Verarbeitung, bleibt im Supermarkt liegen, geht von da in den Container. Wir werfen die Hälfte der Welternte weg, was bedeutet, wir könnten doppelt so viele Leute ernähren. Wenn man nun sagt, organisatorisch wird immer ein bißchen was weggeworfen, das akzeptiere ich, aber zumindest die Hälfte von der Hälfte müßte man nicht wegwerfen.

Zweiter großer Punkt: Wir haben ein riesiges Problem mit Überernährung auf der Welt. Wir haben mittlerweile mehr Überernährte als Hungernde. Die Überernährten essen kalorisch die doppelte Menge dessen, was man braucht. Die machen das nicht, weil sie es unbedingt wollen, sondern weil sie gar nicht anders können, da die Ernährungsindustrie die Kalorienzahl ihrer Produkte mittlerweile so weit hochgefahren hat. Wenn wir das Problem angehen würden, hätten wir spielend hunderttausend Hektar frei an Land, das wir nur brauchen, um diese Menschen hochkalorisch zu ernähren.

Der dritte Punkt, der aus meiner Sicht ganz wichtig ist, lautet, daß wir von unserem irrsinnigen Weg, Bioenergie zu erzeugen, Abstand nehmen. Dann hätten wir nochmals eine riesige Fläche zur Verfügung. Wir können auf diese Art und Weise 200 Millionen Hektar sozusagen spielend gewinnen und für die Nahrungsmittelproduktion einsetzen. Wenn das System derartige Reserven hat, kann keiner sagen, daß dann noch Leute hungern müßten. Also, es ist in der Tat eine Systemfrage. Das System ist falsch organisiert.

SB: Wobei man sich natürlich fragen kann, welches Interesse die Leute, die heute sozusagen die Fäden ziehen und die politischen Leitlinien vorgeben, daran haben, daß so viele Menschen hungern, wenn das, wie Sie sagen, eigentlich nicht sein müßte.

WB: Ein direktes Interesse am Hunger sehe ich noch nicht, aber ich sehe natürlich, daß die Interessen, die im Vordergrund stehen, ökonomische Gewinninteressen sind, die den Hunger nicht mit einbeziehen. Interessen, die sehr wohl wissen, daß es ihn gibt, und dennoch ihren Stiefel weiterfahren. Insofern gäbe ich Ihnen in dem Punkt recht.

Beide Interviewparter am Tisch sitzend - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Wilfried Bommert im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß unter dem Eindruck des allgemeinen Mangels gesellschaftliche Notlagen geschaffen werden könnten, so daß Konzepte wie Suffizienz, wie sie in der Umweltbewegung diskutiert werden, oder Konsumverzicht - ohne auf Lebensqualität zu verzichten - gesellschaftlich in einen Zwang verkehrt werden?

WB: Diese Gefahr sehe ich eigentlich nicht. Wir stehen noch immer am Beginn einer großen Diskussion, die 2008 angefangen hat. Wir brauchen eine große gesellschaftliche Diskussion über Fragen wie: Mit welchem System betreiben wir Landwirtschaft und mit welchem System ernähren wir uns? Und: Wollen wir das ändern?

Es gibt genügend Punkte - vier habe ich Ihnen eben aufgezählt -, an denen man große Änderungen vornehmen kann. Man muß es dann nur politisch wollen. Die Diskussion unter den Menschen wird darüber anfangen, wie man es denn in die Wege leiten soll, wie man es politisch organisieren soll. Ich habe sehr viel Vertrauen in unsere Zivilbevölkerung, die sehr wach ist an dem Punkt, daß sie die richtigen Anstöße gibt, unter Umständen auch die parteipolitischen Gewichte verlagert. Wie wir sehen, geht das ja mittlerweile sehr schnell in Deutschland. Dann kommt man auch zu anderen Ergebnissen. Beispielsweise hätten wir uns vor vier Jahren auch keinen Abschied vom Atomstrom vorgestellt.

Allerdings bedurfte dieser Abschied der Katastrophe, und ich fürchte, das wird bei der Welternährung genauso sein. Es bedarf der Katastrophe. Die wird wahrscheinlich darin liegen, daß die Preise plötzlich explodieren und Teile der Welt in große Unruhe geraten - insbesondere in Afrika und in Südostasien -, wenn es massive Aufstände geben wird. Dann wird die Welt sagen: 'Hey, da läuft doch wohl was falsch!' Und dann sehe ich auch die Substanz, daß sich politisch was ändern wird. Die Diskussion, die wir jetzt führen, bereitet diese Änderung vor.

SB: Als Leiter der ersten Umweltredaktion im WDR-Hörfunk begleiten Sie die Umweltbewegung seit langer Zeit. Welche Unterschiede gibt es von damals zu heute?

WB: Ich habe vor ungefähr 25 Jahren damit angefangen. Damals waren alle Umweltprobleme mehr oder weniger regional. Da war Dreck im Fluß oder in der Luft, da starb irgendwo eine Kröte, da kam ein Schmetterling nicht mehr oder ein Bauer hatte auf seinem Acker allzu viele Pestizide eingesetzt. Das waren alles regionale Probleme.

Die sind mittlerweile alle zu globalen Problemen geworden. Die Menschheit hat insgesamt alle die Probleme immer zur gleichen Zeit. Sie sind nur gemeinsam lösbar. Da müssen die die größten Lasten tragen, welche die größten Probleme verursachen. Aber alle zusammen müssen sehen, daß sie insgesamt in eine neue, nachhaltige Richtung gehen. Unser Modell der konsumierenden Industriegesellschaft ist ein Auslaufmodell. Das kann man sich vorstellen in einer wachsenden Weltbevölkerung, die vielleicht von sieben auf zwölf Milliarden wächst. Dazu gibt es gar nicht die Ressourcen. Dazu gibt es gar nicht soviel Eisen, Aluminium, auch nicht so viel Energie, daß das möglich wäre.

So groß sind unsere Abfallbehälter - unsere Atmosphäre, unsere Flüsse, unsere Meere - auch nicht, daß darin der ganze Dreck aufgenommen werden könnte. Also, da muß das Grundkonzept verändert werden, wenn der Globus sich einigermaßen fit halten will und Bedingungen aufrecht gehalten werden sollen, unter denen zwölf Milliarden Menschen leben können. Wir haben heute einen globalen Anspruch, wir sehen die Welt als Ganzes, und ich glaube, auch nur so kommen wir weiter.

SB: Herr Bommert, herzlichen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Näheres zu der Veranstaltung können Sie nachlesen im Fachpool POLITIK/ REPORT/ BERICHT/116: Afrikas Erde - Kleinbauern Opfer neokolonialen Landraubs (SB)
http://schattenblick.com/infopool/politik/report/prbe0116.html

[2] Wilfried Bommert: Bodenrausch. Die Globale Jagd nach den Äckern der Welt, Eichborn Verlag, Köln 2012.

[3] GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit

[4] inferior - geringwertig

[5] Olivier De Schutter, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung

13. August 2012