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INTERVIEW/166: Quo vadis NATO? - Handgemacht und kompliziert (SB)


Gespräch mit Prof. Dr. jur Andreas Fischer-Lescano am 27. April 2013 in Bremen



Prof. Dr. jur. Andreas Fischer-Lescano war als geschäftsführender Direktor des Zentrums für europäische Rechtspolitik (ZERP) an der Universität Bremen maßgeblich daran beteiligt, dass der Kongreß "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" am 27. und 28. April in den grosszügigen Räumlichkeiten der Hochschule abgehalten werden konnte. Am Rande der Veranstaltung beantwortete der Rechtswissenschaftler dem Schattenblick einige Fragen.

Porträtfoto - Foto: © ZERP via http://www.zerp.uni-bremen.de///streamfile.pl?mod=cmsbrowser&area=FOTOS_Direktorium/&file=AndreasFischerLescano.jpg&mime=image/jpeg&id=

Andreas Fischer-Lescano
Foto: © ZERP via www.zerp.uni-bremen.de

Schattenblick: Herr Fischer-Lescano, könnten Sie bitte erklären, wie Sie in die Organisation des Kongresses "Quo vadis NATO?" eingebunden sind und welche Rolle das Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen (ZERP) dabei spielt?

Andreas Fischer-Lescano: Wir sind der lokale Gastgeber. Ich bin schon in die Vorbereitungstreffen einbezogen gewesen und hatte auch einige Fragen aus dem Bremer Forschungsbereich in die Veranstaltung mit eingebracht, insbesondere die der Zivilklausel und Sicherheitsgewährleistung im transnationalen Kontext. Aus meinem Institut kommen zwei Beiträge, zum einen zur Privatisierung des Militärs und zum anderen zum Themenfeld NATO und Lateinamerika.

SB: Liegt der Schwerpunkt dabei auf dem rechtlichen Hintergrund?

AFL: Ja, wobei wir interdisziplinär arbeiten. Das Zentrum für europäische Rechtspolitik hat eine bis in die 80er Jahre zurückreichende Geschichte. Den Anfang hatte Hans Koschnick seinerzeit gesetzt. Zunächst ging es um die Frage der sozialen Komponente im europäischen Einigungsprozess, aber schon damals war die interdisziplinäre Herangehensweise im Hinblick auf transnationale Fragen in unserer Arbeit angelegt. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen in dieser Tradition. Die Fragestellungen betreffen dabei nicht nur den rein rechtlichen Bereich, sondern sind in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt und werden interdisziplinär hinterfragt. Natürlich setzen wir uns auch damit auseinander, in welcher Weise das Recht reagieren muss, um sich der demokratischen Struktur und den menschenrechtlichen Anforderungen stellen zu können.

SB: Wie gestaltet sich die Arbeit im ZERP in einer Hochschullandschaft, die immer mehr von Drittmitteln abhängig und damit immer stärker auf Anwendungsorientierung ausgerichtet ist?

AFL: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Universität Bremen nach dem Generationenwechsel anders ist als vor dem Generationenwechsel. Wir sind zu einer kleinen Universität geworden, die in der Exzellenzinitiative der Bundesregierung als Exzellenzuniversität ausgewiesen wurde. Darin kommt im Grunde schon das gesamte Problem zum Ausdruck, nämlich dass die Grundförderung der Universitäten weitgehend zurückgefahren wird und die Hochschulen auf Zusatz- und Drittmittel von temporären Bundesmitteln (wie in der Exzellenzinitiative), aber zunehmend eben auch von privaten Anbietern angewiesen sind. Diese Forschungsfinanzierungsstruktur führt zu Abhängigkeiten, so dass kritische und unorthodoxe Projekte in der Regel kaum noch durchgeführt werden können. Für kritische Wissenschaft sinken die Drittmittel-Aussichten.

SB: Vor kurzem wurde im Deutschlandfunk [1] in einem Beitrag zur Militärforschung an Universitäten berichtet, dass der Rüstungskonzern EADS sich in München mit 60 Millionen von insgesamt 150 Millionen Euro am Bavarian International Campus Aerospace and Security beteiligt. Dieser Universitätscampus wird auf Konzerngelände errichtet. Dort sollen einem Lehrstuhl hundert Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden, während etwa Sozialwissenschaften im normalen Hochschulbetrieb nur ein Budget für zwei oder drei Mitarbeiter gewährt wird. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

AFL: Diese Entwicklung kennt scheinbar keine Grenzen. An deutschen Universitäten ist es zu einem massiven Einbruch von wirtschaftlichen Großinteressen gekommen, weil es nicht anders möglich ist, das Finanzvakuum, das die Politik hinterlassen hat, zu kompensieren. So gibt es zum Beispiel an der Universität in Frankfurt Hörsäle, die nach ihren Förderern benannt sind wie Deutsche Bank- oder Commerzbank-Hörsaal. So ist das dort angesiedelte Institut für Law and Finance im Grunde ein Tempel der Finanzwirtschaft, eine Kadettenanstalt der Finanzmärkte. Wir haben an der Humboldt-Universität in Berlin ein von Google gefördertes Datenschutzinstitut, wo schon vorher klar ist, was dabei herauskommen wird, auch wenn die Verträge eine Scheinunabhängigkeit versprechen.

Auf diese Weise wird eine wirtschaftliche Abhängigkeit generiert und damit ein unmittelbares Eindringen wirtschaftlicher Interessen in die Forschung gestattet. Für den Wissenschaftsstandort Deutschland stellt das eine große Gefahr dar. Wir haben das in Bremen bei der Diskussion um die Zivilklausel erlebt. Der damalige Rektor Wilfried Müller war im Grunde bereit, dieses Erbe der Tradition aufzugeben. Aber weil sich universitätsintern soviel Widerstand geregt hat, ist die Klausel in die Präambel aufgenommen und dadurch vom Text her gestärkt worden. Allerdings funktioniert die Überwachung der Einhaltung der Klausel nicht. Das größte Problem besteht darin, dass es keine Strukturen gibt, in denen Ziele wie Wissenschaftsfreiheit und Friedensorientierung von Forschung hinreichend durchgesetzt werden können.

SB: Es ist ja auch eine gesellschaftspolitische Forderung, die Freiheit der Wissenschaften zu schützen, um demokratisches Bewusstsein und bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Wie beurteilen Sie die zunehmende Ökonomisierung der Hochschulen vor dem Hintergrund dieser Frage?

AFL: Meines Erachtens hat die Ökonomisierung der Forschung und Wissenschaft ihren maßgeblichen Grund in der Rückführung der Grundfinanzierung der Universitäten und damit der gesteigerten Abhängigkeit von wirtschaftlichen, anwendungsorientierten Bereichen. Natürlich gibt es auch Eigenursachen für die Anforderungen der Studierenden. Die Studierendenschaft ist weitgehend depolitisiert. Sie diskutiert diese Probleme kaum und ist auch hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten kaum eigeninitiativ. Das liegt natürlich auch an den gesteigerten Anforderungen des Arbeitsmarkts und der frühzeitigen Karriereorientierung der Studierenden. Trotzdem erleben wir hier an der Universität Bremen gerade eine sich formierende Protestkultur gegen die weiteren Kürzungen durch den Senat. Dieser Protest geht zunächst nicht vom Fachbereich Rechtswissenschaft aus, sondern vom Fachbereich Sozialwissenschaft. Meine Hoffnung wäre schon, dass es zumindest zu Solidarisierungen kommt und sich unsere Studierenden aufrütteln lassen. Allgemeingesellschaftlich kann ich schwer einschätzen, woher das Desinteresse kommt, aber sicherlich ist es nicht besonders hilfreich, dass kaum Bezüge der Universität zur Gesellschaft existieren.

SB: Sie versuchen etwas dagegen zu tun, indem sie zum Beispiel einen friedenspolitischen Kongress wie "Quo vadis NATO?" unterstützen.

AFL: Ich versuche über solche Veranstaltungen wie diese oder bisweilen auch über Diskussionforen in der Stadt, diese Elfenbeinturm-Situation mit friedensbewegten, aber auch sozialen Themen aufzubrechen. So haben wir Veranstaltungen zu sozialen Menschenrechten organisiert, zu denen wir Personen aus der brasilianischen Landlosenbewegung eingeladen hatten. Vieles von dem, was sich an sozialen Fragen auf gesellschaftlicher Ebene stellt, wird aber im hegemonialen Diskurs so eingerahmt, dass man mit einer der Sache angemessenen Thematisierung kaum mehr durchschlägt. So wird beispielsweise die europäische Krise bzw. der Nord-Süd-Konflikt durch den Kontrast zwischen Deutschen und faulen Siesta-Griechen, -Spaniern und -Italienern, wie es die Bundeskanzlerin gemacht hat, auf völlig unzulängliche Weise trivialisiert. Das ist trotzdem eingängig und spricht natürlich viele Leute an. Man gerät dabei aber in ein nationales Fahrwasser. Das kann man teilweise damit begründen, dass man Wahlen erst einmal national gewinnen muss. Aber zu der Dramatik dieser transnationalen sozialen Frage, die ja darin besteht, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland genauso leiden wie in Griechenland, Spanien und Italien, dringt man so nicht durch. Die europäischen Konflikte sind keine nationalen Konflikte, sie folgen eher einer postmodernen Klassenkampflogik als einer nationalen Logik. Ein solches Argument hat aber kaum gesellschaftliche Durchschlagskraft, es wird eher als verkopftes Argument aufgefasst, das gegen die aufbrechenden Emotionen - "wir dürfen unser gutes Geld nicht den Griechen hinterher werfen" - schwer zu vermitteln ist.

SB: Dafür gibt es auch pragmatische Argumente auf Seiten der Bundesrepublik, weil ein sozial abgeflachter, homogener EU-Raum im administrativen Sinne immer noch besser ist, als die sozialen Spaltungen weiter eskalieren zu lassen. Ein entsprechendes Echo kommt auch aus den Ländern des Südens.

AFL: In der Tat, jetzt hat José Manuel Barroso in Verteidigung einer Entscheidung des portugiesischen Verfassungsgerichts sogar kritische Worte zur Fiskalpolitik gefunden. Solche Stimmen gibt es, aber sie werden systematisch marginalisiert.

SB: An der Enthüllung des Plagiats von Karl-Theodor zu Guttenberg hatten Sie seinerzeit großen Anteil, aber dennoch ist Ihr Name in der anschließenden Debatte kaum noch aufgetaucht. Hat es Anfeindungen seitens der Presse gegen Sie gegeben?

AFL: Nach den ersten Enthüllungen hatten sich die Presse und Hans-Peter Friedrich auf mich gestürzt und mich als einen Linksradikalen, der einen Minister stürzen wollte, bezeichnet. In diesem Gefolge kamen so viele emotionale Reaktionen und tausend Hassmails, Briefe und Anrufe - mein Sekretariat hat das alles gefiltert -, dass ich gar nicht absehen konnte, welche Dynamik die Sache noch annehmen würde. Ich habe mich dann ganz bewusst aus der Berichterstattung herausgenommen. Ich habe auch alle Fernsehanfragen zu der Thematik abgelehnt, weil ich nicht einsah, dass ich meine Kritik an ihm hätte verteidigen müssen. Seine Arbeit hatte gravierende Fehler, sie bestand aus einem unvorstellbaren Plagiatsteppich. Das hatte ich nachgewiesen, dem musste er sich stellen. Das hat mit meiner Person erst einmal nichts zu tun.

Daher war ich froh, dass mein Name in dieser Angelegenheit mit zunehmender Dauer mehr und mehr in den Hintergrund rückte. Mein Arbeitsschwerpunkt sind Fragen sozialer Menschenrechte, der Sicherheitspolitik, der Migration usw. Dessen ungeachtet habe ich unglaublich viele Anfragen für Plagiatsveranstaltungen bekommen, aber im Grunde ist mir diese Plagiatssache eine Last. Mit dieser Affäre werde ich wohl lange identifiziert werden, aber Plagiatsforschung ist eben nicht Bestandteil meiner wissenschaftlichen Arbeit. Dennoch ist es natürlich gut, dass Guttenberg zurücktreten musste, seine Politik der Militarisierung der Außenpolitik, sein Umgang mit der Kunduz-Affäre, sein politisches Umfallertum waren genauso unerträglich wie seine Selbstüberschätzung. Existentiell hat es Guttenberg auf keinen Fall getroffen. Eine Zeitlang hat er mir aus einer menschlichen Sicht dennoch leid getan, aber auf der anderen Seite hat er sich das alles selbst zuzuschreiben.

SB: Herr Fischer-Lescano, vielen Dank für das Gespräch.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/wib/2028117/


8. Mai 2013